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Aufklärung

Wie uns Jungs dabei helfen können, Menstruation zu enttabuisieren

In manchen Teilen der Welt werden Frauen während ihrer Periode aus der Gesellschaft verbannt. Doch auch in Deutschland gibt es Nachholbedarf in Sachen Aufklärung.
Foto: Pixabay | Pexels | CC0

Sexualkunde ist meist ein unangenehmes Unterfangen für alle Beteiligten. Die Kinder tuscheln und kichern und die Lehrerin oder der Lehrer steht peinlich berührt vor der Tafel und versucht, mit dem letzten Rest Würde ein Kondom über eine Banane zu ziehen. Trotzdem bleiben viele Dinge beim Thema Sexualität und die Veränderungen, die der Körper in der Pubertät macht, unangesprochen – und werden dadurch zu Dingen, über die man auch als Erwachsener nur ungerne spricht. Eines davon: Wie klemmig unsere Gesellschaft nach wie vor mit dem Thema Menstruation umgeht.

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Gerade wenn sie primär männliche Zuhörer haben, übergehen Lehrkräfte das Thema häufig, sagt Tamar Springer. Sie ist Psycho- und Sexualtherapeutin aus Los Angeles und hat jahrelange Erfahrung in der Aufklärung Jugendlicher. Dass Frauen auch während ihrer Periode klar denken können, sollte uns mittlerweile allen klar sein. Trotzdem gibt es immer noch Mythen rund um die Monatsblutung, die sich negativ auf Frauen und Mädchen in den verschiedensten Teilen der Welt auswirken. Sei es nun, dass sie im Job als weniger belastbar wahrgenommen werden, oder während ihrer Periode sogar komplett aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt werden.

Diese Mythen beginnen oft da, wo nur unzureichend informiert wird. Selbst in Deutschland, wo Schülerinnen und Schüler zwischen Grundschule und Mittelstufe über Sex, Verhütung und die Veränderungen, die der Körper in der Pubertät durchläuft, aufgeklärt werden, stehen oft nur die rein biologischen Aspekte auf dem Lehrplan. Genauere Informationen für Mädchen und Jungen, was die Menstruation mit dem Körper macht – oder eben auch nicht –, und dass das alles absolut nichts ist, wofür man sich schämen muss? Oft Fehlanzeige. "Es wird allgemein vermieden, über sexuelle Themen offen zu sprechen, und darunter fällt auch die Menstruation", bestätigt Springer.

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Eine Studie der Zyklus-App Clue in Zusammenarbeit mit der International Women's Health Coalition stellte 2015 deshalb wenig überraschend fest: Nur 23 Prozent aller deutschen Teilnehmerinnen können mit männlichen Mitschülern oder Kollegen über Menstruation sprechen, ohne sich unwohl zu fühlen. Eine britische Studie unter 1.000 Mädchen zwischen 14 und 21 kam zu einem ähnlichen Ergebnis. In anderen Teilen der Welt kann das Stigma Mädchen sogar komplett davon abhalten, zur Schule gehen. Perioden gelten vielerorts als unrein, oft haben sie in diesen Ländern auch keinen Zugang zu Hygieneprodukten oder sauberen Toiletten. Der Bildungsnachteil, den Mädchen in Entwicklungsländern haben, wird so nur noch größer.

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30 Prozent aller Schülerinnen in Afghanistan und 21,3 Prozent der Schülerinnen in Sierra Leone bleiben laut einer UNICEF-Studie zu Hause, wenn sie menstruieren. Eine weitere UNICEF-Studie in Indonesien stellte fest, dass fast jedes siebte Mädchen während ihrer letzten Periode Schultage verpasst hatte. Manche der Befragten gaben als Beweggrund an, von ihren männlichen Mitschülern wegen ihrer Monatsblutung gemobbt zu werden. In einer weiteren Umfrage in Indonesien gaben 22 Prozent der Männer an, schon einmal eine Frau für ihre Periode verspottet zu haben.

"In einigen Teilen der Welt ist die Vorstellung tief verankert, dass es furchterregend oder unrein ist, wenn Blut aus einer Frau kommt, und dass man das irgendwie kontrollieren muss", erklärt Marni Sommer. Sie ist Dozentin für Sozialmedizin an der Columbia University in New York und weiß, dass dieses Stigma einen massiven negativen Einfluss auf das Leben der Frauen haben kann. "Es kann auch ihr Selbstbewusstsein und Körpergefühl beeinträchtigen."

"Es wäre toll, wenn Menschen weniger Probleme damit hätten, über Menstruation zu sprechen."

Um wirklich etwas zu verändern, reicht es nicht, nur mit den jungen Frauen zu sprechen. Auch junge Männer müssen verstehen lernen, was Menstruation ist – und wieso nichts daran die Frau "unrein" oder "verrückt" macht. In Indonesien hat sich UNICEF deshalb mit örtlichen Organisationen zusammengetan und ein Video über Menstruation produziert, das sich speziell an Jungen richtet. Außerdem gibt es ein Comicbuch, das auf einer Seite für Jungen und auf der anderen Seite für Mädchen bedruckt ist. So sollen alle Kinder lernen, was es mit Perioden auf sich hat, und Jungen verstehen, dass es keinen Grund gibt, sich über sie lustig zu machen.

