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Essen aus einer stinkenden heißen Quelle

Yunomine Onsen, ein Dorf im ländlichen Japan mit nur einer Straße entlang eines Bachs ist das älteste Spa des Landes. Dort wird jedoch nicht nur gebadet. Die Einheimischen bringen ihr Essen zur öffentlichen Kochstelle und garen ihr Gemüse und ihre Eier...
Photo via Flickr user Samuel Bietenholz

Eine Horde kreischender japanischer Makaken, ausgestattet mit roten Hoden und einem roten Gesicht überquerten vor uns die Straße und lenkten uns so sehr ab, dass die wir den letzten Bus zu unserer Unterkunft in Yunomine Onsen verpassten. Als wir dann doch noch ankamen, wurden wir vom beißenden Gestank des Schwefels begrüßt, der aus Yunomines heißer Quelle, die onsen, aufstieg, für die der Ort berühmt ist.

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Wir waren die Kumano Kodo, die uralten buddhistischen Pilgerrouten durch die zentraljapanische Präfektur Wakayama, entlang gewandert und sehr erschöpft. Nachdem wir die erste Hälfte der Nakahechi-Route in Rekordtempo zurückgelegt hatten, um die zwei Tage, die wir wegen des Typhoon Vongfong verloren hatten, wieder aufzuholen, waren unsere Beine müde. An diesem Tag waren wir 22,1 bergige Kilometer gewandert.

Yunomine Onsen ist die Mutter aller heißer Quellen—eine der ältesten, stinkendsten und heiligsten der sagenumwobenen heißen Quellen Japans.

In Yunomine Onsen, einem Dorf im ländlichen Japan mit nur einer Straße, die entlang eines Bachs gebaut wurde, befindet sich das scheinbar älteste Spa des Landes. Es ist vermutlich eines der einzigen UNESCO-Welterbe, in das man eintauchen kann und ist mit einer 93°C heißen öffentlichen Quelle im Dorfzentrum gesegnet, die schon seit 1800 Jahren die wunden Füße der Reisenden heilt.

Direkt hinter Kumano Hongu Taisha gelegen—einer der heiligsten der 99 Schreine oder oji, die die Kumano Kodo-Routen säumen—liegen Yunomines heiße Quellen, die als Orte für japanisch-buddhistische rituelle Waschungen der Pilger dienten, die die anstrengende Reise auf sich nahmen, um die Schreine zu besuchen. Entlang der Wanderroute wurden kleine Dörfer für die Pilger gebaut.

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Foto: hyperspace328 via Flickr.

Die heiße Quelle in Yunomine Onsen ist ein sagenumwobener Ort. Die Gegend wurde nach der wichtigsten Gottheit des Dorfes benannt, der Buddha der Heilung. A Diary of Yunomine Hot Springs (1840) von Nagasawa Tomo'o identifiziert den Buddha der Heilung als Yakushi Nyorai (yakushi bedeutet „Medizin" und nyorai „eine Person, die die Buddhaschaft erreicht hat"). Die Legende besagt, dass das heiße Wasser aus der Brust des Yakushi im Toko-ji entsprang, einem Tempel in Stadtzentrum, der ihm gewidmet wurde. Daher könnte auch der Name Yunomine stammen; Historiker gehen davon aus, dass der Ausdruck Yu-no-mune (wörtlich „die Brust des heißen Wassers") sich über die Jahre zu Yu-no-mine verändert hat.

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Japans Lage am pazifischen Feuerring bescherte dem Land über 3.000 natürliche heiße Quellen und in den acht Tagen, die wir in der Wakayama-Präfektur verbrachten, nahm ich fast 25 Bäder. Aber Yunomine Onsen ist die Mutter aller heißer Quellen—eine der ältesten, stinkendsten und heiligsten der sagenumwobenen Quellen Japans—also zählte ich schon die Minuten, bis ich endlich hineinspringen konnte. Ich hätte nur nicht erwartet, das ich auch daraus essen würde.

Kurz nach Sonnenuntergang brachte uns unsere Kellnerin im ryokan, einem traditionellen japanischen Wirtshaus, Dutzende kleine Gerichte. Die ersten paar kannten wir: verschiedene eingelegte Gemüse, yama-imo, Teile von Flussfischen (e.g. roher, aufgeschnittener Lachskopf) und fu. Sie schenkte uns allen eine kleine Tasse mit dem süßesten alkoholhaltigen Nektar, den ich je probiert habe, ein. Sie sagte, es wäre onsen umeshu, ein Pflaumenlikör, der aus dem stinkenden heißen Quellwasser der Stadt hergestellt wird.

Dann brachte sie uns einen kleinen Hotpot, der bis zum Rand mit onsen-Wasser gefüllt war und einen Teller mit rohem Mii-Kumano-Rindfleisch mit viel Fett, das wir shabu shabu-Style kochen sollten. Unsere Kellnerin erklärte uns, das shabu shabu eine Lautmalerei für das Geräusch, das das Fleisch macht, wenn es über die Oberfläche des kochenden Wassers gezogen wird.

Als wir den Deckel abnahmen, roch es stark nach Schwefel. Wir ließen uns aber nicht davon abhalten und gaben das Ei und umeboshi zu diesem riechenden, klebrigen Zeug dazu.

