Der vorweihnachtliche Überraschungsbesuch ging nach hinten los. Irgendwann standen wir alle draußen vor der Doppelhaushälfte und weinten—einschließlich meines Vaters. Ich hatte das dringende Bedürfnis zu fluchen, obwohl ich wusste, dass ich Ärger dafür bekommen würde. Um mir meine ersten Schimpfworte zu entlocken, musste das Universum nur eine Situation kreieren, in der ich mich so frei fühlte, dass ich keine Angst mehr vor den Konsequenzen hatte. Aufgelöst und unter Tränen wurde mir plötzlich klar, dass mein Moment gekommen war.„Dad, was für eine Scheiße ziehst du hier eigentlich ab?", prustete ich los.An die Antwort kann ich mich nicht mehr erinnern.Als ich Angie zum ersten Mal offiziell kennenlernte, gingen wir zusammen Shoppen. Dass das meine erste richtige Shoppingtour war, war kein Zufall, sondern der perfekt inszenierte Plan meines Vaters. Seit dem vorweihnachtlichen Albtraum waren bereits ein paar Jahre vergangen und weil Angie beim ersten Mal so einen denkwürdig schlechten Eindruck bei mir hinterlassen hatte, dachte mein Vater, es wäre das Beste, wenn sie und ich noch einmal von vorne anfangen und ein bisschen Quality Time zu zweit allein im Einkaufszentrum verbringen würden. Damit traf er voll ins Schwarze.Auf der Hinfahrt redete ich nicht viel. Ich war extrem eingeschüchtert von Angie—vermutlich, weil sie eine 25-Jährige mit einem perfekten Körper und riesigen, natürlichen Brüsten war. Als Kind habe ich für Barbie geschwärmt und mit 13 Jahren stand plötzlich eine lebende Ausführung vor mir, die wollte, dass ich sie mag und mich deswegen mit zum Shoppen nahm. Es war, als würde ein Traum in Erfüllung gehen. Unser Ausflug begann in einem Schuhladen, wo wir uns mehrere Paare von diesen klobigen Doc-Martens-Sandalen kauften. Mit Angie einkaufen zu gehen, machte mir Spaß, weil sie meinen Modegeschmack nicht hinterfragte, sondern mich sogar noch ermutigte. Wenn ich mich nicht zwischen einem braunen und einem schwarzen Paar Schuhe entscheiden konnte, hatte Angie immer sofort die Lösung parat. „Nimm sie einfach beide!", meinte sie und zückte ihre Kreditkarte. Sie hat sich sogar selbst ein Paar dieser Sandalen gekauft.Mehr lesen: Reiche Nordkoreanerinnen und die Meth-„Diät"
Kurz nach unserer Shoppingtour trank ich mein erstes Glas Champagner, als ich mit Angie und meinem Dad zum Abendessen im Oklahoma City Golf & Country Club war. Das Restaurant des Clubs war ziemlich formell—nur Abendgarderobe—und nachdem ich kurz zuvor mein erstes Abendkleid bekommen hatte, war es nur folgerichtig, dass wir ausgingen, um das zu feiern und damit anzugeben. Irgendwann kam der Kellner und fragte, was wir zu trinken bestellen wollten.Schweigend schüttete er sein Glas Champagner hinunter—wohlwissend, dass ich die Regeln gebrochen hatte und er nichts dagegen tun konnte.
Das nächste Mal, als Angie ausflippte, waren wir gerade im gemeinsamen Sommerurlaub. Meine Geschwister und ich verbrachten eine ganze Woche mit ihr und meinem Vater. Wir machten zusammen einen Ausflug und unser erster Halt war Bartlesville, wo die Woodward Travelers—eine Highschool-Baseballmannschaft, die mein Vater mal trainiert hatte—im Saisonfinale spielten. Anschließend wollten wir weiter nach Grand Lake im Nordosten Oklahomas, um dort den Rest der Woche zu verbringen.Am ersten Wochenende unseres Kurztrips ging ich mit meinem Vater zu dem Meisterschaftsspiel. Meine Geschwister hatten keine Lust und blieben lieber mit Angie im Hotel. An diesem Sonntagabend gewannen die Travelers das Finale und unser vermeintlich großartiger Ausflug stand kurz bevor. Dann bekam mein Vater einen Anruf von meiner Mutter, die meinte, dass Angie betrunken sei und mit meinen Geschwistern quer durch Bartlesville fuhr.Anscheinend hatte Angie im Hotel den ganzen Tag über ein Bier nach dem anderen in sich hineingeschüttet, bevor sie meine Geschwister schließlich ins Auto verfrachtete, um mit ihnen zum Baseballspiel zu fahren. Ihr unberechenbares Verhalten und ihre beeinträchtigten Fahrfähigkeiten hatten meinem Bruder Jake scheinbar so eine Angst gemacht, dass er ihr Handy gestohlen hatte, um meine Mutter anzurufen und ihr zu erzählen, was los war.Auch wenn sie 28 war und ich erst 16 teilten wir doch dieselben Interessen: Wir warteten beide auf unser Taschengeld, um uns dann damit abzuschießen.
