Wir haben Frauen gebeten, sich mit all ihren Schwächen zu zeichnen

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Körperbild

Wir haben Frauen gebeten, sich mit all ihren Schwächen zu zeichnen

Was mag ich an mir, was nicht? Diese für manche mehr, für manche weniger alltägliche Fragestellung haben wir uns zum Anlass genommen, um mit einer Gruppe Frauen ein kleines Experiment durchzuführen: Sie sollten sich für uns selbst zeichnen und erzählen...

Jeder hat irgendetwas an sich auszusetzen. Wie denn auch nicht, wenn wir permanent in Film, Fernsehen, Zeitschriften und sonstigen alltäglichen Medien mal mehr mal weniger direkt darauf aufmerksam gemacht werden, dass wir weit von „perfekt" entfernt sind? Die Optimierung seiner selbst ist ein eigenes Geschäft geworden: Ob nun ganz radikal der Besuch beim plastischen Chirurgen oder die etwas abgeschwächten Varianten in Form von beispielsweise Waist-Trainern, Detox-Tees oder vermeintlich motivationsankurbelnden Selfies auf Instagram. Gleichzeitig leben wir in einer Zeit, in der nicht nur klassische Geschlechterrollen, sondern auch die Vorstellung davon, was „schön" ist und was nicht, aufgeweicht werden.

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Das Bewusstsein darüber, wie wichtig es ist, sich trotz all seiner vermeintlichen Makel selbst zu lieben, ist wichtig. Denn—lasst uns alle ehrlich miteinander sein—die Perfektion in Person zu sein ist und bleibt unweigerlich eine Illusion, ein Wunschgedanke. Da ist es auch egal, wie viel oder wenig wir an uns herumwerkeln. Es ist OK, sich einfach so zu nehmen wie man ist, genauso wie es auch OK ist, sich selbst kritisch zu betrachten. Richtig ist, was sich für einen selbst richtig anfühlt.

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Aus diesem Grund haben wir junge Frauen verschiedenen Alters, Körpertyps und kulturellen Backgrounds gebeten, sich selbst zu zeichnen und zu erzählen, was sie an sich mögen und was nicht. Ihre Selbstwahrnehmung zu Papier zu bringen, quasi.

Henriette, 19
Wenn es etwas gibt, was ich wirklich an mir liebe, dann sind es meine Haare. Sie sind mein Markenzeichen und ich könnte mir keine anderen an mir vorstellen. Ich liebe, wie meine Locken überall um mein Gesicht herumspringen. Jeden Tag auf eine andere Art und Weise. Mal gebändigte Wellen, mal große Engelslocken, mal kleine Afrolöckchen, die in alle Richtungen stehen. Manchmal als wilde Löwenmähne, manchmal sanfte Korkenzieher. Jeden Tag fallen meine Haare anders. Ich habe lange versucht sie zu zähmen, habe aber irgendwann festgestellt, das dies unmöglich ist. Meine Haare führen ein Eigenleben—und ich liebe es.

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Was jedoch überhaupt nicht in dieses Bild passt, ist mein schmales Körperchen. Ich bin relativ groß, war aber mein ganzes Leben sehr dünn. Seit ich denken kann, wünsche ich mich ein, zwei Konfektionsgrößen größer. In jeder Hose schlabbert der Po, ich finde eigentlich kaum BHs, weil sich da seit meinem 14. Geburtstag nicht mehr viel getan hat und allgemein ist es schwierig, Kleidung zu finden, die an mir vorteilhaft aussieht. Ich bin neidisch auf meine Freundinnen, auf ihre kurvigen Hüften, auf die üppige Oberweite. Ich traue mich nicht, Ausschnitt zu tragen, man könnte ja mein knochiges Dekolleté sehen, oder enge Hosen, man könnte ja meine schmalen Beinchen sehen.

Und diese ganzen Kommentare. Dauernd werde ich gefragt, ob ich auch genug zu Essen habe oder ob ich magersüchtig bin. Bei dünnen Menschen scheint es OK zu sein, Bemerkungen zu machen und niemand denkt darüber nach, dass sie gerade voll ins Schwarze getroffen haben. Ich finde nicht, dass man sich fürs Dünn sein schämen muss. Und obwohl ich fast jeden Tag Kommentare über meinen Körper zu hören bekomme, schaue ich morgens in den Spiegel und kann aus vollem Herzen sagen: Ich bin schön!

