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Mode

Was High Heels mit Feminismus zu tun haben

Während viele in hochhackigen Schuhen ein aufgezwungenes Symbol der Weiblichkeit sehen, bedeuteten sie für unsere Vorfahrinnen ein Instrument gegen die Unterdrückung.
Foto von Stefanie Katzinger

Es gibt kaum ein anderes Mode-Accessoire, das so sehr mit dem gesellschaftlich geprägten Bild einer „typischen" Frau assoziiert wird, wie High Heels. Sex and the City erhob den diesbezüglichen Schuhtick zur Religion und sogenannte Frauenmagazine werden niemals müde zu erklären, wie sich mit Stöckelschuhen nicht nur die Beine optisch verlängern oder nahezu jedes Outfit aufwerten lässt, sondern welche elementare Rolle hochhackige Schuhe angeblich im Leben einer Frau spielen sollten. Es liegt vielleicht genau an dieser Fetischisierung, an dieser unmittelbaren Assoziation zwischen High Heels und Weiblichkeit, dass sich so manche Frau offen gegen das Tragen von High Heels ausspricht. Es gab aber Zeiten, in denen High Heels nicht wirklich viel mit der Objektifizierung von Frauenkörpern zu tun hatten.

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Im Gegenteil: Im mittelalterlichen Mitteleuropa wurden Stöckelschuhe mehrheitlich von Männern getragen, die vor allem aus Machtgründen auf Absätzen herumstolzierten. Denn tatsächlich signalisierten High Heels über Jahrhunderte hinweg Autorität, Überlegenheit und Prestige. Attribute, die Frauen damals nur in seltenen Fällen zugesprochen wurden—weshalb ihnen in Regionen des mittelalterlichen Zentraleuropas und der Neuen Welt das Tragen der symbolträchtigen Heels verwehrt wurde. Wer sich diesem Verbot widersetzte, machte sich dem Widerstand gegen die patriarchale Repression schuldig. Frauen, die diesem Diktat Widerstand leisteten, stellten unter oft großem Risiko die männliche Deutungshoheit und deren Alleinherrschaftsanspruch infrage und können heute als Pionierinnen späterer Frauenbewegungen betrachtet werden. Die Geschichte dieses Schuhs, der gleichermaßen eng mit Unterdrückung auf der einen, wie auch mit Emanzipation auf der anderen Seite verbunden ist, begann allerdings nicht in Europa.

Die ersten Aufzeichnungen über Stöckelschuhe reichen bis ins alte Ägypten des Jahres 3500 vor Christus zurück. Einigen Historikern und Historikerinnen zufolge waren es vermutlich persische Soldaten, die die Mitteleuropäer etwa 5.000 Jahre später zu der Mode inspirierten. Diese Reiter bestritten ihre Kämpfe mit Pfeil und Bogen und mussten zwecks Treffsicherheit fest in ihren Sätteln stehen. Um sich dazu optimal in die Steigbügel einhaken zu können, trugen sie an ihren Schuhen zentimeterhohe Absätze. Der intensive Kulturaustausch mit Persien um 1600 war es schließlich, der die Verbreitung der Kunde von den erfolgreichen High Heel-Kriegern ermöglichte, was zu einem Stöckelschuh-Boom am männlich dominierten Parkett Mitteleuropas führte.

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Elizabeth Semmelhack, Senior Kuratorin des Bata Schuh-Museums in Toronto, berichtet davon, dass „hohe Schuhe im beginnenden 17. Jahrhundert Eingang in die Mode fanden und Männer zu den Ersten zählten, die sie trugen." Damit, so Semmelhack weiter, „versinnbildlichten sie Macht und Prestige". Während also im 21. Jahrhundert ein Mann in High Heels mit homophober Diskriminierung und vielleicht sogar Gewalt konfrontiert ist, wäre er vor ein paar Jahrhunderten als heißer Statusträger bewundert worden—denn damals dienten Stöckelschuhe primär den Machos von Welt als dekadentes Modestatement. Dieser Ursprung hoher Absätze in unseren Breiten macht sich auch heute noch im englischen Begriff well-heeled bemerkbar, was übersetzt soviel wie finanzstark oder gut betucht bedeutet.

So kam es auch, dass sich der wohl trendigste unter den französischen Königen, Ludwig XIV., von seinem Hofschuhmacher eigens hohe Absätze anfertigen ließ. Nicht nur als extravagantes Stilmittel, sondern vor allem als Zeichen der Abgrenzung, waren seine Heels dabei mit rotem Leder gesäumt. Per Erlass beschränkte der modebewusste Sonnenkönig das Tragen der Stöckelschuhe exklusiv für die Aristokratie. Der Historiker Philip Mansel schreibt, dass die damals noch sündteure rote Farbe abgesehen vom Wohlstand auch zum Ausdruck gebracht habe, dass der Adel schlichtweg nicht im Dreck gehen musste. Außerdem soll die Farbe für das Blut und die Bereitschaft gestanden haben, dass man allzeit dazu gewappnet sei, die Feinde des Staates mit Füßen nieder zu schmettern. Je höher der Schuh dabei hinauf reichte, je weiter man sich also vom irdischen Boden und dem Rest der Welt abhob, umso mächtiger war der jeweilige Träger. Daraus folgte, dass sich niemand mit höheren Heels als Ludwig XIV. himself schmücken durfte. Heute sind die roten Sohlen Markenzeichen von High Heels der Marke Louboutin—und repräsentieren angesichts ihrer Preisklasse noch immer eine gewisse „Noblesse".

