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Hexerei

Was Hitler und Himmler mit Hexerei zu tun hatten

Nachdem vor kurzem eine riesige „okkulte Bibliothek” der Nazis in Tschechien gefunden wurde, überschlugen sich die Meldungen über die Verbindung von Nazis, Freimaurern und Hexen. Wir haben bei einem Historiker nachgefragt, was wirklich dahinter steckt.
Photo via Wikimedia Commons

In Staffel zwei, Episode fünf, stellt die Fernsehshow Ancient Aliens eine ebenso wichtige wie nahezu unerforschte geschichtliche Frage: „Hat uralte Alientechnologie Hitler und den Nazis einen Vorteil im Zweiten Weltkrieg verschafft, der sie nahezu unbesiegbar gemacht hat?"

Die Folge stützt sich auf Hitlers „Besessenheit von alter Mythologie" und „dem Okkulten" und behauptet, dass er womöglich eine Zeitmaschine konstruiert hat. Wenn wir mal kurz davon absehen, dass man mit solchen aufmerksamkeitsheischenden Aussagen ziemlich gute Werbung für seine Sendung machen kann, ist die grundlegende Idee folgende: Das dokumentierte Interesse der NS-Führung an „alten alternativen Technologien" könnte dazu geführt haben, dass sie eine altertümliche Zeitreisetechnologie entdeckt und erforscht haben, die dem Deutschen Reich einen nicht unerheblichen Vorteil verlieh.

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Ich glaube nicht, dass es die Zeitreisemaschine wirklich gab, aber einige Leute aus der NS-Führung standen tatsächlich auf Okkultismus—eine weitverbreitete Annahme, über die sich viele Hexerei-Liebhaber heutzutage ziemlich freuen. Während es im ersten Moment natürlich ziemlich abstrus und lustig klingt, unterstreicht diese Information aber vor allem eines: Die Heuchelei der Nazis, die schließlich auch Okkultisten hinrichten ließen. Vor ein paar Wochen haben einige Websites über die Entdeckung einer „seltenen Bibliothek mit Büchern über Hexen und das Okkulte" in einer tschechischen Bücherei berichtet. Ein Teil der Bibliothek, berichteten die Medien, wurde von Heinrich Himmler gesammelt, dem Kopf der SS, der ein besonders großes Interesse an Hexerei hatte. (Eine seiner Theorien besagte, dass die Hexenprozesse ein Versuch der Römisch Katholischen Kirche waren, die deutsche Rasse auszulöschen.) Die Sammlung umfasst einige Texte norwegischer Freimaurer und möglicherweise auch Teile von Himmlers sogenannter „Hexenbibliothek".

Als ich Peter Staudenmaier, einem Assistenzprofessor für moderne deutsche Geschichte an der Universität von Marquette in Michigan und Autor des Buches Zwischen Okkultismus und Nazismus, eine E-Mail schrieb, um ihn zu fragen, welche Schlussfolgerungen man aus der kürzlichen Entdeckung der okkulten Bibliothek ziehen könne, machte er sich zunächst etwas lustig darüber. „Dazu werde ich nicht viel Pikantes sagen können", schrieb Staudenmaier. „Meine grundsätzliche Meinung dazu ist, dass die allgemeine Aufregung deswegen ziemlich überzogen und irreführend ist." Ich rief ihn an, um herauszufinden, was er damit genau meinte.

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Broadly: In der E-Mail, die Sie mir geschickt haben und in der Sie diesem Interview zugestimmt haben, sagen Sie, dass Sie der Meinung sind, dass die ganze mediale Aufmerksamkeit wegen der okkulten „Bibliothek" der Nazis überzogen ist. Warum?
Peter Staudenmaier: Ja. Wir wissen seit vielen, vielen Jahren, dass viele solcher Unterlagen in den späten 30er- und Anfang der 40er-Jahre gesammelt wurden. Wir wissen seit Jahren, dass vieles davon im Laufe des Krieges verloren gegangen ist. Niemand wusste, ob es zerstört wurde oder ob man es wiederfinden würde, aber es war ziemlich wahrscheinlich, dass so ein Fund in Prag auftauchen würde. Die Stadt ist einer der Orte, an den die Nazis solche Unterlagen schickten. Auf gewisse Weise konnte man davon ausgehen und fast schon erwarten einen solchen Fund zu machen. Somit stellt die Entdeckung nichts welterschütternd Neues für mich dar.

