Caitlyn Jenner
Caitlyn Jenner| Foto: Luke Gilford

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Feminisme

Caitlyn Jenner kämpft immer noch darum, akzeptiert zu werden

2015 wurde Caitlyn Jenner dafür gefeiert, ihre Identität als Frau öffentlich zu machen. In der Community selbst ist sie jedoch umstritten. Uns hat sie erzählt, wie es ihr heute geht.

Caitlyn Jenner kann sich nicht mehr an den Namen des Films erinnern.

"Der war mit Billy Crystal und Curly … Gott, wie war der Name? Er war mit einer Rinderherde unterwegs. Billy Crystal war aus New York und er musste raus aus der Stadt und zu sich selbst finden" – dann fällt es ihr wieder ein.

" City Slickers."

Caitlyn nickt und schaut zu mir herüber. Es ist ein warmer Herbsttag im kalifornischen Malibu. Die Nachmittagssonne zeichnet Muster aus Licht und Schatten auf unsere Gesichter. Ich bin durch das ganze Land geflogen, um das Wochenende mit Caitlyn zu verbringen, in der Hoffnung, die Person hinter dem Celebrity-Zirkus kennen zu lernen. Caitlyn war gerade dabei zu erzählen, was sie sich am meisten für ihre Kinder wünscht. So kamen wir auf City Slickers.

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"Die sitzen um ein Lagerfeuer herum. Billy Crystal fragt den weisen Cowboy: 'Was ist das Geheimnis des Lebens?' Der weise Cowboy lehnt sich rüber und sagt: 'Eine Sache' und redet dann einfach weiter über dies und das", erklärt Caitlyn. "Irgendwann will Billy Crystal wissen: 'Was ist diese eine Sache?' Daraufhin sagt der Cowboy: 'Das musst du alleine herausfinden.'"

"Das macht für mich das Leben aus. Diese ein Sache, für die du morgens aufwachst und dich auf den Tag freust und es gar nicht erwarten kannst, anzufangen – deine Leidenschaft im Leben." Das wünscht sie auch all ihren Kindern. "Wenn du morgens aufwachst, dich auf den Tag freust und etwas zu tun hast, dann ist das gut. Es ist nicht leicht, die eine Sache zu finden. Ich möchte, dass meine Kinder diese eine Leidenschaft in ihrem Leben finden."

Sie hält inne und schließt die Augen, erinnert sich an die Anfänge ihres eigenen Lebens zurück. "Vielen Leuten fällt es schwer, zwischen Passion und Popularität zu unterschieden. Menschen neigen dazu, Dinge anderen zu Liebe zu tun."

Über 60 Jahre lang hat Caitlyn so gelebt, wie andere es von ihr erwarteten. Als Bruce Jenner wurde sie zum Olympia-Helden und einer charismatischen Ikone amerikanischer Maskulinität. Dieses Image verwandelte sie in ein lukratives Geschäft mit Werbeverträgen, Auftritten als Sportreporter und öffentlichen Reden. Zur Jahrtausendwende wurde sie Patriarch des Kardashian-Jenner-Clans. Auch wenn sie ihre Rolle als Vater genoss, fühlte sie sich ihrer Frau, Kris, untergeordnet und entfremdete sich von ihrer eigenen weiblichen Identität. 2015 outete sich Bruce Jenner als trans und veränderte damit die Diskussion rund um Gender und identität in der ganzen Welt.

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Heute, sagt Caitlyn, konzentriert sie sich darauf, das Leben für die Transgender-Community zu verbessern. Ihre Plattform nutzt sie, um Bewusstsein und Verständnis zu fördern. Ihre wohltätige Organisation, die Caitlyn Jenner Foundation, unterstützt Organisationen, die Gesundheitsversorgung, Suizidprävention oder Wohnprojekte für Transpersonen in Los Angeles anbieten.

Indem sie sich vor den Augen der Öffentlichkeit geoutet und gewandelt hat, hat Caitlyn in den USA auch eine nationale Identitätskrise aufgedeckt, die die klassische Gender-Narrative noch in den nächsten Jahren beeinflussen wird. Doch ihr Verhältnis zur Transgender-Community war von Anfang an problematisch.