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Der Effekt von High Heels war damals ähnlich wie heute: Sie ließen einen größer und eleganter erscheinen—vorausgesetzt, man hatte ausreichend Training im Gang darin—und sie strahlten aufgrund der Machtsymbolik eine gewisse Sexyness aus, was dem adligen, männlichen Träger zu mehr Aufmerksamkeit verhalf. Wie Professor Bernard I. Murstein in seinem Buch Love, Sex, and Marriage through the Ages festhält, galt für Frauen in Neuengland jedoch ein striktes Absatzverbot. Per Gesetz, so Murstein, sollten sie daran gehindert werden, sich mittels Stöckelschuhen allzu hoch hinaus zu wagen. Ansonsten wären sie als Hexen klassifiziert und dementsprechend gejagt worden. Nichtsdestotrotz ließen sich Frauen schon damals die High Heels nicht nehmen und pfiffen auf das Verbot. Dies ging so lange vor sich, bis im Zuge der Französischen Revolution ab 1791 die High Heels von der Bildfläche verschwanden. Mit dem Code Civil suchte Napoleon, alle Symbolismen der Ungleichheit zu verbannen, womit auch die Absätze für jedermann illegal wurden.

In der Wahl der Kleidung selbst liegt also Macht, auch wenn man sich ihrer nicht bewusst ist.

Spätestens aber seit Hollywood, Christian Dior und Marilyn Monroe um 1950, entwickelte sich dem gegenüber ein regelrechter Stöckelfetisch: Der Stiletto kam auf und versetzte die Welt in Aufruhr. Als phallisches Sinnbild an ach-so-zarten Frauenfüßen ließ er dieselben gleichsam schlanker und angeblich gefährlicher erscheinen—was sogar ein Verbot des Tragens in öffentlichen Gebäuden nach sich zog. Zugleich fand auch eine geschlechtsspezifisch striktere Trennung statt: Während bei Männern nur noch die Cowboy-Boots mitsamt Absatzhöhe gesellschaftlich akzeptiert wurden, erweiterte sich die Auswahl für Frauen. In den 60er- und 70er-Jahren wurden hohe Schuhe als Ausdruck sexueller Freiheit sowohl für Männer, als auch Frauen tragbar. Ein Trend, der nicht allzu lange anhalten sollte.

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In der Zwischenzeit verödet der Westen nämlich wieder im reaktionären Saft seiner Verklemmtheit, die vor allem für Männer die Auswahl an Kleidungsstücken und generell an körperlichen Dekorationen limitiert. Während Frauen und Zugehörige anderer Geschlechter bis dato immer wieder modische Normen durchbrechen, sie für sich beanspruchen und damit die Grenzen vorgeschriebener Rollenbilder überwinden, erscheint der modische Horizont für Cis-Männer in unserer Zeit recht begrenzt, die Transformation vom High Heel als Männerschuh zum „typisch weiblichen" Attribut vollzogen.

Dieser Umstand aber beweist erst die Kraft, die Mode haben kann. In der Wahl der Kleidung selbst liegt also Macht, auch wenn man sich ihrer nicht bewusst ist. Denn Mode war und ist nicht nur Schutz vor Schmutz und Wetter, sondern auch eine gewichtige Botschaft über die eigene Identität, die einen einflussträchtigen Teil eines jeden gesellschaftlichen Prozesses darstellt. Vor diesem Hintergrund war es immer schon eine Form des Protests, den ungeschriebenen Gesetzen der eigenen Zeit mit Ungehorsam entgegen zu treten.

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Feministinnen haben in diesem Sinne bereits einige Erfolge vorzuweisen: Sie wehrten sich erfolgreich gegen das Korsett, eigneten sich Hosen, Anzüge, Herrenschuhe und viele andere als „männlich" geltenden Modestile an. Dabei ist es aber nie einfach geblieben, denn gleichzeitig mit diesen modischen Freiheiten erkämpften sie sich das Wahlrecht, die Entscheidungsfreiheit über ihre Arbeit, ein immer strenger werdendes Sexualstrafrecht und die bis heute konstant erstarkende Bestimmungsgewalt über ihre Körper.

Wie auch eingangs erwähnt, kann Mode aber nicht nur befreien, sondern im Umkehrschluss auch unterdrücken. Und das tat sie nicht nur, indem sie bis zur Französischen Revolution die Aristokratie gegenüber dem Pöbel abhob oder Männer gegenüber Frauen, sondern das tut sie zu ähnlichen Zwecken bis heute. Erinnern wir uns beispielsweise an die Filmfestspiele in Cannes 2015, als es bei der Premiere von Carol mehrere Frauen wagten, in flachen Schuhen aufzutauchen. Explizit aufgrund ihrer nicht vorhandenen High Heels wurde ihnen der Zutritt zum Filmfestival verweigert.

Während High Heels also durchaus einer Maßregelung gegenüber Frauenkörpern gleichkommen kann, vereint ihr Bedeutungsspektrum historisch betrachtet viel mehr: und zwar ebenso Macht wie auch Unterdrückung, Sex wie Aggression, Praktikabilität wie Ästhetik. Bis heute können High Heels alles auf einmal oder auch nur einzelne Aspekte davon vermitteln. Ihre Trägerinnen pochen dabei aber zu recht vor allem auf eines: Die Freiheit, sich selbst dafür oder dagegen zu entscheiden. Was für die eine nämlich ein Ausdruck patriarchaler Unterdrückung ist, verhilft der anderen mitunter zu echter Befreiung.