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Als nächstes gab es onsen tamago, ein Ei in Onsen-Wasser gekocht, das mehr oder weniger nach Ei schmeckte, nur intensiver und ein bisschen verdorben, als wäre es über Nacht in verschwitzte Sportsocken eingewickelt worden. Die eigentliche Magie lag aber in der vanillesauceähnlichen Konsistenz, die das Ei durch das beinahe kochende Wasser erhielt, das mit Mineralstoffen vom Grundgestein angereichert ist. Durch diese Kombination wird das Eiweiß nie richtig fest.

Am Morgen bekamen wir ein ähnlich zubereitetes Ei und Onsen-Reisbrei serviert. Bevor wir den Deckel öffneten, warnte uns die Kellnerin: „Leute aus dem Westen mögen den Brei eigentlich nie." Mir aber schmeckte es mit der Zeit, so wie einem nach einer Weile auch stinkender Tofu oder Durianfrucht schmeckt. Als wir den Deckel abnahmen, roch es stark nach Schwefel. Wir ließen uns aber nicht davon abhalten und gaben das Ei und die umeboshi zu diesem riechenden, klebrigen Zeug dazu.

Als wäre der verfaulte Geruch noch nicht abstoßend genug, wurde das Wasser durch das Essen auch noch gelb. Der Reisbrei ist normalerweise weiß-grau, aber jetzt war er dank des Mineralstoffgehalts des Onsen-Wassers, in dem er gekocht wurde, gelblich.

Photo via Flickr user David Z.

Foto: David Z via Flickr.

Laut der Kumano Hongu Tourist Association beinhaltet das Wasser in Yunomine Onsen eine hohe Konzentration Schwefelwasserstoff, Natrium, Hydrogencarbonat, Magnesium, Kalzium und zahlreiche andere Mineralstoffe, die dem Essen den typisch fleischigen Geschmack verleihen.

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In der Geschichte von Oguri Hangan und Prinzessin Terute, die das erste Mal vor 500 Jahren erzählt wurde und heute immer noch im kabuki und religiösen Kontexten erzählt wird, heilte das mineralstoffreiche Wasser Oguri von einer Lähmung. In diesem Wasser zu baden, soll gegen Rheuma, Hautkrankheiten und Diabetes helfen. Das Wasser zu trinken soll noch besser sein.

Die Gasthäuser der Stadt bewerben diese gesundheitsbegünstigenden Eigenschaften und glauben auch wirklich, dass trinken besser als darin zu baden ist. Auf der Website einer der Pensionen, Minshuku Yamane, werden die Gerichte als selbstgemacht und „gut für deine Gesundheit" beschrieben. Von der heißen Quelle zu trinken, soll bei gastrointestinalen Leiden und bei Gicht helfen.

Irgendwie angeekelt (aber hauptsächlich fasziniert) davon, dass wir im milchigen, stinkenden Wasser badeten, aus dem wir auch aßen, gingen wir runter zum Bach in unseren yukatas und Badeschuhen, um Leuten dabei zuzusehen, wie sie in der heißen Quelle kochten. Bei der berühmten tsuboyu, einer kleinen Hütte, die Leute jeweils für 30 Minuten mieten können, um in das kochend heiße Wasser einzutauchen (so heiß, dass man sich danach fast 15 Minuten lang mit kaltem Wasser von einem Schlauch abspritzen muss), wird nicht gekocht. Die Leute tragen rote Netztaschen voller Eier zum Yuzutsu, zum viereckigen Höllenkreis im Zentrum der kleinen Stadt, von der der stinkende Dampf aufsteigt. Bei diesem Loch im Erdboden, aus dem das Wasser blubbert und sich selbst wieder vom Erdinneren auffüllt, kochen die Leute.

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Klumpen weißer Mineralstoffablagerungen schwimmen im Quellwasser. Mit Schildern versucht man, den Badenden die Bedenken über das im Wasser treibende Zeug zu nehmen: das Zeug heißt scheinbar Yu-no-hana oder Blumen der heißen Quelle und ist ganz sicher gut für deine Gesundheit. Auf einem Schild beim Yuzutsu steht auf Japanisch: „Keine Onsen-Eier stehlen!"

Touristen und Einheimische scharen sich um die Kochstelle. Alle hängen ihre Netze an die dünnen Holzbretter an der Seite und lassen die Eier unter die Oberfläche sinken. Manche baden in der Zwischenzeit im kusuri-yu (im medizinischen Wasser), während ihre Eier kochen. So oder so, nach 12 bis 15 Minuten sind die Eier fertig.

Die Leute kaufen ihre Eier und das Gemüse in einem der Shops der Stadt. Die Geschäfte verkaufen fertige Kits: ein Dutzend Eier, Netze, ein Seil und Salz. Manche bringen die Eier oder das Gemüse—Bambussprossen, Spinat—auch von zu Hause mit, um sich die 200 Yen (ungefähr 1,35 Euro) zu sparen, aber jeder kocht hier, ob Einheimischer oder nicht. Es gehört einfach dazu.

Manchmal kaufen die Einheimischen auch Onsen-Wasser, um zu Hause damit zu kochen. Das kostet ungefähr 80 Cent pro Liter. Das Wasser, das durch die Stadt läuft—der aquamarineblaue, eiskalte Bach und die trübe, kochend heiße Quelle—gehören hier zum Überleben.

Rituelle Waschungen finden während des Frühlingsfests in Kumano Hongu Taisha statt und stellen einen Kontrast zu den Kaltwasser-Ritualen dar, die in Flüssen und Wasserfällen in der Gegend durchgeführt werden. Das Wasser reinigt, heilt, nährt und stinkt nach faulen Eier.