Meine Stiefmutter, Crystal Meth und ich
Illustration by Maritza Lugo

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Meine Stiefmutter, Crystal Meth und ich

Die neue Frau des Vaters? Immer schwierig. Angie war nur 12 Jahre älter als ich, sah aus wie eine Barbie und nahm alles, womit man sich zudröhnen kann.

An dem Abend, an dem ich herausfand, dass mein Vater eine neue Freundin hatte, habe ich zum ersten Mal wirklich laut geflucht. Damals war ich 10 Jahre alt. Es war kurz vor Weihnachten und weil unsere Eltern seit Kurzem getrennt lebten, wollten meine drei jüngeren Geschwister und ich unseren Vater mit unseren Weihnachtsgeschenken überraschen.

Mein Vater war definitiv überrascht, als er die Tür öffnete und wir gemeinsam mit unserer Mutter zitternd vor seiner Doppelhaushälfte standen, in der er in der Zeit vor der Scheidung lebte. Er war sichtlich nervös und versuchte, uns mit Smalltalk abzulenken, während eine blonde Frau hinter ihm vorbei ins Schlafzimmer huschte und die Tür hinter sich zuwarf. Kinder merken aber alles und selbstverständlich bahnten wir uns den Weg ins Haus, rannten zum Schlafzimmer und rissen die Tür auf, hinter der sich Angie versteckte—eine wunderschöne 22-jährige Frau mit blonden, lockigen Haaren, die mit der einen Hand einen Korkenzieher und mit der anderen eine Flasche Rotwein umklammerte. Der Schreck stand ihr ins Gesicht geschrieben. Meine Eltern tranken damals beide nicht, deswegen hatte ich auch noch nie zuvor einen Korkenzieher gesehen. Für mich sah das Ganze aus wie eine Waffe. Ohne ein Wort zu sagen, sah ich Angie demonstrativ in die Augen. Dann drehte ich mich um und rannte nach draußen in den Schnee.

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Der vorweihnachtliche Überraschungsbesuch ging nach hinten los. Irgendwann standen wir alle draußen vor der Doppelhaushälfte und weinten—einschließlich meines Vaters. Ich hatte das dringende Bedürfnis zu fluchen, obwohl ich wusste, dass ich Ärger dafür bekommen würde. Um mir meine ersten Schimpfworte zu entlocken, musste das Universum nur eine Situation kreieren, in der ich mich so frei fühlte, dass ich keine Angst mehr vor den Konsequenzen hatte. Aufgelöst und unter Tränen wurde mir plötzlich klar, dass mein Moment gekommen war.

„Dad, was für eine Scheiße ziehst du hier eigentlich ab?", prustete ich los.

An die Antwort kann ich mich nicht mehr erinnern.

Als ich Angie zum ersten Mal offiziell kennenlernte, gingen wir zusammen Shoppen. Dass das meine erste richtige Shoppingtour war, war kein Zufall, sondern der perfekt inszenierte Plan meines Vaters. Seit dem vorweihnachtlichen Albtraum waren bereits ein paar Jahre vergangen und weil Angie beim ersten Mal so einen denkwürdig schlechten Eindruck bei mir hinterlassen hatte, dachte mein Vater, es wäre das Beste, wenn sie und ich noch einmal von vorne anfangen und ein bisschen Quality Time zu zweit allein im Einkaufszentrum verbringen würden. Damit traf er voll ins Schwarze.

Auf der Hinfahrt redete ich nicht viel. Ich war extrem eingeschüchtert von Angie—vermutlich, weil sie eine 25-Jährige mit einem perfekten Körper und riesigen, natürlichen Brüsten war. Als Kind habe ich für Barbie geschwärmt und mit 13 Jahren stand plötzlich eine lebende Ausführung vor mir, die wollte, dass ich sie mag und mich deswegen mit zum Shoppen nahm. Es war, als würde ein Traum in Erfüllung gehen. Unser Ausflug begann in einem Schuhladen, wo wir uns mehrere Paare von diesen klobigen Doc-Martens-Sandalen kauften. Mit Angie einkaufen zu gehen, machte mir Spaß, weil sie meinen Modegeschmack nicht hinterfragte, sondern mich sogar noch ermutigte. Wenn ich mich nicht zwischen einem braunen und einem schwarzen Paar Schuhe entscheiden konnte, hatte Angie immer sofort die Lösung parat. „Nimm sie einfach beide!", meinte sie und zückte ihre Kreditkarte. Sie hat sich sogar selbst ein Paar dieser Sandalen gekauft.

