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LGBTQ

„Nur eine Frage der Zeit“: europäische LGBTQ-Clubs über das Orlando-Attentat

Nach dem Terroranschlag auf einen LGBTQ-Nachtclub in Florida steht die Welt noch immer unter Schock. Wir haben bei Clubbetreibern und Vertretern der Szene in Berlin, London und Dublin nachgefragt, wie sie mit dem Vorfall umgehen.
A mourner outside the US Embassy in Berlin. Photo by Adam Berry/Getty Images

In der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte—so wie viele tausend andere LGBT-Clubs auf der ganzen Welt—auch der Nachtclub Pulse in Orlando geöffnet. In den frühen Morgenstunden wurde der beliebte Club in Florida zum Schauplatz der schlimmsten Massenerschießung in der Geschichte der USA.

Der 29-jährige Schütze Omar Siddiqui Mateen betrat den Club gegen 2 Uhr nachts und eröffnete das Feuer auf die Gäste. Er nahm zahlreiche Menschen als Geisel. Drei Stunden später stürmte die Polizei den Veranstaltungsort, wobei der Attentäter getötet wurde. Die Zahl der Todesopfer liegt derzeit bei 50. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Zahl noch weiter steigen wird. Ingesamt wurden 53 Menschen bei dem Anschlag verletzt. Zudem gab es einen weiteren Zwischenfall, bei dem die Polizei einen schwer bewaffneten Mann auf dem Weg zu einer Gay-Pride-Parade in Los Angeles festhielt, die dort am Sonntag stattfand. Bisher ist jedoch noch nicht klar, ob und inwiefern diese beiden Ereignisse miteinander in Verbindung stehen.

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Die LGBT-Gemeinde in den USA ist erschüttert von dem Anschlag, der von einem Mediensprecher als „die schlimmste Gräueltat gegen LGBT in der westlichen Welt seit Generationen" bezeichnet wurde. In Europa versuchen Clubbesitzer und Veranstalter zu verstehen, warum gerade dieser Ort in einer der schwulenfreundlichsten Gegenden der USA zum Ziel für den Anschlag wurde und fragen sich, ob so etwas auch in ihrem eigenen Land passieren könnte.

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„Auch in Großbritannien gab es in der Vergangenheit Angriffe auf die LGBT-Community—von homophoben Kundgebungen in oder vor Bars und Clubs bis hin zu der Nagelbombe in Soho im Jahr 1999", sagt ein Pressesprecher des Club Kali, einem bekannten LGBT-Club in London. „Die Gefahr besteht immer … durch Homophobe, Extremisten und Gegner [der LGBT-Szene]. Sicherheit hatte im Club Kali schon immer oberste Priorität und unsere Sicherheitsmaßnahmen sind extrem hoch. Dennoch werden wir sie noch weiter verschärfen."

1999 platzierte ein Neonazi eine Bombe im Zentrum von Londons Schwulenszene, der Old Compton Street in Soho, und tötete dabei drei Menschen.140 weitere wurden verletzt. In Soho fand am Montag eine Mahnwache für die Opfer in Orlando statt. Alle Bars, Clubs und Restaurants in der Old Compton Street hielten einen Moment inne und baten ihre Gäste, sich im Gedenken an die Opfer des Anschlags im Pulse die Hände zu reichen.

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„Das ist eine riesige Tragödie und hat einen massiven Einfluss auf die LGBT-Gemeinde. Deshalb haben wir die Mahnwache organisiert", sagt Nieko Strobel, PR-Manager der Ku Bar, einem der Orte, wo die Mahnwache stattfand. Gegenüber Broadly sagt er, dass die Sicherheitsmaßnahmen an allen drei Standorten der Ku Bar in London erhöht werden würden—mit mehr Sicherheitskräften, die zukünftig länger vor Ort sein werden.

