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Eine Zürcherin rechnet auf Facebook gerade mit dem Natürlichkeitswahn ab

"Einfach alles abdecken, was schwarz ist ... unsere Seele zum Beispiel."

Titelbild: Screenshot von YouTube

Natürlichkeit ist in. Bei Ernährung, beim Wohnen und beim Make-up werden die Schlagworte "all-natural" und "pur" hoch gehandelt. In einem ihrer Make-up-Tutorials nimmt die Zürcher Video-Bloggerin Raffaela Zollo diesen Natürlichkeits-Hype wunderbar auf die Schippe. Das Video hat laut aktuellem Stand auf Facebook über 1.4 Millionen Aufrufe. Die 24-Jährige erklärt dir auf "Raffa's Plastic Life", eigentlich nur, wie du den Nude-Look oder No-Make-up-Look hinbekommst. Aber was dabei herauskommt, ist eine schneidende Kritik an der Doppelmoral, der sich Frauen ausgesetzt finden.

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In jedem der Schritte zum No-Make-up-Look kommentiert Raffa süffisant, welche Schritte nötig sind, um so ganz natürlich auszusehen. Denn auch wenn der No-Make-up Look suggeriert, dass man ungeschminkt ist, braucht man für dieses "natürliche" Aussehen Unmengen von Concealer. Weil Raffa sich so authentisch echauffiert, macht es Spass sich ihre Tirade anzuschauen. Zu Beginn wird das Gesicht glatt gezupft, damit sich auch ja kein Härchen findet, wo keines sein sollte. Dann müssen wir "alles abdecken, was dunkel oder schwarz ist … unsere Seele zum Beispiel." Darauf kommt noch mehr Concealer und "wie gewohnt, schlägst du dir die Fresse wund" mit dem Make-up-Schwamm. "Aber nicht zu hart, denn ich habe mir gerade die Wangen gemacht und die tun noch ein bisschen weh." Dann Puder, Augenbrauen aufmalen, Lidschatten, Mascara, falsche Wimpern, "ein natürliches Contouring für eine nicht natürliche Nase" und ein bisschen Farbe oben drauf, damit man nicht so tot aussieht. Fertig ist der unkomplizierte Look für den Alltag! So oder so ähnlich würde es zumindest in einem anderen Make-up-Tutorial heissen.

Die Erwartung an diesen Look ist, dass man nicht aussieht, als hätte man sich geschminkt. Grosszügiges Make-up wird als künstlich und geschmacklos angesehen, auch von anderen Frauen. Wer sich mit Make-up vorteilhaft ins Licht rückt, lockt Männer scheinbar in eine Falle und ist auf eine merkwürdige Art unehrlich. Es finden sich haufenweise Memes, auf denen Frauen unter dem Motto "it's a trap" mit und ohne Schminke gezeigt werden. Das heisst aber nicht im Umkehrschluss, dass es plötzlich OK ist, ungeschminkt auf die Strasse zu gehen. Der Anspruch gut auszusehen bleibt. Wie es Raffa sagt: "Gut für dich, wenn du natürlich gut aussiehst! Ich sehe natürlich aus wie eine Mülltonne!"

In Raffas Video prallen widersprüchliche Ideen aufeinander: Einerseits der bigotte Anspruch natürlich und immer schön gleichzeitig zu sein und andererseits die zunehmende Verbreitung von Schönheitschirurgie unter jungen Frauen. Zwischen diesen Themen herrscht eine kognitive Dissonanz, die nicht so leicht zu überbrücken ist.

Raffa selbst könnte dieser Mensch gewordene Konflikt sein. Sie kritisiert mit ihrem Video die fragwürdige Praktik aufwändiges Make-up als natürlich zu verkaufen, während die sich damit schminkenden YouTuberinnen sich gesponserten Schönheitsoperationen unterziehen.

Raffa selbst schminkt sich leidenschaftlich gerne und erklärt offen, dass sie schon Schönheitsoperationen und eine Geschlechtsangleichung hatte. Sie stört sich daran, dass die gesellschaftliche Erwartung vorherrscht, dass Frauen perfekt aussehen sollen und präsentiert dann eine Anleitung dazu. Schlussendlich will Raffa sich aufwändig schminken, wenn sie möchte, und auch nichts darüber hören, wenn sie ungeschminkt vor die Tür geht. Auf Anfrage von VICE sagt sie: "Schminken ist meine grosse Leidenschaft. Aber ich fühle mich nicht weniger als Frau, wenn ich ungeschminkt bin." Also keine Macht dem Natürlichkeits-Diktat.

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