Kritikerinnen werfen Caitlyn vor, eine eigennützige Außenseiterin zu sein, deren Konservatismus und privilegierter Status als reiche, weiße Amerikanerin ihr Engagement im Kampf für soziale Gerechtigkeit der Transgender-Bewegung kompromittiere. Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 hat sie für Trump gestimmt. Obwohl sie seine Politik zu LGBTQ-Themen kritisiert hat, sehen viele ihre andauernde Unterstützung für die Republikanische Partei als problematisch.

Als Transfrau und Journalistin fand ich die ganzheitliche Ablehnung von Caitlyn Jenner kurzsichtig. Auch wenn ich der Kritik oft zustimme, glaube ich auch, dass Caitlyn eine wichtige potenzielle Verbündete ist. Ist es möglich, dass jemand auch dann wertvoll ist, wenn er Teil des Problems zu sein scheint?

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Im vergangenen Frühjahr hat Caitlyn ihre Autobiographie Mein großes Geheimnis – Gefangen im falschen Körper (Originaltitel: The Secrets of My Life) veröffentlicht. Sie beschreibt den Prozess, ihre Lebensgeschichte auf Papier zu bringen, als einen befreienden, letzten Schritt, der nötig war, um ihr neues Leben beginnen zu können. Doch was sie selbst als Ehrlichkeit sieht, bezeichnen die Kardashians in ihrer Show als Verrat. Es war ein schweres Jahr für Caitlyn.


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"Die kennen mich nicht", sagte sie über die Außenstehenden, die sie jetzt kritisieren. Das klingt vielleicht wie ein Klischee, aber sie hat recht. Die Öffentlichkeit hat Caitlyn Jenner erst vor drei Jahren kennengelernt. Es gibt nur eine Person, die Caitlyn bereits ihr ganzes Leben lang kennt.

Bruce Jenner wurde während der Olympiade 1976 zum amerikanischen Helden, als er den sowjetischen Titelverteidiger im Zehnkampf schlug und die Goldmedaille gewann. Doch obwohl der Athlet das Sinnbild von Maskulinität war, war er nur ein Konstrukt, erdacht von einer Frau, die damit ihr Überleben sichern wollte. "Ich habe dieses Image bewusst geschaffen", erzählt mir Caitlyn. "Ich wusste, was ich tue."

Zu dieser Zeit war die Transgender-Community nur eine Subkultur der Subkultur, über die nur ganz leise oder überhaupt nicht gesprochen wurde. Obwohl die Geschlechtsangleichung von Christine Jorgensen Anfang der 1950er Jahre Aufmerksamkeit auf das Thema lenkte, sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis die Wahrnehmung von Transpersonen in den USA sich merklich änderte.

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Caitlyn wuchs in den 1950er und 60er Jahren in Vororten von New York und Connecticut auf. Sie konnte selbst nicht benennen, was sie durchmachte – wie unwohl sie sich in ihrem eigenen Körper fühlte, der Drang, Frauenkleider zu tragen. Die Idee, selbst zur Frau zu werden, war undenkbar. Also stand Caitlyn mit ihrem Geheimnis ganz allein da. Sie tat alles, um ihr Geheimnis zu schützen und um ein gutes Leben zu führen.

Caitlyn war eine schlechte Schülerin, die mit Legasthenie kämpfte. Beim Sport war sie jedoch richtig gut und fühlte sich schnell in Sportarten wie Football und später im Zehnkampf zu Hause. Das Training gab ihr in ihrem ansonsten ziellosen Leben einen Grund, jeden Tag weiter zu machen. Ihr Engagement verwandelte sich in Besessenheit, während sie gleichzeitig den Wunsch, als Frau zu leben, immer tiefer unter ihrem muskulösen Erscheinungsbild begrub. 1972, nur zwei Jahre nach ihrem ersten Zehnkampf, qualifizierte Caitlyn sich für die Olympischen Spiele in München, bei denen sie den zehnten Platz belegte. Vier Jahre später wurde sie "zum besten Athleten der Welt".

