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Film

Charlie Chaplin war ein sadistischer Tyrann, der auf Teenager stand

Der britische Schauspieler und Regisseur wurde für seine Slapstickkomödien gefeiert. Doch privat zeichnen kritischere Biografen und Wegbegleiter ein ganz anderes Bild.
Photo via Wikimedia Commons

Du kennst sein Gesicht, seine Filme aber wohl eher weniger—Charlie Chaplin hätte vor kurzem seinen 127. Geburtstag gefeiert. Obwohl die Geburtsurkunde der britischen Filmikone nie gefunden werden konnte, wird allgemein angenommen, dass er am 16. April 1889 geboren wurde. Zwar sind die Geburtstage von Berühmtheiten eigentlich komplett irrelevant, viele Leute merken jedoch gerne an, dass der beliebte Schauspieler nur vier Tage vor einer anderen bekannten Person mit Zahnbürstenbart auf die Welt gekommen ist: Adolf Hitler. Während Chaplins Gesichtsbehaarung normalerweise mit seinem Sinn für Situationskomik assoziiert wird, werden die beiden dennoch oft verglichen—und zwar nicht nur, weil der „tyrannische Regisseur" den tyrannischen Diktator 1940 in seinem Film aufs Korn genommen hat.

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Charlie Chaplin wurde im Süden Londons als Sohn eines Faulenzervaters und einer psychisch kranken Mutter geboren. Er wuchs in Armut auf—als eine Art Paradefall für die typische amerikanische Geschichte des Tellerwäschers, der schließlich zum Millionär wird. Seine Kindheit verbrachte der kleine Chaplin damit, als Stepptänzer vor und in Armenhäusern oder bei Verwandten aufzutreten. Später wurde er von der britischen Komikerlegende Fred Karno in visueller Komik unterrichtet. Das markierte den Aufstieg Chaplins—wie Peter Ackroyd in der 2014 erschienenen Biografie Charlie Chaplin: A Brief Lifeschreibt—, bis er im Alter von 26 Jahren schließlich „der berühmteste Mann der Welt war". Sein dramatischer Werdegang (sowie ein riesiges Hollywood-Gehalt und der Respekt und die Bewunderung, die Chaplin unabhängig von seiner Größe von nur 1,65 Meter erfuhr) ermöglichten es dem Schauspieler, während seines Lebens mit rund 2.000 Frauen zu schlafen. Nach eigener Schätzung.

Auch wenn diese sehr hohe Zahl zum Einen nichts ist, womit man sich zwingend brüsten sollte, ist sie doch nicht unerheblich—schließlich waren es genau diese Frauen, und einige der Kinder, die aus diesen Beziehungen entstanden, die Chaplins Egozentrik, Dominanz und Grausamkeit am stärksten zu spüren bekommen haben. Es schien so, als wäre ihm die „Chaplinitis" oder „Chaplinoia" ebenso so schnell zu Kopf gestiegen, wie ihr das Publikum erlegen war. Eine der ersten Frauen, die laut Ackroyd Zeuge davon wurde, war Edna Purviance, eine 19-jährige Schauspielerin, die Chaplin engagierte, nachdem sie sich auf eine Anzeige im San Francisco Chronicle gemeldet hatte („Gesucht wird das schönste Mädchen Kaliforniens für eine Rolle in einem Film."). Die beiden wurden schnell mehr als nur Kollegen, aber Chaplins Liebe für seinen Job überstieg bei weitem die für seine Freundin. Als er nach New York kam, soll er ihr nicht einmal Bescheid gegeben haben.

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Seine nächste Eroberung machte Chaplin in einer Zeit, als er auf Parties regelmäßig eine Nummer zu Besten gab, bei der er „nachahmte, wie die angesagtesten Schauspielerinnen beim Orgasmus aussehen könnten", schrieb Ackroyd. Das 16-jährige Hollywood-Sternchen Mildred Harris war sogar noch jünger als ihre Vorgängerin und informierte Chaplin bald darüber, dass sie von ihm schwanger war. Aus Angst sowohl vor der bevorstehenden familiären Verantwortung wie auch vor einem Skandal, arrangierte Chaplin die Hochzeit, die im Oktober 1918 stattfand. Wie sich herausstellte, war die Schwangerschaft falscher Alarm—oder vorgetäuscht. Jedenfalls soll Chaplin seine Entscheidung kurz darauf bereits bereut haben: Er fühlte sich von seiner Angetrauten hereingelegt und hatte im Allgemeinen nicht viel für sie übrig. In seinen Augen war sie eine schlechte Schauspielerin und „keine große Leuchte". Er war ihr gegenüber kurz angebunden und launisch und blieb oft tagelang weg, ohne ihr zu sagen, wo er war. Nachdem sie tatsächlich von ihm schwanger wurde, erlitt sie aufgrund seiner schlechten Behandlung einen Nervenzusammenbruch.

