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Politik

Wie sich eine niederländische Politikerin gegen Rechtspopulisten stark macht

Nach rassistischen Beleidigungen und Übergriffen gründete die ehemalige Fernsehmoderatorin Sylvana Simons einfach ihre eigene Partei. Ihr Ziel: Die Niederlande vor dem ganz großen Rechtsruck zu bewahren.
Photo by Robin van Lonkhuijsen via Getty Images

Sylvana Simons bezeichnet sich selbst als Produkt der holländischen Gesellschaft. Sie wurde in Surinam geboren, als das Land noch immer eine holländische Kolonie war. Als sie ein Jahr alt war, kam sie dann gemeinsam mit ihren Eltern in die Niederlande. Bekannt wurde sie als VJ bei MTV, später arbeitete sie als Moderatorin für verschiedene Fernsehformate. Ein Leben inmitten der niederländischen Kultur, quasi. Hinzu kommt, dass sie die landestypische Angewohnheit hat, ganz unverblümt zu sagen, was sie denkt. Für sie ist das der Beweis, dass Multikulturalismus und Integration funktionieren.

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Eine Einstellung, die viele ihrer Landsleute nicht teilen. Am 15. März wird in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. In den Umfragen führte lange Zeit der Rechtspopulist Geert Wilders. Er und seine "Partei für die Freiheit" plädieren für einen Ausstieg aus dem Euro und der Europäischen Union. International unterstützt Wilders den politischen Kurs von Donald Trump und Marine Le Pen.

In diesem politischen Klima ist Simons eine Ausnahmeerscheinung. Ihre politische Karriere begann vergangenen Mai, als sie sich der linken Partei DENK anschloss, die Zuwanderung befürwortet. Kurz darauf erklärte sie, bei den bevorstehenden Wahlen um einen Sitz im Parlament kandidieren zu wollen. Im Dezember gab sie dann ihren Austritt aus DENK bekannt und gründete ihre eigene politische Partei: Artikel 1.Mittlerweile ist die 46-Jährige eine der wichtigsten Stimmen gegen Rassismus, Kolonialismus und Ungleichheit in den Niederlanden – und wurde damit auch zum Ziel für bösartige Hetze im Netz und in den Medien.

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Der Name ihrer Partei stammt von dem ersten Artikel der holländischen Verfassung, der garantiert, dass alle Bürger gleich behandelt werden. Simons glaubt, dass dieser Artikel in Gefahr ist und scheint damit Recht zu haben. Die Fremdenfeindlichkeit in der holländischen Politik, die über die vergangenen 15 Jahre immer weiter zunahm, hat ihren Höhepunkt erreicht. Geert Wilders, der Gründer und Vorsitzende der nationalistischen Partei Partij Voor de Vrijheid ("Partei für die Freiheit") betrat die Bühne, nachdem ein anderer rechtsextremer Politiker, Pim Fortuyn, im Jahr 2002 ermordet wurde. Er hat seither stark zu dem immensen Rechtsruck in der holländischen Politik beigetragen. Der derzeitige Premierminister, Mark Rutte, der politisch eigentlich weiter links steht als Wilders, hat im Januar einen offenen Brief in einer holländischen Zeitung veröffentlicht, in dem er Immigranten warnte, dass "die stille Mehrheit" nicht mehr länger tolerieren würde, wenn Menschen "[ihre] Freiheiten missbrauchen". Die drei führenden Parteien stammen alle aus dem rechten Flügel.

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Simons wollte nicht einfach herumsitzen und zusehen, wie Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit ihr Land übernehmen. Als sie noch ein Kind war, hat ihr Vater immer Witze darüber gemacht, dass sie mal einen Job finden müsste, bei dem sie möglichst viel reden muss. Schließlich sei das eines ihrer größten Talente. Der Sprung von der Fernsehmoderatorin zur Politikerin war für Simons eine natürliche Entwicklung. Sie sei zu dem Menschen geworden ist, der sie schon immer war, erzählt sie. Außerdem spielte sich auch ihr vorheriges Leben nicht nur vor der Kamera ab.

Mit 21 Jahren bekam sie ihr erstes Kind. Mittlerweile hat sie zwei, beide erwachsen, die sie größtenteils alleine großgezogen hat. Ihre Erfahrung als Mutter hat sie nach eigener Aussage dazu bewogen, ihre eigene Coaching-Methode zu entwickeln. Das Ziel: Frauen an ihre eigene innere Stärke zu erinnern. Ihre politische Seite zeigte sie der Öffentlichkeit erstmals, als sie zu einem Dauergast in De Wereld Draait Door ("Die Welt dreht sich weiter") wurde, einer holländischen Sendung über das politische Zeitgeschehen.