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Ich habe nicht nur zwei Paar Sandalen bekommen, sondern auch die VHS von Clueless und Tommy Boy, fünf komplett neue Outfits, tonnenweise Bade- und Beauty-Produkte und die umwerfende große Schwester, die ich mir immer gewünscht hatte—es war mir bis dahin nur noch nicht klar.

Angies Lieblingsgeschäft in der Mall war ein Laden namens Georgiou, der Klamotten für „sexy Businessfrauen" verkaufte. Das war das Nächste zu Versace, was man in dem verschlafenen Nest, in dem wir wohnten, finden konnte. Angie kaufte sich damals einige figurbetonte Twinsets, einen Kettengürtel, bunte Jeans und ein paar Tücher, die sie sich um den Hals band. Bei Georgiou gab es auch Abendkleider, die wir selbstverständlich ebenfalls anprobieren mussten. Ich trug ein schwarzes Abendkleid mit einem seitlichen Schlitz, der hoch bis zum Oberschenkel ging und mit einem glänzenden Gürtel um meine Taille. Als ich mich im Spiegel betrachtete, sah ich nicht mehr aus wie eine 1,77 Meter große 13-Jährige, sondern wie eine erwachsene Frau. Angie meinte, ich sähe heiß aus und kaufte mir das Kleid einfach, ohne lange zu überlegen.

Schweigend schüttete er sein Glas Champagner hinunter—wohlwissend, dass ich die Regeln gebrochen hatte und er nichts dagegen tun konnte.

Kurz nach unserer Shoppingtour trank ich mein erstes Glas Champagner, als ich mit Angie und meinem Dad zum Abendessen im Oklahoma City Golf & Country Club war. Das Restaurant des Clubs war ziemlich formell—nur Abendgarderobe—und nachdem ich kurz zuvor mein erstes Abendkleid bekommen hatte, war es nur folgerichtig, dass wir ausgingen, um das zu feiern und damit anzugeben. Irgendwann kam der Kellner und fragte, was wir zu trinken bestellen wollten.

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„Wir nehmen drei Gläser Champagner, bitte", sagte Angie mit ihrem überzeugendsten Lächeln.

„Selbstverständlich", antwortete er.

Mein Vater wollte dagegen protestieren, aber Angie würgte ihn ab, noch bevor er auch nur ein einziges Wort herausbrachte.

„Was denn? Es ist doch nur ein Glas Champagner. Meine Güte!"

Während sich mein Vater noch eine passende Antwort überlegte, brachte uns der Kellner schon den Champagner. Ich schlürfte mein Glas schadenfroh, während Angie meinen Vater trotzig angrinste und ihn stillschweigend dazu herausforderte, doch zu versuchen, unseren Faxen ein Ende zu bereiten. Schweigend schüttete er sein Glas Champagner hinunter—wohlwissend, dass ich die Regeln gebrochen hatte und er nichts dagegen tun konnte.

Als mein Vater von der Doppelhaushälfte in ein neues Haus umzog, zog Angie bei ihm ein. Ich sah sie nur selten ohne ein Bier, ein Glas Wein oder einen Cocktail in der Hand. Angie hatte keinen Job, weshalb sie den ganzen Tag damit verbrachte zu kochen, zu putzen oder das neue Haus meines Vaters mit unglaublich teuren, geflochtenen Picknickkörben von einer Firma namens Longaberger zu dekorieren. Sie war total besessen von diesen Körben. Sie füllte sie mit Magazinen, Kuscheltieren, Früchten—einfach allem, was man in einen Korb packen kann. Mir war nie klar, dass Körbe so ein Riesending sein konnten, aber da waren wir nun, umringt von Körben im Wert von mehreren tausend Euro. Während sich Angie auf ihre blühende Leidenschaft für Körbe konzentrierte, widmete sich mein Vater lieber seiner Sammlung aus seltenen Beanie Babies, weil er überzeugt war, dass ihr Wert mit der Zeit steigen würde.