Doch während die USA ihr zujubelten, war Caitlyn entsetzt. "Was habe ich getan?", dachte sie damals. Die Mühen, den Sportler Bruce aufzubauen, hatten ihrem Leben einen Sinn gegeben, aber nun wurde ihr klar, dass sie ihre eigene Kunstfigur nicht mehr los wurde. In den Jahren nach dem Olympiasieg profitierte Caitlyn von ihrer Identität als Bruce – sie bekam Werbedeals und TV-Auftritte. Doch diese Rolle in der Öffentlichkeit zu spielen, bedeutete für Caitlyn große persönliche Entbehrungen. "Es ist seelisch sehr belastend, wenn du nicht du selbst sein kannst", seufzt sie.

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"Es war noch nicht an der Zeit. Ich musste noch Kinder großziehen."

Anfang der 1980er bekam Caitlyn schwere Depressionen. Sie hatte zwei gescheiterte Ehen hinter sich, mit insgesamt vier Kindern. Sie zog in ein kleines Haus in Malibu und lebte mehrere Jahre alleine. Die Geschlechtsdysphorie war überwältigend und es wurde für sie immer schwieriger, als Mann zu leben. Also begann Caitlyn heimlich mit ihrer Verwandlung: Sie ließ sich die Nase operieren, ließ sich unter Schmerzen ihren Bart entfernen und begann eine Hormontherapie.

Caitlyn nahm sich vor, die Umwandlung vor ihrem 40. Lebensjahr zu vollenden. "Dann war ich plötzlich 39 und konnte es nicht", sagte sie. Sie wurde immer noch von der Angst beherrscht, überzeugt davon, dass sie als Frau alles verlieren würde, was ihr etwas bedeutete. Allerdings hatten die viereinhalb Jahre Hormontherapie Spuren hinterlassen. Als sie Kris Kardashian zum ersten Mal traf, hatte sie Brüste, erzählt Caitlyn mir. "Ein kleines B-Körbchen." Sie hatte sich verliebt und wusste, dass sie sich als Bruce eine Zukunft mit Kris und ihren vier Kindern aufbauen könnte.

"Kris und ich heirateten und ich versteckte es einfach, so gut ich konnte", sagt Caitlyn. Gemeinsam bauten sie die Figur Bruce Jenner als Motivationsredner wieder auf. 1995 wurde ihre erste gemeinsame Tochter geboren.

"Als Kendall geboren wurde, ließ ich mir die Brüste wieder entfernen", erzählt mir Caitlyn. "Ich dachte mir: 'Ich kann ja nicht mal mit meinem eigenen Kind schwimmen gehen.'" Sie sagt, dass Kris damals den Termin für sie ausmachte. In ihrer TV-Show Keeping Up With The Kardashians hat Kris abgestritten, dass sie damals wusste, dass ihr Ehemann trans war. Die Frage, ob ihr die Brüste damals emotional geholfen hätten, bejaht Caitlyn ohne Zögern. "Ich weinte, als ich sie mir entfernen ließ. Aber ich hatte die Entscheidung getroffen, dass es noch nicht an der Zeit war. Ich musste noch Kinder großziehen."

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Im Jahr 2013 gaben die Jenners ihre Trennung bekannt und Caitlyn zog aus. Anschließend begann Caitlyn wieder mit ihrem Gender zu experimentieren und ließ sich schließlich den Adamsapfel verkleinern. Nachdem die Medien von ihrer OP Wind bekommen hatten, beschloss sie schließlich, es öffentlich zu machen.

Als sie sich 2015 von Bruce in Caitlyn verwandelte, tat sie das mit derselben Kraft, die sie einst über die Ziellinie bei der Olympiade katapultiert hatte. Durch ihr öffentliches Auftreten erweiterte sie die öffentliche Wahrnehmung von Transgender-Identität in den USA mehr, als es einer anderen Person vor ihr gelungen war. Im April 2015 sahen mehr als 17 Millionen US-Amerikaner Bruce Jenner: The Interview mit Diane Sawyer. Als Caitlyn sich im Juli desselben Jahres zum ersten Mal auf dem Cover von Vanity Fair zeigte, verkaufte sich die Ausgabe über 400.000 Mal – doppelt so oft, wie gewöhnlich. In den nachfolgenden Monaten erhielt Caitlyn den Arthur Ashe Courage Award und wurde vom Magazin Glamour zu einer der Frauen des Jahres gekürt.

