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Verhütung

Und eine Studie so: Rausziehen ist fast genauso effektiv wie Kondome

Studien haben bereits gezeigt, dass die Rausziehmethode genauso effektiv ist wie die Verwendung von Kondomen, trotzdem wird sie noch immer nicht als „echte" Verhütungsmethode betrachtet.
Photo by Carolyn Lagattuta via Stocksy

Eliza und ihr Freund verlassen sich jetzt schon seit einem Jahr darauf, Catherine und ihr Partner sogar schon seit drei. Christina schätzt, dass sie die Technik nun schon seit 12 Jahren und in drei monogamen Hetero-Langzeitbeziehungen angewandt hat. Diese Frauen—und auch ich—sind alle Teil der Bevölkerungsgruppe, die Ann Friedman bekanntermaßen als die „Pullout Generation" bezeichnet hat: heterosexuelle Cis-Frauen, die das Rausziehen vor dem Höhepunkt zu ihrer gewählten Form der Verhütung machen.

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Es gibt wohl kaum eine Verhütungsmethode, die verpönter ist als das Rausziehen. Normalerweise sagt man im abfälligen Ton, dass das Ganze „besser als nichts" sei, und hält die Taktik dann doch für unverantwortlich und schlecht durchdacht. Als eine aktuelle Studie der amerikanischen Center for Disease Control and Prevention ergab, dass das Rausziehen bei US-Teenagern die am zweithäufigsten ausprobierte Empfängnisverhütung sei, wurde diese Option mit zwei überkreuzten Fingern illustriert. Damit bekräftigte man auch das Bild, dass das Ganze eine Praxis ist, die mehr von Hoffen und Bangen als von biologischem Sinn geprägt ist. Aber auch die Erwachsenenwelt steht den Teenagern in nichts nach: Ungefähr 60 Prozent der US-amerikanischen Frauen gaben an, die Rausziehmethode schon mindestens einmal in ihrem Leben angewandt zu haben. Der eigentliche Prozentsatz liegt aber wohl noch höher, denn viele Leute sehen das ganze gar nicht als „echte" Verhütung an.

Bei richtiger Durchführung ist das Rausziehen bei der Schwangerschaftsverhütung ungefähr genauso wirksam wie Kondome.

In der medialen Berichterstattung zu der besagten CDC-Studie—in der übrigens auch gelobt wurde, dass jungen Leuten das Thema Verhütung immer wichtiger wird—wurde natürlich der obligatorische moralische Zeigefinger erhoben und das Rausziehen als eine der ineffektivsten Möglichkeiten bezeichnet, eine Schwangerschaft zu verhindern. Was in den ganzen Berichten jedoch nicht angesprochen wurde, ist die Tatsache, dass die Forschung das Ganze auf eine Stufe mit Kondomen stellt—eine der von Ärzten am häufigsten empfohlenen Form der Verhütung.

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„Das Rausziehen ist bei der Schwangerschaftsverhütung ungefähr genauso wirksam wie Kondome", heißt es am Anfang einer Studie (2014) von Contraception, einer internationalen Zeitschrift zum Thema Fortpflanzung. Wenn das Ganze ohne Fehler durchgeführt wird—in anderen Worten: Wenn der Mann bei jeglichem vaginalen Geschlechtsverkehr vor der Ejakulation seinen Penis aus der Scheide zieht—, dann werden innerhalb eines Jahres nur vier Prozent der Paare schwanger, die die Rausziehmethode anwenden. Bei nicht perfektem (oder auch typischem) Gebrauch erhöht sich diese Zahl auf 18 Prozent. Zum Vergleich: Die Ausfallquote von Kondomen liegt bei perfektem Gebrauch bei zwei Prozent, bei typischem Gebrauch bei 17 Prozent. Der Unterschied ist also marginal, aber trotzdem hat das Rausziehen einen Ruf der gefährlichen Nachlässigkeit, während Kondome als das Nonplusultra der sexuellen Verantwortung angesehen werden. Mehrere der Ärzte, die ich für diesen Artikel kontaktiert habe, sind dem Rausziehen gegenüber positiv eingestellt, wollen das öffentlich aber nur ungern zugeben.

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„Unter medizinischen Dienstleistern hat das Ganze definitiv einen schlechten Stand", bestätigt Aida Manduley, eine homosexuelle Sexualitätspädagogin und Vorstandsmitglied des Women of Color Sexual Health Networks. Das liegt zum Teil daran, dass man schon seit langer Zeit davon ausgeht, die Methode sei nicht effektiv. Volksweisheiten lassen sich nur schwer aus den Köpfen der Leute entfernen und es will natürlich niemand für eine ungewollte Schwangerschaft verantwortlich sein. Obwohl das Rausziehen in den Statistiken auf einem Level mit anderen Verhütungsmethoden steht (zum Beispiel in einem aktuellen Marie Claire-Artikel), wird die Technik immer noch als—richtig geraten—„total riskant" und „auf keinen Fall ‚besser als nichts'" beschrieben.