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Als ich meinen Vater einmal übers Wochenende in seinem neuen Haus besuchte, habe ich mich zum ersten Mal betrunken—zusammen mit Angie. Es war Samstagabend und Angie und ich saßen zusammen in ihrem Schlafzimmer und haben uns Troop Beverly Hills angesehen. Sie bot mir ein Light-Bier an, das ich natürlich begeistert annahm. Vier Bier später tanzten wir zusammen zu Madonnas Immaculate Collection auf dem Bett. So war das Leben mit Angie: eine einzige riesige Übernachtungsparty ohne Regeln und Pflichten.

Angie war auch die erste Person, bei der ich erlebt habe, wie sie sich komplett abgeschossen hat. Mein Dad hatte Angie, mich und meine Geschwister für ein Wochenende mit nach Dallas genommen. Wir waren bei einer Pool-Party und Angie, die damals 26 war, hatte sich mit Wein betrunken. Sie wurde zunehmend lauter, stritt mit meinem Vater und seinen Freunden und brachte all die anderen Erwachsenen auf der Party—die alle so um die 40 oder 50 gewesen sein dürften—gegen sich auf. Sie torkelte hin und her und riss ihr Weinglas an sich, wenn jemand versuchte, es ihr wegzunehmen. Irgendwann fiel sie hin, wobei ihr Glas auf dem Boden zerbrach. Der Wein verteilte sich überall, doch anstatt sich zu entschuldigen, fing sie einfach nur lauthals an zu lachen, wobei ihr kurzes, geblümtes Kleid immer weiter nach oben rutschte und den Blick auf ihre Unterwäsche freigab.

Ich sah mir das ganze Spektakel von der Ferne aus an. Ich war fasziniert, aber mir war auch klar, dass irgendwas daran falsch war. Angie hatte sich entschieden, Teil eines sozialen Konstrukts zu sein, in der es keinen Platz für sie gab. Frauen verabscheuten sie und Männer fürchteten sie. Sie war vollkommen allein.

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Auch wenn sie 28 war und ich erst 16 teilten wir doch dieselben Interessen: Wir warteten beide auf unser Taschengeld, um uns dann damit abzuschießen.

Das nächste Mal, als Angie ausflippte, waren wir gerade im gemeinsamen Sommerurlaub. Meine Geschwister und ich verbrachten eine ganze Woche mit ihr und meinem Vater. Wir machten zusammen einen Ausflug und unser erster Halt war Bartlesville, wo die Woodward Travelers—eine Highschool-Baseballmannschaft, die mein Vater mal trainiert hatte—im Saisonfinale spielten. Anschließend wollten wir weiter nach Grand Lake im Nordosten Oklahomas, um dort den Rest der Woche zu verbringen.

Am ersten Wochenende unseres Kurztrips ging ich mit meinem Vater zu dem Meisterschaftsspiel. Meine Geschwister hatten keine Lust und blieben lieber mit Angie im Hotel. An diesem Sonntagabend gewannen die Travelers das Finale und unser vermeintlich großartiger Ausflug stand kurz bevor. Dann bekam mein Vater einen Anruf von meiner Mutter, die meinte, dass Angie betrunken sei und mit meinen Geschwistern quer durch Bartlesville fuhr.

Anscheinend hatte Angie im Hotel den ganzen Tag über ein Bier nach dem anderen in sich hineingeschüttet, bevor sie meine Geschwister schließlich ins Auto verfrachtete, um mit ihnen zum Baseballspiel zu fahren. Ihr unberechenbares Verhalten und ihre beeinträchtigten Fahrfähigkeiten hatten meinem Bruder Jake scheinbar so eine Angst gemacht, dass er ihr Handy gestohlen hatte, um meine Mutter anzurufen und ihr zu erzählen, was los war.

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Mein Vater legte auf, als er sah, wie Angies blauer Chevrolet Tahoe auf den Parkplatz bog. Was folgte, war der Streit aller Streits: Meine Geschwister und ich flüchteten uns ins Auto meines Vaters, während er versuchte, Angie zu beruhigen, die vollkommen außer sich war vor Wut. Irgendwann stürmte sie zu uns, komplett in Tränen aufgelöst. Sie umkreiste das Auto wie ein Raubtier in einem Horrorfilm und begann, jeden von uns einzeln zu beschimpfen.

Sie fing mit Jake an, weil er ihr Handy gestohlen hatte.

„Du behinderter kleiner Dieb!", schrie sie und spielte damit darauf, an dass er Asperger hat. „Du verdammtes Baby!", brüllte sie weiter und zeigte auf meinen jüngsten Bruder Kurt, der weinte und vollkommen fertig war. Sarah, die Jüngste von uns, nannte sie eine „weinerliche kleine Hure." Und dann kam sie schließlich zu mir.

