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Kinderheirat

Wie den Kinderbräuten von Guatemala das Leben gestohlen wird

In Guatemala sind 30 Prozent der 18-jährigen Mädchen bereits verheiratet. Eine Aktivistin und ehemalige Kinderbraut möchte das ändern.
Image via Stocksy

Concha Mercedes López Raxtún ist stolz auf ihr Zuhause, ihre zwei Söhne und ihr ruhiges Leben im guatemaltekischen Departamento Chimaltenango. Die 53 Jahre alte Maya-Frau kocht für ihre Familie und kümmert sich um das Vieh, während ihr Ehemann in den nahegelegen Maisfeldern arbeitet.

Sie weiß das Leben zu schätzen, das sie sich seit ihrer Heirat mit 17 Jahren aufgebaut hat. Trotzdem fragt sie sich oft auch, ob sie ohne ihre frühe Ehe und Mutterschaft nicht bessere Möglichkeitenzur Bildung, zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit und zum persönlichen Wachsen gehabt hätte. „Ich bereue es, schon so jung geheiratet zu haben", meint Raxtún. „Ich war damals noch ein Kind und die Entscheidung hat sich auf mein gesamtes Leben ausgewirkt."

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UNICEF zufolge sind 30 Prozent der guatemaltekischen Mädchen bereits vor dem 18. Lebensjahr verheiratet. Diese Gepflogenheit macht besagte Mädchen häufig zu Opfern von sexueller Ausbeutung, lässt sie finanziell abhängig werden, führt oftmals zu frühen Schwangerschaften und kann auch Geschlechtskrankheiten verursachen. Auf der ganzen Welt befinden sich gut 15 Millionen Mädchen schon vor ihrem 18. Geburtstag in einer Ehe.

Ich bereue es, schon so jung geheiratet zu haben. Ich war damals noch ein Kind.

Vor Kurzem haben sich Menschenrechtsorganisation dafür eingesetzt, die guatemaltekischen Gesetze bezüglich Kinderehe zu ändern. Eine dieser Organisation ist Refugio de la Niñez—eine NGO, deren Name übersetzt so viel wie „Zuflucht für die Kindheit" bedeutet. „Wir haben uns gefragt, welche Situationen sich kulturell und gesellschaftlich gesehen negativ auf die Mädchen auswirken—auch in Bezug auf Patriarchat und Machismo", erklärt mir Sandra López, die Leiterin von Refugio de la Niñez. „In welchen Situationen sind sie schutzlos?" Die Antwort auf diese Fragen lautete: Kinderehe und die Umstände, die sich daraus ergeben.Anfang November entschied der Kongress von Guatemala mit 87 zu 15 Stimmen, das legale Heiratsalter auf 18 Jahre anzuheben, um so die Zahl der Teenagerschwangerschaften einzudämmen sowie jungen Frauen den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Davor war es vom Gesetz her erlaubt, dass Mädchen schon mit 14 und Jungs schon mit 16 Jahren heiraten durften.

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In Guatemala herrscht die höchste Teenagerschwangerschaftsrate in ganz Südamerika und zwischen Januar und August 2015 haben fast 70.000 Mädchen unter 19 ein Kind auf die Welt gebracht. Dieser Umstand geht aus einer Statistik des Reproductive Health Observatories Network hervor und hat für die Frauen des Landes schwerwiegende Folgen: Junge Mütter sind großen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, brechen oftmals die Schule ab und rutschen mit größerer Wahrscheinlichkeit in die Armut ab.

„Als Mädchen hat man es in Guatemala nicht leicht. Für Frauen in indigenen, armen oder ländlichen Gegenden ist es sogar noch schlimmer", erklärt López und fügt noch hinzu, dass finanzielle Abhängigkeit, Teenagerschwangerschaften und kulturelle Gepflogenheiten zu den Hauptgründen gehören, warum in Guatemala so viele junge Frauen heiraten.

