Sind wir dazu verdammt, so zu werden wie unsere Mütter?
Illustration by Penelope Gazin

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Sind wir dazu verdammt, so zu werden wie unsere Mütter?

Es ist kein Zufall, dass wir unseren Müttern am meisten ähneln, wenn wir gestresst, müde oder hungrig sind, denn was wir uns als Kind von ihr abgeschaut haben, hat sich tief in unser Gehirn eingebrannt. Doch ist es wirklich unser unausweichliches...

Es passierte nach der Arbeit, so gegen viertel nach acht. Kurz nachdem ich meinen Mantel abgelegt hatte, habe ich einen Topf voll Reis auf den Herd gestellt und zwei Hühnerbrüste mit Soße aus einem Glas mit der Aufschrift "Szechuan Chili" bedeckt. Ich war hungrig, ungeduldig und versuchte, meinen Tag im Geiste noch einmal Revue passieren zu lassen, während ich hoffte, dass der ganze Fraß nicht allzu lange kochen musste. Als das Essen fertig war, trugen mein Mann und ich unsere Teller ins Wohnzimmer, wo wir uns Bissen um Bissen in den Mund schaufelten und mit Wein runterspülten. Dazu sahen wir uns Glücksrad an und murmelten leise die Antworten vor uns hin. In diesem Augenblick fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Ich war wie meine Mutter.

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Über die Jahre habe ich oft über die Kochkünste meiner Mutter gelästert: ihre in der Mikrowelle gegarten Hühnchenflügel, bedeckt mit einer gelben Soße (pulverisierte Sauce béarnaise aus dem Päckchen) oder einer roten (Ketchup mit Zucker und Sojasauce) und dazu Reis aus einem Reiskocher, der auf Knopfdruck funktionierte. Gemüse gab es nicht. Außerdem wollte sie nach einem langen Tag bei der Arbeit erst einmal "ihre Serien" sehen, General Hospital und All My Children. Ich war unterdessen zum Schweigen verdammt.

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Neben ihrer Arbeit als Lehrerin an der High-School schmiss sie den Haushalt, machte Besorgungen, chauffierte mich zur Schule und holte mich schließlich wieder ab. Wie viele kleine Mädchen wollte ich eigentlich auch mal genau wie meine Mutter werden: Ich zog ihre Riemchensandalen an und schrie meine Puppen an, wie ich glaubte, dass sie ihre Schüler anschreien würde. Als Jugendliche und junge Erwachsene erschien mir ihr Leben hingegen ziemlich lahm, weshalb ich mir schwor, niemals so zu werden wie sie. Ich meine, wie könnte ich auch! Wir waren uns überhaupt nicht ähnlich! Meine Mutter war total etepetete in ihren Seidenblusen und Kostümen, während ich unverblümt und wütend war und die ganze Zeit über Lackleder-Stiefel trug; sie hörte Linda Ronstadt und sagte Sachen wie "Oje José", während ich Metal hörte und öfter mal das F-Wort fallen ließ. Besonders kritisch war ich allerdings gegenüber ihrer Beziehung zu Männern. Ich leistete einen selbstgerechten Teeanger-Eid, niemals die Sorte Frau zu sein, die sich von einem Mann betrügen lassen würde. Ich würde niemals den Wünschen eines Mannes zu entsprechen versuchen oder mich für jemanden aufopfern – ganz egal, wer er war. Um ganz sicher zu gehen, dass ich keinen ihrer Fehler wiederholen würde, notierte ich mir all ihre Makel und irritierenden Angewohnheiten sogar in mein Tagebuch. (Gleichzeitig liebte ich sie natürlich wie verrückt und suchte ständig nach ihrer Bestätigung).

