Wenn der Traum vom YouTube-Star zum Albtraum wird
Screenshot aus dem YouTube-Video "DAS WAHRE GESICHT DER VERENA" von Verena Marie Mew [bearbeitet]

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Wenn der Traum vom YouTube-Star zum Albtraum wird

Beleidigungen, Todesdrohungen, Stalking: Der Fall der YouTuberin Verena Schizophrenia zeigt, was passiert, wenn sich die Online-Community gegen einen ihrer Stars wendet. Doch sie ist nicht die Einzige.

"Gesichtskotlett", "hässliche Hure" und "Photoshop-Bitch" – Kommentare wie diese reihen sich unter einem verwackelten, wohl heimlich aufgenommenen Foto einer jungen Frau, die eine Straße überquert. Darauf zu sehen ist wohl Verena. Rund 220.000 Menschen folgen dem YouTube-Kanal der 24-Jährigen. Seit 2008 teilt die junge Frau, die sich dort unter dem Namen Verena Schizophrenia präsentiert, Schmink- und Frisuren-Tutorials im Netz. Sie gibt Tipps dazu, wie man falsche Wimpern richtig anbringt und weiß, wie man sich die Haare von blau zu lila färbt.

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Knapp fünf Jahre nach dem Start ihres Beauty-Vlogs tauchte auf Tumblr plötzlich ein Blog unter dem Namen "Das wahre Gesicht der Verena" auf. Der zugehörigen Facebook-Seite, auf der auch das verwackelte Foto gepostet wurde, folgen noch heute rund 29.000 Menschen.

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Auf beiden Seiten teilten Trolle, die sich selbst als "Fans" bezeichneten, teils selbst aufgenommene, teils private Fotos der YouTuberin, die dann akribisch auseinander genommen wurden. Der häufigste Vorwurf: Verena habe mit Hilfe von Photoshop getrickst und sich schlanker bearbeitet. Ein Hassblog will die Seite nicht sein, so steht es zumindest auf der Infoseite des zugehörigen Facebook-Accounts. Trotzdem wird die junge Frau in den Kommentaren unter den Posts als "Hure", "Photoshop-Opfer" oder "Plumpskuh" beschimpft. Die Seite veröffentlicht Screenshots von Kommentaren der YouTuberin ihres Facebook und Instagram-Accounts und kommentiert von nun an jede ihrer Regungen. Meistens geht es dabei um ihr Aussehen.

Unter einem Instagram-Foto hatte die YouTuberin so zum Beispiel einmal Vorwürfe abgestritten, sich schlanker darzustellen. Die Facebookseite reagierte prompt mit einem Screenshot des Kommentars und schrieb dazu: "Was glaubt sie wenn sie damit belügen kann? Es stimmt, sie trägt ihre Haare oft im Gesicht, aber auch nur um es schmaler wirken zu lassen."

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Wie viele andere junge Menschen träumte wohl auch Verena davon, dass sie ihre stetig wachsende Online-Präsenz irgendwann auch offline berühmt machen würde. Wie Dagi Bee, Bibis Beauty Palace oder Shirin David, die es zum Bravo-Cover, Megadeals mit großen deutschen Drogerieketten oder Jury-Mitglied bei Deutschland sucht den Superstar brachten. Angefangen haben sie wie Verena: allein mit einer Kamera in ihren Jugendzimmern.

Ich konnte nur hoffen, dass es weniger wird. Du sitzt zu Hause und heulst und kannst nicht mehr.

YouTube lebt von dem Mythos, dass hier jeder ein Star werden kann. Gerade die bunten Vögel, die Underdogs, die Lebenskünstler. Das Zauberwort dort lautet schließlich Authentizität. Je persönlicher und echter sich die YouTuber geben, desto näher fühlen sich die Fans ihren Idolen und umso mehr wächst ihre Abonnentenzahl. Doch genau diese Nähe macht die oftmals sehr jungen Menschen auch persönlich angreifbar.

"Egal was ich danach gepostet habe, alles wurde auseinander genommen", erklärt Verena in einem Video vom Oktober. Es habe drei Jahre gedauert, bis sie den Mut gefunden habe, über ihre Erfahrung zu sprechen. Auf mehrere Interviewanfragen von Broadly hat sie leider nicht reagiert.

Weil der Blog dazu aufrief, Fotos und Geschichten von ihr einzuschicken, traute sie sich schließlich kaum noch vor die Tür. "Ich habe mich von Fremden auf der Straße angegriffen gefühlt, wenn sie ihr Handy gezückt haben – man wird paranoid", sagt die junge Frau im Video. Schließlich ging die Bayerin zur Polizei, bekam dort laut eigener Aussage aber keine Hilfe. "Ich konnte nur hoffen, dass es weniger wird. Du sitzt zu Hause und heulst und kannst nicht mehr. Ich war wirklich am Ende."