Einen Moment lang schien es so, als ob Caitlyns Wunsch in Erfüllung gegangen wäre. Sie wurde für ihre wahre Persönlichkeit akzeptiert, nicht als die Person, die andere gerne in ihr sehen wollen. "Ich habe mein ganzes Leben lang alles für andere Menschen getan", sagt sie mir. "Es war Zeit, dass ich mich um mich selbst kümmerte. Also habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, etwas zu verändern."

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Obwohl die öffentliche Resonanz anfangs positiv ausfiel, meldeten sich Stimmen aus der LGBTQ-Community, die munkelten, Caitlyn Jenner sei nicht viel mehr als ein Medienspektakel – der Inbegriff von finanzieller Macht und übertriebenem Glamor, der drohte, die USA von den echten Problemen abzulenken, mit denen die Transgender-Community zu kämpfen hat.

Als ich Caitlin am Samstag treffe, ist sie gerade von einer Wanderung in den umliegenden Bergen zurückgekommen. Mit einem einfachen T-Shirt und Sandalen bekleidet, will sie nun ein paar Golfschläger aus ihrem privaten Golfclub abholen.

Obwohl Golfplätze den Ruf haben, fest in der Hand reicher, weißer Hetero-Männern zu sein, waren sie für Caitlyn in der Vergangenheit ein Zufluchtsort. Vor ihrer Umwandlung waren sie einer der wenigen Orte, an denen sie existieren konnte. "Ich habe meine kleinen BHs mit auf den Platz genommen", verriet sie mir, "und probierte aus, wie es sich anfühlt, mit Brüsten zu spielen."

Heute kann Caitlyn selbstbewusst an vielen Orten in Malibu als sie selbst auftreten – als eine reiche, berühmte weiße Frau. Obwohl sie mit Anfeindungen zu kämpfen hat, finden diese meistens online statt. Damit unterscheidet sich ihr Leben stark von dem der meisten Transpersonen, für die jeder Tag ein Überlebenskampf sein kann. Transpersonen, vor allem People of Color, sehen sich mit Diskriminierung, Belästigungen und Gewalt konfrontiert, haben Probleme auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt und sogar mit den Gesundheitssystem.

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Diese Diskrepanz ist der Auslöser dafür, dass viele Menschen Caitlyn und ihre Rolle als Repräsentantin der Trans-Community kritisieren. "Das Problem ist", sagte die Aktivistin Ashlee Marie Preston mir Anfang des Jahres in einem Telefon-Interview, "dass sie den Großteil ihres Lebens als weißer Mann sozialisiert wurde. Punkt. Somit wird es im Endeffekt nie möglich sein, die Herausforderungen und Hürden zu verstehen, mit denen nicht nur Transpersonen, sondern Transpersonen of Color konfrontiert sind."

Während sie die Golfschläger im Kofferraum verstaut, sagt Caitlyn, dass sie versteht, warum Menschen sie für schlecht informiert halten. Vor 2015 kannte Caitlyn keine andere Transperson und wurde dann schlagartig zur berühmtesten Transfrau der Welt. Ihre privilegierte Position als Weiße, ihre politischen Ansichten und die Möglichkeit, ihren Körper durch teure Operationen umwandeln zu können, werden immer wieder in Argumenten gegen sie verwendet. "Das verstehe ich. Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen. Meine Kritiker verstehen nicht, dass ich nicht die Anonymität hatte, das außerhalb der Öffentlichkeit zu machen. Das war nicht möglich."

Stattdessen verarbeitete sie ihre persönliche Entwicklung in einer Reality-Show: I Am Cait startete am 26. Juli 2015 auf E!. In der Sendung ließ sich Caitlyn von Transfrauen zeigen, wie der Alltag für viele Transpersonen aussieht. Im Laufe der Show nahm Caitlyn an einer Trauerfeier für Transgender-Mordopfer teil, traf sich mit erfolgreichen Transfrauen of Color und besuchte die Mutter eines Trans-Kindes, das Suizid begangen hatte.

