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Hatespeech ist nicht, wenn Journalisten mit Kritikern skypen

Mit der Aktion “Sag’s mir ins Gesicht” wollte die Tagesschau für das Thema Hass im Netz sensibilisieren. Es mangelte nur an richtigen Trollen.
Illustration: imago | Ikon Images

Die Tagesschau startete diese Woche eine ungewöhnliche Aktion zum Thema Hatespeech: Unter dem Motto Sag's mir ins Gesicht - für eine bessere Diskussionskultur im Netz stellten sich drei Journalist_innen ihren Zuschauern. Per Skype konnten sich Menschen einwählen und in einer Liveübertragung auf Facebook dem Tagesschau-Team ihre Meinung sagen. Ein Redaktionsteam prüfte lediglich die Verbindungsqualität und ob die Anrufer tatsächlich unvermummt vor der Webcam saßen.

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Laut Anna-Mareike Krause, Teamleiterin Social Media bei der Tagesschau, wollte man mit der Aktion drei Ziele erreichen: Sich gegen Hatespeech positionieren, ein Statement setzen und schlussendlich vor allem die Menschen erreichen, die nur eine diffuse Vorstellung von Hatespeech haben. Die klare inhaltliche Positionierung ist dabei unüblich für die Tagesschau, so Krause weiter, hier jedoch etwas, das der Redaktion selbst wichtig gewesen sei. Sich ganz bewusst potenziellen Hasskommentaren zu stellen, ist bewundernswert – schließlich bekommt man sie auch so schon regelmäßig ungefragt in seinen Posteingang gespült.

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Ob ein konstruktiver Dialog mit Menschen, die einen unter dem Deckmantel der Anonymität bis aufs Blut beschimpfen,überhaupt möglich ist, blieb allerdings auch nach der Tagesschau-Aktion unbeantwortet.

Bei der ersten Übertragung wartete Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke nämlich "vergeblich" vor laufender Kamera auf genau diese Personen. Die über 100 Anrufer wollten lieber über Inhalte diskutieren, als zu beleidigen. Bei den beiden teilnehmenden Journalistinnen bot sich ein ähnliches Bild.

"Hater und Trolle üben keine konstruktive Kritik. Ihnen ist nicht der Meinungsaustausch oder die Diskussion wichtig, es geht nur um Beleidigungen."

Zwar erklärte ein Anrufer Anja Reschke am zweiten Abend, sie solle doch nicht so verspannt sein, wenn jemand sie "Fotze" nenne. Ein weiterer Anrufer fragt am nächsten Tag Isabel Schayani, was denn die Aufregung solle, wenn sie jemand rassistisch beleidigt. Der Rest der Anrufer blieb allerdings größtenteils höflich bis freundlich und bedankte sich sogar mehrmals für die Möglichkeit, live sprechen zu können. Hatte man Hasskommentatoren also dadurch erfolgreich ausgehebelt, dass man ihnen mittels Webcam gegenübersaß und an einer ergebnisoffenen Diskussion interessiert war?

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Für Journalistin Kathrin Weßling ist es nicht überraschend, dass die Konfrontation so zivilisiert ablief. "Ich glaube, die wahren Trolle, die wirklichen Hater, sind nirgendwo zu Wort gekommen, weil das gar nicht das ist, was sie wollen." Die Kommentare in den Sendungen seien das Gegenteil von Trolling und Hatespeech gewesen, so Weßling weiter. Sie hat als Social-Media-Redakteurin bereits Spiegel Online und Stern.de betreut und kennt toxische Internetdiskussionskultur aus erster Hand.
Ähnlich äußert sich Ninia LaGrande. Die Moderatorin und Autorin engagiert sich seit Jahren im Netz für Feminismus und Leben mit Behinderung und sieht das Format der Tagesschau kritisch. "Hater und Trolle üben keine konstruktive Kritik. Ihnen ist nicht der Meinungsaustausch oder die Diskussion wichtig, es geht nur um Beleidigungen, Erniedrigung und Machtausübung." Nicht gerade die Personen, die man bei Sag's mir ins Gesicht beobachten konnte.

