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Verbrechen

Das Schicksal der Frauen, die von den Roten Khmer zwangsverheiratet wurden

Hunderttausende Menschen wurden in den 70er-Jahren von dem mörderischen kambodschanischen Regime zwangsverheiratet. Auch Jahrzehnte später kämpfen die Opfer noch immer um Gerechtigkeit.
A Khmer Rouge survivor who was forced into a marriage by the regime. Photo by Lauren Crothers/Anadolu Agency/Getty Images

"Als sie mich gerufen haben, hatte ich keine Ahnung, dass es um meine Hochzeit ging. Ich dachte, es wäre nur wieder irgendeine dieser Versammlungen. Ich kam gerade vom Feld, hielt meine Hacke in der Hand und trug meine alten Kleider […] Sie befahlen den Männern, sich in einer Reihe aufzustellen und die Frauen sollten es ihnen gleichtun. Wir durften uns niemandem aussuchen. Sie wiesen uns einfach einander zu."

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In den Aussagen, die Theresa de Langis im Rahmen des Projekts zur mündlich überlieferten Geschichte kambodschanischer Frauen gesammelt hat, erzählt Prak Sinan, 59, wie es war, mit einem vollkommen fremden Mann zwangsverheiratet zu werden. Sie war Teil einer Gruppe, die schon zuvor von dem Regime auf die schwarze Liste gesetzt wurde. Sie tat, was man ihr sagte, um dem Tod zu entgehen. Viele der Geschichten, die die Frauen erzählt haben, werden nun im Gefängnis von Tuol Sleng in der Hauptstadt Phnom Penh ausgestellt. Das Gefängnis, das auch als S21 bekannt war, war unter der Herrschaft der Roten Khmer Schauplatz unzähliger Folterungen und Hinrichtungen.

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Die Roten Khmer ermordeten während ihrer vierjährigen Terrorherrschaft in den 70er-Jahren fast ein Viertel der kambodschanischen Bevölkerung. Doch nicht alle Narben, die sie hinterließen, waren körperlich. Man geht davon aus, dass damals hunderttausende Männer und Frauen durch den Staat zwangsverheiratet wurden. Ihre Schicksal wurde allerdings erst im Jahr 2014 publik, als ein von der UN unterstütztes Tribunal anfing, gegen das Regime zu ermitteln.

Wie bei den meisten despotischen Regimen gingen auch die Verbrechen der Roten Khmer weit über Mord hinaus. Ihr Ziel war es, die Bevölkerung zu unterwerfen und die uneingeschränkte Macht der Angkar, dem Regierungsorgan der Partei, sicherzustellen. Hierzu wurden vollkommen fremde Menschen zwangsverheiratet. Zudem unterstützte das Regime Massenvergewaltigungen. Wenn eine Frau Angst hatte oder schlichtweg keinen Sex mit ihrem neuen Ehemann haben wollte, durfte sie gefoltert, erschossen oder eingesperrt werden. Der Mann konnte sich beschweren, dass er um den Vollzug der Ehe betrogen wurde oder aber der Vorfall wurde den örtlichen Behörden von einem Spitzel der Roten Khmer gemeldet. Die Folgen des Verstoßes waren nicht abzusehen, weshalb es in den Augen vieler Frauen besser war, den erzwungenen Geschlechtsverkehr, der vom Staat verlangt wurde, einfach geschehen zu lassen.

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Die Opfer standen vor finanziellen und sozialen Problemen und haben sich von ihrem psychologischen Trauma nie erholt.

All diese Verbrechen wurden bekannt als das Tribunal [die Sonderkammer der kambodschanischen Gerichte (ECCC)], das die überlebenden Anführer der Roten Khmer vor Gericht brachte. Khieu Samphan und Nuon Chea, die beiden letzten noch lebenden Anführer des Regimes, wurden im Jahr 2014 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Im Jahr 2016 kam zu der Liste der mutmaßlichen Verbrechen auch die Zwangsehen hinzu. Allerdings haben die Opfer bisher noch keine Entschädigung erhalten.