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Viele Ärzte sind dem Rausziehen gegenüber positiv eingestellt, wollen das öffentlich aber nur ungern zugeben.

Manduley schreibt die schlechte Meinung der medizinischen Welt zum Thema Rausziehen auch der Angst vor sexuell übertragbaren Geschlechtskrankheiten zu und merkt an, dass HIV natürlich etwas deutlich negativeres ist als eine Schwangerschaft. Rachel Jones, eine bedeutende Forschungswissenschaftlerin des Guttmacher Instituts und dazu noch Mitwirkende an zwei wichtigen Studien zu diesem Thema, bestätigt, dass folgende Vorstellung vorherrscht: „Vor allem junge Leute sollten bei jeglichem Geschlechtsverkehr ein Kondom benutzen und jede positive Meinung über das Rausziehen ist da eher kontraproduktiv."

Selbst wenn es einzig und allein um den Schutz vor einer Schwangerschaft geht, raten Artikel zum Thema den Leserinnen normalerweise zu hormonellen Optionen oder der Spirale. Die Möglichkeit des erfolgreichen Rausziehens wird gar nicht erst in Betracht gezogen.

Foto: robertelyov | Flickr | CC BY 2.0

Ein Grund dafür könnte unter anderem auch sein, dass für das simple Rausziehen kein Produkt kaufen muss. Herstellern von Kondomen, hormonellen Verhütungsmöglichkeiten und Implantaten wird von der Gesundheitsbehörde vorgeschrieben, viele Studien zu der Wirksamkeit ihrer Produkte durchzuführen—und das liegt auch ganz in ihrem kommerziellen Interesse. Vom Rausziehen profitiert niemand wirtschaftlich und deshalb ist es nicht so einfach, einen Geldgeber für regelmäßige Tests zu finden. Vielleicht noch viel wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass niemand davon profitiert, sich für das Rausziehen einzusetzen oder die ernstzunehmende Forschung zu pushen, die zu diesem Thema bereits existiert. Wer es tut, wird dafür womöglich noch offen kritisiert.

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Dann bleibt da natürlich auch noch das natürliche Misstrauen gegenüber dem Part, in dessen Händen es nicht nur sprichwörtlich liegt, rechtzeitig einzugreifen—ein direktes Resultat des gesellschaftlich zementierten Bildes, nachdem Männer lüsterne Sexverrückte sind, die sich im erregten Zustand nicht mehr kontrollieren können. Unzuverlässigkeit und fehlendes Vertrauen werden bei der Rausziehmethode regelmäßig als die beiden größten Probleme angegeben: Der Mann kann dabei zu viel bestimmen; er kriegt das Ganze nicht rechtzeitig hin oder kann seinen Orgasmus nicht richtig abschätzen; er wird es gar nicht erst versuchen, weil es sich besser anfühlt, in der Frau zu kommen.

Vom Rausziehen profitiert niemand und deshalb ist es nicht so einfach, einen Geldgeber für regelmäßige Studien zu finden.

Im Anfangsstadium einer Beziehung oder bei One-Night-Stands kann eine gute Portion Skepsis nie schaden und deshalb sind solche Gedanken auch angebracht. Beim Zusammenspiel zweier fester Partner—also der Art Pärchen, das die Rausziehmethode zur langfristigen Schwangerschaftsvermeidung am häufigsten einsetzt—dürften solche Hintergedanken jedoch eher weniger präsent sein. Manduley stimmt der Aussage zu, dass das Rausziehen für „Leute, die sich noch am Anfang ihrer sexuellen Reise befinden, nicht gerade die beste Verhütungsmethode ist." Das bedeutet jedoch nicht, dass das auf alle Paare zutrifft. Rachel Jones schrieb in einem Artikel: „Einige Frauen sind bei manchen sexuellen Partnern vielleicht nicht so sicher, ob die es schaffen, den Penis vor der Ejakulation rauszuziehen, und einige Männer sind dazu vielleicht wirklich nicht in der Lage, aber das heißt nicht, dass wir ein falsches Bild über die Effektivität dieser Methode verbreiten sollten."

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Die Frauen, mit denen ich im Zuge dieses Artikels gesprochen habe und die das Rausziehen schon seit Jahren erfolgreich anwenden, fühlen sich manchmal trotzdem noch dazu verpflichtet, das Ganze als riskant und verantwortungslos zu verdammen. Die, die noch nie schwanger wurden, machten Witze darüber, vielleicht unfruchtbar zu sein—ein Beispiel dafür, welchen unzuverlässigen Ruf das Rausziehen selbst bei den Menschen hat, die diese Methode schon erfolgreich ausprobiert haben. Dank der Rausziehmethode wurde Haley fünfeinhalb Jahre lang nicht schwanger (danach folgte ein gewolltes Kind), aber ihr fiel es trotzdem schwer, gut darüber zu reden oder sogar zuzugeben, sich darauf verlassen zu haben. „Ich hatte Angst, mit meinen Freunden darüber zu reden, denn ich wollte nicht bloßgestellt oder lächerlich gemacht werden", erzählt sie. „Ich weiß bis heute nicht, ob das jetzt dumm war oder nicht."