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In gewisser Weise habe ich mein Versprechen auch gehalten. Allerdings hatte sie auch weniger offensichtliche Verhaltensweisen, die ich mir trotzdem angewöhnt habe: Ich habe in der Vergangenheit bereits an Beziehungen festgehalten, die einfach nicht funktionierten, weil ich Angst davor hatte, allein zu sein; Ich gebe nicht gern zu, dass ich Mist gebaut habe – ganz besonders nicht vor meiner Mutter, die immer die war, die versucht hat, sich selbst ins beste Licht zu rücken; Und obwohl ich mich vielleicht angezogen habe wie ein Secondhand-Biker-Goth, habe ich doch immer darauf geachtet, dass meine Stiefel glänzten und mein Eyeliner perfekt war. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, aber ich war schon lange bevor ich trauriges Hühnchen zum Abendessen gemacht habe und vor dem Fernseher eingenickt bin wie meine Mutter.

Psychotherapeuten nennen dieses Verhalten Grundmuster, also "die Vorstellungen und Ansichten, die uns von unseren Müttern mitgegeben werden, weil wir unsere Kindheit damit verbringen, unseren Müttern zuzusehen und zu verinnerlichen, wie sie denken, wie sie sich verhalten und was sie wie tun – und vor allem, was sie über sich selbst denken", sagt die Therapeutin [Rosjke Hasseldine](Neben ihrer Arbeit als Lehrerin an der High-School schmiss sie den Haushalt, machte Besorgungen, chauffierte mich zur Schule und holte mich schließlich wieder ab. Wie viele kleine Mädchen wollte ich eigentlich auch mal genau wie meine Mutter werden: Ich zog ihre Riemchensandalen an und schrie meine Puppen an, wie ich glaubte, dass sie ihre Schüler anschreien würde.), die auf Mutter-Tochter-Beziehungen spezialisiert ist. Neurowissenschaftler stützen diese grundlegenden Prinzipien: Wenn unser Gehirn ein Computer ist, dann sind unsere Interaktionen mit unseren Eltern die Standardeinstellungen. Wenn wir als Erwachsene erschöpft oder gestresst sind, dann nehmen unsere Neuronen den gewohnten Weg, der meist schon in unserer frühen kindlichen Entwicklung gelegt wurde. Das erklärt auch, warum wir kochen, was unsere Mütter gekocht haben, wenn wir ängstlich oder hungrig sind oder warum wir unsere Mädchenstimme einsetzen, wenn wir etwas von unserem Partner haben wollen – es ist dieselbe Stimme, mit der auch unsere Mütter mit unseren Vätern gesprochen haben.

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In anderen Worten, die Wissenschaft bestätigt unsere schlimmsten Ängste: Wir sind, in vielerlei Hinsicht, genau wie unsere Mütter.

Die gute Nachricht ist, unser Schicksal ist nicht besiegelt. Unsere Beziehungen formen vielleicht die inneren Funktionen unseres Gehirns, aber Dr. Dan Siegel, Autor von The Developing Mind, hat mehr als 15 Jahre lang auf dem Gebiet der interpersonellen Neurobiologie geforscht und sagt: "Wir können uns dafür entscheiden, einen anderen Weg zu gehen und die Richtung bewusst und intentional verändern." Geheimnisvolle Worte wie "intentional" mögen vielleicht zunächst kompliziert klingen, die Botschaft ist allerdings eigentlich ganz einfach: Wenn du etwas an dir ändern möchtest – deine Abhängigkeit von Schokolade beispielsweise –, musst du zunächst die Wurzel des Problems verstehen lernen und eine bewusste Entscheidung treffen, um wirklich etwas dagegen tun zu können. Andernfalls wirst du dazu verdammt sein, diesen Kreislauf bis in alle Ewigkeit zu wiederholen.

Um aus missliebigen Ich-bin-wie-meine-Mutter-Mustern auszubrechen, ist es wichtig "zu verstehen, was einen selbst zu einer eigenständigen Person macht und was die Mutter zu einer eigenständigen Person macht und warum jeder so ist, wie er ist", sagt Hasseldine. Das heißt, dass man die Persönlichkeiten, Beziehungen und Kommunikationsformen der Frauen in ihren Familien – insbesondere von dir, deiner Mutter und deiner Großmutter mütterlicherseits – und das soziale Umfeld, in dem man groß geworden ist, betrachten muss.

