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Film

Wie „Fight Club” zum ultimativen Vorbild für Männerrechtsaktivisten wurde

Wie wurde ein Film, der das destruktive Männlichkeitsbild der 90er kritisierte, zur Bibel von Männerrechtsaktivisten und Pick-Up-Artists auf der ganzen Welt? Wir haben einen Experten gefragt.
Illustration by Zing Tsjeng

Als Fight Club 1999 in die Kinos kam, sahen viele Kritiker darin eine verdammende Vorführung der Konsumkultur, Hypermaskulinität und den entmenschlichenden Männlichkeitsbildern, die den Männern durch den amerikanischen Kapitalismus auferlegt wurden. Ganz konkret schrieb das Magazin Empire, die Verfilmung des Romans von Chuck Palahniuk besitze „jede Menge schwarzen Humor auf Kosten männlicher Ideale und der Dienstleistungsgesellschaft." Gleichzeitig erhielt der Regisseur David Fincher viel Lob für seine Darstellung des damaligen Zeitgeistes.

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Das Erbe von Fight Club könnte allerdings ganz anders aussehen. Ungefähr eineinhalb Jahrzehnte nach der Veröffentlichung des Films und seiner Feier als Kultklassiker wurde er im Netz von einem lockeren Verbund radikaler Männergruppen (auch bekannt als „Mannosphäre") zu so einer Art Evangelium erhoben.

Die Mitglieder dieser Gruppen, die sich auf Seiten wie Return of Kings, Masculine Empire und dem Subreddit The Red Pill treffen, führen die Missstände der westlichen Gesellschaft auf den Verfall traditioneller Geschlechterrollen zurück. Was diese Männer—sowohl Pick-Up-Artists (PUAs) als auch Männerrechtsaktivisten—miteinander verbindet, ist ihre tief verwurzelte Feindseligkeit gegenüber Frauen, insbesondere Feminist_innen. Sei es nun in wütenden Kommentaren oder Blogposts wie „Fünf Gründe, warum du ein Mädchen mit einer Essstörung daten solltest".

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Männer werden derweil in zwei Kategorien eingeteilt: „Alphas" und „Betas." Alpha-Männchen sind dominant, tough und brutal und haben regelmäßig Sex mit attraktiven Frauen. Betas sind dagegen schwach, verweiblicht und sympathisieren mit politisch korrekten Gutmenschen. Wenig überraschend befinden sich unter ihnen zahlreiche Trump-Sympathisanten. Außerdem schließen sich Männerrechtsaktivisten scharenweise alternativen rechten Gruppierungen an.

Für den Fall, dass du einer der wenigen bist, die Fight Club nicht gesehen haben—die Geschichte ist relativ einfach (und jetzt kommen Spoiler): Der anomische Jack (Edward Norton) ist um die 30, als er sich mit Tyler Durden (Brad Pitt) ein anarchistisches Macho-Alterego zulegt. Durden gründet eine Bewegung aus entrechteten Männern, die sich treffen, um sich wortwörtlich grün und blau zu schlagen, woraus sich irgendwann eine Gruppe namens „Projekt Chaos" entwickelt. Ihr oberstes Ziel: die Vorherrschaft der großen Konzerne zu zerstören, damit Männer ihre wahre Bedeutung und Bestimmung zurückerlangen können und ihr Dasein nicht länger als Marionetten des Kapitalismus verleben müssen.

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Einer meiner ersten Mentoren […] hatte eine Narbe auf der Hand. Es war dieselbe Narbe, die auch Brad Pitt in dem Film hat.

Fight Club ist einer von vielen 90er-Jahre-Filmen, die sich ganz konkret mit der männlichen Selbstbeobachtung beschäftigt haben, sagt James McCormack, ein promovierter Filmwissenschaftler an der Universität von Melbourne. Er hat seine Doktorarbeit über Männlichkeitsbilder und Erinnerungen in Hollywoodfilmen um die Jahrtausendwende geschrieben.