„Du verdammte, verwöhnte Göre", knurrte sie.

Ich war sprachlos. Ich dachte, Angie und ich wären Freunde.

Ihr Wutanfall endete damit, dass sie zu ihrem Wagen lief, die Hintertüren aufriss, sich den tragbaren Fernseher schnappte, den wir mit an den See nehmen wollten, und ihn auf dem Boden zerschmetterte.

„Ich muss dir was zeigen", sagte sie eines Abends und streckte mir mit einem irren Lächeln ihren Verlobungsring ins Gesicht.

Danach verschwand Angie immer wieder eine Zeit lang aus unserem Leben, kam letztlich aber doch wieder zurück. Meist hatte ihr Verschwinden mit irgendeinem alkoholisierten oder durch Drogen hervorgerufenen Zusammenbruch zu tun, der dazu führte, dass sich mein Vater und sie für eine Weile voneinander trennten. Aber am Ende kamen sie doch immer wieder zusammen.

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Mit 15 zog ich zu meinem Vater. Angie lebte zu der Zeit in einer Eigentumswohnung am Ende der Straße. Damals wusste ich es noch nicht, aber zu diesem Zeitpunkt war Angie ausgezogen, weil mein Vater sie dabei erwischt hatte, wie sie seinen Rezeptblock benutzt hatte, um sich Schmerzmittel zu besorgen. Ein Richter hatte daraufhin bei einer gemeinsamen Sorgerechtsanhörung zwischen meinen Eltern angeordnet, dass Angie nicht mehr bei ihm wohnen durfte, wenn er seine Kinder weiterhin sehen wollte. Trotzdem hat es Angie irgendwie geschafft, sich ihren Weg langsam aber sicher zurück in unser Leben zu bahnen und schließlich beschloss mein Vater, sie zu heiraten.

Angie beschloss, mir selbst von der bevorstehenden Hochzeit erzählen.

„Ich muss dir was zeigen", sagte sie eines Abends und streckte mir mit einem irren Lächeln ihren Verlobungsring ins Gesicht. Sie genoss mein Entsetzen in vollen Zügen.

Als ich 16 wurde, zog mein Vater in ein neues Haus (das Angie umgehend mit noch mehr dekorativen Körben füllte) und ich schmiss meine erste Hausparty, während er und Angie in St. John waren, um zu heiraten.

Mein Vater kehrte sichtlich erschüttert von etwas zurück, was eigentlich nur eine kleine intime Hochzeitsfeier für zwei Personen werden sollte. Scheinbar hatte Angie aber beschlossen, das Wochenende in eine MTV Springbreak Party zu verwandeln. Innerhalb von 72 Stunden wäre sie beinahe aus dem Hotel, der Hotelbar und der Strandbar rausgeflogen. Das gemeinsame Hochzeitsfoto sagte alles: Darauf sieht man Angie und meinen Vater, wie sie am Strand stehen. Mein Vater hält sie sichtlich angestrengt in seinen Armen, in dem verzweifelten Versuch, sie nicht fallen zu lassen. Angie dagegen grinst bis über beide Ohren—in der einen Hand einen Cocktail und in der anderen ihren Brautstrauß.

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Nach der Hochzeit war die Situation zwischen Angie und mir äußerst angespannt. Unseren gegenseitigen Hass brachten wird durch unser permanentes passiv-aggressives Verhalten zum Ausdruck. Während meinem ersten Jahr auf der High School habe ich angefangen, Gras zu rauchen und ich stellte fest, dass ich lieber stoned war, als Biologie zu lernen. Meine schlechten schulischen Leistungen führten dazu, dass ich in den Sommerferien mit einem Haufen anderer Kiffer in der Schule festsaß—und es war einfach fantastisch. Wir kifften jeden Tag in der Mittagspause, hingen danach gemeinsam rum und kifften dann weiter, bis wir irgendwann nach Hause mussten. Am nächsten Tag wurden wir wieder wach und alles fing von vorne an.

Eines Abends kam ich total high nach Hause, als mein Vater und Angie sich mal wieder stritten. Sie war so betrunken, dass sie kaum stehen konnte und beschuldigte meinen Vater, sie gewürgt zu haben. (Mein Vater ist und war noch nie ein gewalttätiger Mensch.) Als sie ihm drohte, die Polizei zu rufen, rastete ich aus.

