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Sex

Wie Data-Mining dein Sexleben verschlechtern kann

Ein Fitnessarmband für den Penis? Apps, die die Stoßgeschwindigkeit in Stundenkilometern messen? Die Selbstoptimierung hat jetzt auch unsere Schlafzimmer erreicht—und das ist nicht zwingend gut.
Photo by Aila Images via Stocksy

Falsche Vaginas, echte Vaginas, große vibrierende Silikonärsche, Öffnungen verschiedenster Formen und Farben—ganz grundlegend ist ein Mann dazu bereit, seinen Penis in so ziemlich alles zu stecken. Und das sage ich, als Mann.

Was würde also passieren, wenn es eine Art Fitnessarmband für den Penis gäbe? Würden Männer ihren Penis auch da reinstecken? Wahrscheinlich. Und genau darauf baut die Firma Lovely.

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Das Start-up mit Sitz in L.A. hat im letzten Jahr mit seiner Indiegogo-Kampagne Schlagzeilen gemacht. Einem „smarten" Sexspielzeug, das um den Penis passt und die sexuelle Aktivität erfasst. Dabei misst es die verbrannten Kalorien, die Geschwindigkeit in km/h und die Intensität des Geschlechtsverkehrs anhand von Beschleunigungssensoren. All diese Informationen werden anschließend in einer App auf dem Smartphone gespeichert und dazu genutzt, uns passende Sextipps zu erteilen—von der Stellung bis hin zum Tempo. Die Ratschläge poppen dann als niedliche kleine Textnachrichten auf: „Hey Greg! Deine letzte Performance war super. Es scheint, als hätte Anna ‚69' echt gefallen. Hier findest du Tipps für noch mehr orale Befriedigung …" Das denke ich mir übrigens nicht aus, das ist ein tatsächliches Beispiel.

Lovely ist die Sexversion von all den Fitnessarmbändern und „Activity Trackern", die uns die Möglichkeit bieten, unsere körperliche Fitness sowie unsere Ess- und Schlafgewohnheiten zu überwachen. Auf diese Weise sollen wir lernen, die Stimmungen und Regungen unseres Körpers zu verstehen, um uns selbst verbessern zu können. Quantified Self Labs ist eine Firma mit Sitz in Kalifornien und unbestreitbar die führende Instanz in Sachen „Quantified Self". Was das sein soll? „Selbsterkenntnis durch Zahlen", wie es auf der Website von Quantified Self Labs heißt.

Lovelys Indiegogo-Kampagne scheiterte zwar an der fehlenden Spendierfreudigkeit der potentiellen Kunden, durch die Unterstützung nicht näher benannter Investoren soll das Produkt laut Gründer Jakub Konik trotzdem bis zum Ende des Jahres in die Läden kommen.

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Dabei muss sich Lovely allerdings auf—es tut mir leid, ich konnte nicht anders—harte Konkurrenz gefasst machen.

Spreadsheets ist die selbsternannte Nummer eins in Sachen Sexapps (iTunes stellt jedoch keine konkreten Daten zur Verfügung, die zeigen, wie oft eine App tatsächlich runtergeladen wurde). Die App von Ardenturous Labs nutzt den Beschleunigungssensor des Smartphones sowie das Mikrofon, um ein statistisches Feedback über die Länge des Geschlechtsverkehrs, die Stöße pro Minute und die maximale Dezibelzahl des Orgasmus zu liefern. Anhand dieser drei Größen erstellt die App über Monate oder sogar Jahre hinweg eine Übersicht über die Durchschnittsleistung, die persönliche Bestleistung sowie die Gesamtleistung.

Als die App 2013 rauskam, habe ich mit Danny Wax gesprochen, der die App mitentwickelt hat. Er hat mir damals erklärt, dass die Quantified-Self-Bewegung ihn und seine Kollegen fasziniert hätte und die Datenerfassung im Schlafzimmer schlichtweg der nächste logische Schritt innerhalb des Quantified-Self-Lifestyles gewesen wäre. „Wenn man sich nicht bewusst ist, was der Partner will, ist das Ganze natürlich hinfällig. Nutzt man die visuelle Darstellung aber als Erkenntnisgewinn, kann das zu einer Verbesserung führen."

Spreadsheets soll vor allem Spaß machen und das an Austin Powers inspirierte Interface in der „Mach ich dich scharf, Baby?"-Manier ist zugegebenermaßen wirklich witzig. Die großspurige Behauptung, die App sei überall nutzbar—im Auto, auf der Couch, auf einem Trampolin, in der Hängematte—lässt einen hingegen nur an Steißbeinprellungen denken.

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Wenn wir schon bei den Nachteilen des technischen Fortschritts im Bett sind: Welche negativen Effekte kann es eigentlich haben, wenn man sein Sexleben statistisch erfasst? Kritiker würde sagen, dass die Verwendung von tragbaren Datenerfassungssystemen im Schlafzimmer zur Gamifikation von Sex führen und Sex damit zu etwas machen könnte, was es zu „gewinnen" oder „erfolgreich zu beenden" gilt. Betrachtet man die 30 „Errungenschaften", die man sich bei Spreadsheets verdienen kann („Ausdauer-Novize" für eine 40-minütige Nummer), werden solche Behauptungen ganz eindeutig untermauert. Da wundert es auch nicht, dass Wax davon spricht, „eine anonyme Rangliste zu kreieren, auf der sich die Nutzer messen und mit ihren Ergebnissen prahlen können."