„Wir sind zunehmend vorsichtiger angesichts der Ereignisse weltweit und nachdem London als mögliches Anschlagsziel genannt wurde", sagt er. „Die Szene hat das Gefühl, im Visier zu stehen und wir müssen sicherstellen, dass wir alles tun, was wir können, damit sich die Leute sicher fühlen. Schließlich sollen unsere Lokale Orte sein, an denen sie so sein können, wie sie wollen und sich sicher fühlen können. Wir werden im Hinblick auf die Sicherheit auch weiterhin unser Bestes tun und versuchen sicherzustellen, dass uns solche Ereignisse nicht davon abhalten, die Liebe, das Leben und die Vielfalt zu feiern."

Ehrlich gesagt, war es in meinen Augen nur eine Frage der Zeit bis der LGBT-Szene so etwas passiert.

In Irland haben LGBT-Gruppen und -Organisationen eine Mahnwache neben dem Rathaus in Dublin organisiert. Das George—ein Nachtclub und Pub, der bereits acht Jahre vor der Legalisierung von Homosexualität in Irland eröffnet hat—hat zudem eine GoFundMe-Kampagne für die Opfer des Anschlags in Orlando gestartet.

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Foto: imago | Future Image

„Wir hoffen, damit den Opfern helfen zu können", sagt Darragh Flynn, Manager des George. „[Die Kampagne] ist auf großen Anklang bei den Leuten in der Szene gestoßen. Die Leute sehen, dass es der Anschlag, ein Angriff auf alle Orte der LGBT-Community war." Die Kampagne ist momentan noch nicht online, da sie noch wartet auf ihre Verifikation wartet, doch das George legt den Leuten auch nahe, die Spendenaktion der Organisation EqualityNow zu unterstützen.

Gloria Viagra, Clubveranstalterin und DJ aus Berlin, sagt, dass sie schockiert, aber nicht überrascht von dem Anschlag ist. „Ehrlich gesagt, war es in meinen Augen nur eine Frage der Zeit, bis der LGBT-Szene so etwas passiert", sagt sie im Telefonat mit Broadly. „Vor einer Woche war ich bei einer Gay-Pride-Parade in Tel Aviv und dachte: ‚Das wäre das perfekte Ziel für Extremisten.' Ich habe nicht darauf gewartet, aber ich war auch nicht überrascht. Ich war einfach nur traurig."

Sowohl Gloria Viagra als auch Club Kali betonen, wie wichtig es nun in Folge des Anschlags ist, Solidarität mit Muslimen und homosexuellen Muslimen zu zeigen. „Farbige Menschen und ethnische Minderheiten werden innerhalb ihrer religiösen und kulturellen Gemeinden noch immer häufig Opfer homophober Übergriffe oder auch Opfer von Rassismus innerhalb der internationalen LGBT-Szene", sagt der Pressesprecher von Club Kali. „Viele der Opfer aus Orlando sind Latinos."

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„Fakt ist, dass der Großteil der Täter von Orlando, Paris, Sandy Hook und anderen Gräueltaten eigentlich keiner Religion angehören, sondern diese nur als Entschuldigung für ihre verrückten, wirren Taten nehmen. Menschen zu töten hat nichts mit Religion zu tun, oder?"

Gloria Viagra sagt weiter: „Wir müssen mit bestem Beispiel vorangehen und tolerant gegenüber anderen sein. In unserer Szene gibt es immer noch ein großes Problem mit Rassismus—wir sind gegeneinander, anstatt Solidarität zu zeigen und den Schwächsten in unserer Mitte zu helfen. Das sollten wir eigentlich tun und ein gutes Vorbild sein."

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) hatte für Montag eine Mahnwache organisiert, bei der die Trauernden Kränze, Regenbogenfahnen und Blumen vor die Amerikanische Botschaft am Pariser Platz in Berlin niedergelegt haben. Viagra sagt, dass sie vorhat, den Eintritt des kommenden Abends, den Opfern des Anschlags ins Orlando zu spenden.

„Wir müssen etwas tun", sagt sie. „Wir können nicht einfach warten, bis sie uns umbringen."