Wie philippinische Haushälterinnen für ein Leben in Ausbeutung geschult werden
Illustration by Eleanor Doughty

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Wie philippinische Haushälterinnen für ein Leben in Ausbeutung geschult werden

Viele Frauen verlassen ihre Heimat, um ihre Familien unterstützen zu können. Doch im Ausland erwartet sie nur selten die rosige Zukunft, die ihnen versprochen wurde.

Im Netz stößt man auf unzählige Stellenanzeigen, die explizit nach "ehrlichen und gottesfürchtigen" philippinischen Frauen suchen, die in Hongkong als Haushälterinnen arbeiten möchten. Gesucht werden Frauen zwischen 23 und 40 Jahren, die über einen Schulabschluss und "eine schnelle Auffassungsgabe" verfügen und "sämtliche Hausarbeiten beherrschen", die in einer Familie in Hongkong anfallen können. Im Gegenzug bekommen die Frauen monatlich rund 500 Euro, haben einen Tag pro Woche frei und erhalten "die Aussicht auf ein besseres Leben".

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Die Anforderungen sind hoch, doch auch in ihrem Heimatland haben es viele von ihnen schwer, in bestimmten Bereichen noch Arbeit zu finden – und es wird zunehmend schwieriger. Hinzu kommt, dass die Arbeit als Haushälterin keinen höheren Schulabschluss erfordert. Immer mehr philippinische Frauen hoffen deshalb, im Ausland als Haushälterin arbeiten zu können, um mit derselben Arbeit deutlich mehr Geld zu verdienen als in ihrem Heimatland.

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Dass so viele Frauen ins Ausland gehen wollen, hängt aber auch mit der Arbeit der Technical Education and Skills Development Authority (TESDA) zusammen – einer philippinischen Behörde, die die Zeugnisse von Ausbildungseinrichtungen beglaubigt, die ausländische Haushälterinnen beurkunden. Die meisten Philippinerinnen, die im Ausland tätig sind, arbeiten in Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten. Hongkong zählt allerdings zu den beliebtesten Zielen. Seit Juli 2015 kamen rund 165.000 der 336.000 registrierten ausländischen Haushälterinnen in Hongkong von den Philippinen. (Die nächstgrößere Gruppe in der Statistik stammte aus Indonesien.)

Die meisten von ihnen erwartet in Hongkong allerdings nicht das Leben, das sie sich eigentlich erhofft hatten. In Hongkong müssen Haushälterinnen aus dem Ausland bei ihren Arbeitgebern leben, um ein Visum zu bekommen, haben aber keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, den Haushälterinnen aus Hongkong bekommen würden. Zudem werden viele von ihnen misshandelt: Es kommt immer wieder zu erschreckenden Geschichten über psychischen und körperlichen Missbrauch, Haushälterinnen, die von ihren Arbeitgebern nichts zu essen bekommen oder pausenlos arbeiten müssen. Als ich vor Kurzem in Hongkong war, habe ich mich selbst mit einer Haushälterin unterhalten, die von ihrer Arbeitgeberin verprügelt wurde. Die chinesische Mutter sei vollkommen unvermittelt auf sie losgegangen, als sie gerade dabei war, ihrer Arbeitgeberin Essen zu machen, sagt sie.

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Es gibt rund 2,4 Millionen philippinische Arbeitnehmer, die im Ausland arbeiten. Die Regierung hat deshalb in den vergangenen Jahren systematisch Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheit ihrer Arbeitnehmer zu gewährleisten. Ein Gesetz, das im Mai 2013 von der Regierung verabschiedet wurde, sollte Haushälterinnen unter anderem "vor Missbrauch, Belästigung, Gewalt, wirtschaftlicher Ausbeutung und Arbeiten schützen, die ihrer psychischen oder körperlichen Gesundheit schaden könnten". Zudem enthält das Gesetz Regelungen zur Arbeit von Vermittlungsagenturen sowie die Bedingung, dass alle Haushälterinnen, die im Ausland arbeiten möchten, ein Zeugnis nachweisen können müssen, das an einer zertifizierten Schule absolviert und anschließend von der TESDA beglaubigt wurde.

[Die Agenturen] wissen, dass sie die Frauen ohne Weiteres dazu bringen können, die horrenden Gebühren zu zahlen – es gibt ja schließlich jede Menge Bewerberinnen.