Andere würden sicher bemängeln, dass Apps wie Spreadsheets das Vorspiel außer Acht lassen (obwohl Lovely das ja ganz offensichtlich berücksichtigt). Und dann ist da noch das Kriterium „Stöße pro Minute": Seit wann fällt es unter die Kategorie guter Sex, wenn man jemanden bearbeitet wie ein Presslufthammer?

Außerdem ist die Auswahl bei Spreadsheets allgemein nur sehr binär. So gibt es beispielsweise mehr Auswahloptionen für die Matratze (um den Beschleunigungssensor zu kalibrieren) als für Gender, wodurch sich eine klaffende Lücke bei der Repräsentation von LGBT auftut.

Instrumente, mit denen man sexuelle Befriedigung messen kann, können aber auch dazu führen, dass unsere persönlichen Ansichten über sexuelle Befriedigung und andere sexuelle Vorlieben negativ besetzt werden.

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In langjährigen Beziehungen können Apps wie Spreadsheets und Lovely insbesondere auch wegen der Kalenderfunktion hilfreich sein, um das Sexleben wieder aufzupolieren–besonders wenn das Sexleben dem Zusammenleben zum Opfer gefallen ist und man „lieber Frasier gucken würde, als zu ficken". Zu wissen, dass man vor mehr als einem Monat zum letzten Mal Sex mit seinem Partner hatte, hat unter Umständen das Potenzial einen so zu schockieren, dass man sofort in Aktion verfällt.

Aber selbst wenn … Welche Art Sex soll durch die Datenanalyseapps überhaupt gefördert werden? Als Apple letztes Jahr den iPhone Sex Tracker ankündigte, schrieb die Sexual- und Beziehungstherapeutin Pamela Stephenson Connoly im Guardian: „Durch die elektronische Überwachung einer beliebigen Aktivität können das Verhalten und die kognitiven Prozesse einer Person auf subtile Art und Weise verändert werden. Das kann äußerst positiv sein, zum Beispiel wenn man abnehmen möchte oder wenn man kontrollieren möchte, wie ausgewogen das Verhältnis zwischen Ernährung und Bewegung ist. Wer jedoch sein Sexleben überwacht, betrachtet sich selbst anhand von Skalen und Belohnungssystemen, die die Vorlieben, Vorurteile und Ansichten der Programmierer über ‚ein gesundes Sexleben' widerspiegeln."

Mit anderen Worten: Du würdest Tipps von jemandem bekommen, der unter Umständen eine komplett andere Vorstellung davon hat, was guten Sex ausmacht.

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Mehr lesen: Ob fake oder nicht—die „Betrugsmatratze" ist eine ziemlich gute Idee

Dr. Chauntelle Tibbals ist Soziologin und Autorin von Aufgedeckt: Eine Soziologin betrachtet Sex, Gesellschaft und Erwachsenenunterhaltung. Sie teilt diese Ansicht und sagte mir, dass Metrik zwar nützlich sein kann, um eine Orientierung zu schaffen und Veränderungen zu messen, guter Sex aber vor allem vom rein subjektiven Empfinden der Beteiligten lebt. „Es kann sicher in vielerlei Hinsicht nützlich sein, Instrumente zu haben, mit denen man sexuelle Befriedigung messen kann. Sie können aber auch dazu führen, dass unsere persönlichen Ansichten über sexuelle Befriedigung und andere sexuelle Vorlieben negativ besetzt werden", sagt sie.

Im Rahmen der Sexualforschung hat Bodymonitoring indes sicherlich eine Daseinsberechtigung, insbesondere wenn es um Fruchtbarkeit geht.

Clue ist eine solche App, die Frauen die Möglichkeit bietet, ihren monatlichen Zyklus anhand von Daten wie „Schmerz", „Stimmung", „Ausfluss" und „sexuelle Aktivität" zu überwachen. Clue nutzt hierzu einen Algorithmus, mit dessen Hilfe die nächste Periode und das bevorstehende PMS berechnet und vorausgesagt werden können. Die App eignet sich dadurch für alle Frauen, die schwanger werden, auf ihre nächste Periode vorbereitet sein oder einfach ihre Hormone in den Griff bekommen wollen.

Tabi Jackson Gee hat diese Fruchtbarkeitsapps letzten Monat für Broadly getestet und kam zu dem Urteil: „Risiken hin oder her: Alles, was uns dabei hilft, Familienplanung und den weiblichen Körper besser verstehen zu lernen, ist ganz eindeutig etwas Gutes."

Amen. Auch wenn ich nicht ganz sicher bin, was Frauen von Stößen pro Minute lernen könnten.