Raxtún vor ihrem Haus | Foto: Anna-Cat Brigida

Raxtún war fünf Monate lang mit ihrem Klassenkameraden und zukünftigen Ehemann zusammen, als sie schwanger wurde. Das Paar—inzwischen seit 36 Jahren zusammen—beschloss daraufhin zu heiraten. Das bedeutete, das Raxtún nicht länger zur Schule gehen konnte und stattdessen ihre Zeit damit verbringen musste, für ihren Mann zu kochen und zu putzen.

Im Alter von 17 und mit einem angespannten Verhältnis zu ihren Eltern konnte Raxtún die Verantwortung, die auf sie zukam, und die Konsequenzen für ihre Zukunft nicht einschätzen. „Wenn ein Mädchen jung verheiratet wird, dann hört sie auf, in die Schule zu gehen", sagt López. „Sie hat daraufhin keine Möglichkeit mehr, ihre Lebensqualität zu verbessern."

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Junge Mädchen, die in Guatemala manchmal bereits mit 12 verheiratet werden, sind emotional und körperlich nicht in der Lage, die Verantwortung einer Ehefrau und Mutter zu übernehmen, so López. Oft sind sie gezwungen, bei ihren Schwiegereltern einzuziehen, eine Situation die im besten Fall unangenehm und im schlimmsten Fall gefährlich ist.

„[Mein Mann] sagte mir: ‚Komm schon, du kannst bei mir wohnen", erzählt Raxtún. „Ich wollte nicht. Ich wollte bei meinen Eltern wohnen." Doch die Missbilligung ihres Vaters und die Drohung ihres Mannes, sie zu verlassen, ließen ihr keine Wahl. Ihre Schwiegereltern waren freundlich zu ihr, doch oft musste sie im Haus bleiben und Hausarbeit erledigen, während ihre Schwiegermutter ihre Fähigkeiten beurteilte.

Mit 17 wurde ich schwanger, habe geheiratet und musste die Schule abbrechen.

Jahrzehnte später weint Raxtún, wenn sie auch nur daran denkt, welche Gelegenheiten ihr entgangen sind, sich zu bilden und ihre Lebensqualität zu verbessern. „Mit 17 wurde ich schwanger, habe geheiratet und musste die Schule abbrechen", sagt sie. „Das beeinträchtigt mich immer noch, denn ich habe kein eigenes Einkommen und bin von meinem Ehemann abhängig."

López ist überzeugt, dass die Gesetzesänderung nur der erste Schritt in der Bekämpfung dieser tief verwurzelten Praktik ist. Mädchen ab 16 können mit der Erlaubnis eines Gerichts noch immer verheiratet werden—eine Regelung, die Menschenrechtsorganisationen ablehnen, weil sie die landesweite Umsetzung des Gesetzes behindert.

Jetzt wo das Gesetz verabschiedet worden ist, wird Refugio de la Niñez sich laut López darauf konzentrieren, das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen, vor allem in den ländlichen und indigenen Regionen des Landes. „Es gibt noch immer viel zu tun", merkt sie an. „Erstens müssen Richter das Gesetz kennen. Zweitens müssen Eltern das Gesetz kennen."

Raxtún hat in ihrer Gemeinde bereits Aufmerksamkeit auf die Folgen der Schwangerschaft und Heirat im Teenageralter gelenkt. Ihr eigener Sohn, der heute 35 ist, heiratete im Alter von 24, nachdem er seinen Schulabschluss gemacht und eine Stelle gefunden hatte. Mit ihrem 16-jährigen Sohn bespricht Raxtún Sexualität und Heirat, womit sie mit dem Tabu bricht, laut dem guatemaltekische Eltern über diese Themen schweigen sollen.

„Ich weiß, dass es mir besser ergangen wäre, wenn ich mich hätte bilden können und nicht so jung hätte heiraten müssen", meint Raxtún.