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Verenas Fall scheint extrem, doch Hasskommentare sind Alltag in sozialen Netzwerken. Auch YouTube ist da keine Ausnahme. "Mit dem Erfolg und der Reichweite kommt auch eine größere Verantwortung", erklärt Uwe Leest vom Bündnis für Cybermobbing. Wenn das Idol in den Augen der Fans einen Fehltritt begangen hat, könne das heftige Reaktionen auslösen. Manche würden daran wachsen, andere zerbrechen – je nach Persönlichkeit. Man muss kein Experte sein, um zu verstehen: umso jünger die Person, umso schwerwiegender die potenziellen Folgen von Online-Mobbing.

Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.

Und immer jünger werden sie, die YouTuber, wenn sie damit anfangen, ihr Leben auf der Videoplattform zu teilen. Um das zu erkennen, muss man nur die beliebtesten deutschen Kanäle durchscrollen. Eine der bekanntesten Vlogerinnen Deutschlands ist momentan Dagi Bee. Über 3,4 Millionen Menschen folgen der heute 22-Jährigen, angefangen hat sie mit 17. Die heute 17-jährigen Zwillingsbrüder Heiko und Roman Lochmann, bekannt als "Die Lochis", haben 2,3 Millionen Follower auf YouTube. Ihr erstes Video posteten sie mit gerade mal 12 Jahren. Und die nächste Generation rückt bereits nach: Oskar, rund 300.000 Follower, gibt seit zwei Jahren Schminktipps im Netz und ist heute gerade mal 13 Jahre alt.

Wenn man die Kommentare unter ihren Videos liest, findet man viel zuckersüßes Lob, offensichtlich getippt von Teenie-Händen. Gleichberechtigt daneben stehen aber auch schlimmste Beleidigungen, harsche Kritik und sogar Todeswünsche. Unter einem Video des 13-jährigen Oskar, in dem er tut, was Teenager eben so zum Spaß tun (mit Mehl im Mund versuchen, Charthits mitzusingen), steht zwischen Kommentaren wie "Oskar, deine Stimme ist der Hammer" und "größter Lachflash meines Lebens" zum Beispiel auch dieser Satz: "Ich hoffe, jemand schlitzt euch die Kehle auf". Geschrieben wurde dieser Kommentar von einem User der sich selbst ZzFalimy Y nennt, sein Profilbild zeigt lediglich einen Totenkopf.

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"Wahrscheinlich dauert es eine Weile, bis man lernt, den Hass nicht mehr an sich ranzulassen", sagt Leest. Nachwuchs-Youtubern rät er, niveaulose Hasskommentare von konstruktiver Kritik zu trennen und negative Kommentare nicht zu persönlich zu nehmen. Ein Tipp, der insbesondere für junge Internetpersönlichkeiten nicht einfach zu befolgen sein dürfte. Schließlich ist YouTube eine Plattform, auf der die Kunstfigur eng mit der privaten Person dahinter verknüpft ist.

Obwohl ich als Digital Native großgeworden bin, hatte ich keine Ahnung, was mich auf YouTube und Twitter erwarten würde.

"Am Anfang kann die Erfahrung mit Trollen problematisch oder sogar traumatisch sein", bestätigt Roman Blumenstock, Head of Partner Management bei Studio71. Das Multichannel-Netzwerk gehört zu ProSiebenSat1 und betreut seit rund vier Jahren YouTube-Stars und solche, die es noch werden wollen. Nahe gehen den Künstlern laut Blumenstock weniger plumpe Beleidigungen, als der „Hate", der unter dem Deckmantel der Kritik direkt auf Charaktereigenschaften der YouTuber ziele. "Das sind oft Aspekte, bei denen sich der Künstler selbst noch nicht ganz sicher ist und die Kritik deshalb besonders verletzend wirkt." Oft ginge es beispielsweise einfach nur um das Aussehen – insbesondere bei jungen Frauen ein sehr sensibles Thema.