Weißt du was, Lara? Ich habe mit deinem Dad schon gefickt, da warst du erst sieben Jahre alt!

„Halt verdammt noch mal die Fresse, du verrückte, besoffene Bitch!", schrie ich aus dem Wohnzimmer.

Angie stürmte mit dem schnurlosen Telefon in der Hand aus dem Schlafzimmer.

„Wie hast du mich genannt?", knurrte sie wütend.

„Du hast mich schon gehört. Warum verpisst du dich nicht einfach und verschwindest verdammt noch mal aus unserem Leben!"

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Angie hielt das Telefon über ihren Kopf, als wäre sie drauf und dran, mich damit zu schlagen.

„Oh, wirst du mich jetzt schlagen? Fick dich!"

Ich drängelte mich an ihr vorbei und rannte die Treppe nach oben in mein Zimmer. Ich wollte die Tür hinter mir zuschlagen, aber Angie war mir gefolgt. Ihr Gesicht war rot vor Wut.

„Weißt du was, Lara? Ich habe mit deinem Dad schon gefickt, da warst du erst sieben Jahre alt!", schrie sie. Sie sah mich mit einem hohlen, leeren Blick an. „Ich habe deinen Dad schon gefickt, da warst du erst sieben …" Dann fing sie an zu weinen.

„Scheiß egal, ich ruf die Polizei", murmelte sie, während sie sich umdreht und aus dem Zimmer verschwand.

Die Polizei kam und jeder von uns musste aussagen, was passiert war. Ich war überzeugt, dass dieser Vorfall das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hätte. Ich dachte, mein Dad würde die Ehe endgültig annullieren.

Ich lag falsch.

Noch im selben Sommer rauchten Angie und ich unseren ersten gemeinsamen Joint. Wir hatten uns während eines Familienurlaubs am See gegenseitig beim dem Versuch erwischt, heimlich zu kiffen. Dabei stellten wir fest, dass wir—abgesehen von unseren Differenzen—doch mehr gemeinsam hatten, als wir dachten. Auch wenn sie 28 war und ich erst 16, teilten wir doch dieselben Interessen: Wir warteten beide auf unser Taschengeld, um uns dann damit abzuschießen. Dieser erste gemeinsame Joint hat unsere Freundschaft wiederbelebt. Ich machte reinen Tisch und vergab Angie für alles, was sie getan hatte. Wir fingen an, regelmäßig zusammen zu kiffen oder zu trinken, wenn mein Vater nicht da war—was ziemlich oft der Fall war. Und wenn er doch mal da war, ließ ich sie ihr Ding machen und ging zu Freunden, um mit ihnen zu kiffen und zu trinken. Mein Leben war perfekt.

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Als Angie mich mit Meth bekannt machte, wurden unsere gemeinsame Zeit etwas rauer. Als mein Vater eines Tages spontan geschäftlich verreisen musste, überredete ich ihn, dass ich unter Angies Aufsicht bei ihm zu Hause übernachten durfte. Meine Mutter ahnte bereits, dass wir nichts Gutes im Schilde führten, wenn wir allein waren—womit sie schließlich auch goldrichtig lag—und wollte, dass ich bei ihr zu Hause bleibe, aber ich spielte all meine Karten aus. Schließlich hing alles davon ab, dass ich am nächsten Tag pünktlich in der Schule sein würde. Ich ging auf eine christliche Privatschule und schaffte es morgens nur sehr selten pünktlich in die Kapelle. Deswegen war mein Versprechen, pünktlich zu sein, ausschlaggebend, um das zu kriegen, was ich wollte. Und es hat funktioniert.

Mein Dad war kaum aus der Tür, da fingen Angie und ich schon an zu trinken und Gras zu rauchen. Je später es wurde, desto voller und voller wurden wir. Irgendwann drehte sich bei mir nur noch alles, also ging ich hoch in mein Zimmer. Ich fiel mit dem Gesicht voraus auf mein Bett und schlief sofort ein, obwohl noch alle Lichter an waren. Das war so gegen drei Uhr morgens. Um 7:35 Uhr wachte ich auf und hatte noch zehn Minuten, bis ich los musste. Ich zog mir schnell was über und stolperte die Treppe runter.

