Es ist etwa 10 Uhr morgens, ich bin noch etwas verschlafen, aus meinen Lautsprechern tönt sanftes, harmloses Gitarrengeklimper von Spotify. Dann setzt der Gesang ein: "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt".Moment. Hat da gerade wirklich jemand die erste Strophe des sogenannten Deutschlandliedes gesungen? Tatsächlich. Es ist Tag eins meiner Recherche über rechte Musik auf Spotify. Ich bin, so scheint es, schon mittendrin im braunen Sumpf.
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Eigentlich schätze ich meinen Spotify-"Mix der Woche". Er versorgt mich jede Woche mit erstaunlich guter neuer Musik, die meistens genau meinem Geschmack entspricht. Aber wenn der Algorithmus mich so gut kennt, was wäre, wenn ich rechts wäre und das Programm auf der Suche nach Hassbands ausnutzen wollen würde? Könnte die Programmierung und der gigantische Katalog von Spotify dazu führen, dass sich Rechte so leicht wie nie mit fremdenfeindlichen Musikern vernetzen und identifizieren können, die politisch ganz weit am rechten Rand stehen? Schließlich sind deren Lieder Ausdruck ihrer ideologischen Überzeugung und ein Mittel, diese nach außen zu tragen.Wie viel Menschenfeindlichkeit toleriert Spotify? Und wie lange dauert es, bis mir der Algorithmus ein politisch höchst grenzwertiges Mixtape zusammenstellt? Das alles will ich herausfinden – und beschließe, ein Experiment zu machen.Ich beginne mit einem neuen Account, denn ich will die neuesten Rechtsrock-Veröffentlichungen nicht in meinem privaten Konto finden. Außerdem kann ich so sicherstellen, dass der Algorithmus nicht mein normales Nutzerverhalten gewohnt ist. Also lege ich ein neues Konto mit dem Namen "Stabiler Deutscher" an.Ich lenke den Musikgeschmack meines Accounts in eine bestimmte Richtung. Böhse Onkelz sind für mich die bekannteste Band, über deren Nähe zum rechten Rand diskutiert wird. Mit wenig Vorfreude starte ich die offizielle "This is Böhse Onkelz"-Playlist.
Das Set-up, mit dem ich versuche, ein Best-of-Rechtsrock-Mixtape zu generieren
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Über die "Was anderen Fans gefällt"-Funktion stoße ich auf weitere Bands, die Böhse Onkelz in irgendeiner Art ähnlich sind. Darunter sind Bands wie Frei.Wild, die zur sogenannten "neuen Deutschrockszene" gehören, oder Goitzsche Front, die zwar FCK-Nazis-Shirts tragen, aber Rechte unter ihren Fans haben sollen. In den Texten geht es um Heimatliebe und Abgrenzung, konservative Rollenbilder und Systemkritik. Doch ich bin mir nicht sicher – ist das jetzt schon Rechtsrock? Oder einfach nur Deutschrock?
So unterscheidet sich Rechtsrock von Grauzonen-Rock
"Rechtsrock ist ein Begriff, der extrem Rechten vorbehalten ist – oder bleiben sollte", sagt Thorsten Hindrichs. "Rechtsrock ist Musik von Nazis für Nazis."
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Es käme also immer darauf an, in welchem außermusikalischen Kontext die Künstler stünden, sagt Hindrichs. Es gibt Musiker, die in Grauzonen- und in Rechtsrock-Bands gleichzeitig spielen. So kann es sein, dass eine Band zwar nicht als Rechtsrock gilt, Musiker der Bands aber rechtsextrem sind.Ich helfe ein wenig nach, und suche bei Spotify direkt nach "Rechtsrock". Sofort finde ich eine Playlist. In dessen Titel: ein Hakenkreuz. Trotzdem macht fast keine Band in dieser Playlist Rechtsrock. Nach der Definition von Forscher Hindrichs sind die meisten Bands, die mit rechten Ideen spielen, aber keine rechtsextremen Inhalte liefern, entweder der Grauzone oder der neuen Deutschrockszene zuzuordnen. In der Liste finde ich sogar linke Bands wie Billy Talent oder Rise Against. Der Nutzer, der die Playlist erstellt hat, scheint selbst nicht genau zu wissen, was Rechtsrock tatsächlich ist.