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"Was sich zwischen einem selbst und seiner Mutter abspielt, spiegelt das Ansehen von Frauen in einer bestimmten Gesellschaft oder Kultur wider", sagt Hasseldine. "Es ist ein generationsübergreifendes Problem, dass die meisten Frauen über 50 nicht wissen, wie sie sagen können, was sie wollen, wenn sie nicht bewusst daran gearbeitet haben. Diese Generationen haben nicht gelernt, ihre Wünsche zu formulieren. Das ist eines der größten Probleme, das Mütter und Töchter aktuell miteinander haben."

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Das ganze pubertäre Geheule von wegen "Du verstehst mich einfach nicht!" war also nicht ganz unbegründet: Deine Mutter hat vielleicht wirklich nicht verstanden, was dein Problem war. Doch wahrscheinlich auch nur, weil sich auch nie jemand die Mühe gemacht hat, sie zu verstehen. Allerdings wurde sie wahrscheinlich nicht nur von ihren Eltern abgewiesen, sondern auch von ihren Freunden, Ehemännern, Chefs, Seelsorgern, Kollegen und der Gesellschaft im Allgemeinen. Ganz genau: Unserer Probleme mit unseren Müttern haben zum Teil eine lange sexistische Tradition.

"Wenn die Mutter auf irgendeine Weise bevormundend oder emotional manipulativ ist, dann liegt das meist daran, dass sie nicht gelernt hat, offen und ehrlich zu sagen, was sie möchte", sagt Hasseldine gegenüber VICE. "Wenn die Tochter nicht versteht, warum ihre Mutter so ist, müssen wir versuchen, es herauszufinden: Gibt es einen emotionalen Mangel in der Familie? Werden Frauen überhört? Werden ihre Bedürfnisse übergangen? Das ist ein hereditäres Muster und führt oftmals dazu, dass Töchter gegen ihre Mütter aufbegehren und ihnen die Schuld dafür geben. Erst wenn wir das zugrundeliegende Muster verstehen und uns die generationsübergreifenden Folgen dieser Verhaltensweisen ansehen und erkennen, warum die Mutter das Gefühl hat, sie könnte nicht sagen, was sie braucht – können wir anfangen, die Beziehung zu kitten." Allerdings geht es dabei nicht nur um die Beziehung zwischen Mutter und Tochter, sagt sie weiter, es geht auch um die Beziehung zu Partnern, Freunden und anderen Menschen, die auf der Empfängerseite dieses beschissenen Warum-führst-du-dich-auf-wie-deine-Mutter-Verhaltens sitzen.

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Meine Mutter wuchs in den 50er-Jahren in einem baptistischen Haushalt im Süden der USA auf. Damals waren die Schulen nach wie vor getrennt und Frauen durften keine Hosen tragen. Sarah Jean war eine der Frauen, die stillschweigend litten und versuchten, den Schein zu wahren. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich so direkt bin, mit dem, was ich sage, was ich schreibe und wie ich Dinge darstelle. Dahinter steckt allerdings mehr als die bloße Rebellion gegen eine weitere Eigenschaft meiner Mutter, die mir selbst missfällt – es geht darum, dass ich selbst erkenne, welche Folgen dieses Schweigen für mich und für uns hatte. Denn obwohl ich sehr direkt sein kann, wenn mir irgendein Schwachkopf krumm kommt, hat es sich bei meiner Mutter und mir so eingebürgert, dass wir nicht darüber sprechen, warum wir nicht über gewisse Dinge sprechen, wie zum Beispiel Kummer, Versagen, Sex, Scham oder Angst.