Ich schüttete mir gerade hastig Kaffee in einen Styroporbecher, als plötzlich Angie vor mir in der Küche stand. Sie sah überraschend frisch aus für eine 28-Jährige, die nur dreieinhalb Stunden geschlafen hatte und am Abend zuvor sturzbetrunken war. Sie lächelte bedauernd und schüttelte den Kopf angesichts meiner misslichen Lage.

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„Ich hätte noch ein bisschen Crystal, wenn du willst. Ich glaube, das würde dir wirklich gut tun!"

Normalerweise hätte ich Nein gesagt, aber die Situation war ziemlich aussichtslos. Ich hatte einen üblen Kater und musste zur Schule, sonst würde mich meine Mutter umbringen. Ein wenig Meth zu nehmen, schien eine angemessene Lösung zu sein.

„Oh, OK klar. Wenn du denkst, dass es mir danach besser geht."

So mir nichts, dir nichts zog Angie eine Platte mit zwei kurzen Lines und einem Strohhalm raus und stellte sie mir vor die Nase.

„Zieh eine Line in jedes Nasenloch. Es brennt vielleicht ein bisschen, aber das vergeht."

Ich sniffte beide Lines und weil es brannte wie verrückt, sniffte ich noch ein wenig Wasser hinterher, was tatsächlich auch zu helfen schien. Anschließend kippte ich noch ein wenig Milch in meinen Kaffee und ging los.

Kurz nachdem ich losgefahren war, begann „Where is My Mind" zu spielen. Ich war total high und fuhr wie eine Irre—wild entschlossen und vollkommen konzentriert. Dazu liefen die Pixies in Dauerschleife. Den Rest des Tages wurde der Song zu meiner persönlichen Hymne. Wenn ich den Song heute höre, muss ich immer daran denken, wie ich mit 16 Meth genommen und vollkommen vollgedröhnt zur Schule gefahren bin.

Als das Meth anfing zu wirken, fühlte es sich am Anfang tatsächlich ziemlich gut an. Ich huschte Punkt 8 Uhr in die Kapelle, lernte für meine Geschichtsprüfung (die ich ohne Weiteres bestand) und fühlte mich den ganzen Tag, als würde ich auf Wolken laufen und zwar wortwörtlich: Es fühlte sich an, als würde ich die ganze Zeit über einen halben Meter über dem Boden schweben. Ich habe mit Leuten gesprochen, die ich normalerweise nicht ausstehen konnte und fand sie sogar ziemlich nett. In der Mittagspause habe ich nichts gegessen, weil es sich einfach nicht richtig angefühlt hätte, Essen im Mund zu haben. Ich war der festen Überzeugung, dass das nun mein neues Ich war.

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Der Tag verging wie im Flug und bevor ich mich versah, hingen meine Freunde und ich nach der Schule in einem Café rum. Irgendwann in dieser Zeit nahmen die Dinge eine schlimme Wende.

Ich fühlte mich zittrig und hatte Probleme, ganze Sätze zu bilden. Ich hatte niemandem davon erzählt, dass ich mit meiner Stiefmutter Meth genommen hatte, denn obwohl die Leute, mit denen ich rumhing, ziemlich locker waren, schien das doch eher eine Sache zu sein, die man für sich behält. Ich entschuldigte mich und fuhr nach Hause—„Where is My Mind" lief noch immer in Dauerschleife. Zu Hause traf ich Angie, die gerade fieberhaft am Putzen war, während irgendein Typ den Computer im Büro meines Vaters reparierte.

„Hey!!!! Hi. Oh Gott, du bist zu Hause!", rief Angie und umarmte mich überschwänglich. „Wie fühlst du dich?"

„Nicht … nicht so gut", stammelte ich.

„Du brauchst nur etwas, was dich wieder aufpeppelt. Komm mit!"

Wir gingen ins Badezimmer, wo sie mir einen Spiegel gab, auf dem noch mehr kurze Lines bereit lagen. Ich beugte mich nach vorn, um eine Line zu sniffen, machte jedoch kurz zuvor Halt und sah Angie an.

„Angie", flüsterte ich. „Was ist mit dem Computermenschen?"

„Ach, keine Sorge, der ist cool. Ich habe ihm vorher auch was abgegeben. Hier."

Dass man mit seiner Stiefmutter Meth genommen hat, schien eher eine Sache zu sein, die man für sich behält.

