FYI.

This story is over 5 years old.

Politik

"Wir leben in ständiger Angst": Wie der Klimawandel Frauen zur Flucht zwingt

Eine verheerende Dürre in Somaliland hat unzählige Frauen und Kinder aus ihrer Heimat vertrieben. Das Leben, das sie in den überfüllten Flüchtlingslagern erwartet, ist gefährlich.
Nima Berashe, a resident of Maxamad Mooge camp in Somaliland. All photos by Alice Rowsome

"Ich hatte 120 Tiere, aber durch die Dürre sind sie alle gestorben", sagt Amina Abdul Hussein. Die dreifache Mutter sitzt vor uns in ihrem Zelt in Maxamad Mooge, einem Flüchtlingslager in der Nähe der Stadt Hargeisa. Ihr zerrissenes Zeltdach schützt sie tagsüber zumindest noch vor dem grellen Sonnenlicht.

Es gibt dutzende inoffizielle Camps wie dieses entlang der Außenbezirke von Hargeisa, der Hauptstadt des selbsterklärten unabhängigen Staates Somaliland im Osten Afrikas. Das UN-Flüchtlingshilfswerk berichtet von knapp 40.000 Menschen, die durch die Dürre der vergangenen drei Monate bereits aus den ländlichen Gebieten um ihre Heimat vertrieben wurden. Auslöser war der Wirbelsturm El Niño, doch der Klimawandel hat die Dürre weiter verschlimmert, berichtet eine neue Studie der American Meteorological Society.

Anzeige

Die Viehzucht ist das Rückgrat der Wirtschaft von Somaliland und macht einen bedeutenden Anteil des Bruttoinlandsprodukts des Landes aus. Rund 65 Prozent der Bevölkerung leben von einer Form von Viehzucht. Ohne ihre Tiere und die notwendige Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und die Regierung von Somaliland waren zehntausende Menschen gezwungen, ihre Leben als Landwirte aufzugeben und in die Städte zu ziehen.

Mehr lesen: "Ich dachte, ich muss sterben" – die Hölle schwangerer Flüchtlinge

Allerdings gibt es für die Frauen, die nach Hargeisa kommen, im Vergleich zu den Männern kaum Beschäftigungsmöglichkeiten. Deswegen finden sich viele von ihnen schon nach kurzer Zeit unter widrigen Umständen in den Außenbezirken der Hauptstadt wieder. Von Komplikationen in der Schwangerschaft über sexuelle Gewalt bis hin zu den fehlenden sanitären Einrichtungen: Frauen tragen die Hauptlast der Dürre und ihrer Folgen.

"Ich war schwanger, als ich hierher gekommen bin, aber ich hatte kein Wasser. Deswegen habe ich mein Baby verloren", erzählt Hussein.

Eine aktuelle Studie bestätigt ihre Erfahrung. Wie Forscher zeigen konnten, zieht der Klimawandel vor allem in Afrika ein niedrigeres Geburtsgewicht nach sich und setzt die Kinder damit der Gefahr verschiedener gesundheitlicher Komplikationen aus. Außerdem kann es in einigen Fällen auch zu Früh- und Totgeburten führen.

"Das Geburtsgewicht steht im Zusammenhang mit der veränderten Zahl der heißen Tage und der Menge an Niederschlag", erklärt Kathryn Grace, die führende Autorin der Studie. "Schwangere Frauen sind empfindlicher gegenüber Hitze und Dehydrierung." Das betrifft vor allem Frauen in Entwicklungsländern, wo die Ressourcen von Haus aus knapp sind, warnt sie.

Anzeige

Tierkadaver verschmutzen die ausgetrockneten Gegenden von Somaliland. Der Verlust ihres Viehs zwingt zehntausende Menschen, in die Städte zu ziehen. Alle Fotos: Alice Rowsome

Hussein wurde in einer Blutlache liegen gelassen, als sie ihr Kind verloren hat. Als ihr Mann von der Fehlgeburt erfuhr, verließ er die Familie und ging in die Stadt. Ohne Zugang zu Wasser oder Nahrungsmittel beschloss Hussein, nach Hargeisa zu ziehen. In der Hoffnung, dort Unterstützung bei fernen Verwandten zu finden. "[Doch] es kam alles ganz anders. Wir waren nicht willkommen", sagt Hussein. "Also bin ich mit meinen drei Kindern in dieses Camp gekommen."