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Die Comicbücher wurden an 4.000 Kinder in zwei Gemeinden verteilt. Nach dem Lesen untersuchte die Organisation die Reaktionen von 245 Mädchen und 129 Jungen. Wo zuvor 81 Prozent aller Mädchen Menstruation als etwas Natürliches bezeichnet hatten, waren es nach der Lektüre 97 Prozent. Bei den Jungen stieg der Anteil von 61 auf 89 Prozent. Außerdem stieg der Prozentsatz der Jungen, die es nicht gut finden, Witze über Menstruation zu machen, von 61 auf 95. Laut Aidan Cronin, der in Indonesien das UNICEF-Programm für sauberes Trinkwasser, sanitäre Anlagen und Hygiene (WASH) leitet, sei das Comicbuch mittlerweile in Lehrpläne integriert worden. So erreiche es inzwischen mehr als 30.000 Schulkinder.

"Das war eine Chance, Jungen in die Unterhaltung mit einzubeziehen und Mädchen eine positivere Erfahrung zu ermöglichen", sagt Brooke Yamakoshi, WASH-Expertin bei UNICEF. Nicht nur solle der neue Lehrplan das Stigma reduzieren, sondern auch junge Männer dazu ermutigen, für ihre menstruierenden Mitschülerinnen einzustehen. Um auch religiös motivierten Vorurteilen entgegenzuwirken, hat die Organisation außerdem ein Ratgeberbuch zu Menstruation nach islamischen Prinzipien veröffentlicht.


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Yamakoshi erzählt, dass es in Äthiopien ähnliche Erfolge in der Bildungsreform zur Menstruation gegeben habe. Der Erfolg sei besonders deutlich an Schulen, bei denen in gemischtgeschlechtliche Gruppen über vermeintliche "Frauenthemen" wie Monatsblutungen gesprochen wurde. "Dort haben sich die Ansichten der Jungen maßgeblich geändert", sagt Yamakoshi. "Sie haben angefangen, ihre Rolle als die eines Verbündeten zu begreifen, der seine Schwestern und Mitschülerinnen unterstützt. Sie agieren als Fürsprecher, die Irrglauben zum Thema Menstruation ausräumen und sich dafür einsetzen, dass ihre Schwestern in die Schule gehen können."

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Marnie Sommer arbeitet aktuell an einem Notfallset für Menstruationshygiene. Es soll in Regionen verteilt werden, die von Konflikten oder Naturkatastrophen betroffen sind. Das Set enthält unter anderem Informationsmaterial für Männer. So soll ihnen deutlich gemacht werden, dass sie bei der Versorgung ihrer Familien mit Notgütern auch an die Menstruation weiblicher Verwandter denken sollen. Dieser wichtige Punkt wird euch in alltäglicheren Situationen häufig hintenangestellt. Selbst in Deutschland haben mittel- und obdachlose Frauen häufig Probleme bei der Versorgung mit Hygieneprodukten und sanitären Anlagen.

"Die Gesundheitsdienste im Bereich reproduktive Gesundheit und Fruchtbarkeit sind stark nach Geschlecht unterteilt."

Außerdem organisiert Sommer die Annual Virtual Conference on Menstrual Hygiene Management in Schools. Im Oktober nahmen an der sechsten Konferenz mehr als 1.000 Personen aus mindestens 60 Ländern teil. Derartige globale Bemühungen für den Bildungssektor können maßgeblich dazu beitragen, patriarchale Strukturen im Bereich weibliche Gesundheit und Hygiene aufzubrechen.

Nicht nur für Mädchen und Frauen ist Unterstützung beim Thema Menstruation wichtig. Transpersonen mit weiblicher Anatomie stoßen dabei auf ihre eigenen Hindernisse. To Nhu Dao ist beim Gesundheitsamt der Stadt San Francisco im Bereich Transgender-Gesundheit angestellt. Er ist selbst trans und arbeitet häufig mit Transmännern, die sich wünschen, ihre Menstruation loszuwerden. Oft haben sie aber keinen Zugang zu den entsprechenden Mitteln und Informationen.

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"Die Gesundheitsdienste im Bereich reproduktive Gesundheit und Fruchtbarkeit sind stark nach Geschlecht unterteilt", sagt Dao. "Oft fühlen sich Transmänner und Menschen auf dem maskulinen Spektrum, die Eierstöcke haben, von solchen Diensten ausgeschlossen. Ich sitze als Mann mit Bart in einer Frauenklinik, und so etwas kann Ängste auslösen."

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Dao bespricht mit transmännlichen Klienten Optionen, mit denen sie ihre Monatsblutungen unterbinden könnten. Eine Möglichkeit ist die Pille, es kann aber beispielsweise auch Testosteron eingenommen werden. Außerdem bietet er emotionale Unterstützung, da die Menstruation eine Geschlechtsidentitätsstörung verstärken kann. Aktuell arbeitet er an einer Studie darüber, wie transmaskuline Personen die reproduktive Gesundheitsversorgung für Frauen erleben.

Ob in Entwicklungsländern, in den USA oder in Deutschland – es gibt noch viel zu tun, damit der weibliche Körper und seine natürlichen Funktionen nicht länger Tabuthemen sind und Mädchen dieselben Chancen bekommen wie Jungen. Die Therapeutin Tamar Springer betont, wie wichtig es ist, die Diskussion am Laufen zu halten. "Es wäre toll, wenn Menschen weniger Probleme damit hätten, über Menstruation zu sprechen", sagt sie. "Dabei hilft es immer, wenn man sie ermutigt, Fragen zu stellen. Das führt nicht nur zu Gesprächen, die Frauen mehr Selbstbewusstsein ermöglichen, sondern auch zu wichtigen Chancen für die allgemeine Aufklärung."

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