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Die Geschichte hinter dem ersten akademischen Pornomagazin

Clarissa Smith und Feona Attwood haben mit „Porn Studies” das erste wissenschaftliche Magazin über Pornografie gelauncht, obwohl ihnen viele Kollegen—und Anti-Porn-Aktivisten— davon abgeraten haben. Wir haben sie gefragt, warum.
Photo via Wikimedia Commons

Clarissa Smith, Professorin für Sexualkultur an der Universität von Sunderland in Großbritannien, beschreibt mir ihren idealen Sexroboter: „Vielleicht würde er überhaupt nicht aussehen wie ein Mensch", sagt sie. „Es könnte so eine Art Schlafsack sein, in den man sich reinlegt und eine echte Ganzkörpererfahrung hat. Wie großartig wäre das denn? Du würdest gleichzeitig die Zehen gekitzelt und den Kopf massiert bekommen."

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Ich frage sie, ob sie die zweibeinigen Cyborgs von Boston Robotics gesehen hat, die nicht umfallen—nicht einmal, wenn sie geschubst werden. „Die sehen irgendwie aus wie Pferde", sagt sie. „Die sind nicht sexy." Wenn sie irgendeine Form von Geschäftssinn hätte, erklärt Smith, würde sie ihren eigenen Freudenroboter designen. „Und ich würde nicht über diese Zeitschrift sprechen."

Die Zeitschrift, über die wir gesprochen haben, heißt Porn Studies, das erste akademische Magazin, das sich einzig und allein mit Studien über Pornografie beschäftigt. Gegründet wurde es 2014 von Smith und Feona Attwood, Professorin für Kulturwissenschaften, Kommunikation und Medien an der Middlesex University in London. Seitdem wurde die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift zur Pflichtlektüre über heiße, wissenschaftlich evaluierte Studien zum Aufbau und weltweiten Konsum von Pornografie.

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Nachdem es eine Flut an Besprechungen im Atlantic, der Washington Post, bei VICE und der Daily Mail gab, haben sich in den ersten Wochen fast 250.000 Menschen ihre Zeitschrift online angesehen. In der ersten Ausgabe erschien ein Artikel von der bahnbrechenden Filmwissenschaftlerin Linda Williams, ein Essay darüber, wie Pornografiekompetenz in Schulen in Großbritannien unterrichtet wird und eine Meta-Analyse über Pornografie mit dem Titel „Deep Tags: Annäherung an eine quantitative Analyse von Online-Pornografie"—was sich liest, als würde ein etwas verkopfter Analytiker über PornHub sprechen. Spätere Ausgaben drehen sich um die unterschiedlichsten Themen wie die „Nekropolitik" in Zombiepornos oder die Hintern schwuler Pornostars, die ungeschützten Geschlechtsverkehr haben.

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Pornografie war über lange Zeit ein beliebtes akademisches Forschungsfeld—ein bedeutender Text von Professor Linda Williams zum Thema Hard Core: Macht, Lust und der „Rausch des Sichtbaren" wurde erstmals 1989 publiziert—, aber die wissenschaftlichen Untersuchungen waren gleichzeitig auch immer sehr umstritten.

Sie fragten mich: ‚Wann hörst du endlich damit auf?'

„Pornos wurden stellenweise richtiggehend verachtet", sagt Smith. „Aber ich denke, dass es heute genug Leute gibt, die sich der Pornografie auf eine sehr viel differenzierte Weise annähern. Sie fragen nicht nur ‚Sollte es das geben?' oder ‚Wie sollten wir es regulieren?', sondern stellen auch Fragen wie ‚Worum handelt es sich dabei? Wer ist darin zu sehen? Wie funktioniert das?'"

Bevor Smith zu einer führenden Expertin für Pornografie wurde, arbeitete sie in einer Werbeagentur und machte ihren Master in Frauenforschung. „Ich habe viele Vorlesungen über die Ablehnung von Pornos durch radikale Feministen gehört", sagt sie. Dann, eines Tages, hat sie im Büro ein Pressepaket von zwei Verlegern bekommen, die gerade dabei waren, ein Softcore-Magazin für Frauen zu publizieren.

