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Verhütung

Warum haben so viele Männer Angst vor einer Vasektomie?

Das Bild des stetig „potenten“ Mannes hält sich auch heute noch hartnäckig. Scheuen sich deswegen so viele davor, eine Vasektomie machen zu lassen oder ist die Angst vor der vermeintlichen „Kastration“ begründet?
Foto: justine-reyes | flickr | CC BY 2.0

Angst vor Potenzversagen, Verlust der Libido oder die Annahme, kastriert zu werden—immer noch gibt es in der männlichen Bevölkerung einige Vorbehalte gegenüber der Vasektomie. Während langfristige Verhütungsmethoden für den Mann im Allgemeinen einen schweren Stand haben, scheint die Durchtrennung des Samenleiter für viele die ultimative Horrorvorstellung zu sein. Selbst dann, wenn kein Kinderwunsch besteht oder die Familienplanung als solche schon abgeschlossen ist. Aber warum eigentlich?

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Laut einer Studie der WHO ist die Verhütung mittels Vasektomie ebenso zuverlässig oder sogar besser als Pille oder Spirale. Auch wenn keine brandaktuellen Zahlen vorliegen, lassen sich aus älteren Unterlagen gut Trends ablesen: Vorreiter der modernen Vasektomie waren die USA, wo sich diese Methode in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg etablierte und dann nach und nach auch in Europa populär wurde. Hier wie dort beträgt der Anteil der sterilisierten Männer in der Bevölkerung etwa 11 Prozent, Ausreißer nach oben ist mit 23 Prozent Neuseeland, während die bevölkerungsreichsten Länder der Welt—Indien und China—auf ca. 8 Prozent kommen. Eine deutsche Studie von 2006 gibt das durchschnittliche Alter bei der Vasektomie mit 36,3 Jahren an, die deutlichste Häufung findet man grundsätzlich bei Männern in den Dreißigern. Rund 25 Prozent der Befragten gaben an, bei der Entscheidung zu dem Eingriff maßgeblich von ihrer Partnerin beeinflusst worden zu sein.

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Als vor 14 Jahren meine zweite Tochter zur Welt kam und alles darauf hindeutete, dass diese vierköpfige Familie auch ohne Trauschein genau das ist, was meine Partnerin und ich uns auch in 20 Jahren noch vorstellen können, überlegten wir uns, wie wir von nun an am besten verhüten. Recht schnell stand für uns fest, dass eine Vasektomie bei mir die beste Option wäre. Nach kurzer Suche in diversen Ärzteverzeichnissen fand ich einen Urologen, der nach dem Erstgespräch meine persönliche Situation (Ü30, zwei Kinder) als a) reif genug und b) ausreichend vermehrt einschätzte und mit mir einen Termin vereinbarte. Ein wenig Überwindung, damals etwa 500 Euro, ein paar Stunden andauernde Schmerzen sowie eine kurze Verzichtsphase später konnten wir unbesorgt miteinander schlafen.

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Wie ist das denn aber nun mit der Mähr vom ängstlichen Macho, der um seine Potenz fürchtet? Und ist der Eingriff wirklich unumkehrbar? Ich habe mich mit Prof. Dr. Thomas Michael Treu, Facharzt für Urologie und Andrologie in Wien und führender Vasektomie-Experte in Österreich, getroffen, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Broadly: Meine Vasektomie ist nun schon über 12 Jahre her. Wie hat sich in den letzten Jahren der medizinische Fortschritt bei der Vasektomie bemerkbar gemacht?
Dr. Treu: Im Prinzip sind Techniken und Methoden seit gut 25 Jahren unverändert, da sie sich schlichtweg bewährt haben. Es gibt lediglich Auffassungsunterschiede, wie viele spezielle Schritte zur Gewährleistung der erfolgreichen Sterilisation nötig sind, aber das ist nicht wirklich relevant. Ganz früher hat man unter Vollnarkose nur die Samenleiter durchtrennt und abgebunden, heute trennt man, entfernt einen Teil dazwischen, bindet ab, verödet und legt schließlich noch eine Schicht körpereigenes Bindegewebe als Barriere zwischen die Enden. Und das ambulant bei lokaler Betäubung.

Die skalpellfreie Methode ist dabei am populärsten, habe ich gehört.
Ja, denn das Vermeiden von Nähten und Blutungen ist immer zu bevorzugen. Wobei diese Methode [Anm. d. Red.: bei der eine Lücke in der Haut aufgespreizt] eigentlich für Massensterilisationen entwickelt wurde, damit es schnell geht.

Spezifische Risiken bei der Vasektomie gibt es keine.

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Was meinen Sie mit Massensterilisationen?
In Entwicklungs- und Schwellenländern, die mit Überbevölkerung und gleichzeitig einem Mangel an Verhütungsmitteln zu kämpfen haben, werden Vasektomien oft staatlich und gratis angeboten. Aufgrund der oft schwierigen Infrastruktur und Menge an Männern macht es dann schon einen Unterschied, ob der Eingriff 10 oder 30 Minuten dauert. Und das Risiko von Infektionen ist ebenfalls geringer.

Risiken sind ein Punkt, der ja für viel Verunsicherung sorgt. Welche gibt es?
Keine anderen als bei jedem anderen ambulanten Eingriff auch: Infektionen wegen mangelnder Hygiene, Blutungen wegen Überanstrengung oder blutverdünnender Mittel. Also nichts, was einem nicht auch bei der Entfernung einer Warze auch passieren könnte. Spezifische Risiken bei der Vasektomie gibt es keine.