Mein Vater legte auf, als er sah, wie Angies blauer Chevrolet Tahoe auf den Parkplatz bog. Was folgte, war der Streit aller Streits: Meine Geschwister und ich flüchteten uns ins Auto meines Vaters, während er versuchte, Angie zu beruhigen, die vollkommen außer sich war vor Wut. Irgendwann stürmte sie zu uns, komplett in Tränen aufgelöst. Sie umkreiste das Auto wie ein Raubtier in einem Horrorfilm und begann, jeden von uns einzeln zu beschimpfen.Sie fing mit Jake an, weil er ihr Handy gestohlen hatte.„Du behinderter kleiner Dieb!", schrie sie und spielte damit darauf, an dass er Asperger hat. „Du verdammtes Baby!", brüllte sie weiter und zeigte auf meinen jüngsten Bruder Kurt, der weinte und vollkommen fertig war. Sarah, die Jüngste von uns, nannte sie eine „weinerliche kleine Hure." Und dann kam sie schließlich zu mir.„Du verdammte, verwöhnte Göre", knurrte sie.Ich war sprachlos. Ich dachte, Angie und ich wären Freunde.Ihr Wutanfall endete damit, dass sie zu ihrem Wagen lief, die Hintertüren aufriss, sich den tragbaren Fernseher schnappte, den wir mit an den See nehmen wollten, und ihn auf dem Boden zerschmetterte.Mehr lesen: Wieso immer mehr Frauen Sex auf Drogen haben
Danach verschwand Angie immer wieder eine Zeit lang aus unserem Leben, kam letztlich aber doch wieder zurück. Meist hatte ihr Verschwinden mit irgendeinem alkoholisierten oder durch Drogen hervorgerufenen Zusammenbruch zu tun, der dazu führte, dass sich mein Vater und sie für eine Weile voneinander trennten. Aber am Ende kamen sie doch immer wieder zusammen.„Ich muss dir was zeigen", sagte sie eines Abends und streckte mir mit einem irren Lächeln ihren Verlobungsring ins Gesicht.
„Halt verdammt noch mal die Fresse, du verrückte, besoffene Bitch!", schrie ich aus dem Wohnzimmer.Angie stürmte mit dem schnurlosen Telefon in der Hand aus dem Schlafzimmer.„Wie hast du mich genannt?", knurrte sie wütend.„Du hast mich schon gehört. Warum verpisst du dich nicht einfach und verschwindest verdammt noch mal aus unserem Leben!"Weißt du was, Lara? Ich habe mit deinem Dad schon gefickt, da warst du erst sieben Jahre alt!
„Ich hätte noch ein bisschen Crystal, wenn du willst. Ich glaube, das würde dir wirklich gut tun!"Normalerweise hätte ich Nein gesagt, aber die Situation war ziemlich aussichtslos. Ich hatte einen üblen Kater und musste zur Schule, sonst würde mich meine Mutter umbringen. Ein wenig Meth zu nehmen, schien eine angemessene Lösung zu sein.„Oh, OK klar. Wenn du denkst, dass es mir danach besser geht."So mir nichts, dir nichts zog Angie eine Platte mit zwei kurzen Lines und einem Strohhalm raus und stellte sie mir vor die Nase.„Zieh eine Line in jedes Nasenloch. Es brennt vielleicht ein bisschen, aber das vergeht."Ich sniffte beide Lines und weil es brannte wie verrückt, sniffte ich noch ein wenig Wasser hinterher, was tatsächlich auch zu helfen schien. Anschließend kippte ich noch ein wenig Milch in meinen Kaffee und ging los.Kurz nachdem ich losgefahren war, begann „Where is My Mind" zu spielen. Ich war total high und fuhr wie eine Irre—wild entschlossen und vollkommen konzentriert. Dazu liefen die Pixies in Dauerschleife. Den Rest des Tages wurde der Song zu meiner persönlichen Hymne. Wenn ich den Song heute höre, muss ich immer daran denken, wie ich mit 16 Meth genommen und vollkommen vollgedröhnt zur Schule gefahren bin.Als das Meth anfing zu wirken, fühlte es sich am Anfang tatsächlich ziemlich gut an. Ich huschte Punkt 8 Uhr in die Kapelle, lernte für meine Geschichtsprüfung (die ich ohne Weiteres bestand) und fühlte mich den ganzen Tag, als würde ich auf Wolken laufen und zwar wortwörtlich: Es fühlte sich an, als würde ich die ganze Zeit über einen halben Meter über dem Boden schweben. Ich habe mit Leuten gesprochen, die ich normalerweise nicht ausstehen konnte und fand sie sogar ziemlich nett. In der Mittagspause habe ich nichts gegessen, weil es sich einfach nicht richtig angefühlt hätte, Essen im Mund zu haben. Ich war der festen Überzeugung, dass das nun mein neues Ich war.Mehr lesen: Wenn Frauen ihren Ehemännern bei Vergewaltigungen und Morden helfen