„Wir reden über eine Zeit in den 90ern, als Männlichkeit sehr bewusst wahrgenommen und selbst-reflexiv betrachtet wurde", sagt er. „Zuvor gab es nur den, wie es eine feministische Philosophin nannte, ‚Blick von nirgendwo'—den Glauben, dass Männer keine geschlechtsspezifische Sicht haben. Das begann sich im Laufe der 90er langsam aufzulösen […] und dadurch entstanden Filme wie Fight Club."

Wie aber wurde Fight Club zur gefeierten Hymne der Mannosphäre? Real Social Dynamics (RSD), eine kontroverse Gruppe von Pick-Up-Artists und Heimat des berüchtigten Julien Blanc, führte die Pick-up-Artist-Community erstmals Mitte der 2000er im Rahmen verschiedener Vorträgen an den Film heran, die unglücklichen Männern „Game" beibringen sollten. Die Gruppe hatte sogar einen Coach, der sich selbst mal Tyler Durden genannt hat. (Real Social Dynamics wollte das nicht kommentieren.)

Screenshot von YouTube aus dem Video „Fight Club (1/5) Movie CLIP - I Want You to Hit Me (1999) HD" von Movieclips

Gleichzeitig war Fight Club ein ständiges Diskussionethema in sogenannten „Verführungsforen"—„wenn auch nur aufgrund der schieren Anzahl an eifrigen Anhängern", erklärt ein Artikel auf der PUA-Webseite Girlchase. „Für die Anhänger waren die Foren ein Ort, an dem sie das Wort Gottes preisen konnten—nur dass die Worte nicht von Jesus kamen, sondern von ihrem eigenen Herr und Erlöser, Tyler Durden."

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„Es gab auch Männer, die nichts mit RSD am Hut hatten und total auf Fight Club abfuhren", sagt der Girlchase-Autor weiter. „Einer meiner ersten Mentoren […] hatte eine Narbe auf der Hand. Ich habe ihn nie darauf angesprochen, aber das musste ich auch nicht. Es war dieselbe Narbe, die auch Brad Pitt in dem Film hat, nachdem er seinen Handrücken mit Lauge chemisch verätzt."

Es gibt noch zwei weitere Online-Communities, die die Lehren von Fight Club predigen: The Red Pill, die sich selbst als Ort für „Diskussionen über sexuelle Strategien in einer Kultur ohne positives Männerbild" bezeichnen und die Hardliner von Men Going Their Own Way (MGTOW), die jede Form von Beziehung zu einer Frau strikt ablehnen. Die Mitglieder beider Gruppen sehen in Fight Club eine Art Erlösungsgeschichte—die Geschichte eines Beta-Männchens, das sein wahres Alpha-Potenzial entfaltet. Der Film, schreibt ein Nutzer von The Red Pill auf Reddit, „zeigt den Kampf, den ein Mann durchleben muss, wenn er die rote Pille schluckt. Es zeigt, was passiert, wenn man die Wahrheit leugnet und Angst davor hat, seinen gewohnten Weg zu verlassen." (Die „rote Pille zu schlucken", spielt auf eine Szene aus Matrix an und soll bedeuten, dass man die Überzeugung akzeptiert, dass die moderne Gesellschaft Männer diskriminiert und unterdrückt.)

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Dass die Mannosphäre so von Fight Club begeistert ist, geht auf die weitverbreitete Überzeugung zurück, dass Männer von Natur aus gewalttätige, dominante Jäger und Sammler seien, die von der modernen Zivilisation domestiziert wurden und sich deshalb gegenwärtig in einer Krise befinden. David Fincher formulierte es in einem 1999 erschienen Interview zum Film so: „Wir sind darauf ausgelegt zu jagen, leben aber in einer Konsumgesellschaft. Wir müssen nicht mehr töten oder kämpfen. Es gibt nichts zu besiegen oder zu entdecken. Diese gesellschaftliche Entmannung erschafft den Jedermann."

