Vergessene Superheldinnen: Warum wir mehr Frauendenkmäler brauchen
Erka mit einer ihrer Statuen | Foto bereitgestellt von Fine Acts

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Kunst

Vergessene Superheldinnen: Warum wir mehr Frauendenkmäler brauchen

Weil es in Sofia keine einzige Frauenstatue gibt, produzierte die bulgarische Künstlerin Erka eben selbst welche – und stieß damit nicht überall auf Gegenliebe. Wir haben mit den Frauen hinter der Aktion gesprochen.

Als in New York Ende Anfang des Jahres die Statue eines kleinen Mädchens an der Wall Street aufgestellt wurde, feierten viele Medien das "Fearless Girl" als Symbol. Mit trotzig in die Hüften gestemmten Armen starrte die Kinderfigur dem "Charging Bull" entgegen, dem aggressiven Stier, der stellvertretend für die (vornehmlich männlich) belegten Tugenden steht, die im amerikanischen Finanzsektor gefragt sind: Durchsetzungskraft, Entschlossenheit, harte Arbeit. Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beschloss man 2005, dass öffentliche Straßen und Plätze bei Neu- und Umbenennungen Frauennamen tragen sollten, bis das Verhältnis zwischen Männer- und Frauennamen ausgeglichen sei. Eine Entscheidung, die auch Jahre später noch für Spott sorgte.

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In Sofia steht kein einziges Frauendenkmal. Die historischen Errungenschaften bulgarischer Frauen sind nicht sichtbar. Ein Umstand, der die Künstlerin Irina Tomova aka "Erka" wütend macht. Für ihre Aktion "Monument #1" modellierte sie Büsten von sich selbst und verteilte sie am frühen Morgen des 22. März in der ganzen Stadt. Die Aktion – unterstützt von der Kunstorganisation Fine Acts – schlägt international Wellen, wirft aber auch die Frage auf: Sind Statuen im 21. Jahrhundert nicht längst ein Auslaufmodell? Nein, sagen Erka und Fine Acts-Direktorin Yana Buhrer Tavanier. Wir haben mit ihnen über Kritik an ihrem Projekt, dem Wunsch nach mehr Sichtbarkeit und der Kraft von Kunst gesprochen.

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Broadly: Ihr habt das Projekt gestartet, weil es keine Frauendenkmale in Sofia gibt. Warum ist das so? Würdet ihr die bulgarische Gesellschaft generell als diskriminierend gegenüber Frauen bezeichnen?
Yana: Gucken wir uns doch mal ein paar Zahlen an. Eine von vier bulgarischen Frauen wurde bereits Opfer von physischer oder sexualisierter Gewalt. Im Schnitt verdienen Frauen hier 14,7 Prozent weniger als Männer (wobei der Durchschnitt in der EU insgesamt bei 16 Prozent liegt). Laut einer aktuellen, landesweiten und repräsentativen Studie glauben 19 Prozent der bulgarischen Bevölkerung, dass die Frau dem Mann gehorchen sollte. Fünf Prozent glauben, dass es OK ist, wenn der Mann die Frau schlägt und fast 50 Prozent sind überzeugt, dass "Männer Geld verdienen und Frauen sich um Haushalt und Familie kümmern" sollten. In Bulgarien existiert tiefgreifende, aggressive, gewalttätige Frauenfeindlichkeit direkt neben steigendem Alltagssexismus.

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Erka: Es herrscht auch viel Ignoranz. Manche Leute glauben wirklich, dass es keine nennenswerten Errungenschaften gibt, die Frauen in der Vergangenheit geleistet haben. Weil sie von diesen Frauen noch nie im Unterricht gehört haben, weil ihre Arbeit vergessen wurde und weil ihnen kein Denkmal errichtet wurde.

Wenn es in einer Stadt kein einziges Frauendenkmal gibt, ist es dann nicht die ultimative politische Handlung, Statuen aufzustellen, um Frauen zu ehren?

Wie waren die Reaktionen bisher? Habt ihr das Gefühl, dass die Leute eure Intention verstehen?
Yana: Überwältigend positiv. Die Leute haben nicht nur verstanden, worum es uns geht, sondern bemühen sich auch aktiv darum, mitzuhelfen. Hunderte Frauen und Männer haben bereits eine Petition des Bulgarian Helsinki Committee (BHC) unterzeichnet, nach der eine Strategie entwickelt werden soll, wie man historisch wichtige Frauen im öffentlichen Raum würdigt. Leute aus anderen Städten – und sogar aus anderen Ländern, weil das nicht nur ein bulgarisches Problem ist – haben gesagt, dass sie ähnliche Aktionen organisieren wollen.

Natürlich gab es auch hier wieder den Versuch, zu mansplainen, dass das "eigentlich gar kein Problem" ist (Klar, für dich als Typ nicht.) oder dass es "wichtigere Dinge gibt, auf die man sich konzentrieren sollte" (Anscheinend gibt es eine Aktivismus-Liste, die man abarbeiten muss?). Die Organisationen hinter der Kampagne beschäftigen sich mit einer großen Bandbreite an Problemen, was Menschenrechte angeht – und diese Sache ist eines davon.