Kurz nachdem ich die Line gezogen hatte, klingelte das Telefon. Mein Vater war dran und fragte mich, warum ich zu Hause war und nicht auf dem Weg zum Therapeuten. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich total vergessen hatte, dass ich heute Nachmittag zur Therapie musste und meinte, dass ich es gerne ausfallen lassen würde. Mein Vater war da aber anderer Meinung und sagte mir, dass ich mich auf der Stelle auf den Weg machen sollte.Ich hetzte in die Praxis meines Therapeuten, kam aber 30 Minuten zu spät und war total high. Die zweite Line hat meinen Zustand nicht verbessert, sondern hatte mich in ein stotterndes, schwitzendes Häufchen Elend verwandelt. Nach ungefähr fünfzehn Minuten wurde mir klar, dass ich keine Wahl hatte: Ich musste versuchen, so schnell wie möglich da rauszukommen, bevor mein Therapeut noch irgendetwas merkte. Ich dachte mir irgendeine seltsame Ausrede aus und meinte, dass ich gehen musste, während ich langsam Richtung Tür wanderte. Dann rannte ich zum Auto, machte den einzigen Song an, den ich hören wollte („Where is My Mind") und ließ ihn wieder die ganze Fahrt über in Dauerschleife laufen.Als ich zu Hause ankam, war das Haus leer. Mein Vater und Angie waren Essen gegangen. Ich wusste nicht, was ich mit mir selbst anfangen sollte. Ich kam so schnell und heftig runter, dass ich mich in einem Stuhl auf der Terrasse zusammenkauerte und eine Zigarette nach der anderen rauchte, bis die beiden wieder zurückkamen. Angie musste nur einen kurzen Blick auf mich werfen, um zu wissen, was los war. Sie nahm mich zur Seite und gab mir noch etwas Meth und Lorazepam, damit ich schlafen konnte.Kurze Zeit nach meinem Meth-Abenteuer ließen sich Angie und mein Vater scheiden. Was mich betrifft, so kann ich sagen, dass Meth nichts für mich war und ich es nie wieder versucht habe. Angie dagegen blieb dabei und wurde irgendwann immer ausgemergelter und psychotischer. Sie steht aber nach wie vor total auf Körbe. Als sie auszog, nahm sie jeden einzelnen von ihnen mit. Mein Vater hatte damals einen Wachmann engagiert, um sie an dem Wochenende, an dem sie auszog, im Auge zu behalten. Er wollte sichergehen, dass sie nichts verrücktes anstellte. Ich war traurig, dass sie ging.Doch Geschichte wiederholt sich immer wieder und kurz nach der Scheidung begannen Angie und mein Vater, sich wieder öfter zu sehen. Nach etwa sechs Monaten war sie auch wieder Teil meines Lebens.Ich war 17 und gerade im dritten Jahr auf der High-School. Mein Leben war komplett außer Kontrolle geraten und dank einer Reihe unglücklicher Entscheidungen (hauptsächlich von Drogen, Alkohol und Einsamkeit motiviert), hatte ich am Ende nur noch wenige Freunde. Angie wurde eine meiner wichtigsten Bezugspersonen. Sie holte mich von der Schule ab, nahm mich mit zu sich nach Hause und machte mir einen Bloody Mary, damit ich all meine Probleme vergaß.Dass man mit seiner Stiefmutter Meth genommen hat, schien eher eine Sache zu sein, die man für sich behält.
Meine Probleme holten mich aber immer wieder ein. Das letzte Mal, als ich Angies Stimme hörte, war, als ich sie vom Gefängnis aus anrief und auf ihren Anrufbeantworter sprach.Als ich dort saß—mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt, festgenommen wegen dem Besitz von Gras, Schmerzmitteln und Valium—, wusste ich, dass ich erledigt war. Meine Mutter und mein Vater waren beide nicht in der Stadt und alles, was ich wollte, war, dass mich Angie abholte, mich irgendwo hinbrachte und mir half, so zu tun, als wäre das alles nie passiert. Wenn mich irgendwer aus dieser Situation retten konnte, dann war sie das.„Hey Angie, hier ist Lara. Ähm, ich wurde verhaftet und habe gehofft, dass du mich abholen könntest? Ich bin im Bezirksgefängnis von Oklahoma … Ich glaube, du kannst einfach kommen oder anrufen und sie werden dir dann sagen, was du tun musst. OK, dann bis gleich … hoffentlich."Sie ist nie gekommen und seit dieser Nacht habe ich Angie auch nie wieder gesehen oder mit ihr gesprochen.Mehr lesen: Im Meth-Kosmos homosexueller Tumblr-Nutzer