„Ich dachte mir: Moment mal, zwei Verleger denken, dass es erfolgversprechend wäre, ein Pornomagazin herauszugeben und doch haben Frauen angeblich kein Interesse an so etwas?"

Smith hatte einige Freunde, die auf Pornos standen. Sie selbst sah sich nach eigener Aussage gern die Shows der Chippendales an und beobachtete, wie sich der Sexshop in ihrer Nachbarschaft von einem zwielichtig wirkenden Loch in einen „hellen und bunten" Ort, an dem man Sexspielzeug kaufen kann, verwandelte.

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1999 beschloss Smith For Women zu analysieren, ein relativ hochwertiges Hochglanzmagazin mit Beiträgen wie „Sperma: Das Benutzerhandbuch" und „Frauen, die Nacht für Nacht mit einem anderen schlafen". Ziel des Magazins war es, so Smith, „einen Raum [zu schaffen], in dem sich Frauen sexuell frei fühlen" können. Zum Beispiel dadurch, dass sie über Dinge wie Dreier, Cuckolds oder Analsex als etwas ganz Normales schrieben. Es gab auch erstklassiges Masturbationsmaterial mit „Männerkörpern für den weiblichen Gebrauch" und Sexgeschichten aus dem echten Leben.

Akademiker und Kollegen, die Smith sehr respektierte, rieten ihr davon ab, sich weiterhin inhaltlich mit Pornos auseinanderzusetzen. „Sie fragten mich: ‚Wann hörst endlich du damit auf und beschäftigst dich mit ernsthafteren Studien?' Außerdem haben sie mir gesagt, dass ich wirklich mutig bin", lacht sie. „Ich war nicht mutig, ich war interessiert!"

Wenn Professoren Comics, Horrorfilme, Videospiele oder Anime analysieren, wird nicht automatisch angenommen, dass sie alles in ihrem gewählten Forschungsfeld unterstützen und gutheißen. Bei Pornos ist das anders. Dieses Thema ist so „bedeutungsbeladen", wie es Bobby Noble, Professorin für Transgender Studies, einmal beschrieben hat, dass man leicht in Diskussionen um die allgemeine Existenz von Pornographie gerät, statt sie ganz objektiv als kulturelles Produkt zu betrachten.

Smith ignorierte die Schwarzmaler und schrieb im Laufe der folgenden Jahre Artikel wie „Glänzende Brüste und enge G-Strings: Eine Nacht mit den Chippendales" und „Sie sind ganz normale Leute, keine Aliens von einem Sexplaneten! Die profanen Erwartungen, die Frauen an Pornografie haben".

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Als sie auf Feona Attwood traf, arbeitete sie gerade mit anderen Pornoprofessoren zusammen und fuhr zu Konferenzen. „Ich hatte das Gefühl, dass wir die einzigen beiden Leute waren, die über [Pornos] redeten, zumindest in Großbritannien", sagt Smith. Irgendwann gingen die beiden mit ihrer Idee von einer Zeitschrift für Pornografiestudien zu dem internationalen Wissenschaftsverlag Routledge. Damit begann ein zweieinhalbjähriger Absagenmarathon. Als sie schließlich die Zusage für ihre Zeitschrift bekamen, „saßen [sie] fast zehn Minuten lang ungläubig schweigend da", sagt Smith.

Fast zeitgleich mit der Bekanntmachung von Porn Studies verbreitete sich eine Onlinepetition von Stop Porn Culture, einer feministischen Anti-Porno-Organisation aus Großbritannien. Sie forderten die Gründung einer Anti-Porno-Zeitschrift, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Befürworter der Petition waren der Meinung, die Zeitschrift gleiche „Mordstudien" aus der Sicht von „Mördern".

Smith und Attwood glauben, dass sie das Ganze nicht ganz verstanden haben. „Wir wollten weg von der Idee, dass es nur zwei Betrachtungsweisen gibt", sagt Attwood. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine seltsame Denkweise."

