FYI.

This story is over 5 years old.

Beziehung

Diesem Wissenschaftler zufolge könnten wir Liebe bald in der Apotheke kaufen

Dr. Anders Sandberg glaubt an eine Welt, in der sich Beziehungsstreits medikamentös lösen lassen. Und so unrealistisch ist das gar nicht.
Photo by Howl via Stocksy

Liebestränke gelten schon seit Jahrhunderten als das ultimative Mittel, um endlich von seinem Schwarm erhört zu werden. Auch wenn die moderne Version davon wohl eher in den Bereich illegale Drogen a la MDMA fallen dürfte: Der Wunsch danach, ein Wundermittel zu finden, mit dem sich zwischenmenschliche Konflikte in Wohlgefallen auflösen, gibt es auch heute noch.

Wir leben in Zeiten des technischen Fortschritts. Wenn es möglich ist, durch virtuelle Welten zu laufen und Musik anzufassen – warum sollte dann nicht auch irgendein genialer Wissenschaftler einen tatsächlich funktionierenden Liebestrank brauen können? Wenn es eine Flüssigkeit aus dem Labor gäbe, die deine Verliebtsein zusätzlich steigert oder dafür sorgt, dass die Liebe zu deinem Langzeitpartner oder deiner Langzeitpartnerin niemals nachlässt, würdest du sie trinken?

Anzeige

Dr. Anders Sandberg von der Universität in Oxford glaubt, dass das eines Tages Realität werden könnte. Was ihn von einer besonders ambitionierten Hexe unterscheidet? Er ist Neurowissenschaftler und kann entsprechende Berechnungen anstellen.

Mehr lesen: Die Wahrheit hinter der einen großen Liebe

"Menschen nehmen schon seit jeher aus rein hedonistischen Gründen Drogen, um mehr Spaß im Schlafzimmer zu haben", erklärt er. "Es gibt sowohl im Volksglauben als auch in der Medizin unzählige verrückte Aphrodisiaka." Sexuelle Leistungsfähigkeit oder Lust hat allerdings nicht zwingend etwas mit Liebe zu tun. Das weiß jeder, der schon mal Sex mit einem Menschen hatte, den er eigentlich verachtet.

Um zu verstehen, wie sich romantische Liebe zwischen zwei erwachsenen Menschen durch den Einsatz von Neurochemie manipulieren lassen könnte, muss man erst den neurologischen Prozess dahinter begreifen. Warum verlieben wir uns überhaupt? Laut Sandberg liegt das daran, dass Babys im Grunde nicht viel können, außer für niedliche Videos im Netz herzuhalten.

Es gibt sowohl im Volksglauben als auch in der Medizin unzählige verrückte Aphrodisiaka.

"Wir Menschen sind als Babys ziemlich hilflos", erklärt er. "Fohlen können im Vergleich zu uns schon wenige Stunden nach der Geburt laufen. Aus evolutionärer Sicht ist es also sinnvoll sicherzustellen, dass die Eltern zusammenbleiben, damit ihre Nachkommen die besten Überlebenschancen haben – und an dieser Stelle kommt die Paarbindung ins Spiel."

Anzeige

Sich zu verlieben hat laut dem Experten hat eine ganz besondere Wirkung auf die Gehirnchemie. Zu den wichtigsten chemischen Verbindungen gehören unter anderem Oxytocin und Vasopressin. Studien mit Präriewühlmäusen konnten bereits zeigen, dass das Gehirn diese Moleküle während der Paarbindung aussendet, indem es das Dopamin-System aktiviert.

"Für die Bindung ist vor allem das Dopamin-System verantwortlich", erklärt Sandberg. "Im Frontallappen wird Dopamin freigesetzt, was dazu führt, dass wir in unserem Gegenüber einen Menschen sehen, in dessen Nähe wir sein möchten und dem wir uns nahe fühlen möchten."

Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.

Außerdem geht man davon aus, dass Vasopressin eine wichtige Rolle im männlichen Paarbindungssystem spielt. "Bei verschiedenen Tieren konnte man beobachten, dass die Zahl der Vasopressin-Rezeptoren im Vordergehirn zunahm, als sie Väter wurden. Auf diese Weise wird vermutlich die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass sie mit anderen anbandeln."

Warst du schon mal von deinem Liebsten getrennt und hast das starke Verlangen danach verspürt, ihn zu riechen oder zu schmecken? Das liegt daran, dass der Körper in ihrer Abwesenheit Corticotropin-releasing Hormone (CRH) ausschüttet. Sie sind der Grund, warum wir uns in solchen Momenten einsam und niedergeschlagen fühlen: Wir sind von der Biologie wortwörtlich dazu programmiert.

Ein moderner Liebestrank, sagt Sandberg, würde eine Kombination aus diesen drei chemischen Verbindungen beinhalten. Doch man kann ein Hormon nicht einfach über ein oxytocinhaltiges Nasenspray ins Gehirn einschmuggeln (was es übrigens schon gibt). "Eine guter Liebestrank müsste die entsprechenden Areale im Gehirn ansprechen, um die jeweiligen Systeme zu stimulieren", erklärt er. Allerdings kann er auch nicht genau sagen, wie ein solches Medikament wirken würde.