Kurz nachdem ich die Line gezogen hatte, klingelte das Telefon. Mein Vater war dran und fragte mich, warum ich zu Hause war und nicht auf dem Weg zum Therapeuten. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich total vergessen hatte, dass ich heute Nachmittag zur Therapie musste und meinte, dass ich es gerne ausfallen lassen würde. Mein Vater war da aber anderer Meinung und sagte mir, dass ich mich auf der Stelle auf den Weg machen sollte.

Ich hetzte in die Praxis meines Therapeuten, kam aber 30 Minuten zu spät und war total high. Die zweite Line hat meinen Zustand nicht verbessert, sondern hatte mich in ein stotterndes, schwitzendes Häufchen Elend verwandelt. Nach ungefähr fünfzehn Minuten wurde mir klar, dass ich keine Wahl hatte: Ich musste versuchen, so schnell wie möglich da rauszukommen, bevor mein Therapeut noch irgendetwas merkte. Ich dachte mir irgendeine seltsame Ausrede aus und meinte, dass ich gehen musste, während ich langsam Richtung Tür wanderte. Dann rannte ich zum Auto, machte den einzigen Song an, den ich hören wollte („Where is My Mind") und ließ ihn wieder die ganze Fahrt über in Dauerschleife laufen.

Als ich zu Hause ankam, war das Haus leer. Mein Vater und Angie waren Essen gegangen. Ich wusste nicht, was ich mit mir selbst anfangen sollte. Ich kam so schnell und heftig runter, dass ich mich in einem Stuhl auf der Terrasse zusammenkauerte und eine Zigarette nach der anderen rauchte, bis die beiden wieder zurückkamen. Angie musste nur einen kurzen Blick auf mich werfen, um zu wissen, was los war. Sie nahm mich zur Seite und gab mir noch etwas Meth und Lorazepam, damit ich schlafen konnte.

Kurze Zeit nach meinem Meth-Abenteuer ließen sich Angie und mein Vater scheiden. Was mich betrifft, so kann ich sagen, dass Meth nichts für mich war und ich es nie wieder versucht habe. Angie dagegen blieb dabei und wurde irgendwann immer ausgemergelter und psychotischer. Sie steht aber nach wie vor total auf Körbe. Als sie auszog, nahm sie jeden einzelnen von ihnen mit. Mein Vater hatte damals einen Wachmann engagiert, um sie an dem Wochenende, an dem sie auszog, im Auge zu behalten. Er wollte sichergehen, dass sie nichts verrücktes anstellte. Ich war traurig, dass sie ging.

Doch Geschichte wiederholt sich immer wieder und kurz nach der Scheidung begannen Angie und mein Vater, sich wieder öfter zu sehen. Nach etwa sechs Monaten war sie auch wieder Teil meines Lebens.

Ich war 17 und gerade im dritten Jahr auf der High-School. Mein Leben war komplett außer Kontrolle geraten und dank einer Reihe unglücklicher Entscheidungen (hauptsächlich von Drogen, Alkohol und Einsamkeit motiviert), hatte ich am Ende nur noch wenige Freunde. Angie wurde eine meiner wichtigsten Bezugspersonen. Sie holte mich von der Schule ab, nahm mich mit zu sich nach Hause und machte mir einen Bloody Mary, damit ich all meine Probleme vergaß.

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Meine Probleme holten mich aber immer wieder ein. Das letzte Mal, als ich Angies Stimme hörte, war, als ich sie vom Gefängnis aus anrief und auf ihren Anrufbeantworter sprach.

Als ich dort saß—mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt, festgenommen wegen dem Besitz von Gras, Schmerzmitteln und Valium—, wusste ich, dass ich erledigt war. Meine Mutter und mein Vater waren beide nicht in der Stadt und alles, was ich wollte, war, dass mich Angie abholte, mich irgendwo hinbrachte und mir half, so zu tun, als wäre das alles nie passiert. Wenn mich irgendwer aus dieser Situation retten konnte, dann war sie das.

„Hey Angie, hier ist Lara. Ähm, ich wurde verhaftet und habe gehofft, dass du mich abholen könntest? Ich bin im Bezirksgefängnis von Oklahoma … Ich glaube, du kannst einfach kommen oder anrufen und sie werden dir dann sagen, was du tun musst. OK, dann bis gleich … hoffentlich."

Sie ist nie gekommen und seit dieser Nacht habe ich Angie auch nie wieder gesehen oder mit ihr gesprochen.