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Erka: Jemand hat mir in einem Facebook-Kommentar mitgeteilt, dass er mich gerne treffen würde, damit er mich persönlich beschimpfen kann. Ein paar haben sich über den Fakt aufgeregt, dass die Büsten mich zeigen. Größtenteils war die Reaktion aber sehr, sehr positiv. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass Frauen im öffentlichen Raum nicht stattfinden, und man kann denke ich sagen, dass wir erfolgreich waren.

Yana Buhrer Tavanier | Foto bereitgestellt von Fine Acts

Es ging kürzlich durch die Medien, dass ein Typ sich für ein Foto an der „Fearless Girl"-Statue in New York gerieben hat. Gab es ähnliche Aktionen bei den Statuen in Sofia?
Yana: Nicht, dass wir wüssten. Was wir allerdings wissen, ist, dass es da draußen furchtlose Mädchen gibt, die sich jeden Tag gegen verabscheuungswürdige "Bros" wehren, die ihnen ihre Rechte wegnehmen wollen.

Erka: Die Tatsache, dass es sich um eine Pop-up-Installation gehandelt hat, hat sie wahrscheinlich vor Vandalismus bewahrt. Wenn sie länger gestanden hätten, wären sie wahrscheinlich kaputt gemacht oder geklaut worden.

Jonathan Jones hat im Guardian geschrieben, dass Denkmäler von Frauen gar nichts verändern, dass es wichtiger sei, dass Frauen politisch handeln. Was antwortet ihr darauf?
Yana: Ich wusste nicht, dass Feminismus eine Entweder-Oder-Situation ist. Da wurde ich wohl eines Besseren belehrt … Aber mal ernsthaft: Warum braucht Feminismus nicht beides – Denkmäler und politisches Handeln? Wenn es in einer Stadt kein einziges Frauendenkmal gibt, ist es dann nicht die ultimative politische Handlung, Statuen aufzustellen, um Frauen zu ehren?

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Ich vermisse nicht nur Frauen im öffentlichen Raum, ich vermisse auch Kunst.

Erka: Das stimmt. Unabhängig davon verstehe ich aber das Argument zu verbleichenden Bronzestatuen, die im Hintergrund verschwinden. Ich glaube, dass Frauen geehrt werden sollten, vor allem anderen sollte man sich aber an sie erinnern. Denkmäler, die man ihnen zu Ehren baut, sollten das wiederspiegeln. Außerdem gibt es mehr als eine Möglichkeit, um historisch bedeutungsvollen Frauen zu gedenken.

Was wäre ein anderer kreativer Weg, um Frauen sichtbar zu machen?
Yana: Jede Aktion, mit der man das Schweigen bricht, ist laut genug. Ich glaube außerdem an die Macht von Kunst als transformatives Werkzeug der Beteiligung und des sozialen Wandels. Fine Acts, die Organisation, die ich leite, bringt Menschenrechtsaktivisten und Künstler zusammen, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten. In einer postfaktischen Welt, kann Kunst die wertvollste Währung bereitstellen: Emotion.

Glaubt ihr, dass man in Schulen bewusst einen Fokus darauf legen sollte, wie Frauen die Geschichte der Menschheit beeinflusst haben?
Erka: Die Errungenschaften von Frauen in der Wissenschaft, der Politik oder der Kunst werden schmerzlich übersehen. Sei es in den Schulen, im öffentlichen Raum oder in der Kultur. Das BHC hat eine umfangreiche Studie über nennenswerte Frauen in der Geschichte in Auftrag gegeben und sich dabei intensiv durch Archive und akademische Publikationen gearbeitet. Als eine Art ersten Schritt haben sie dann einen Wikipedia Edit-a-thon veranstaltet, bei dem 30 Freiwillige für einen Tag zusammengekommen sind, um Artikel über historisch wichtige Frauen aus Bulgarien zu schreiben und zu veröffentlichen.

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Welche Frauen würdet ihr gerne mit einem Denkmal geehrt sehen?
Yana: Ganz unabhängig von Denkmälern gibt es nicht einmal Erinnerungstafeln für die wichtigen Errungenschaften der Frauenrechtsbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Es gibt unglaubliche Frauen, die dafür gekämpft haben, dass Frauen studieren und wählen dürfen – Dimitrana Ivanova und Anna Karima beispielsweise. Ich möchte, dass die Errungenschaften dieser Superheldinnen gefeiert werden.

Erka: Viele Frauen verdienen es, mit einem Denkmal geehrt zu werden. Victoria Angelova, die erste Bulgarin, die einen Architekturwettbewerb gewonnen hat, ist meine Favoritin. Ich würde mich freuen, wenn das erste Frauendenkmal in Sofia keine langweilige Steinstatue wäre, sondern eine Form, eine Farbe. Ich hoffe, dass es die Stadt verändert, dass es modern ist. Ich vermisse nicht nur Frauen im öffentlichen Raum, ich vermisse auch Kunst.

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Titelfoto: Erka mit einer ihrer Statuen | Foto bereitgestellt von Fine Acts