Yvonne, 28
Was mag ich an mir? Hätte mich das jemand früher gefragt, wäre die Antwort sehr kurz gewesen: Nicht viel! Als Kind war ich immer dick und fand mich nicht besonders schön. Selbst heute ist es für mich als Frau nicht einfach zu akzeptieren, dass ich schön bin, wie ich bin—obwohl ich das für ein sehr erstrebenswertes Ziel halte. Frauen, die sagen, sie würden sich nicht mit anderen vergleichen, beneide ich. Jeden Tag prasseln tausende Bilder von perfekten Körpern auf mich ein und sich davon nicht einschüchtern zu lassen, ist ein Kraftakt. Mittlerweile bin ich ganz zufrieden mit mir, würde ich sagen. Trotzdem wäre ich gerne ein wenig kleiner. Es ist schwer, passende Hosen zu finden und einen Mann, der größer ist als ich. Das nervt.

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Am liebsten an mir habe ich meine Brüste. Brüste sind für mich das ultimative Zeichen von Weiblichkeit und ich bin sehr gerne eine Frau. Ich habe tolle Augen und eine Zahnlücke, die nicht jeder hat. Durch meine Tätowierungen bin ich selbstbewusster geworden: Sie passen zu mir und machen mich einzigartig.

Elif, 23
Als Tochter einer türkischen Migrantenfamilie hat man es nicht unbedingt einfach, sei es hinsichtlich der Leistung in der Schule oder Uni oder wie in diesem Fall des äußeren Erscheinungsbildes. In der Pubertät kamen bei mir einige Kilos dazu, doch von Adipositas war ich sehr weit entfernt. Trotzdem hatte ich das Gefühl—was nicht zuletzt durch mal mehr mal weniger indirekte Bemerkungen zu Hause gefördert wurde—, dass ich weit weg von „perfekt" bin. Nach etlichen (vergeblichen) Versuchen abzunehmen, wurde mir einige Jahre später endlich klar, dass man sich so akzeptieren muss wie man ist. Das ist zwar einer der typischsten Sprüche, die man mittlerweile überall liest und hört, aber er entspricht einfach der Wahrheit.

Das Selbstbewusstsein profitiert nicht davon, sich von fremden Meinungen so stark beeinflussen zu lassen, dass man anfängt an sich zu zweifeln oder sogar so weit getrieben wird, seinen Körper zu hassen. Man wird das ganze Leben mit sich selbst verbringen. Wenn dich etwas stört, dann versuche es wenn möglich zu ändern. Aber mache es nicht, weil andere es von dir wollen oder erwarten, sondern weil DU es für notwendig hältst. Meine Zeichnung soll also meinen Mindset zu diesem Thema widerspiegeln. Eine ganz neutrale, unkonkrete Silhouette, die sich weder kritisieren noch lobpreisen lässt. Über den Lauf der Zeit habe ich für mich einfach festgestellt, dass man sich nicht groß über irgendetwas an einem selbst aufregen muss, genauso wenig muss man sich auf seinen Körper groß etwas einbilden.

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Klar, man sollte das Beste daraus machen, stolz oder sich seinen Reizen bewusst sein und nach Beyoncés Devise „If you got it, flaunt it" leben, aber wichtig wird es immer erst dann, wenn es ans Eingemachte geht. Denn, auch wenn man–vor allem als Frau–nicht selten suggeriert bekommt, dass wenn du hübsch bist, alles andere nebensächlich ist, muss man auch etwas auf dem Kasten haben. Diesem Aspekt gebührt meiner Ansicht nach wesentlich mehr Zeit und Respekt, als allem anderen.

Vanessa, 20
Es fällt mir an manchen Tagen schwer zu sagen, was ich an mir mag, an anderen Tagen wiederum liebe ich alles an mir. An einigen Tagen sehe ich in den Spiegel und merke, wie schlecht meine Haut geworden ist, wie blass und müde ich aussehe oder dass meine Augenlider tiefer hängen als sie hängen sollten.

An anderen Tagen sehe ich nur meine glatten, glänzenden Haare ohne eine einzige Welle, meine Lippen und langen Beine.