Es ist auch die Anonymität, die dem Hass auf Plattformen wie YouTube einen Raum gibt. Da, wo man für seine Worte nicht mit seinem Namen und Gesicht einstehen muss, sinkt offenbar die Hemmschwelle. Um gegen Hasskommentare und Drohungen anzugehen, hat YouTube zwar Funktionen wie die Blacklist (eine Liste von Wörtern, die in den Kommentaren nicht mehr zugelassen werden) und das sogenannte "Flaggen" (das Melden unangebrachter Kommentare, die anschließend von YouTube überprüft und gelöscht werden können) eingerichtet, doch wie andere Social-Media-Plattformen kommt auch die Videoplattform kaum mit dem Löschen nach. Verenas Fall zeigt außerdem: Wenn der Hass auf einer Seite keinen Raum findet, sucht er sich ein anderes Ventil. Tumblr etwa, oder Facebook.

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"Die eigentlich positiven Seiten von sozialen Plattformen, der große Vorteil der Interaktivität" zeigten bei Fällen wie dem von Verena Schizophrenia ihre Schattenseiten, sagt Blumenstock. Dort, wo der Zuschauer zu Hause den Fernseher anbrülle und dies allerhöchstens die Nachbarn bemerkten, lande das bei YouTube in Form eines Kommentars direkt unter dem Video. Deswegen bietet das Netzwerk laut Blumenstock neben der regulären Betreuung auch extra Workshops an.

Für YouTuber, die noch ganz am Anfang stehen und nicht bereits durch ein Management betreut werden sieht das mit der Vorbereitung allerdings anders aus. "Obwohl ich als Digital Native großgeworden bin, hatte ich keine Ahnung, was mich auf YouTube und Twitter erwarten würde. Vor zwei Jahren wusste ich noch nicht mal, was ein Troll ist", erinnert sich Suzie Grime.

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Seit 2013 veröffentlicht die Berlinerin Videos zu den Themen Mode, Feminismus und Marihuana – und bietet damit insbesondere frauenfeindlichen Trollen eine willkommene Angriffsfläche. Über 37.000 Menschen folgen ihrem Account, eines ihrer populärsten Videos zum Thema Sexismus hat über 300.000 Views.

"Solange ich meinen Mund nicht halte, stehen kollektiver Frauenhass, antifeministische Trolle und Vergewaltigungsdrohungen an der Tagesordnung", erklärt Suzie. Das sei allerdings auch für andere Aktivist_innen auf YouTube ein Problem, ganz unabhängig von deren Content. Die Tatsache, dass sich viele Nachwuchstalente bereits mit 14 oder 15 Jahren diesem Hass aussetzen, betrachtet sie mit Sorge. "Wenn ich sehe, wie jung die Kids teilweise sind, die ihr Privatleben auf YouTube oder Instagram preisgeben, finde ich das schon fragwürdig."

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Der Hass im Netz ist sicherlich ein Problem, mit dem sich alle Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, auseinander setzen müssen. YouTube-Stars sind eben das, was für die Teenies der 90er-Jahre noch Popstars waren, oder? Dabei ist es leicht zu vergessen, dass andere Prominente ab einem gewissen Bekanntheitsgrad im Alltag von Bodyguards beschützt und abgeschirmt werden. Und: Über ihr Privatleben ist selten so viel bekannt, wie über das der YouTuber, deren Persönlichkeit und Nähe zu ihren Fans sozusagen ihre eigene Marke ist.

Ich glaube, ich habe das Glück, dass ich den größten Arschlöchern im Internet schon über den Weg gelaufen bin.

YouTube rät in seinen Richtlinien zu Cybermobbing dazu, sich offline professionelle Hilfe zu suchen, wenn die eigene Sicherheit oder psychische Gesundheit in Gefahr ist. Das sieht Suzie ähnlich, merkt aber auch an, dass es in den meisten Fällen extrem schwer sei, einzelne User zurückzuverfolgen und vor Gericht zu bringen.

Wenn man YouTuber und ihre Manager fragt, wie man am Effektivsten gegen die sogenannten Trolle im Netz angehen kann, hört man deshalb immer wieder das selbe, ernüchternde Fazit: "Don't Feed the Troll." Ignoriere die Hater, bis sie irgendwann von selbst aufhören. Man müsse sich ein "dickes Fell" anlegen, sagt auch Blumenstock von Studio71.

Wenn der Hass gegen die Internet-Persönlichkeit ins Leben der Privatpersonen dahinter schwappt, so scheint es, sind Nachwuchskünstler wieder da wo sie angefangen haben: allein mit einer Kamera, in ihren Kinderzimmern. Was bleibt, ist der Versuch, die Trolle mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Wie viele andere YouTuber hat auch Verena ihre Erfahrungen direkt über die Plattform verarbeitet. In einem ihrer aktuellsten Videos resümiert die YouTuberin: "Ich glaube, ich habe das Glück, dass ich den größten Arschlöchern im Internet schon über den Weg gelaufen bin."