Trotz der Zahl und der Brutalität seiner Morde behauptete Pol Pot, der Anführer der Roten Khmer, dass es immer sein Ziel gewesen wäre, die kambodschanische Bevölkerung innerhalb von 15 Jahren von acht auf 20 Millionen Menschen zu vergrößern. Die Staatsanwaltschaft schätzt, dass die Partei hunderttausende Männer und Frauen zur Ehe gezwungen hat – eine staatliche Zwangsmaßnahme auf einem noch nie da gewesenen Niveau: Statt der traditionellen Heirat, die durch die Eltern arrangiert wurde, übernahm der Staat die Rolle des Kupplers, um Verwandtschaftsverhältnisse zu schwächen und das Gehorsam gegenüber der Angkar zu stärken. Infolgedessen wurden Familien auseinandergerissen und junge Töchter in entlegene Provinzen gebracht, wo sie Männer heiraten sollten, die sie noch nie zuvor gesehen hatten.

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"Die Opfer standen vor finanziellen und sozialen Problemen und haben sich von ihrem psychologischen Trauma nie erholt", sagt Hoy Vathana, eine Beraterin der Transkulturellen Psychosozialen Organisation (TPO) – einer Nichtregierungsorganisation, die Opfer der Roten Khmer psychologisch unterstützt. "Viele kambodschanische Frauen werden nach wie vor unterdrückt und sie schweigen. Wir müssen das öffentliche Bewusstsein für psychologische Traumata fördern und den Menschen klar machen, dass sie psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen müssen."

Ein Raum aus der Ausstellung im Gefängnis von Tuol Sleng. Foto: Wagner T. Cassimiro "Aranha" | Flickr | CC BY 2.0

Die meisten Ehen, die von den Roten Khmer arrangiert wurden, wurden im Rahmen von Massenhochzeiten geschlossen, an denen bis zu 160 Paare teilnahmen. Oft fanden sie nachts statt. Außerdem musste jeder die Uniform der Khmer tragen: kurze Haare, schwarze Hemden, schwarze Hosen. Einigen Paaren wurde erst kurz vor der Zeremonie gesagt, was passieren wird – Widerstand war zwecklos. In einem anonymen Bericht in der Ausstellung in Tuol Sleng heißt es: "Bei unserer Zeremonie mussten wir sagen: 'Ich danke Angkar, dass sie mir gute Eltern sind und mir erlauben, einen Partner zu haben und sich um mich kümmern, als wäre ich ihr biologisches Kind.'"

Wer sich der Eheschließung widersetzte, kam meist unverzüglich nach Tuol Sleng oder eine ähnliche Folter- oder Hinrichtungsstätte. Nach der Zeremonie wurden die Paare zum Vollzug der Ehe gezwungen. Teilweise suchten der Parteikader anschließend sogar nach Beweisen auf den Betten, um zu sehen, ob die Paare tatsächlich Sex hatten. Diejenigen, die sich weigerten, wurden "umerzogen", was in den meisten Fällen einem Todesurteil gleichkam.

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Die Geschichten der Frauen werden in einem ruhigen Raum im dritten Stock von Tuol Sleng erzählt, einer ehemaligen Schule, die in eine Folterstätte umgewandelt wurde. Mittlerweile ist es ein Museum. Noch immer erinnern Zimmer voller Schädel und die Blutspritzer auf den eisernen Bettgestellen an die Schrecken des Regimes. Berichte der TPO und des UN-Trust-Funds zur Beendigung von Gewalt gegen Frauen zieren die Wände des kleinen Raums. Die leeren Augen der Frauen starren den Betrachter von den grauen Fotografien aus an.

Wir waren vier oder fünf Monate zusammen, aber ich habe meinem Mann niemals direkt in die Augen gesehen.

Die Kuratoren des Museums haben den Raum mit den Zitaten der Frauen versehen. Einige sind anonym, andere nennen lediglich den Vornamen der Opfer. Auf einem der grauen Plakat steht: "Ich habe nicht geglaubt, dass es eine Lösung gewesen wäre, Selbstmord zu begehen. Wir waren vier oder fünf Monate zusammen, aber ich habe meinem Mann niemals direkt in die Augen gesehen."

Auch Männer wurden unfreiwillige Opfer dieser Zwangsehen. Viele Paare lebten in ständiger Angst. Die Roten Khmer hatten überall Spitzel und wenn ein Mann und eine Frau sich weigerten, in ihrer Ehe zu kooperieren, konnten sie wegen Landesverrat angezeigt werden. "Mein Mann und ich einigten uns darauf, Sex zu haben, um zu überleben", heißt es auf einem der Plakate, "auch wenn wir nicht miteinander sprachen und wir uns nicht mochten."

