FYI.

This story is over 5 years old.

Kultur

Die Untergrund-Ballerinas des Iran

Zwar wird Tanzen im nahöstlichen Staat als illegal angesehen, aber das hält abtrünnige Ballettlehrerinnen und -tänzerinnen nicht davon ab, insgeheim Kurse zu veranstalten.
Photo by Amanda Large via Stocksy

Ich lernte Ada* bei einer Dachparty in Amsterdam kennen. Wir beide hatten ein Auge auf den Snack-Tisch geworfen und wir wollten beide unsere Plätze nicht aufgeben, von denen aus wir sowohl Pommes naschen konnten als auch einen prächtigen Ausblick über die Stadt und auf die in Kanäle fallende Touristen hatten. Und so kamen wir ins Gespräch. Die Web-Entwicklerin erzählte mir davon, wie sie sich als Teenagerin mit derMoralpolizei von Teheran auseinandersetzen musste. Einmal ist sie dabei in der Hoffnung, die Beamten abschütteln zu können, in einen Laden gerannt—nur um dann festzustellen, dass die Männer ihr gefolgt sind.

Anzeige

„Sie haben immer unseren Nagellack kontrolliert, um sicherzugehen, dass die Farbe nicht zu grell oder zu verführerisch daherkommt", lachte sie. „Aber natürlich hatten die alle unterschiedliche Vorstellungen davon, was Männer anmacht und was nicht. Deshalb war es immer nur schwer einzuschätzen, wie sie reagieren würden. Ich wusste jedoch, dass sie Pink auf jeden Fall hassen und bin deswegen in das Geschäft gerannt. Der Besitzer erblickte mich und öffnete mir daraufhin direkt die Hintertür, durch die ich in eine Seitengasse gelangte und entkommen konnte. Der Polizei erzählte er derweilen, dass er mich nicht gesehen hätte."

„Das klingt wie eine Szene aus der Résistance", antwortete ich ihr.

„Das war ja auch Widerstand! Wir trugen Handschuhe, um unsere Fingernägel zu verstecken, und wandten auch sonst alle möglichen Tricks an, um so viel Make-up wie nur möglich auftragen zu können. So weit ist es mit unserer Regierung schon gekommen. Sie lässt in uns das Gefühl aufkommen, dass Nagellack etwas total Rebellisches ist. Sie lässt uns auf solche Dinge achten, damit wir nicht mehr die Energie haben, um für die große Sache zu kämpfen."

Sechs Monate nach unserer Unterhaltung bekam ich eine E-Mail aus Teheran. Ada hatte nach jahrelanger Pause wieder an einer Ballettstunde teilgenommen und schwebte deswegen auf Wolke sieben. Sie erzählte mir davon, wie sie die Lokalzeitungen insgeheim nach den „richtigen Anzeigen" durchforstete, Online-Foren abklapperte, mysteriöse Nummern anrief, Freunde als Referenzen angab und endlich in den geheimen Kurs aufgenommen wurde.

Anzeige

Tanzen ist im Iran verboten. Vor der Islamischen Revolution im Jahr 1979 pumpte das Land noch viel Geld in verschiedene Künste—und dabei vor allem in Tanzkurse, bei denen man Elemente traditioneller Tänze mit westlichen Disziplinen wie eben dem Ballett verband. Nachdem die Regierung jedoch gestürzt worden war, erklärte man das Tanzen zur Sünde. Das iranische Nationalballett wurde noch im gleichen Jahr aufgelöst, nachdem alle ausländischen Tänzer und Tänzerinnen die Flucht ergriffen hatten.

Ihre iranischen Kollegen hatten drei Optionen: ihr Lebenswerk aufgeben und ihr Geld auf andere Art und Weise verdienen, den Iran verlassen und ihr Unternehmen irgendwo anders wieder aufziehen (Les Ballets Persans sitzt derzeit in Stockholm) oder im Iran bleiben und mithilfe einer Mischung aus List, Schmiergeld und Trotz einfach weitertanzen.