„Ich glaube nicht, dass es jemals ein goldenes Zeitalter für die wissenschaftliche Untersuchung von Pornos gab", sagt Attwood. „Es war immer ziemlich schwierig." Sie sagt, dass der Widerstand, auf den die beiden gestoßen sind—und immer noch stoßen—, Teil eines „viel weitreichenderen" Problems ist, das auch die Freiheit der Wissenschaft betrifft. An der Universität von Houston wurden Lehrer besipielsweise vor Kurzem dazu angehalten, ihre Lehrinhalte zu verändern, für den Fall dass ihre Schüler versteckt Waffen bei sich tragen.

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„Der soziale und politische Kontext, in dem wir im Moment als Professoren arbeiten, macht unsere Arbeit in vielerlei Hinsicht prekärer und gefährlicher. Und dabei geht es nicht nur darum, was wir untersuchen", sagt Attwood.

Dennoch ist die Geschichte der Pornografieforschung in den USA nicht so dramatisch, wie man es sich vorstellt. Linda Williams hatte für ihre Lehrinhalte damals, zu Zeiten von (H.W.) Bush, die volle Unterstützung der Universitätsverwaltung.

Ich habe so viele Vorlesungen über die Ablehnung von Pornos durch radikale Feministen gehört.

„So etwas wie akademische Freiheit gibt es nicht", sagt Williams etwas gleichgültig auf meine Frage, wie die Universitätsverwaltung auf ihren pornografischen Lehrplan reagiert hat, als sie damals 1992 an der UCI im Herzen des konservativen kalifornischen Bezirk Orange County unterrichtete.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte Williams bereits ein Buch zu dem Thema veröffentlicht und untersuchte jeden Porno, der im kulturellen Äther herumschwirrte. Sie sah sich mit ihren Studenten Gonzopornos, feministische Pornos („aufgeräumt, mit jeder Menge Topfpflanzen und No-Money-Shots") und sadomasochistische Pornos („die Theatralischen … und die anderen") an.

Das größte Problem hatten ihre Studenten mit Schwulenpornos, bei denen vor allem die Heterojungs ausflippten—und zwar ziemlich. In der Regel lachten die Studenten während dem Unterricht jedoch einfach nur laut. „Das ist eine Art Schutzmechanismus, denn sonst, naja, würden sie vielleicht geil", sagt sie.

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Als ich Smith fragte, ob sie während dem Unterricht Pornos zeigte, war ich überrascht zu hören, dass sie das nicht macht.

„Feona [Attwood] und ich haben beide eine Festanstellung an der Universität, trotzdem heißt das nicht, dass wir tun können, was wir wollen. Außerdem bin ich an einer dieser kleinen Provinzuniversitäten, die nach 1992 entstanden sind [ehemalige Fachhochschulen oder Colleges für höhere Bildungsabschlüsse in Großbritannien], und wir fühlen uns nicht so, als wären wir die Elite. Deswegen muss ich auf eventuelle Bedenken der Universität wie Können wir das gegenüber den Eltern rechtfertigen? achten. Ich möchte keine derartigen Diskussionen provozieren."

Bisher rät Smith ihren Doktoranden, Forschung zu betreiben, an Konferenzen teilzunehmen und natürlich auch Porn Studies zu lesen. Ihr größtes Anliegen ist es, wie sie sagt, sicherzustellen, dass die nächste Generation sich nicht genauso für ihre sexuellen Vorlieben schämt, wie es die älteren Leute tun, die sie im Rahmen ihrer Forschung befragt hat. „Einer der Hauptpunkte, die durch die Forschungsarbeit von Feona und mir deutlich wurde, ist, dass wenn man mit älteren Menschen über ihr Verhältnis zu Pornografie spricht, sie einem sagen: ‚Ich wünschte, jemand hätte mit mir mal ein ordentliches Gespräch über Sex geführt. Ich wünschte nur, ich hätte mich nicht so dafür geschämt, dass ich mir die Körper von anderen gerne angesehen habe und sie schön fand und auch danach Ausschau gehalten habe. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, was meine sexuellen Vorlieben sind.' Warum wollen wir, dass eine weitere Generation aufwächst, die Angst vor ihren eigenen Körpern hat oder sich für ihre Begierden schämt?"