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Überraschenderweise sind viele Männer und Frauen, die damals verheiratet wurden, noch immer zusammen. Scheidungen sind in Südostasien nach wie mit Scham behaftet – allem voran in Kambodscha, wo die Scheidungsrate unverändert bei 2,3 Prozent liegt. In der Ausstellung sagt eines der anonymen Opfer über ihre Ehe: "Wir erinnern uns an unser gemeinsames tragisches Schicksal. Was uns verbindet, ist unsere Traurigkeit. Wir können uns nicht trennen. Wir werden für immer zusammen bleiben, allein für unsere Enkelkinder, damit sie nicht mit geschiedenen Großeltern leben müssen."

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Die Lösung für dieses anhaltende Problem liegt laut Hoy Vathana bei den kambodschanischen Frauen selbst. "Viele Frauen müssen sich emanzipieren und den Mut haben, ihre Stimme zu erheben, damit ihre Wünsche und ihre Rechte gehört werden. Es ist noch ein langer Weg bis hin zu einem öffentlichen Bewusstsein [für Zwangsehen] und einer Entschädigung der Opfer."

Während der brutalen Herrschaft der Roten Khmer war es nicht unüblich, dass Menschen zusehen mussten, wie Familienmitglieder umgebracht oder verstümmelt wurden. Alle Frauen aus der Ausstellung haben erzählt, dass ihnen durch die Zwangsehe seelisches Leid zugefügt wurde. "Durch die Zwangsehe bekamen [die Frauen] entsetzliche Angst vor Männern", ergänzen die Autoren des Projekts. "Einige von ihnen beschlossen später, ihre Ehemänner zu verlassen und nie wieder zu heiraten. Der Großteil der befragten Frauen litt unter ernstzunehmenden psychologischen Erkrankungen."

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Die Geschichte von Hong Sopha ist ein weiteres Zeugnis von der Brutalität der Roten Khmer. Im Jahr 1977 bekam sie einen Ehemann zugeteilt. Er wurde schnell gewalttätig und begann, sie zu schlagen. Sie versuchte mehrmals, ihrer Ehe zu entkommen – dennoch sie sind bis heute verheiratet. "Wenn ich darum bat, mich vom Sex entschuldigen zu dürfen, weil ich mich nicht wohl fühlte oder erschöpft war, kümmerte ihn das nicht", steht auf ihrem Plakat. "Er nahm sich, was er wollte und hat mich geschlagen, wenn ich bettelte."

Für einige Frauen hat die Gewalt nie aufgehört. Auch 40 Jahre nach ihrer Hochzeit wird Hong Sopha noch immer von ihrem Mann missbraucht. "Heute schlägt er mich noch brutaler. Als ich versucht habe, mich scheiden zu lassen, hat er mich niedergestochen. Er meinte, wenn ich es noch mal versuchen würde, würde er mich und anschließend sich selbst umbringen. Was bleibt mir also anderes übrig?"

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Experten sind unterdessen auch besorgt, welchen generationsübergreifenden Einfluss die Zwangsehen haben. Laut einer Umfrage der TPO haben sich einige Frauen nach dem Zusammenbruch des Regimes der Roten Khmer im Jahr 1979 für eine Scheidung entschieden. Andere haben beschlossen, allein zu leben. Vathana sagt, dass Kinder in diesem Fall von einer "emotional kranken" Mutter großgezogen wurden, der es oftmals schwer fiel, sich um ihre Kinder zu kümmern. Sie erklärt, dass viele dieser Frauen selbst gewalttätig gegenüber ihren Kindern wurden und das Trauma, das sie infolge der Zwangsheirat erlebt haben, wiederholten: "Die Kinder übernahmen das kaputte Beziehungsmodell ihrer Eltern."

Wie kann Kambodscha den Opfern von Zwangsehen helfen? "Es ist ein langer Prozess im Kampf um die öffentliche Anerkennung und die Entschädigung der Opfer", sagt Vathana. Vergewaltigungen, Missbrauch und Scheidungen sind in Kambodscha nach wie vor mit einem starken gesellschaftlichen Stigma behaftet. Erst wenn sich daran etwas ändert, werden die Kambodschaner, die Opfer einer Zwangsheirat wurden, auch den Mut haben, Gewalttaten zur Anzeige zu bringen. Allerdings, sagt sie, liegt noch viel Arbeit vor ihnen.


Titelfoto: Dudva | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0