Wie läuft die Vasektomie in der Praxis ab?
Zuerst findet natürlich ein zirka 45-minütiges Gespräch statt, in dem ich den Mann—und oft auch die Partnerin—über alle Details aufkläre. Übrigens gibt es speziell in Österreich eine gesetzliche Regelung, die eine Sterilisation erst ab dem 25. Lebensjahr erlaubt. Der eigentliche Termin läuft dann relativ unspektakulär ab. Der Mann sollte sich am Tag vor der Operation den Genitalbereich gründlich rasieren und am Tag der Vasektomie selbst etwas leichtes essen, duschen und mit einer eng sitzenden Unterhose kommen. Boxershorts sind nicht geeignet, da sie den gereizten Hoden nach dem Eingriff keinen Halt bieten. Nach etwa einer halben Stunde ist der Eingriff unter lokaler Betäubung vorbei und man kann nach Hause gehen.

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Was hat es mit der Unterhose auf sich? Heißt das, die Hoden haben nun keinen Halt mehr?
Eine Frage, die manchmal auftaucht. Aber die Hoden sind ja nicht an den zu durchtrennenden Samenleitern aufgehängt, sondern am Hodenhebermuskel, der für den immer richtigen Abstand zum Körper sorgt und somit die Temperatur zur Samenreifung regelt. Das Durchtrennen der Samenleiter wirkt sich in keinster Weise auf die Art aus, wie die Hoden hängen.

Wie sieht es mit Schmerzen aus?
Aufgrund der vielen Nervenenden und eines leichten Lymphstaus fühlen sich bis zu zwei Stunden nach der Vasektomie an…

…als hätte man einen ordentlichen Tritt zwischen die Beine bekommen? So war es für mich zumindest.
Genau. Das vergeht aber recht schnell, Schmerzmittel sind durchaus erlaubt. Wichtig ist aber der Verzicht auf Sport, Vollbäder, Schwimmen und Sauna sowie Aspirin oder blutverdünnende Mittel für zwei bis drei Wochen. Ungefähr der gleiche Zeitraum ist auch nötig, um durch häufige Ejakulationen—so 25 bis 30—möglichst alle Restspermien aus dem Körper auszuspülen. Ob alleine oder mit der Partnerin, bleibt jedem selbst überlassen.

Und ab dann geht es unbeschwert zur Sache.
Ja. Wer ganz sicher gehen will, kann noch einen Test machen, aber dieser Zeitraum gilt allgemein als zuverlässig.

Stichwort zuverlässig. Wie verlässlich ist eine Vasektomie?
Hier gibt es eine Vielzahl an Statistiken, die aber alle sehr unterschiedlich ausfallen, weil es keine einheitlichen Methoden und Studien gibt. Aber lassen sie es mich so sagen: Ich habe in den letzten 25 Jahren ungefähr 4000 Vasektomien durchgeführt und es gab keine einzige Reklamation.

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Foto: Adrianna Calvo via pexels | CC0

Und falls man es sich dann doch noch mal anders überlegt und später doch noch Kinder zeugen möchte?
Hier gibt es zwei Methoden, die ich auch aus erster Hand erzählen kann, da ich selbst genau in dieser Situation war. Zum einen ist eine Rückoperation möglich, wo unter Vollnarkose in einem mehrstündigen mikrochirurgischen Eingriff die Samenleiter wieder verbunden werden. Die Erfolgsquote liegt bei etwa 85 Prozent, allerdings ist der Eingriff recht teuer und ist—wie auch die Vasektomie—gänzlich privat zu bezahlen. Wenn so wie bei mir die Rückoperation zwar glückt, aber dennoch auf natürlichem Weg nichts klappt, gibt es alternativ auch den Weg der Extraktion aus den Hoden oder Nebenhoden zur künstlichen Befruchtung. In jedem Fall ist der Erfolg aber immer vom Alter des Mannes abhängig.

Wird die Potenz, die Libido oder die Samenflüssigkeit von einer Vasektomie beeinträchtigt?
Nein, denn die produzierten Hormone werden ja auf anderem Weg als über die Samenleiter dem Körper zugeführt. Ebenso die Botenstoffe, die zu einer Erektion führen, es gibt also weder bei der Erektionsfähigkeit noch beim Sexdrive irgendwelche Veränderungen. Und zum Ejakulat: Nur etwa fünf Prozent der Menge werden von Hoden und Nebenhoden gebildet und fallen somit weg, der Rest ist nach wie vor unverändert aus Samenbläschen und Prostata. Mit freiem Auge ist somit kein Unterschied zu vorher erkennbar. Der zurückbleibende Anteil der Hoden und Nebenhoden wird vom Körper einfach abgebaut.

Was ist aus ihrer Sicht der größte Vorteil der Vasektomie gegenüber anderen Verhütungsmethoden?
Für mich liegt der größte Vorteil darin, dass der Mann mit einem sehr kleinen persönlichen und finanziellen Opfer der Frau eine riesige Last von den Schultern nehmen kann. In der Phase der Familienplanung ist in der Praxis doch meist die Frau diejenige, die mittels Pille, Spirale oder Kalender danach Sorge trägt. Ganz zu schweigen von der operativen Sterilisation der Frau, die naturgemäß einen großen Eingriff in die Bauchhöhle unter Vollnarkose bedeutet und nicht selten Beschwerden verursacht. Mit der Vasektomie kann der Mann sagen: „Schau, jetzt übernehme ich das, und du musst deinen Körper nicht mehr unnatürlich beeinflussen."


Titelfoto: Foto: justine-reyes | flickr | CC BY 2.0