Es kommt aber auch nicht selten vor, dass Haushälterinnen wieder zurückkommen, weil sie im Ausland kein Geld verdient haben – oder weil die Ausbildungsgebühren und die Kosten der Arbeitsvermittlungsagenturen so hoch sind, dass sie sich verschulden, ohne je gearbeitet zu haben.

Die Overseas Academy liegt in einem unscheinbaren Gebäude an einer hektischen Kreuzung in Makati City. Als ich die Schule im März besucht habe, waren dort gerade dutzende Frauen dabei, die unterschiedlichsten Hausarbeiten zu üben: wie man ein Bett knitterfrei macht, gebratenen Reis zubereitet, eine Serviette zu einem Schwan faltet, sich um kleine Hunde kümmert, während sie in ihren Hundeboxen sitzen, und Wäsche auf dem Dach eines Hochhauses aufhängt. In einem der Kursräume sah ich eine Gruppe von Frauen, die konzentriert auf ein Whiteboard starrten. Dort stand neben einer ellenlangen Liste mit Regeln, wie man ein Bett korrekt macht: "Daunendecke – quer, ¼ unten, ¾ oben".

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Die Overseas Academy ist eine von der TESDA anerkannte Schule, an der Haushälterinnen ausgebildet werden, die im Ausland und speziell in Hongkong arbeiten möchten. Die Schüler bereiten sich auf ihr staatliches Zeugnis vor, das sie nach einem eintägigen Abschlusstest bekommen, bei dem die angehenden Haushälterinnen in unterschiedlichen Hausarbeiten und "Kernkompetenzen" geprüft werden. Wenn sie den Kurs erfolgreich bestanden haben, können sie mit ihrem Zeugnis zu den philippinischen Behörden gehen und sich anschließend bei einer Vermittlungsagentur melden, um als Haushälterin im Ausland unter Vertrag genommen zu werden. Nur so können sie eine "Kasambahay" werden, wie der Beruf in der Landessprache genannt wird.

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Esperanza Pascual ist die Leiterin der Akademie und sagt, dass sie wöchentlich zwischen 50 und 200 neue Anwärterinnen haben – und das, obwohl die Gebühren verglichen mit dem durchschnittlichen Einkommen im Land sehr hoch sind. Allein die Ausbildungsgebühr beträgt umgerechnet rund 338 Euro. Hinzu kommt eine zusätzliche Prüfungsgebühr von rund 9 Euro. Das durchschnittliche Monatseinkommen lag 2012 im Vergleich dazu bei umgerechnet rund 90 Euro. Die meisten Frauen sind allerdings gerne bereit, die Gebühren zu zahlen. Sie hoffen, so ihre Familien unterstützen zu können, da laut Angaben der örtlichen Statistikbehörde 2015 noch immer mehr als 26 Prozent der Bevölkerung in Armut lebten.

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Die Ausbildung an der Akademie ist hart. Auf der Webseite werden Kurse beworben, die hunderte von Stunden dauern, von den meisten Frauen allerdings innerhalb einer Woche absolviert werden. Der Unterricht beginnt um 5 Uhr morgens und endet gegen 7 Uhr abends. Auf diese Weise sollen die angehenden Haushälterinnen nicht nur auf die bevorstehende Abschlussprüfung, sondern auch auf ihre zermürbenden Arbeitszeiten in Hongkong vorbereitet werden.

"Wir bringen ihnen bei, was ihre chinesischen Arbeitgeber von ihnen verlangen werden: Es muss sehr sauber sein", sagt Pascual. "Jeder Handgriff muss sitzen."

Die Abschlussprüfung ist genauso anspruchsvoll, erklären mir die Kursteilnehmerinnen: Die meisten freuen sich darauf, ins Ausland zu gehen, haben allerdings Angst vor der Prüfung. Pascual sagt, dass sich alle, die nicht bestehen, an illegale Schulen wenden werden, die nicht von der TESDA anerkannt wurden, aber Verbindungen zu ausländischen Vermittlungsagenturen haben. Dort sind die Kurse nicht nur günstiger, sondern erfordern auch keine Abschlussprüfung.

Es kommt nicht selten vor, dass sich die Haushälterinnen durch ihren Umzug nach Hongkong komplett verschulden. Im Rahmen einer 2016 erschienenen Studie haben Mitarbeiter des Justizzentrums in Hongkong mehr als 1.000 ausländische Haushälterinnen interviewt und konnten so zeigen, dass sich die meisten Frauen verschulden, noch bevor sie einen Arbeitgeber finden, was wiederum das Risiko erhöht, dass sie Opfer von Ausbeutung und Zwangsarbeit werden. Knapp die Hälfte aller Befragten gab an, dass sie sich in irgendeiner Form Geld leihen mussten, um das Einstellungsverfahren bezahlen zu können. Mehr als 35 Prozent von ihnen hatten Schulden in Höhe von rund 30 Prozent ihres jährlichen Einkommens.