Dabei seien in mindestens zwei Fällen Anrufer dabei gewesen, die sonst "schon mal ordentlich zulangen und sich im Ton vergreifen", so Social-Media-Expertin Krause. Sie kennt ihre Community, schließlich arbeitet sie seit zweieinhalb Jahren daran, konstruktive User zu stärken und Hater zu bremsen. "Normalerweise wird jede Beleidigung und Bedrohung an unsere Rechtsabteilung übergeben", erklärt sie weiter, "doch bei dieser Aktion wollten wir der Community explizit die Chance geben, sich frei zu äußern."

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Bringt das Format denn dann eigentlich etwas, wenn alle nur nett Kritik üben, wo es eigentlich um Hatespeech gehen soll? Schon allein das Grundprinzip, dass sich toxisch verhaltende Menschen eine Bühne bekommen sollen, stört Blogger Ali Schwarzer. Er ist Betreiber des Blogs Trollbar und schreibt seit mehreren Jahren über Rassismus in Deutschland. "Als hätten Trolle und Hater nicht schon genug Raum, bekommen sie jetzt auch noch ein weiteres Podium. Trolle sind doch überhaupt nicht auf einen Diskurs aus." Statt Artikel und Videobeiträge, in denen Hasskommentatoren zu Hause besucht oder von ihrer menschlichen Seite porträtiert werden, wünscht er sich mehr journalistische Stücke über die privaten Opfer von Hatespeech. Ein Aspekt, der ihm bei Sag's mir ins Gesicht fehlt.

Privatpersonen bekommen in den seltensten Fällen die Möglichkeit, in einem sicheren, redaktionell moderierten Umfeld mit ihren Trollen zu diskutieren. "Die haben ein professionelles Social-Media-Team und eine Redaktion im Rücken", sagt LaGrande über die teilnehmenden Journalist_innen, "das haben sehr viele andere nicht."

"Ach, das ist doch der Thomas. Eigentlich ist das ein ganz Netter."

Für die Redaktion der Tagesschau war genau das allerdings auch der Grund, der sie davon abhielt, statt den Tätern die Opfer sprechen zu lassen. "Private Opfer können von uns nur schwer geschützt werden vor dem, was danach über sie hereinbricht. Das geht auf Facebook schließlich potenziell an über eine Millionen Leute raus", erklärt Krause auf Nachfrage. Deshalb habe man sich dagegen entschieden, Opfer live zu interviewen. Zudem versuche man mit weiteren redaktionellen Beiträgen und Interviews den Zuschauern möglichst viele Zusatzinformationen zu bieten, zu denen auch Einordnungen von Experten und Erfahrungsberichte von Opfern gehören.

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Schwarzer würde sich darüber hinaus für die Zukunft wünschen, dass "privilegierte Menschen reflektieren würden, wie gut sie es damit haben, eben nicht andauernd angegriffen zu werden." LaGrande zählt neben Gesprächen mit Betroffenen auch Möglichkeiten der Bewältigung, juristische Einschätzungen und das Nahebringen von Offline-Folgen von Hatespeech als weitere mögliche Themen auf.

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Auch Gespräche mit Unternehmen wie Facebook oder Twitter seien wichtig: "Es passiert dort immer noch viel zu wenig, wenn Hatespeech gemeldet wird." Medien wie die Tagesschau könnten hier besonders gut Druck ausüben, damit Gesetzgebung und soziale Netzwerke hinterher kämen. Viel Potenzial für die Zukunft also, mit dem Thema umzugehen. In jedem Fall ist es bedeutend, dass eine große Redaktion geschlossen Stellung zu einem so brisanten Thema bezieht.

Die Tagesschau selbst äußert sich auf Anfrage von Broadly erst einmal zufrieden mit dem Verlauf des Experiments, eine Fortsetzung sei aktuell aber nicht geplant.

Schwarzer mahnt abschließend, sich nicht von dem freundlichen Auftreten der Anrufer beeindrucken zu lassen: "Mit Trollen und Hatern ist es wie mit Rassisten sonst auch: 'Ach, das ist doch der Thomas. Eigentlich ist das ein ganz Netter.'"

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