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Dieser Lernprozess vor laufender Kamera verlief jedoch nicht immer reibungslos. Während der Show sagte Caitlyn einiges, was die LGBTQ-Community gegen sie aufbrachte. Als sie bei der Ellen DeGeneres Show zu Gast war, erklärte sie, dass sie nicht immer eine Befürworterin der gleichgeschlechtlichen Ehe gewesen sei. Einige Monate später sagte sie gegenüber TIME, dass sie ihr Äußeres sehr Ernst nehme, da es viele Leute verstören würde, "wenn man wie ein Mann in einem Kleid aussieht".

"Habe ich Fehler gemacht? Absolut", sagt Caitlyn. "Aber das war nie böse Absicht. Ich wusste es einfach nicht besser. Und mir war wirklich nicht klar, wie kritisch die Community reagieren würde."

Als die US-Präsidentschaftswahl näher rückte, wurde Caitlyn immer öfter nach ihren politischen Ansichten gefragt. Bereits im Herbst 2015 bestätigte Caitlyn, dass sie die Republikanische Partei unterstützen würde – trotz deren Positionen zu LGBTQ-Themen. Während der Vorwahlen äußerte sich Caitlyn positiv über die Kandidaten Ted Cruz und Donald Trump. In der zweiten Staffel von I Am Cait führte Caitlyn politische Diskussionen mit anderen Transfrauen, die wissen wollten, wie sie eine Partei unterstützen könne, die so desaströs für die LGBTQ-Community sei.

I Am Cait endete nach der zweiten Staffel. Doch Caitlyn setzt ihre Annäherung an die Trans-Community durch die Caitlyn Jenner Foundation fort. 2016 brachte Caitlyn mit MAC Cosmetics einen Lippenstift heraus, dessen Erlöse der MAC AIDS Funds Transgender-Initiative zugute kamen. Seitdem hat sie durch diese Kooperation über zwei Millionen US-Dollar an Trans-Organisationen in den USA gespendet.

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"Ich glaube, dass es ein Vorteil ist, dass ich auf der Seite der republikanischen Partei stehe."

Caitlyns Engagement für die Trans-Community passt für viele Menschen nicht damit zusammen, dass sie nach wie vor die Republikanische Partei unterstützt. Dass republikanisch-dominierte Regierungen in den letzten Jahren Gesetze erlassen haben, die Transpersonen das Leben schwerer machten, hat Caitlyn nicht davon abgehalten, Trump zu wählen.

"Ich glaube, dass es ein Vorteil ist, dass ich auf der Seite der republikanischen Partei stehe. Die wissen das und so kann ich leichter mit ihnen ins Gespräch kommen", sagt Caitlyn und erzählt mir von den Treffen mit konservativen Politikerinnen wie Betsy DeVos oder Nikki Haley. "Ich bin kein Mensch, der sich mit Schildern an den Straßenrand stellt und auf und ab hüpft. Ich treffe mich lieber mit diesen Leuten zum Essen."

Darum nahm sie auch in Washington D.C. an Trumps Vereidigung teil. Dort traf sie unter anderem den Vize-Präsidenten Mike Pence. "Ich hatte ein tolles Gespräch mit ihm." Caitlyn sagt, dass sie auf Pence zuging und ihm erklärte, dass auch sie Christin und konservativ sei und für die Republikanische Partei gestimmt habe. "Aber ich bin auch transgender. Ich sagte ihm, dass ich mich gerne mit ihm darüber unterhalten würde. Und er schaute mich direkt an und sagte: 'Das würde ich sehr gerne tun.'"

Ich frage Caitlyn, ob dieses Treffen schon stattgefunden habe und sie verneint, es habe terminliche Schwierigkeiten gegeben. Dann erzählt sie mir eine Anekdote, die sie bereits öffentlich erzählt hat: wie Trump sie zum Golfspielen eingeladen hat. Caitlyn räumt ein, dass Trump aus "LGBT-Perspektive der schlechteste Präsident aller Zeiten" sei. Sie sagt, dass sie ihn bei der nächsten Wahl nicht unterstützen könnte.

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"Ich möchte, dass er weiß, dass ich politisch von ihm enttäuscht bin. Ich möchte nicht, dass unsere Community sich rückwärts entwickelt", betont sie. "Lasst uns einfach in Ruhe, mehr wollen wir nicht."