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Dieser schlechte Ruf beruht zum Teil auch auf weiblichem Sexismus. Das Bild einer verantwortungslosen Großstadttussi, die zu betrunken und zu leichtsinnig ist, um sich um „richtige" Verhütung zu kümmern, ist nicht nur frauenfeindlich, sondern auch komplett falsch. In einer aktuellen Studie, an der auch Jones beteiligt war, wurde herausgefunden, dass viele Frauen die Rausziehmethode in Verbindung mit anderen Schutzmaßnahmen wie der Pille oder Kondomen anwenden. „Leute, die diese Methode nutzen, werden oft als faul angesehen", meinte einer der anderen Forscher gegenüber RH Reality Check, „aber zumindest bei unseren Probandinnen entstand der Eindruck, dass sie eine Schwangerschaft noch mehr vermeiden wollten." Dieser Eindruck wurde während meiner Gespräche ebenfalls bestätigt. Meine Interviewpartnerinnen, die sich auf das Rausziehen verlassen, waren unglaublich sorgfältig, kompetent und schlau. Eine hatte sich eine finanzielle Rücklage für den Fall einer Abtreibung angelegt und eine andere hatte sich bereits einen Plan für die Reise in einen anderen US-Bundesstaat zurechtgelegt, falls ein Schwangerschaftsabbruch nötig sein würde. Alle haben sich lange Zeit Gedanken darüber gemacht, warum andere Verhütungsmethoden nicht das Richtige für sie sind und was sie tun können, falls sie doch ungewollt schwanger werden.

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Leute, die diese Methode nutzen, werden oft als faul angesehen.

Gesellschaftliche Gepflogenheiten können—wie üblich—nicht bestimmen, wie die Leute Sex haben, und ein Großteil der heterosexuellen Cis-Erwachsenen haben die Rausziehmethode zumindest schon ein Mal ausprobiert. Und das ergibt auch Sinn: Sie ist immer verfügbar, kostet nichts, spricht keine Allergien an, steht dem sexuellen Vergnügen nicht wirklich im Weg und hat keine Nebenwirkungen. Wenn man bedenkt, wie viele Formen der auf Frauen zugeschnittenen Verhütungsmittel den Körper beeinflussen, dann ist vor allem der letzte Punkt ein nicht zu verachtender Vorteil. In unserer Kultur tendiert man dazu, die vielen belegten und unbestrittenen Nebenwirkungen der hormonellen Verhütung zu ignorieren—dazu gehören schwere Stimmungsschwankungen, ein minimierter oder gänzlich verschwundener Sexualtrieb sowie ein verdrei- oder sogar vervierfachte Blutgerinnselrisiko. Solche potenziell gefährlichen Auswirkungen als unerwünscht, aber eben unvermeidbar anzusehen, zeugt von einer Überzeugung, dass die mentale, emotionale und körperliche Gesundheit der Frau nicht so wichtig ist, wie nicht schwanger zu werden.

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Außerdem wird dabei nicht bedacht, dass keine Verhütungsmethode—nicht mal die Sterilisation der Frau—den heterosexuellen Koitus komplett risikofrei macht. Jones drückt es folgendermaßen aus: Medizinische Dienstleister „haben kein Problem damit, Kondome zu befürworten, obwohl die lange nicht perfekt sind." Stacey, die in 13 Jahren des Rausziehens nie schwanger wurde, wurde zweimal befruchtet: einmal, als ein Kondom platzte, und einmal, als sie die Pille nahm. Zwei andere meiner Gesprächspartnerinnen wurden ebenfalls schwanger, obwohl sie die Pille nahmen, und wollten sich auf diese Verhütungsmethode verständlicherweise nicht weiter verlassen. Zwei andere sprachen von einer Uterus-Fehlbildung, die das Einsetzen der Spirale bei ihnen unmöglich macht.

In einer Studie aus dem Jahr 2009, die auch schon oben erwähnt wurde, heißt es: „Wenn mehr Leuten klar wird, dass die korrekte und regelmäßige Anwendung der Rausziehmethode das Risiko einer Schwangerschaft erheblich vermindert, dann würden sie diese womöglich effektiver nutzen." Die reflexartige Ablehnung des Rausziehens als sinnvolle Verhütungsmethode ist also nicht nur nicht konstruktiv, sondern sogar gefährlich. „Wir können die Bedürfnisse der Leute im Bezug auf die Verhütung nicht einfach so vorgeben", meint Manduley. „Anstatt Informationen zurückzuhalten oder existierende Studien zu leugnen, sollten Experten die Menschen eher über alle bestehenden Optionen aufklären und ihnen dabei helfen, die richtige Methode zu finden."


Foto: Shawn Carpenter | Flickr | CC BY-SA 2.0