Leider wurde mir erst, als meine Mutter starb, klar dass diese Form der Non-Kommunikation unsere Art der Kommunikation war. Damals war ich 25 Jahre alt und ich wusste, wenn ich jemals auch nur ansatzweise über ihren Tod hinwegkommen wollen würde, dann musste ich nicht nur herausfinden, wer sie war, sondern auch Mitgefühl mit ihrer Person entwickeln. Hierfür musste ich allerdings zunächst einmal akzeptieren, dass meine Mutter einer anderen Generation angehörte als ich: Ich mag vielleicht eine stolze, lautstarke Feministin sein, aber ich gehöre auch zum Gipfel der Generation X und bin in der diversen, entspannten Wärme Hawaiis groß geworden. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie bedrückend die Zeit war, in der meine Mutter aufgewachsen ist, weil sie auch nie darüber gesprochen hat – so wurde sie nunmal erzogen.

Seit ihrem Tod habe ich einige Nachforschungen angestellt: Mal abgesehen davon, dass ich verstanden habe, wie wenig Frauen in der damaligen Gesellschaft wert waren, habe ich auch herausgefunden, dass wir uns ähnlicher waren, als ich dachte – auch in Dingen, die ich gutheiße. Bevor sie schließlich zu der ordentlichen Mutter wurde, die sie war, hatte sie eine wilde Ader (die aber auch später noch zu spüren war). Sie hat nicht nur mit einer unglaublichen Ausdauer studiert und gearbeitet, sondern auch gefeiert. Sie war nicht nur die, die sich nach der Arbeit mit Freunden zu ausgiebigen Trinkgelagen getroffen hat und sie war eine Frau, mit der man Pferde stehlen konnte – beispielsweise sind sie und mein Vater mal eine Woche lang in seinem "Liebesbus" quer über die Big Island gefahren. Im selben Alter, in dem sie ihre restriktive Erziehung und ihre Südstaatenfamilie hinter sich gelassen hat, um ein freies Leben auf Hawaii zu führen, habe ich ebenfalls alles hinter mir gelassen, um nach Los Angeles zu ziehen und meinen eigenen Weg zu gehen. Und obwohl ich in dem Glauben groß geworden bin, dass Frauen Anziehpuppen mit männerbefriedigenden Körperöffnungen seien, ließ sie mich immer wissen, dass ich wunderschön und klug bin und geschätzt und geliebt werde. Sie hat mir immer gesagt, dass ich alles schaffen könnte und sein sollte, wer ich sein möchte, solange ich glücklich bin. Sie wollte, dass ich es einmal besser habe als sie.

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Jetzt, wo ich etwas älter geworden bin und nach einem langen Tag bei der Arbeit das erbärmlichste Abendessen der Welt in die Pfanne werfe, verstehe ich endlich – und bewundere es sogar ein wenig –, warum meine Mutter so war, wie sie war. Sie hat sich nichts aus anständigen, vollwertigen Mahlzeiten gemacht, weil sie andere Dinge im Kopf hatte – ihre Karriere zum Beispiel. Außerdem wollte sie möglichst schnell die Füße hochlegen und entspannen, damit sie noch genug Energie hatte, um sich um mich zu kümmern.

Gleichzeitig zeigt die ganze Geschichte aber auch, dass sie nicht an den ganzen Hausfrauen-Blödsinn geglaubt hat, mit dem sie aufgewachsen ist, sondern statt in der Küche zu stehen, lieber noch eine Stunde länger in der Schule geblieben ist, um benachteiligten Schülern zu helfen. Ich kann mich auch noch daran erinnern (wenn ich mich mal von meiner selektiven Wahrnehmung löse), dass sie – wenn sie sich von der Arbeit erholt hat – zusammen mit mir gemalt hat oder wir uns gemeinsam Unser lautes Heim angesehen haben. Ich bin froh, dass sie mir so ein Vorbild war, denn eins ist sicher: Wenn ich erstmal Mutter bin und die Balance zwischen Karriere, Kind und Allein-Zeit finden muss, dann werde ich mich sicher auch für Fertigessen entscheiden.