Warum sind die Bibliotheken so voll? Sind das einfach all die Bücher, die die Nazis aus Deutschland geschickt haben?
Aus all den Ländern, die sie besetzt haben, deshalb findet man dort auch norwegische Bücher. Jedenfalls nehme ich das an. Aber es gab dort auch Bücher, die sie direkt in Deutschland gesammelt haben. Es gab dazu eine eigene Abteilung des Sicherheitsdienstes—der Sicherheitsdienst war quasi der intelligente Teil der SS; der Teil, der nachgeforscht hat und die vermeintlichen Staatsfeinde kontrollierte usw. Eine der Dienststellen der SS beschäftigte sich mit den Freimaurern und den Okkultisten—sie haben all diese Gruppierungen irgendwie zusammengeworfen, was aber nur in der Denkweise der Nazis Sinn macht. Wenn sie diese Gruppen auflösten, konfiszierten sie für gewöhnlich auch sämtliche Unterlagen. Das heißt, sie konfiszierten ihre Archive, ihre Bibliotheken oder was auch immer sonst noch da war. Dann schickten sie sie irgendwo hin. Es war nie ganz klar, was mit den Materialien nach 1945 passiert ist.

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Es scheint ein kleines Missverständnis darüber zu geben, ob sich die Nazis selbst dem Okkultismus verschrieben haben. Viele der Artikel berichten, dass die Funde annehmen lassen, dass diese wiederentdeckten Bibliotheken, Bibliotheken der Nazis waren.
Da gibt es wirklich ein großes Missverständnis.

Können Sie das erklären?
Meiner Ansicht nach ist so ziemlich das Gegenteil der Fall. Der Grund, warum die Nazis dieses Zeug gesammelt haben, war nicht, weil sie daran glaubten. Ein Teil der Nazis glaubte vielmehr, dass diese Gruppen eine mögliche Gefahr für den Nationalsozialismus darstellen könnten, weil sie ihre eigenen Ideologien, ihre eigenen Rituale und ihre eigenes wer-weiß-noch-was hatten. Diese Gruppierungen standen auf der Liste der potenziellen Feinde—aber, wenn Sie mich fragen, waren viele von ihnen keine Feinde. Viele dieser Gruppen waren extrem nationalistisch. Viele von ihnen unterstützten die Nazis. Aber das tat nichts zur Sache. In den Augen des Sicherheitsdienstes, reichte es schon aus, wenn man einer Freimaurerloge oder einer okkulten Gruppe angehörte, um auf die schwarze Liste zu kommen. Sie überwachten all diese Gruppen und eines Tages schlugen sie zu und nahmen all ihre Materialien mit. Deshalb entspricht meine Interpretation dem Gegenteil der populären Annahem, die Nazis hätten solche Sachen gesammelt, weil sie selbst den okkulten Prinzipien folgten. Ich denke sie sammelten die Sachen, weil sie in diesen Gruppen potenzielle Feinde sahen.

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Ich denke, die Tatsache, dass die Orte, an denen die Bücher gefunden wurden, „Bibliothek" genannt werden, liegt wahrscheinlich daran, dass das Wort in vielen Artikeln verwendet wurde. So wie ich es verstanden habe, war es eine Art Lagerhaus, aber ich denke nicht, dass das so abwegig ist. Waren Sie schon mal in der New York Public Library auf der Fifth Avenue? Wenn man da hin geht und nach einem Buch fragt, das sie in ihrer Sammlung haben, müssen sie es häufig erst aus Jersey oder von unten [aus dem Lager] holen. Große Bibliotheken lagern häufig einen Großteil ihres Bestands auswärts. Das ist eine ziemlich gängige Praxis. Ich denke, dass das in diesem Fall auch irgendwie so war.

Das macht keinen Sinn, aber es ist eine Tatsache und irgendwie müssen wir uns damit abfinden.

Gibt es überhaupt irgendwelche Hinweise, die daraufhin deuten, dass sich die NS-Führung für den Okkultismus interessierte? Die Artikel beziehen sich auf Himmler…
Oh ja, sie legen den Fokus gerne auf Himmler. Ich würde sagen, das ist knifflig. Es wäre einfacher, wenn ich sagen könnte, dass auch dieser Teil der Geschichte Quatsch ist, aber tatsächlich ist es kein Unsinn. Himmler als Person hatte wirklich ein großes Interesse an okkulten Dingen. Er interessierte sich für sämtliche Formen unkonventioneller Spiritualität und esoterische Dinge. Ich denke ein Fehler, den viele Leute machen—der Fehler, den ich oft in der Presseberichterstattung über solche Dinge sehe—ist, dass Himmlers persönliche Überzeugungen irgendwie mit der SS als Organisation gebündelt werden.