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Die Zuschauer reagierten laut Simons überrascht auf diese neue Facette ihrer selbst. Als sie einen Gast wegen einer rassistischen Beleidigung zur Rede stellte, erlebte sie den ersten "rassistischen und sexistischen Tsunami des Hasses, der Gewalt und der Todesdrohungen." Die Todesdrohungen gingen auch weiter, als sie Zwarte Piet öffentlich kritisierte – eine kontroverse holländische Tradition, bei der sich weiße Menschen schwarz anmalen und anziehen wie Weihnachtselfen.

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"Wirklich, wirklich, wirklich schlimm" wurde es laut der Politikerin aber erst, nachdem sie angekündigt hat, als Mitglied von DENK für das Parlament zu kandidieren. Kurze Zeit später erschien im Netz ein Song, in dem einer "Sylvana" gesagt wird, es einfach sein zu lassen. (Die Urheber behaupten allerdings, dass ihr Song nichts mit Simons zu tun habe). Deutlich eindeutiger war ein weiteres Video, der ihr Gesicht auf dem Körper eines gelynchten, amerikanischen Mannes zeigt. Zudem spielte ein bekannter Radiomoderator in seiner Sendung grunzende Gorillalaute ab und sagte Simons, dass sie den Mund halten solle.

Im Juni reichte Simons eine offizielle Beschwerde bei der Polizei in Den Haag ein und berichtete von den 40.000 schlimmsten Drohungen und rassistischen Kommentaren, die sie seit der Bekanntgabe ihrer Kandidatur erhalten hatte. Nun wird wegen der Drohungen und der diskriminierenden Bemerkungen gegen insgesamt 20 Personen ermittelt.

Simons betrachtet die Beleidigungen und den Hass mit einer bemerkenswerten Distanz. "Diese Menschen kennen mich nicht, deswegen kann es dabei überhaupt nicht um mich gehen", sagt sie. "Es geht um ihre Wahrnehmung meiner Rolle in dieser Gesellschaft."

Als schwarze Frau in Holland wird von einem erwartet, dass man über gewisse Probleme einfach nicht spricht, sagt Simons. Es ist in Ordnung, wenn man eine Entertainerin ist und einfach nur über Musik und Mode sprechen möchte, "aber wehe man besitzt die Dreistigkeit zu denken, dass man die Gesellschaft, in der man lebt, kommentieren könnte".

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Simons führt den neu erstarkten Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit auf die Tatsache zurück, dass die Niederlande lange Zeit über den Eindruck vermitteln wollten, tolerant, liberal und progressiv zu sein, "wir dabei aber vergessen haben, tatsächlich tolerant, liberal und progressiv zu sein". Sie glaubt, dass das Land seine Geschichte der Sklaverei und der Kolonialisierung sowie seine Beteiligung am Zweiten Weltkrieg noch immer nicht aufgearbeitet hat. Deswegen hätten die Menschen nur eine sehr eingeschränkte Sicht darauf, wer sie eigentlich sind.

Die Frage nach der nationalen Identität steht im Zentrum dieser Wahl. Während populistische Politiker wie Wilders die Botschaft verbreiten, dass es nur einen einzigen Weg gibt, um ein echter Niederländer zu sein, versucht Artikel 1 deutlich zu machen, dass die Niederländer "keine Angst vor Veränderungen haben. [Sie] haben keine Angst davor, neuen Generationen, neuen Menschen und neuen Ideen Raum zu geben".

Unabhängig davon, wie viele Sitze Artikel 1 bei den Wahlen in dieser Woche bekommt – Simons und ihre Partei werden sich nicht zum Schweigen bringen lassen. Im Gegensatz zu ihren Eltern, die gezwungen waren, unauffällig zu bleiben, um sich einzufügen und zu überleben, sieht sich die junge Generation von niederländischen Immigranten als festen Bestandteil des Landes.

Ein Selbstverständnis, das auch Simons teilt: "Ich darf Entscheidungen treffen, ich darf meine Meinung vertreten, ich darf Forderungen stellen und ich darf Fragen stellen. Ich darf einfordern, was mir zusteht."