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Meist beginnt die Verschuldung schon mit der Ausbildung. Pascual sagt, dass sie den Frauen die Möglichkeit anbietet, eine Anzahlung von rund 90 Euro zu machen und die restlichen Gebühren nach und nach abzuzahlen.

Der Schuldenberg der Frauen nimmt aber meist noch weiter zu, sobald sie von den Vermittlungsagenturen in Hongkong unter Vertrag genommen werden. Obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass die Provision der Vermittler 10 Prozent des ersten Monatsgehalts der ausländischen Haushälterinnen nicht überschreiten darf, halten sich die meisten Agenturen nicht daran. Im Jahr 2015 kamen knapp 500 Frauen zu der Nichtregierungsorganisation Mission for Migrant Workers in Hongkong, nachdem Vermittlungsagenturen illegale Gebühren von ihnen verlangt haben, sagt Cynthia Abdon-Tellez, die Geschäftsführerin der Organisation.

"Das sind aber nur die Frauen, die sich zu Wort gemeldet haben", erklärt mir Abdon-Tellez. Sie glaubt, dass es noch weitaus mehr Frauen gibt, die von solchen Praktiken betroffen sind. "[Die Agenturen] wissen, dass sie die Frauen ohne Weiteres dazu bringen können, die horrenden Gebühren zu zahlen – es gibt ja schließlich jede Menge Bewerberinnen."


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Wie 2016 von der International Domestic Workers Federation berichtet wurde, beträgt die durchschnittliche Vermittlungsgebühr, die die angehenden Haushälterinnen an die Agenturen zahlen müssen, knapp 1.400 Euro – und zwar noch bevor sie die Philippinen verlassen haben. Nach ihrer Ankunft in Hongkong müssen die meisten von ihnen noch zusätzliche Gebühren an die Vermittlungsagenturen zahlen und stottern sie über Lohnabzüge ab.

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"Die Mitarbeiter der Vermittlungsagenturen sind in der Regel ihre einzigen Ansprechpartner in Hongkong. Natürlich macht es das besonders schwer, ihnen zu widersprechen oder kritisch nachzufragen," sagt Lenlen Mesina, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Enrich in Hongkong.

Holly Carlos Allen arbeitet als Geschäftsführerin von HELP for Domestic Workers – einer Organisation, die Haushälterinnen in Hongkong kostenlosen Rechtsbeistand anbietet. Sie erklärt, dass von Vermittlungsagenturen, die illegale Gebühren verlangen, kaum Dokumente wie Quittungen oder andere Darlehensunterlagen existieren. Auf diese Weise wollen sie verhindern, ins Visier der Ermittler zu geraten. Um die hohen Gebühren abzuzahlen, sagt Allan, bekommen die meisten Frauen Zahlungskarten von den Vermittlungsagenturen, über die sie dann monatliche Beträge einzahlen. Meist geht ein Teil der Zahlung direkt an Kredithaie, mit denen die Agenturen unter einer Decke stecken.

"Natürlich stellen die Agenturen kein Quittungen aus. Wenn gegen sie ermittelt wird, behaupten sie, dass es sich um ein privates Darlehen [der Haushälterin] handeln muss und nichts mit [der Agentur] zu tun hat", sagt Allan.

Ich möchte nach Hongkong, weil mich das Leben und die Kultur interessiert und weil ich hoffe, dort besser bezahlt zu werden.

Es ist nahezu unmöglich genau zu sagen, wie viele Vermittlungsagenturen in Hongkong in illegale Geschäfte verwickelt sind. Auch die Polizei von Hongkong führt keine Statistik über die illegalen Aktivitäten von Vermittlungsagenturen, erklärt mir Cindy Lam, Sprecherin der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit bei der Polizei von Hongkong.

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Um sicherzustellen, dass sich die Agenturen an die gesetzlichen Vorgaben halten, hat das Arbeitsministerium in Hongkong inzwischen eine eigene Abteilung eingerichtet: die Employment Agencies Administration (EAA). Der Erfolg ist bisher allerdings ausgeblieben, sagt Allan, denn die Überwachung und die Kontrollen durch die EAA reichen längst nicht aus, um die Agenturen davon abzuhalten, illegale Gebühren zu verlangen.