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So komisch es klingen mag, aber Himmler war tatsächlich ziemlich zurückhaltend damit, seine persönlichen Interessen mit dem Rest der NS-Führung zu teilen. Er hat sie irgendwie unter Verschluss gehalten—wahrscheinlich, weil er sich ein bisschen dafür geschämt hat. Wir wissen aber nicht wirklich, ob das eine plausible Erklärung ist. Manchmal gab es Leute bei der SS, die er losschickte mit dem Auftrag, alles zu sammeln, was sie über Hexerei im 16. Jahrhundert o.ä. finden konnten. Aber es war nicht so, dass die SS als Ganzes irgendwie nach diesen Prinzipien strukturiert war.

Ich denke, an diesem Punkt kommt es zu Zweifeln oder Missinterpretationen, weil die Leute wissen, dass er auf solche Sachen stand.
Vermutlich. Das ist ein Teil der Wahrheit und zudem auch ein wichtiger. Wenn man Himmler als Person verstehen möchte—und er war eine ziemlich mächtige und wichtige Figur in der Hierarchie der Nazis—dann muss man sich überlegen, warum sich ein so unglaublich mächtiger Mann für das Okkulte interessierte. Wovor ich jedoch warnen würde ist, die persönlichen Interessen Himmlers mit dem zu vermischen, wozu sich die SS verpflichtet hat.

Haben Sie irgendeine Idee, warum er sich persönlich dafür interessiert hat?
Ich habe eine Idee, aber ich muss sagen, dass sie noch nicht ganz ausgereift ist. Peter Longerich, der Mann, der die wohl beste wissenschaftliche Biografie über Himmler geschrieben hat, hat Himmlers Interesse am Okkulten ein ganzes Kapitel in der Biografie gewidmet, in dem er versucht, das Ganze zu verstehen. Am Ende des Kapitels schlägt der Historiker sozusagen seine Hände über dem Kopf zusammen und sagt: „Das passt nicht so richtig zusammen. Das macht keinen Sinn, aber es ist eine Tatsache und irgendwie müssen wir uns damit abfinden."

Ich denke, zum Teil hängt das mit der Generation zusammen, in der Himmler großgeworden ist. Himmler war Teil einer Generation, die das Gefühl hatte, dass sie nicht wirklich die Gelegenheit bekommen hat, sich selbst zu beweisen. Sie waren noch zu jung, um beim ersten Weltkrieg dabei gewesen zu sein und wuchsen im Deutschland der 20er-Jahre auf. Leute aus dem rechten äußeren Flügel in Deutschland hatten während der 20er-Jahre das Gefühl, dass ihnen das Land abhanden gekommen war, als wäre das Land in eine vollkommen andere Richtung abgewandert. Erst war es demokratisch, dann wurde es republikanisch—das waren alles Dinge, die sie ablehnten. Deshalb gingen viele Leute wie Himmler in sich und versuchten eine Verbindung zu den vergangenen Formen deutscher Größe zu finden. In dem speziellen Fall von Himmler scheint dies eine esoterische oder okkulte Färbung angenommen zu haben.

Ich sehe mir gerade den Daily Mail-Artikel dazu an und der Teaser sagt, dass Himmler „den verschrobenen Glauben hatte, dass der Mystizismus ein Beweis für die Überlegenheit der arischen Rasse war". Ist das wahr?
Ich würde sagen, dass das der falsche Weg ist, um eine im Grunde richtige Aussage zu machen. Himmlers Ansicht nach gab es tatsächlich eine Verbindung—seiner Ansicht nach, nicht in der Realität—zwischen dieser heidnisch und mystisch okkulten Seite der Dinge und der mutmaßlichen arischen Rassengeschichte der Deutschen. Für ihn waren diese Dinge ziemlich eng miteinander verflochten. Das stellt einen Teil von Himmlers Besessenheit mit okkulter Literatur dar, aber ich denke nicht, dass das viel damit zu tun hat, warum der Sicherheitsdienst der Nazis diese Sachen in einem solchen Umfang gesammelt hat. All die verschiedenen Bibliotheken, all die verschiedenen Archive; sie hatten eine eigene Sektion über die Hexenverfolgung im Mittelalter. Himmler wollte eine alternative Version der germanischen Geschichte schaffen, bei der der Fokus auf Dingen lag wie, dass die Großteil der deutschen Kirchen vor vierhundert Jahren versucht hat, alle Hexen zu kreuzigen. Er dachte, das wäre ein großartiges Argument, das die Nazis gegen die etablierten Kirchen verwenden könnten. Aus Sicht der Nazis war das ein gerade recht gekommenes Werkzeug, eine praktische Waffe.