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Weder David Fincher noch Chuck Palahniuk haben sich zu der ungewöhnlichen Adaption ihrer Werke durch Männerrechtsaktivisten und Pick-Up-Artists geäußert. Ich habe mich an Chuck Palahniuks Agenten gewandt und um einen Kommentar gebeten, habe aber keine Antwort erhalten.

Kris Cantu ist ein Anhänger von The Red Pill und ein MGTOW-Vlogger. In seinen Augen ist Fight Club das Urbild der Männerrechtsfilme. „Ed Norton spielt einen Kerl, der nur damit beschäftigt ist zu konsumieren. Er kauft Klamotten und Möbel für sein schickes Apartment und wahrscheinlich zahlt er auch ziemlich viel Miete. Ich kenne das nur zu gut: Ich habe viel Hip Hop gehört und wollte deshalb Geld, Frauen, Klamotten und möglichst viel verdienen. Das hat mein komplettes Leben in meinen 20ern bestimmt", erklärt er mir über Skype. „Es liegt an uns zu erkennen, dass wir auf einen bestimmten Lebensstil programmiert werden und uns selbst deprogrammieren müssen."

Wenn wir uns also öffentlich zu Wort melden, dann sind wir Tyler Durden.

„Das Ganze ist eigentlich total einleuchtend", sagt er weiter. „Du hast deine aktuelle Situation satt, triffst dich mit ein paar Typen, die genauso denken wie du und startest eine Revolution. Das haben sie in dem Film auch gemacht […] und ich glaube, dass viele Typen dieselben Ansichten haben wie Tyler Durden. Sie haben sich bisher aber einfach noch nicht getraut, ihre Meinung zu sagen, weil es nicht politisch korrekt ist."

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Cantu ist kein typischer MGTOW. Im Vergleich zu anderen rührt er ganz offen die Werbetrommel für sich und seine Person. Die große Mehrheit der MGTOW tut das nicht und verwendet stattdessen Pseudonyme, weil sie Angst vor den realen Konsequenzen ihrer Online-Aktivitäten haben. Genau wie Jack haben auch sie sich eine zweite Identität geschaffen, um ihrer Wut Luft zu machen, weil sie unter normalen Umständen nicht dazu in der Lage wären.

„Die MGTOWs, die die entsprechenden Kanäle haben, nutzen ihre Alteregos um Dinge zu sagen, die sie im wahren Leben nicht sagen könnten", erklärt der MGTOW-Vlogger Sandman in einem Video. „Sie müssten sonst um ihr Einkommen, ihren Ruf, ihre persönliche Sicherheit und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen zu ihrer Familie, ihren Kollegen und ihren Freunden fürchten. Wenn wir uns also öffentlich zu Wort melden, dann sind wir Tyler Durden."

Darüber hinaus sind die Mitglieder von MGTOW und The Red Pill höchst heimlichtuerisch–genau wie die Männer in Durdens Fight Club. „‚Die erste Regel des Fight Club lautet: Ihr verliert kein Wort über den Fight Club.' Ja, wir zitieren diese Zeilen alle gern, aber wissen wir auch wirklich, was sie bedeuten?", heißt es in einem Post auf The Red Pill. „Über TRP [The Red Pill] sollte NIEMALS außerhalb dieses Subreddits gesprochen werden. Warum? Weil die Wahrheit hässlich ist und dich in Schwierigkeiten bringen könnte." Die erste Regel von The Red Pill: Verlier kein Wort über The Red Pill—zumindest nicht gegenüber Außenseitern.