Allerdings gibt es auch im Camp keine humanitäre Hilfe. Stattdessen wird von den Frauen erwartet, dass sie dem Grundstückseigentümer Miete zahlen. "Das Land befindet sich in Privatbesitz, deswegen sollen wir zahlen. Wenn wir nicht bezahlen, wird der Grundstücksbesitzer sein Land von uns zurückfordern. Dann wären wir gezwungen, erneut umzuziehen", erzählt Hussein. "Siehst du die Steine, auf denen wir stehen? Wir sammeln sie auf und verkaufen sie auf dem Markt. Damit verdienen wir um die 60.000 SOS [umgerechnet rund 7,5 Euro] pro Tonne."

Sie leidet noch immer unter den körperlichen Folgen ihrer Fehlgeburt. Die Steine zu tragen, bereitet ihr unsagbare Schmerzen, doch sie hat keine andere Wahl. Sie hat bereits beobachtet, wie die Grundstückseigentümer die Zelte von Frauen niedergebrannt haben, wenn sie nicht bezahlt haben.

"Es gibt keinen Sicherheitsdienst und noch nicht einmal Licht in dem Camp. Unsere Zelt sind aus Stoff und haben keine Schlösser oder ähnliches. Wir leben in ständiger Angst", sagt Hussein. "Nachts kann jeder in dein Zelt kommen und es niederbrennen. Wir leben in ständiger Angst. Ich schlafe nur noch sehr wenig."

Anzeige

Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.

Nur ein paar Zelte weiter lebt die 23-jährige Hodan Ahmedan. Sie wurde vor zwei Tagen von einer Gruppe von Männern überfallen, als sie nachts rausging, um sich zu erleichtern. "Die Männer haben erst von mir abgelassen, als einige der älteren Frauen kamen, um mir zu helfen", erzählt sie. Laut ihr sind solche Übergriffe keine Seltenheit.

Weil der Boden so hart ist, ist es unmöglich, Löcher zu graben, die die Frauen normalerweise als Toiletten nutzen würde. Deswegen sind sie gezwungen, nachts an den Rand des Camps zu gehen, um sich dort ein stilles Örtchen zu suchen. "Es macht mich wütend, dass ich nur nachts gehen kann", erklärt Hussein. "Die Männer können hingehen, wo sie wollen. Wir müssen warten, bis es dunkel wird, damit uns keiner sieht."

Es gibt 225 Haushalte im Camp, von denen die meisten Bewohner Frauen und Kinder sind. "Wegen der Dürre werden es täglich mehr Menschen", sagt Nima Berashe, 45. Sie lebt schon länger als die meisten anderen in dem Camp und beobachtet die Zahl der Anwohner genau. Sie glaubt, dass die steigende Zahl von Menschen die begrenzten Mittel des Camps erschöpft.

Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Flüchtlinge nicht nur in Somaliland, sondern in der gesamten Region zunehmen wird. Das Famine Early-Warning Systems Network (FEWSNET) geht davon aus, dass auch der erwartete Regen im April aller Voraussicht nach ausbleiben wird. Sie warnen, dass diese Entwicklung eine Hungersnot nach sich ziehen wird. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht umgehend reagiert, werden noch mehr Menschen aus Somaliland und dem Osten Afrikas vertrieben werden.

Anzeige

In den provisorischen Zelten der überfüllten Camps leben mehrheitlich Frauen und Kinder.

Die beispiellose Schwere der Dürre – der letzten in einer Reihe von verheerenden Naturkatastrophen – veranlasst immer mehr Experten dazu, auf die Folgen des menschengemachten Klimawandels hinzuweisen.