Der Schuhhaufen beim geheimen Ballettkurs | Foto: bereitgestellt von Ada

Ada war 20, als sie bei ihrem ersten Ballettkurs mitmachte. Inzwischen ist sie 28. „Ich bin nicht wirklich risikofreudig und ich war während meines Studiums auch nie auf irgendwelchen illegalen Partys", meint sie. „Tanzkurse schienen mir jedoch das Risiko wert zu sein." Das Verbot beschränkt sich jedoch nicht nur aufs Tanzen—jegliche Musik, die den Körper plötzlich in Bewegung versetzt, wird als Sünde angesehen. „Alles ist in Ordnung, wenn es einem kein Vergnügen bereitet", erklärt mir Ada. „Sobald dir Tanzen oder irgendeine Bewegung jedoch Spaß macht, ist es eine Sünde."

Anzeige

Da ich aus einer englischen Stadt stamme, in der Kinder schon im Alter von drei Jahren pinke Tutus anziehen und zu Tschaikowski Ballett tanzen, kann ich mir das Ganze nur schwer als eine risikobehaftete oder illegale Aktivität vorstellen. Während ich meine Mutter damals anflehte, rote anstatt rosa Ballettschuhe tragen zu dürfen, musste Ada vor ihren Eltern ein Geheimnis aus den Tanzkursen machen, denn sie hätten sie davon abgehalten, weiter dorthin zu gehen. Die Polizei hat die Kurse immer wieder aufgelöst—vor allem dann, wenn die Lehrer nicht genügend Schmiergeld gezahlt hatten. Eine Verhaftung hätte für Ada eine Gefängnisstrafe oder eine Exmatrikulation zur Folge haben können.

Es ist jederzeit möglich, dass die Polizei vorbeikommt und uns alle verhaftet.

Heutzutage werden die Kurse in verlassenen Krankenhäusern, Bürogebäuden oder im Stillen direkt beim Kursleiter zu Hause abgehalten. Oftmals ist es auch so, dass die Lehrer den Takt direkt vorzählen und gar nicht erst Musik abspielen, um die Nachbarn nicht auf den Plan zu rufen.

Azar, eine von Adas ehemaligen Ballettlehrerinnen, erzählt mir vom ständigen Risiko einer Razzia. „Es ist jederzeit möglich, dass die Polizei vorbeikommt und uns alle verhaftet", meint sie. „Ich sage meinen Schülern ständig, dass ich für ihre Sicherheit nicht garantieren kann. Ich versuche jedoch immer, so vorsichtig wie möglich zu sein. Ich nehme zum Beispiel nur Schüler auf, die mir von anderen Schülern empfohlen wurden. Mir ist es nicht so wichtig, meine Kurse auf Biegen und Brechen durch Werbung vollzukriegen. Es gibt aber auch andere Lehrer, die ihre Visitenkarten direkt auf der Straße verteilen."

Anzeige

Ali Chamene'i direkt unterstellt waren. Dabei wurde sie eingeladen, bei irgendwelchen internationalen Veranstaltungen oder in den Botschaften anderer Länder iranische Folklore-Tänze aufzuführen. Trotz der guten Bezahlung hat sie jedoch nie eingewilligt." Letztendlich ist Yassis Mentorin aus dem Iran ausgewandert, um woanders als Tanzlehrerin zu arbeiten. So kam es auch, dass Yassi ihre Klassen übernahm und auf keinen Fall irgendwelche verlockenden Angebote vom Regime für öffentliche Tanzauftritte annehmen wird.