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Das einzige Problem an Fight Club ist laut Cantu das „Hollywood-Ende": „Ich glaube, in der wahren Red-Pill-Manier hätte der Film damit geendet, dass Edward Norton seine [Filmfreundin] Marla zur Seite schubst", sagt er gegenüber Broadly. „Wir bezeichnen solche Frauen als ‚Pump-and-Dump [benutzen und wegwerfen].'"

Viele Mitglieder von MGTOW und The Red Pill sehen in der Beziehung zwischen Tyler/Jack und Marla (gespielt von Helena Bonham Carter) die perfekte Repräsentation ihrer Alpha/Beta-Philosophie. „Brad Pitt ist das letzte Alpha-Männchen und Edward Norton ist das Beta-Männchen, das bezahlt", sagt Sandman in seinem Video weiter. „Edward Norton muss sich Marlas emotionalen Durchfall anhören, während sie von Tyler Durden gefickt wird, der keinerlei Mitgefühl mit ihr hat."

„Es ist ein sehr ungewöhnlicher Film und es ist seltsam, dass er so aufgefasst wird […] Wenn man sagt, dass man Fight Club mag, ist es in bestimmten progressiven Kreisen wahrscheinlich so, als würde man zugeben, dass man Filzhüte mag", sagt James McCormack.

Die Ironie an dem Ganzen ist ja eigentlich, dass dieser Typ [Jack] verrückt ist.

Tatsächlich fühlt sich die Mannosphäre durch die Tatsache, dass Jack und Tyler in Wahrheit ein und dieselbe Person sind, in ihrem Glauben daran bestätigt, dass selbst das größte Beta-Männchen zu einem Alpha werden kann. „[Der Film] scheint Menschen zu gefallen, die solche retrosexuellen Ansichten gutheißen", merkt er an, „doch die Ironie an dem Ganzen ist ja eigentlich, dass dieser Typ [Jack] total verrückt ist."

Obwohl sowohl die Mannosphäre als auch Fight Club die Meinung vertreten, dass Männer durch fehlende „heroische" Männerrollen ins Unglück gestürzt werden, gibt es doch einen entscheidenden Unterschied zwischen den Beiden. Die Online-Communities sind nämlich der Meinung, dass es Frauen sind, die die Schuld daran tragen und Männer sich von ihnen ihre vermeintlich verlorenen Rechte zurückholen müssen—im Zweifelsfall mit Gewalt.

„Ich glaube, wir haben Frauen viel zu viel Macht und Möglichkeiten gegeben", formuliert es Cantu in seinem Video über Finchers Film. „Das ist wie bei der Zombieapokalypse oder einer Sonneneruption—die Situation verselbstständig sich […] Wenn wir wieder in der Steinzeit wären, würden sich Männer wieder wichtig fühlen können."

Mehr lesen: Pick-Up-Artists haben keinen Ahnung, was „Alpha" bedeutet

Im besten Fall können Filme ihre Zuschauer dazu bringen, ihre eigenen Vorstellungen und Ideale zu überdenken. Deswegen glaubt Filmwissenschaftler McCormack auch, dass es keine schlechte Idee wäre, Fight Club als Anlass zu nehmen, um unsere Vorstellung von Männlichkeit und unsere männliche Rollenbilder zu überdenken. Allerdings glaubt er „schlichtweg nicht, dass die Schlussfolgerungen [der Mitglieder der Mannosphäre] besonders klug sind".

„Kinder haben, was Psychoanalytiker ein ‚Übergangsobjekt' nennen […] und ein Film wie Fight Club ist ein solches Übergangsobjekt—ein Übergangsbereich für Männer. Sie sehen sich den Film an und bekommen verschiedenen Möglichkeiten angeboten: Du kannst ein Arschloch sein, ein Terrorist und so weiter", erklärt er. „Als Fantasie oder Spiel ist das Übergangsobjekt sehr aussagekräftig, aber wenn man anfängt, es in der Realität anzuwenden und seine romantischen Beziehungen darauf aufzubauen, dann überschätzt man seine Macht vielleicht ein wenig."