1920, im selben Jahr, in dem Chaplin und Harris eine schlimme Scheidung durchmachten, traf er ein 12-jähriges Mädchen, das seine nächste Frau werden sollte: Lillita MacMurray, die sich später mit Künstlernamen Lita Grey nannte. Obwohl Chaplin Grey anhimmelte (er hat sogar ein Porträt von ihr in Auftrag gegeben) hielt er sich zurück, bis sie ein angemesseneres Alter erreicht hatte und mit 16 Jahren eine kleine Rolle in dem 1924 erschienenen Film Goldrausch spielte. Sie wurde schwanger und Chaplin heiratete sie heimlich im November 1924—dieses Mal aus Angst vor einer Strafanzeige. Sie bekam zwei Kinder von ihm, bevor sich die beiden 1927—nach mehreren Affären und dem Scheitern von Greys Karriere—wieder scheiden ließen.

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Chaplin in „Ein Hundeleben" (1918). Foto: Loeba | Wikimedia Commons | Public Domain

Die Ehe, die danach folgte, war die nach außen hin gesündeste: 1932 begann er mit der 22-jährigen Schauspielerin Paulette Goddard auszugehen, mit der er bis 1942 auch eine freundliche berufliche Beziehung unterhielt (Sie haben wahrscheinlich geheiratet, aber das weiß keiner so genau). Der wichtigste Film, bei dem die beiden zusammengearbeitet haben, war der kontroverse Film Der große Diktator von 1940. Danach verschlechterte sich ihre Beziehung jedoch: Als Goddard erfuhr, dass Chaplin gestorben war, antwortete sie: „Na und?" und legte auf.

Der große Diktator wurde Chaplins wichtigster und bekanntester Film. Er wird oft als eine direkte Satire auf den namensgebenden Diktators betrachtet, dessen Darstellung noch zusätzlich durch Chaplins identischen Schnurrbart unterstützt wurde. Man darf dabei jedoch nicht vergessen, dass sich Chaplin diesen Schnurrbart nicht für die Rolle wachsen ließ, sondern den Großteil seiner Karriere damit rumlief. Einerseits wird der Diktator in dem Film als unsinniger, wild gestikulierender Adenoid Hynkel parodiert, andererseits ist der Film aber auch auf gewisse Weise verstörend einfühlsam. Hitler selbst ließ den Film währender seiner Privatvorstellungen zwei Mal vorführen—und er war nicht gerade dafür bekannt, konstruktive Kritik zu schätzen.

Aber zurück zu den Frauen: Aller guten Dinge sind vier. 1943, als Chaplin gerade von der US-Regierung dafür in der Kritik stand, dass er (angeblich) sowohl ein Kriegssympathisant als auch ein Kommunist sein sollte, heiratete Chaplin eine weitere weitaus jüngere Frau. Ihr Name war Oona und sie war die Tochter des irischen Schriftstellers Eugene O'Neill. Oona war 18, Chaplin 54. Der gleichaltrige Eugene war so außer sich vor Wut, dass er Oona enterbte (aber die beiden hatten sowieso eine eher turbulente Beziehung). Trotz vielfacher Kritik hielt die Ehe bis nach Chaplins Tod, brachte acht Kinder hervor und wurde als „wahres Glück" beschrieben.

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Gerade diese letzte, harmonisch wirkende Beziehung wird oft für Biografien hervorgekramt, um Chaplin als geläuterten Womanizer darzustellen, der zu einem Vollblut-Ehemann wurde: Sowohl am Set als auch im Leben wandte er sich für Rat und Hilfe stets an seine junge Frau! Das mag zwar stimmen, trotzdem wurde auch diese Ehe durch Chaplins Anspruchshaltung, seine Ausbrüche, seine rasende Wut und den Grausamkeiten gegenüber seinen Kindern bestimmt. Laut Jane Scovells Buch Oona: Living in the Shadows sagte die Schauspielerin Joan Collins, dass O'Neill sich um ihren väterlichen Ehemann „mit dem Respekt einer Geisha kümmerte." Laut Marlon Brandos Autobiografie behandelte Chaplin Sydney—einen seiner Söhne, die er mit Grey gezeugt hatte—äußerst „grausam". Als Brando und Sydney, der ebenfalls Schauspieler war, zusammen mit Chaplin an seinem Film Die Gräfin von Hongkong (1967) arbeiteten, schrieb Brando, dass Chaplin seinen Sohn vor Brando und den anderen Darstellern demütigte. Sydney sagte Brando, dass sein Vater „alle seine Kinder so behandelte." Brando bekam Chaplins Wut ebenfalls zu spüren: „Er fing an, mich vor all den anderen Darstellern zu maßregeln. Er demütigte mich und sagte mir, ich besäße keine Berufsethik und wäre eine Schande für meinen Berufsstand", schrieb Brando. Was er falsch gemacht hatte? Er kam 15 Minuten zu spät ans Set.

In anderen Worten: Während kritischere Biografen das Bild eines arroganten Genies zeichnen, das die Leute um sich herum ohne jegliches Gefühl der Reue manipulierte, ist Brando etwas direkter: „Chaplin", schrieb er. „war wahrscheinlich einer der sadistischsten Männer, die ich jemals getroffen habe."