Zwar hat die Revolution von 1979 die Karriere vieler Tänzer beendet, aber sie hat für manche Leute auch neue Türen geöffnet. Zu diesen Leuten gehört Nassrin, eine junge Tänzerin, die fast zufällig zu einer der wenigen Tanzschuh-Hersteller von Teheran geworden ist. Vor der Revolution konnten die Tänzer ihre Schuhe noch in verschiedenen Läden kaufen und dabei zwischen günstigen Einsteiger- und qualitativ hochwertigen Profi-Schuhen auswählen. 35 Jahre später sind die meisten von Teherans Tanzschuh-Herstellern aber entweder weggezogen, gestorben oder haben aufgegeben. Nassrin macht mithilfe von Instagram auf ihre Produkte aufmerksam und hat den Risiken gegenüber eine ziemlich philosophische Einstellung: „Ich stelle doch nur Schuhe her. Das können sie mir nicht verbieten." „Ich lade Fotos der Schuhe bei Instagram hoch. Mein Publikum ist sehr speziell und die meisten Leute haben sowieso keine Ahnung von der Materie. Als einige meiner Freunde meine Schuhe sahen, meinten sie zum Beispiel, dass sie diese niemals als Tanzschuhe erkannt hätten."

Anzeige

Nassrins Einstellung spiegelt die derzeitige Entwicklung in Teherans Tanzszene ziemlich gut wider. Als Ada zum ersten Mal Ballettkurse besuchte, waren die Teilnehmer noch sehr besorgt darüber, verhaftet zu werden. Jetzt erzählt sie mir allerdings davon, wie man mit der Polizei quasi zu einer Einigung gekommen ist: „Die Regierung sagt zwar immer noch, dass Tanzen eine Sünde ist und man es deshalb nicht machen darf. Wenn man jedoch Schmiergelder zahlt, dann kann man—zumindest im Geheimen—tanzen."

Tänzer müssen ihre Kurse immer noch vor ihren Familien geheim halten, Lehrer müssen den Takt immer noch selbst vorzählen und Schuh-Hersteller gibt es immer noch nur selten. Die Möglichkeiten, in der Öffentlichkeit zu tanzen, kommen inzwischen jedoch immer häufiger vor—auch wenn es für Frauen weiterhin illegal ist, vor Männern zu tanzen (die einzigen Zuschauer dürfen andere Frauen sein).

Yassi erklärt mir, wie sich die Dinge mit der Wahl von Staatspräsident Hassan Rohani im Jahr 2013 geändert haben: „Es gibt jetzt viel mehr Möglichkeiten, irgendwo aufzutreten, aber dafür verlangen sie viel Geld. Wir müssen für jeden Auftritt tief in die Tasche greifen. So kostet uns jede Performance ungefähr 200 Millionen Rial [umgerechnet gut 6100 Euro]."

So wurde ein inoffizieller Kompromiss erreicht, nachdem sich fundamentale Moslems und liberaler eingestellte Iraner jahrzehntelang im Streit befanden: Leg die Kohle auf den Tisch, dann darfst du auch tanzen. Nach ihrer Rückkehr aus Teheran berichtet mir Ada davon, wie richtiger Fortschritt aber leider nur langsam vonstatten geht.

„Dieses neue Tanz-gegen-Geld-Schema ist für die iranischen Tänzer zumindest schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, aber das Regime profitiert immer noch davon, dass keine klaren Grenzen zwischen legalem und illegalem Handeln gezogen sind", erklärt sie mir. „Das macht es schwerer, ihre Entscheidungen anzufechten, und die Mehrheit der Bevölkerung ist so im Leben sogar noch weiter eingeschränkt, weil niemand irgendein Risiko eingehen will. Unklarheit und Angst sind die einfachsten Mittel, um Menschen unter Kontrolle zu halten."

Die Vorstellung davon, dass ein Raum voller Siebenjähriger, die verbissen ihre Ballettschritte üben, eine Sünde darstellt, hat schon etwas Groteskes an sich. Bis das jedoch auch von der iranischen Regierung eingesehen wird, müssen Ada und ihre Tanzkolleginnen auch weiterhin jeden noch so kleinen öffentlichen Auftritt als einen Triumph im Kampf um das Fortführen der Ballettkunst im Iran ansehen.


*Alle Namen geänder