Würde sie für eine demokratische Kandidatin stimmen? "Ich weiß nicht, wer das sein sollte. Ich würde mir das genau angucken. Ich wähle nicht eine Partei, sondern die Person."

Selbst wenn es Caitlyn gelingen sollte, die Republikanische Partei für progressive Ideen zu Transgender-Themen empfänglicher zu machen, bleiben immer noch genügend politische Probleme, die finanziell schlecht gestellten Trans-Communities das Leben schwer machen. Caitlyns Kritikerinnen und Kritiker sehen sie weiterhin als Verbündete der konservativen Regierung und somit als schädlich für die Community.

"Ihr Geld ist nichts wert, wenn sie weiterhin politische Aussagen unterstützt, die gegen uns wirken und unsere Arbeit erschweren", sagte die Aktivistin Ashlee Marie Preston. Als Caitlyn vom St. John’s Well Child & Family Center bei der Eleganza-Gala des Transnation Festivals eine Auszeichnung erhalten sollte, startete Preston eine Online-Kampagne dagegen.

Diana Feliz, die Leiterin des Transgender-Programms am St. John's Well Child & Family Center, sieht das etwas anderes. Als ich sie in ihrer Klinik im Süden von Los Angeles besuche, sagt sie, dass Caitlyn die erste war, die eine größere Summe an das Programm gespendet hat. "Für mich war ersichtlich, dass sie sich als Transfrau weiterentwickelt", sagt Feliz. "Vielleicht fand die Veränderung nicht so schnell statt, wie einige es gerne gesehen hätten, aber jeder hat sein eigenes Tempo. Da gibt es kein richtig oder falsch. Hat sie Fehler gemacht? Natürlich. Ich habe auch Fehler gemacht! Jeder macht Fehler."

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Während sie mich durch die Klinik führt, erklärt Feliz, welche Dienste sie der Trans-Community in der Klinik bieten. Dazu gehört eine grundlegende ärztliche und psychologische Versorgung und Hormontherapien. Außerdem stellen sie Gutachten aus, die für geschlechtsangleichende Operationen nötig sind. Zudem bietet St. John's Hilfe bei der Jobsuche und bei Behördengängen, beispielsweise um eine Namensänderung zu beantragen.

Da ein großer Teil des Programms durch Spendengelder finanziert wird, kann es sich St. John's nicht leisten, die finanzielle Unterstützung eines Celebrities auszuschlagen. Im vergangenen April wurde St. John's von der Artemis Agency im Namen einer anonymen Kundin kontaktiert. Feliz wusste nicht, dass es sich bei der Kundin um Caitlyn handelte, bis sie die Klinik besuchte.

"Sie hatte gerade die Caitlyn Jenner Foundation gegründet, um Trans-Organisationen zu helfen. Sie wollte, dass St. John's die erste Spende bekommt", erinnert sich Feliz. "Ich war überwältigt. Ich hatte noch nie zuvor einen Scheck über 25.000 Dollar erhalten."

Im Oktober gab St. John's bekannt, dass sie Caitlyn mit einem Sustaining Vanguard Award bei der Eleganza ehren wollten, eine Fundraising-Gala, die am Ende des Transnation Festivals stattfindet. Der Gegenwind aus der Community war enorm. Eine Woche vor der Veranstaltung hielt St. John's ein Community-Meeting ab, bei dem Transpersonen ihre Meinung zu dem Thema äußern konnten. Viele Leute waren sehr aufgebracht. "Ich denke, das war eine sehr unglückliche Situation", sagt mir der CEO von St. John's, Jim Mangia, bei meinem Besuch in der Klinik. "Wir wollten niemanden verletzen und es tut uns leid, dass einige Mitglieder der Community die Nominierung unpassend fanden."

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Einige Tage nach dem Treffen gaben St. John's und Caitlyn bekannt, dass sie nicht an der Gala teilnehmen und keine Auszeichnung erhalten würde.