So geht Spotify mit menschenverachtender Musik um
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Dennoch finde ich im deutschen Spotify die im amerikanischen Katalog gesperrte Band Kill Baby, Kill!, eine Oi!-Band aus Belgien. Zwar ist es ein instrumentales Album, aber Frontmann Dieter Samoy stand einmal vor einer Gefängnisstrafe, weil er einen Einwanderer aus Togo angegriffen hatte. Angetreten hat er die Strafe nie. Er nahm sich im Jahr 2010 das Leben.Eine Autorin des BR-Kanals puls hat schon 2018 rechte Bands bei Spotify gefunden. Einige Songs sind heute weiterhin im Katalog zu finden. Auch ich stolpere bei meiner Recherche darüber. Ein Song fällt mir besonders auf: "Das Lied der Deutschen". Hier singen der Interpret Sacha Korn und eine Backgroundsängerin gemeinsam die ersten Worte der ersten Strophen des sogenannten Deutschlandliedes, dessen dritte Strophe die deutsche Nationalhymne ist.
Sechs Stunden Deutschrock – Sacha Korn und die erste Strophe des Deutschland-Liedes
Verboten ist das nicht, verpönt dennoch. Seit die Nationalsozialisten die Worte adaptiert und instrumentalisiert haben, wird die erste Strophe des Liedes nicht mehr gesungen, sondern nur noch die dritte.Ist Sacha Korn rechtsextrem? Rechtsrockexperte Hindrichs ist davon überzeugt, der Verfassungsschutz Brandenburg listet zumindest ein Konzert, bei dem Korn aufgetreten ist, "als Veranstaltung der rechtsextremistischen Szene".Doch ich finde noch mehr. Da ist zum Beispiel die Band Nordwind, die von anderen Medien bereits als Rechtsrockband beschrieben wurde. In ihrem Song "Journalist" heißt es: "Du fängst und betrügst, zensierst und lügst oder schreibst einfach nur Mist. Du bist das Geschwür ganz unten, mein Freund, du bist Journalist". Es sind demokratiefeindliche Aussagen, die zum Hass gegen eine Gruppe anstacheln sollen.
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Oder Minnesang. Eine Band, die beim ersten Hören nach harmlosen Mittelaltergedudel klingt. Aber in ihrem Song "Deutschland im Herzen" heißt es:Sei gegrüßt, mein deutsches Land,
du schönstes Land vor allen
Dass kein fremder Fuß
betrete den heimischen GrundAuf dem Cover ihres Albums "Jungsturm der Neuzeit" spielen Minnesang außerdem mit Motiven des christlichen Kreuzzuges. Als Kreuzritter, der Europa vor der angeblichen Islamisierung schützt – so sah sich auch der Attentäter von Christchurch. Genau wie der Norweger Anders Breivik, der im Jahr 2011 in Oslo und Utøya 77 Menschen tötete.Auch Hass scheint ein beliebtes Thema bei den Bands in meiner Playlist zu sein. So heißt ein Album von Krawallbrüder Mehr Hass und eines von Wilde Jungs Hasspirin.
du schönstes Land vor allen
Dass kein fremder Fuß
betrete den heimischen GrundAuf dem Cover ihres Albums "Jungsturm der Neuzeit" spielen Minnesang außerdem mit Motiven des christlichen Kreuzzuges. Als Kreuzritter, der Europa vor der angeblichen Islamisierung schützt – so sah sich auch der Attentäter von Christchurch. Genau wie der Norweger Anders Breivik, der im Jahr 2011 in Oslo und Utøya 77 Menschen tötete.Auch Hass scheint ein beliebtes Thema bei den Bands in meiner Playlist zu sein. So heißt ein Album von Krawallbrüder Mehr Hass und eines von Wilde Jungs Hasspirin.
24 Stunden Grauzone, Deutschrock, Rechtsrock – die Bundeswehr will mich rekrutieren
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Nach einer Woche werde ich wahnsinnig
Spotify und die Meldefunktion
Also melde ich selber die neue Hakenkreuz-Playlist. Hierfür muss ich einige meiner persönlichen Daten angeben: meinen vollen Namen, meine Mailadresse und meine Telefonnummer. Das könnte einige Nutzer hindern, die Meldefunktion überhaupt zu benutzen.Pressesprecher Marcel Grobe erklärt mir, wie Spotify mit gemeldeten Playlisten umgeht. Sie kontaktieren private Nutzer, wenn sie gegen die Geschäftsbedingungen von Spotify verstoßen: "Wir fordern sie auf, das zu unterlassen, prüfen sie dann weiter und sperren sie gegebenenfalls. Solche Playlists, wie mit Nazi-Symboliken, löschen wir", sagt er. Spotify ist darauf angewiesen, dass die Nutzer solche Fälle aktiv melden. Zwar gebe es auch Musikredakteure im Unternehmen, denen hin und wieder solche Fälle auffallen, aber ein eigenes Team, das nach solchen Songs, Bands oder Playlists sucht, gibt es nicht. Missbräuche sollen eigentlich direkt erkannt werden, wenn Labels Musik liefern. "Es gibt einen klaren Mechanismus, den man nachlesen kann. Sollte das wiederholt ignoriert werden, können sie bei uns gegebenenfalls keine Musik mehr anliefern", sagt Marcel Grobe.