Lena, 25
Beginnen wir mal mit dem Schlechten, also mit dem Aspekt, der mich an mir stört. Ich bin seit jeher sehr klein, eins-paar-und-fünfzig Meter. Meine Körpergröße hat es für mich schon immer irgendwie kompliziert gemacht. Sei es im Sportunterricht, wenn ich beim Hochsprung oder Hürdenlauf aufgrund meiner kurzen, dicklichen Beine gnadenlos gescheitert bin, oder bei Konzerten, wo ich meist nicht mehr und nicht weniger sehe als den Rücken meines Vordermannes. Außerdem blieb mir wegen meiner Größe immer die Chance verwehrt, als Model durchzustarten. Nicht, dass das jetzt ein Ziel oder gar Traum gewesen wäre, aber es wäre zumindest nett, die Option zu haben. Ich war mir immer sicher, dass ich noch wachse. Manchmal glaube ich sogar heute noch daran. Als meine Freunde und Freundinnen ihre pubertären Wachstumsschübe hatten, und ich nicht, wurde ich schon skeptisch. Nun gut, ich dachte, ich bin da vielleicht eine Spätzünderin. Immerhin sind die meisten anderen in meiner Familie—zumindest im Vergleich zu mir—relativ groß. Mittlerweile bin ich aber Mitte Zwanzig und gebe allmählich die Hoffnung auf.

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In meinen Kindertagen meinte meine Mutter (wie wahrscheinlich jede Mutter zu ihrer unterdurchschnittlich kleinen Tochter) zu mir, dass ich den klaren Vorteil hätte, was Versteckspielen anbelangt. Klar, das stimmte auch. Aber irgendwann kam ich dann aus dem Alter heraus, in dem in engen Ritzen verstecken können als beneidenswert galt. Ganz besonders schwierig wurde es dann so in den Teenager-Jahren. Wenn meine Clique und ich uns in den örtlichen Club schmuggeln wollten, funktionierte alles, bis ich, die kleine Lena, an der Reihe war. Kleiner Mensch gleich junger Mensch? Nun ja, zumindest in diesen Fällen schien das die Regel zu sein und ich musste meinen Ausweis zücken, beziehungsweise sagen, dass ich keinen dabei hatte. Und das wiederum endete meistens damit, dass ich nach Hause musste.

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Aber genug mit dem Gequengel. Ich bin eben klein und die Körpergröße ist nun mal eines der wenigen Dinge, die man auch operativ nicht nachbessern oder abändern kann. Dementsprechend muss(te) ich mich damit abfinden. Kommen wir also zum Guten, meiner Körpergröße: Ja, also so sehr sie mir auch auf den Zeiger gegangen ist, teilweise immer noch geht, ist es trotzdem auch etwas Gutes, so klein zu sein. Meine beste Freundin beispielsweise ist ein ganzes Stück größer als ich. Sie hat manchmal Probleme damit Männer zu finden, die nicht kleiner sind als sie. Erst recht dann, wenn sie hohe Schuhe trägt. Damit habe ich noch nie ein Problem gehabt und werde es vermutlich auch nie haben. Darüber hinaus habe ich irgendwann gemerkt, dass man sich auch im Erwachsenenalter ganz gerne mal verstecken und verkriechen will.

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Ann-Cathrin, 18
Ich sehe mich ehrlich gesagt wie ein ganz normales Mädchen, eine ganz normale junge Frau. Ich mache mich auch gerne mal ein bisschen zurecht, passe wohl oder übel auch ziemlich gut in jegliches Klischee. Rein äußerlich würde ich sagen, dass ich recht attraktiv bin, eine gute Figur habe und im Allgemeinen irgendwo dem Schönheitsstandard entspreche. Wenn man jetzt spezielle Körperteile nehmen will, dann würde ich mein Doppelkinn als störend bezeichnen. Auf der anderen Seite gefallen mir wiederum meine langen Beine sehr gut.

Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, mich vom Aussehen her—zumindest auf den ersten Blick—in keiner Weise von der großen Masse abheben zu können. Grundsätzlich bin ich aber auch keine Verfechterin davon, Frauen in „Stücke zu zerteilen". Denn eigentlich ist es ja egal, was man an sich mag und was nicht, denn es gehört zu einem Gesamtpaket. Einem Gesamtpaket, an dem ich persönlich nichts ändern kann und auch nichts ändern will. Es wäre gelogen zu behaupten, dass ich mir darüber keine Gedanken mache und mir mein Äußeres total gleichgültig wäre. Aber es zählt auf keinen Fall zu meinen Prioritäten. Viel wichtiger ist mir mein Verstand. Ich würde behaupten, ich bin überdurchschnittlich intelligent, oder besser gesagt kognitiv interessanter als rein optisch. Und das ist mir sehr wichtig. Ich möchte für mein Wesen, für mein Können geschätzt werden. Ich sehe keinen Grund oder Anlass, den Fokus mehr auf mein Äußeres zu lenken, da ich—auch ohne es darauf anzulegen—schon des Öfteren nur darauf reduziert werde. Es ist mir aber ein Anliegen, meine Mitmenschen wissen zu lassen, dass sich weitaus mehr hinter mir verbirgt, als die Fassade vielleicht vermuten lässt.

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Judith, 21
Meine Selbstwahrnehmung entspricht—abzüglich künstlerischer Fehler—ziemlich genau dem Bild. Ich muss dazu sagen, dass ich Kleidergröße 40/42 trage. Das entspricht glaube ich ziemlich genau den Maßen, die derzeit im Rahmen der ganzen „Body-Positivity"-Bewegung gefeiert werden. Dennoch fällt es mir schwer, positiv darüber gestimmt zu sein. Einfach aus dem Grund, dass ich meine dicken Oberarme, Schenkel und den Speck am Bauch nicht ausstehen kann. Ich hänge leider Gottes immer noch dem vermeintlichen Ideal der Size 0 nach, trotz der Tatsache, dass mein Körpertyp mittlerweile durchaus gesellschaftliche Daseinsberechtigung erlangt hat—nicht zuletzt durch Frauen wie beispielsweise den Kardashians. Man kann sie lieben oder hassen, aber ihnen in Abrede stellen, dass sie entscheidend dazu beigetragen haben, eine Wende in Gang zu setzen was unser Verständnis von Schönheit anbelangt, wäre schlichtweg falsch.

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Ich habe nie aufgrund anderer Stimmen unter meinem Aussehen leiden müssen. Ganz im Gegenteil, mir wird sogar recht häufig gesagt, dass ich ein hübsches Gesicht und schöne Kurven habe. Warum meine Selbstkomplexe das alles irgendwie überschatten, ist mir nicht klar. Ich bin nun immerhin schon in meinen frühen Zwanzigern angekommen. Man würde meinen, ich könnte mich inzwischen ganz stark, stolz und selbstbewusst zu meinem Körper und meinem Erscheinungsbild äußern. Dem ist leider überhaupt nicht so. Und so gerne ich hier auch einen Text darüber geschrieben hätte, wie wichtig es ist, sich selber zu lieben und wie oberflächlich es ist, sich und andere nach ihrem Aussehen zu beurteilen, es wäre meinerseits nicht ehrlich gewesen. Eigentlich ist es mir auch schon peinlich, in Zeiten dieser (weiter oben bereits angesprochenen) Wende noch davon zu reden, dass ich mich zu fett fühle. Aber ich glaube es ist wichtig, da ganz ehrlich zu sich selbst zu sein. Nur weil es diese Trendwende gibt, heißt das nicht, dass ich mich automatisch besser fühle, oder? Es muss am Ende des Tages wirklich von einem selber kommen. Wenn es das nicht tut, dann hilft auch kein gutes Zureden von anderen weiter. Ich bin eben eine sehr selbstkritische, junge Frau. Eine Perfektionistin, die immer irgendetwas—vorrangig an sich selbst—auszusetzen hat.

Vanessa Lisa-Marie, 28
Um ehrlich zu sein, bin ich eigentlich ziemlich zufrieden mit meinem Körper. Klar gibt es Tage, an denen sich eine allgemeine Unzufriedenheit breit macht und ich jeden Spiegel oder jede sich spiegelnde Fläche meide. Aber im Großen und Ganzen akzeptiere ich meine Maße und Proportionen so, wie sie nunmal sind. Meine Beine sind nicht besonders lang, aber sie tragen mich wo immer ich hinmöchte. Meine Brüste sind nicht besonders groß, aber dafür schön geformt.

Tatsächlich mag ich allerdings meine Augen am liebsten. Das geht mir auch oft bei anderen so, denn an den Augen kann man viel erkennen und ablesen. Es existiert ja nicht umsonst die Redewendung „Augen sind die Fenster zur Seele".