"Vermittlungsagenturen machen sich strafbar, wenn sie keine Zulassung haben oder horrende Provisionen von den Arbeitssuchenden verlangen. Ein Verstoß gegen diese Vorgaben wird mit einem maximalen Bußgeld von 50.000 HKD [6.000 Euro] bestraft und das Arbeitsministerium von Hongkong setzt diese Maßnahmen rigoros durch", heißt es in einem Statement der Pressestelle des Arbeitsministeriums. "Nach Eingang einer Beschwerde gegen eine Arbeitsvermittlung leitet das Arbeitsministerium unverzüglich Ermittlungen ein. Wenn sich der Kläger bereit erklärt, mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten und uns hinreichende Beweise vorliegen, kann Anklage erhoben werden. Der Arbeitsminister hat zudem die Möglichkeit, die Erneuerung der Zulassung der betroffenen Vermittlungsagentur abzulehnen oder zu widerrufen, wenn es zu einer Verurteilung kommt."

Margie Sella ist eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und macht derzeit eine Ausbildung an der Overseas Academy. Sie war bis vor Kurzem in Saudi Arabien, hat dort aber lediglich 370 Euro im Monat verdient. Außerdem ließen sie ihre Arbeitgeber ununterbrochen arbeiten und gaben ihr kaum etwas zu essen. Sie setzt nun all ihre Hoffnungen auf Hongkong – ihr nächstes Ziel.

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"Ich glaube, Hongkong ist eine schöne Stadt. Die Vertragsbestimmungen, die man unterschreiben muss, sind sicher besser als im Mittleren Osten", sagt Sella. "In Hongkong wird sicher alles ganz anders."

Sella macht ihre Ausbildung gemeinsam mit ihrer Freundin Clarise Bayani, die mir erklärt, dass sie hofft, dass ihr Hongkong ein besseres Leben ermöglichen wird. Sie war zuvor bereits in Singapur, hat dort aber kaum genug verdient, um ihre Familie in Bacolod City zu unterstützen. "Ich möchte nach Hongkong, weil mich das Leben und die Kultur interessiert und weil ich hoffe, dort besser bezahlt zu werden", sagt sie.

Die meisten Frauen in der Akademie in Manila malen sich eine rosige Zukunft in Hongkong aus. Nur die allerwenigsten haben die Sorge, mit leeren Händen nach Hause zurückzukehren. Von den zahlreichen Missbrauchsfällen weiß hier niemand.

"Missbrauchsfälle? In Hongkong? Das kann ich gar nicht glauben. Davon habe ich wirklich noch nie gehört", sagt Pascual. "Wir bereiten unsere Kursteilnehmer nur auf die Gefahren in hohen Gebäuden vor, wie die Fenster." (Im vergangenen Jahr hat die Regierung von Hongkong ein Gesetz verabschiedet, das das Putzen von ungesicherten Fenstern regelt.)

"Ich habe keine Angst davor, meine Familie zurückzulassen. Ich gehe arbeiten, damit mein dreijähriger Sohn eine gute Zukunft hat und um meine Familie finanziell zu unterstützen", sagt Domelyn Orioque. Sie ist eine alleinerziehende Mutter und hat ebenfalls vor, nach Hongkong zu gehen. Orioque wird die Philippinen nach ihrer Ausbildung zum allerersten Mal in ihrem Leben verlassen. Sie glaubt, dass sie in Hongkong sicher sein wird.

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Maria Christal Naguna trägt ein Haarnetz und eine dicke schwarze Brille. Sie lächelt über beide Ohren, während sie mir von ihren Erfahrungen in Hongkong erzählt. Sie ist erst seit Kurzem wieder zurück in Manila, weil ihr letzter Arbeitgeber nach Kanada gezogen ist. Nun ist sie wieder zurück, um ihren Abschluss zu machen. Genau wie Sella und Bayani ist auch sie ins Ausland gegangen, noch bevor die Ausbildung verpflichtend war.

In Hongkong hat sie einer Agentur einen halben Monatslohn bezahlt, damit sie sie unter Vertrag nehmen. Das ist fünfmal mehr als gesetzlich erlaubt. Allerdings schreckt sie das nicht davon ab, wieder zurückzugehen.

"Ich arbeite im Ausland, um meine Familie zu unterstützen", sagt Naguna. "Ich mache das alles nur für sie. Ich möchte meiner Familie eine gute Zukunft bieten können."