Bei der Eleganza-Gala selbst war von der Kontroverse nichts mehr zu spüren. Schick gekleidete Mitarbeiter begrüßten die schillernden Gäste im Cicada Club in LA, wo Stars wie Laverne Cox und Candis Cayne über den roten Teppich schritten. Jazzmun Crayton wurde mit dem Marsha P. Johnson Trailblazer Award ausgezeichnet. Es fühlte sich wie ein Familientreffen an, meiner Erfahrung nach nichts Ungewöhnliches. Wenn sich Transpersonen versammeln, stellt sich oft ein kollektives Erfolgsgefühl ein: In einer Welt, die erbarmungslos versucht, uns auszurotten, sind wir stark, wenn wir zusammenkommen, um unsere Schönheit, unser Durchhaltevermögen und unser Leben zu feiern.

In Malibu, am Tag nach der Eleganza, ist es in Caitlyns Haus so ruhig wie immer. Die Stille wird nur dadurch unterbrochen, dass sie nach ihrer Hündin Bertha ruft.

"Ich verbringe hier sehr viel Zeit alleine", sagt sie. "Ich habe viele Kinder, aber manchmal machen es die Umstände einfach schwer, ein enge Beziehung mit ihnen zu führen. Sie leben alle ihr eigenes Leben und haben sich weiterentwickelt."

"Wir sind nur Menschen, wir werden nur eine kurze Zeit auf dieser Erde sein", fügt sie später hinzu. "Wir kommen und gehen. Am Ende kannst du nur hoffen, dass deine Familie für dich da sein wird."

"Du hast verdammt gute Arbeit geleistet, du hast bei Olympia gewonnen, tolle Kinder großgezogen und du hast etwas auf der Welt bewegt."

Bevor Caitlyn glaubte, dass sie als Frau leben könnte, wollte sie in ihrem Testament festhalten, dass sie in Frauenkleidern begraben werden sollte. Da sie sich für Caitlyn kein Leben vorstellen konnte, malte sie sich ihren Tod aus. "Ich habe über die Jahre viel darüber nachgedacht", sagt sie. "Das sollte alle schockieren. Ihnen eins auswischen."

Nun, da sie als Frau ihren Platz im Leben gefunden hat, hat sich ihre Einstellung geändert: "Ich hoffe, wenn ich da oben an die Himmelspforte trete, wird Gott mich angucken und sagen: 'Du hast verdammt gute Arbeit geleistet, du hast bei Olympia gewonnen, tolle Kinder großgezogen und du hast etwas auf der Welt bewegt. Komm rein.' So möchte ich von der Welt gehen."

Eine andere Caitlyn Jenner wird es nie geben. Als das Sinnbild amerikanischer Männlichkeit wurde sie durch die Olympischen Spiele 1976 weltberühmt. Dann schaffte sie es mit einer Reality-Show, die US-Gesellschaft ins 21. Jahrhundert zu befördern, indem sie sie mit einer Transperson vertraut machte. Es ist unmöglich, über die Evolution von Gender in den USA zu sprechen, ohne den Aufstieg und Fall von Bruce und Caitlyn Jenner zu erwähnen.

Ihre Geschichte ist außerdem symbolisch für die zerrüttete US-amerikanische Gesellschaft. Als prominente Transfrau, die Trump gewählt hat, lässt sie sich nicht einfach in eine ideologische Box stecken. Caitlyn Jenner ist unbequem. Sie ist außerdem ein Mensch, ein Produkt ihrer Generation, die versucht, das beste für ihre Community und sich selbst zu erreichen.

Als die Sonne am Sonntagabend untergeht, spazieren Caitlyn und ich auf ihrem Grundstück entlang. In der Abenddämmerung erzählt sie mir, wie sie Anfang der Woche mit einem kleinen Flugzeug aus Los Angeles geflogen kam. Sie fliegt gerne, mag es, zwischen den Wolken alleine zu sein.

Vor Jahren, als Bruce an seinem Tiefpunkt war, blühte Caitlyn auf einsamen Flügen ins Nirgendwo auf. Damals versteckte sie eine Perücke und Frauenkleidung in ihrem Flugzeug, damit sie wenigstens zwischen den Wolken sie selbst sein konnte – auch wenn es nicht auf der Erde möglich war. Oben in ihrer kleinen Maschine fühlte sie sich völlig frei.

Manchmal, erzählt mir Caitlyn, drehte sie ihr Flugzeug vertikal und stieg mit Hunderten Stundenkilometern in den Himmel auf, bevor sie innehielt, kurz in der Luft schwebte, und dann wieder zur Erde fiel.

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