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Nach nur zwanzig Minuten ist der Name der Hakenkreuz-Playlist verschwunden. Spotify reagiert schnell. Der Nutzer, der die Playlist erstellt hat, wurde allerdings noch nicht gesperrt. Kurze Zeit später existiert auch die Liste wieder, nun unter dem Namen: "Rock und rechts mugge". Ohne Hakenkreuze – immerhin.
Auch bei VICE: Chaos in Chemnitz
Nachdem ich drei Wochen rockgewordene Heimatliebe ertragen habe, erscheinen auf der Spotify-Startseite meine eigenen personalisierten Mixtapes und mein Mix der Woche.Direkt in meinem ersten Mixtape finde ich eine Band, die von Experten als rechtsextrem gelistet ist. Ihr Name ist ein Begriff, der von Friedrich Nietzsche stammt und von den Nazis instrumentalisiert und geprägt wurde. Er sollte im Kontext des Nationalsozialismus die Überlegenheit der deutschen Rasse verdeutlichen: Übermensch. In ihrem Song "Heil dir!" grölen sie:Heil dir – meine geliebte Heimat!
Heil dir – mein geliebtes Land!
Heil dir – Wiege meines Lebens!
Nur mit dir kann ich bestehen
Auch bei VICE: Chaos in Chemnitz
Wie Spotify nach drei Wochen meinen Geschmack einschätzt
Heil dir – mein geliebtes Land!
Heil dir – Wiege meines Lebens!
Nur mit dir kann ich bestehen
Hinter Übermensch steckt der Musiker Frank Haack. Vor einem Jahr trat er als Übermensch neben Stahlgewitter und Die Lunikoff Verschwörung bei "Rock gegen Überfremdung" in Thüringen auf, schon 2017 soll er mit der Band Blutlinie bei dem Neonazi-Festival dabei gewesen. Auch Blutlinie finden Nutzer auf Spotify.Auf "Dein Mixtape 2" erscheint auch wieder Sacha Korn. Der schreibt übrigens auf seiner Homepage: "WIR SIND KEINE EXTREMISTEN – NEIN, WIR LIEBEN NUR UNSER LAND!" Ähnliche Aussagen hört man auch oft von den Bands aus der Grauzone. Ein Großteil der Songs in meiner Liste ist eine Art Best-of Grauzone, also ein Mix der Bands, die ich in den drei Wochen vorher gehört habe – nicht extrem genug, um auf dem Index zu landen, aber rechtspopulistisch genug, um in der Grauzone zu schwimmen. Viel solche Musik, finde ich auch in "Meinem Mix der Woche". Doch wie hat eigentlich Spotify die letzten drei Wochen diese personalisierten Song-Vorschläge zusammengetragen?
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So erstellt Spotify 'Dein Mix der Woche' und 'Dein Mixtape'
Spotify meidet eine politische Haltung zu rechter oder linker Musik: "Bei Links-oder Rechtsrock sehen wir uns erstmal als Plattform, die alle Inhalte anbietet, die legal verfügbar sind. Alles, was als illegaler Inhalt definiert wird, wird gelöscht", sagt Spotify-Sprecher Grobe.Gegenüber VICE haben sich große Streaming-Anbieter wie Apple bereits dazu geäußert, wie sie mit rechter Musik umgehen. An den Index der BPjM müssen sich alle Anbieter in Deutschland halten. In den Guidelines von Apple wird sogar eindeutig von "Nazi-Propaganda" gesprochen. Hiermit ist klare Nazi-Symbolik gemeint. Eine Meldefunktion haben auch sie nicht. Grauzonen-Bands finden sich aber auch auf Apple Music.Durch die Instanz der BPjM ist sichergestellt, dass keine rechtsextremen Inhalte auf Spotify landen. Würde es die BPjM nicht geben, sehe das vielleicht anders aus. Dennoch bietet Spotify den vielen Grauzonen-Bands und ihren rechtspopulistischen Inhalten eine Plattform. Und die Musik von Blutlinie und Übermensch zeigt: Auch Neonazis schaffen es auf Spotify.Folge Jesse auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.