"Am Horn von Afrika, zum Beispiel in der Sahelregion, wird die Dürre voraussichtlich zu Flüchtlingsströmen innerhalb der Grenzen und über die Landesgrenzen hinaus führen", sagt Rob Bailey, Autor von Managing Famine Risk: Linking Early Warning to Early Action und Forschungsdirektor für Energie, Umwelt und Rohstoffe am Chatman House. "Durch den Klimawandel erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit von Völkerwanderungen."

Laut ihm ist der Klimawandel ein "Bedrohungsmultiplikator". Im Fall von Konflikten, zivilen Unruhen und jährlichen Dürren wird er die ohnehin schon verheerende Situationen noch weiter verschlimmern – eine Entwicklung, die gerade die Schwächsten einer Gesellschaft wie Hussein, Ahmedan und Berashe am härtesten trifft.

Mehr lesen: In Ghana beherrschen Frauen und "Marktköniginnen" die Wirtschaft

"Wir verfügen über immer leistungsstärkere Computer und auch die Qualität der Forschung nimmt zu, sodass wir auch in der Lage sein werden festzustellen, ob sich ein bestimmtes Ereignis auf den menschengemachten Klimawandel zurückführen lässt", sagt Bailey. "Es wird immer einfacher zu zeigen, welche Rolle der Klimawandel spielt."

Derzeit gibt es allerdings noch "kein Protokoll, das bestimmt, wie mit Menschen umgegangen werden soll, die infolge des Klimawandels aus ihrer Heimat fliehen müssen. Es gibt noch nicht einmal eine internationale Definition, die festlegt, wer als 'Klimaflüchtling' angesehen wird", sagt Bennett Collins, Leiter des Third Generation Project. Der schottische Think Tank unterstützt Forschung und Entwicklung im Bereich kollektiver Menschenrechte. Es gibt zwar immer mehr Initiativen wie die Platform on Disaster Displacement, die nach Wegen suchen, Binnenflüchtlinge zu unterstützen. Bisher jedoch mit überschaubarem Erfolg.

Anzeige

Die ausgetrocknete Erde in Somaliland.

Die fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema Klimaflüchtlinge – und die Tatsache, dass Somaliland nicht offiziell als Staat anerkannt ist – führt auch dazu, dass Frauen wie Hussein und Ahmedan unter dem Radar verschwinden.

Die Probleme, denen Frauen in Maxamad Mooge begegnen, sind leider keine Ausnahmen. Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass weibliche Flüchtlinge einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, wenn sie innerhalb ihres Heimatlandes oder auch über Kontinente hinweg fliehen müssen. Wie Amnesty International unter Berufung auf Zeugenaussagen von weiblichen Flüchtlingen entlang der Balkanroute berichtet, sind "Frauen und Mädchen auf jeder Etappe ihrer Flucht Gewalt, Körperverletzung, Ausbeutung und sexuellem Missbrauch ausgesetzt – auch dann noch, wenn sie sich schon auf europäischem Boden befinden."

Mehr lesen: Der harte Kampf, seine Kinder in einem Flüchtlingslager großzuziehen

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) sagte in einer offiziellen Stellungnahme: "Die öffentlichen, politischen und akademischen Diskussionen über umweltbedingte Migration werden meist geschlechtsneutral geführt. Nur wenige Studien stellen einen Zusammenhang zwischen Migration, Umwelt und Geschlecht her […] trotz der Tatsache, dass umweltbedingte Migration ein geschlechtsspezifischer Prozess ist."

Berashe glaubt, dass es Männer bedeutend einfacher haben, Arbeit zu finden. Sie gingen in die Stadt und fingen einfach ein neues Leben an. Viele von ihnen würden dafür ihre Familien verlassen. Doch selbst die, die bleiben, sind den Frauen keine Hilfe.

"Du fragst dich bestimmt, wo sie alle sind", sagt sie und schüttelt den Kopf. "Sie schlafen. Sie sind so faul! Wir machen die ganze Arbeit."