Anzeige

Dr. Anders Sandberg. Foto: bereitgestellt von Dr. Anders Sandberg

Kein Grund, zu verzweifeln. Die Wissenschaft befinden sich laut dem Neurowissenschaftler nämlich auf einem guten Weg. "Wir wissen mittlerweile schon viel mehr über unser Gehirn und wie man die Abläufe im Gehirn abbilden kann", sagt er. "Es würde mich ziemlich überraschen, wenn wir in den nächsten zehn Jahren noch nicht wüssten, wie man dieses Problem angehen könnte." Das bedeutet auch, dass die kommenden Generationen auf Liebestränke aus der Apotheke zurückgreifen könnten, die von Wissenschaftlern im Labor hergestellt wurden. Sandberg schätzt, dass das schon in knapp 20 Jahren der Fall sein könnte.

Wenn es also nicht komplett unwahrscheinlich ist, Liebe in naher Zukunft künstlich erzeugen zu können, wie sieht es dann mit den moralischen Folgen aus? In unserem einstündigen Telefonat betone ich immer wieder, dass ich die Vorstellung, künstlich Dinge zu fühlen, höchst fragwürdig zu finden. Überzeugen kann ich Sandberg damit nicht.

"Die Vorstellung von einem klassischen Zaubertrank, bei dem sich die eine Person in die andere verliebt, weil sie den Liebestrank getrunken hat, ist sicherlich kritisch zu betrachten", sagt er. "Aus ethischer Sicht könnte ein Liebestrank auch eine schlimme Vergewaltigungsdroge darstellen." Auf der anderen Seite könnte der maßvolle Einsatz von Liebestränken aber auch eine stärkende Wirkung auf bereits bestehende Beziehungen haben.

"Wenn man jemanden liebt, können sich die Gefühle mit der Zeit verändern. Was wäre, wenn wir die Liebe wieder steigern könnten, wenn sie abzunehmen droht?", fragt er. Was, wenn man sich erst vor Kurzem zusammen ein Haus gekauft oder ein Kind bekommen hat und es ganz rational gesehen verheerende Folgen hätte, sich jetzt zu trennen? Sandberg spricht von einer Welt, in der Liebestränke gemeinsam mit Paarberatungen verschrieben werden, um scheiternde Beziehungen zu stärken – noch bevor sie einen Punkt erreichen, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Anzeige

Du gehst von der Vorstellung aus, dass es da draußen nur die eine wahre Liebe gibt.

"Ich glaube nicht, dass man Beziehungen allein durch ein Medikament aufrecht erhalten kann, sagt er. "Aber wenn es ein Medikamente geben würde, das uns in einen empathische Zustand versetzt und man das Ganze mit einer Paartherapie kombinieren würde, könnte das äußerst vielversprechend sein." Ich entgegne, dass es bei Gesprächstherapien darum gehe, sich besser in den anderen einzufühlen und sich mit seinen Problemen aktiv auseinanderzusetzen. Nicht darum, einfach eine Pille zu schlucken, die einen wortwörtlich wieder verliebt . Dr. Sandberg lacht mitfühlend und meint, dass ich einfach hoffnungslos romantisch sei.

"Du gehst von der Vorstellung aus, dass es da draußen nur die eine große Liebe gibt. Dass du Geigen spielen und Vögel zwitschern hörst, wenn du sie findest und sich danach dein gesamtes Leben verändern wird. Das ist aber nichts weiter als ein Mythos."

Liebe zu medikalisieren bleibt trotzdem eine erschreckende Vorstellung. Schließlich hätte die Pharmaindustrie dann ein Monopol auf der Liebe – oder etwa nicht? "Das hängt ganz davon ab, wie antikapitalistisch du eingestellt bist", räumt Sandberg ein. "Sicherlich gibt es in der marxistischen Kritik auch einen Abschnitt, in dem es heißt, dass wir uns nicht gegenseitig wie Ware behandeln sollten. Was wir brauchen, ist ein offener Diskurs darüber, was wir uns von der Medizin für uns und unser Privatleben erhoffen."

Anzeige

Er ist der Ansicht, dass die Gesellschaft ein besserer Ort wäre, wenn wir Zugang zu Liebestränken hätten – und zwar nicht in romantischer Hinsicht. "Medikamente können Müttern und Vätern helfen, eine Bindung zu ihren Kindern aufzubauen. Damit könnten wir Familien nicht nur stärken, sondern auch verbessern."

Mehr lesen: Wie du dein Gehirn überlistest, um Sex zu haben, ohne Gefühle zu entwickeln

Laut Sandberg werden wir die Liebe mehr wertschätzen, wenn wir sie verstehen lernen. Ich verstehe seinem Gedankengang: Immerhin weiß ich eine gelungene Brustvergrößerung auch mehr zu schätzen als große Brüste. Doch der Mediziner vergisst dabei einen wichtigen Punkt: Liebe tut weh! Niemand, der verliebt ist, ist wirklich glücklich. Man hat lediglich Angst, dass der Traum von der großen Liebe zerplatzen wird wie eine Seifenblase und man für immer allein bleibt.

"Viele Menschen sind der Ansicht, dass es mit der wissenschaftlichen Betrachtung von Liebe so ähnlich ist wie mit dem Regenbogen", sagt Dr. Sandberg und spielt damit auf den Poeten William Blake an, der Isaac Newton dafür kritisiert hat, dass er versucht hat, Konzepte wie die Gravitation zu erklären. "Es gibt Menschen, die der Ansicht sind, dass Regenbogen nur Reflektionen und Wassertropfen sind und dass sie ihre Bedeutung verlieren, wenn man sie mit wissenschaftlichen Augen betrachtet." Allerdings, sagt er weiter, "denke ich, dass man die Liebe auch verstehen lernen kann, ohne dass sie ihren Zauber verliert. Wir haben letztendlich nur ein tieferes Verständnis davon."


Titelfoto: imago | Westend61