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Dating

Woran du merkst, dass du süchtig nach Liebe bist

Wenn Trennungen immer schrecklich sind, warum tun wir uns diesen ganzen Quatsch mit der Liebe überhaupt noch an? Wissenschaftler könnten der Antwort ein Stückchen näher gekommen sein.
Photo by Viktor Solomin

Liebe. Der Grund, warum wir auch spät nachts noch Nachrichten verschicken, unzählige miese Verabredungen über uns ergehen lassen und uns immer wieder der Gefahr aussetzen, einen Korb zu bekommen. Jeder möchte sich verlieben und im besten Fall auch verliebt bleiben. Doch wir kennen auch alle die traurige Leere, die mit unerwiderter Liebe oder einer schmerzhaften Trennung einhergeht.

Forscher der University of Oxford haben knapp 400 Studien analysiert, die sich alle damit beschäftigt haben, warum wir alle nicht schon längst genug vom schönsten und schrecklichsten Gefühl von allen haben. Ihre Erkenntnis: Wir sind süchtig danach. "Der ständige Wechsel zwischen Verzweiflung und Ekstase, die unstillbare Sehnsucht und die zum Teil destruktiven Gedanken und Verhaltensweisen, die mit Liebesentzug einhergehen – all das weist Ähnlichkeiten zu den Symptomen auf, die wir mit 'konventionelleren' Suchtmitteln wie Drogen, Alkohol und Glücksspiel in Verbindung bringen", schreiben die Forscher, deren Studie vor Kurzem in der Zeitschrift Philosophy, Psychiatry, & Psychology erschien.

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Brian Earp ist der Leiter der Studie und arbeitet am Zentrum für Neuroethik der Oxford University. Earp verweist auf zwei unterschiedliche Betrachtungsweisen, nach denen die Sucht nach Liebe beurteilt werden kann. Nach der "engen" Betrachtungsweise ist man nur dann süchtig nach Liebe, wenn das Streben nach Liebe mit dem Alltag kollidiert. "Wenn ein Mensch verliebt ist und immer wieder die Nähe des anderen sucht – wegen der körperlichen Intimität, der Aufmerksamkeit oder auch nur wegen der räumlichen Nähe –, dann dient das normalerweise der kurzzeitigen Befriedigung intensiver Freude oder obsessiver Denkstrukturen, die sich auf das Objekt der Begierde beziehen", heißt es in der Studie.

"Wenn dieses Verhalten die Sicherheit oder die körperliche sowie psychische Gesundheit eines (oder beider) Beteiligten bedroht oder ernstzunehmende soziale oder rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, dann kann es das Ausmaß einer Sucht annehmen."

Im Hinblick auf das Dopamin lösen Sex und Süchte ganz ähnliche neurochemische Prozesse in unserem Gehirn aus.

Diese Schlussfolgerung passt zu den Ergebnissen einer weiteren Untersuchung, nach der liebessüchtige Menschen "verzweifelt und einsam sind, wenn sie nicht in einer Beziehung sind." Das würde dazu führen, dass sie "versuchen, ihr Objekt der Begierde auch noch lange nach Beendigung der Beziehung zu romantisieren" und "die beendete Beziehung umgehend zu ersetzen." Die weit verbreitete Beteuerung, sich nach einer schmerzhaften Trennung nie wieder verlieben zu wollen? Ein leeres Versprechen, sich selbst und anderen gegenüber.

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Es ist bekannt, dass in unserem Gehirn verschiedene biochemische Prozesse ablaufen, wenn wir verliebt sind. Aus diesen natürlichen Reaktionen unseren Gehirns können sich allerdings auch ungesunde Belohnungssignale entwickeln, die wiederum zu einer Abhängigkeit führen.Diese bereits erwähnte "enge" Betrachtungsweise ist laut den Forschern allerdings sehr beschränkt, "da sie nur extreme und radikale Gedankenprozesse, Bindungsverhalten und Manifestationen von Liebe als potenzielles Indiz auf eine Sucht betrachtet. Nach dieser Betrachtungsweise gäbe es kaum Menschen, die süchtig nach Liebe sind."


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Betrachtet man das Thema etwas weniger dogmatisch, könnte man durchaus sagen: Liebe macht immer süchtig. Nach der breiteren Betrachtungsweise sind Suchterkrankungen – sei es die Sucht nach Liebe, Essen oder Drogen – "auch nur ein Verlangen und ein empfundenes Bedürfnis, das vorübergehend gestillt werden kann, aber sehr dringend und irritierend wird, wenn der Betroffene zu lange abstinent bleibt."

Somit bedeutet Verliebtheit auch immer, in gewisser Weise süchtig nach der anderen Person zu sein. Studien konnten bereits zeigen, dass "gesunde" Liebe – im Gegensatz zu den oben beschriebenen krankhaften Verhaltensweisen – unser Belohnungszentrum genauso stark anspricht wie Drogen.

"Im Hinblick auf das Dopamin lösen Sex und Süchte ganz ähnliche neurochemische Prozesse in unserem Gehirn aus, die sich vorwiegend auf unser Belohnungszentrum konzentrieren: Sex, Orgasmen und alle bekannten Formen von Drogenmissbrauch stimulieren die Ausschüttung großer Mengen an Dopamin im Nukleus accubens", schreiben die Forscher in der Studie. "Es gibt einige Wissenschaftler, die vermuten, dass diese dopaminerge Überlagerung auch erklären könnte, warum sich Liebe und Sex ähnlich anfühlen wie ein Kokainrausch."

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Wenn wir davon ausgehen, dass Liebe eine Sucht ist – ab wann müssen wir dem Ganzen dann mit Medikamenten entgegenwirken?

Nach der breiteren Betrachtungsweise wäre es also keine Störung, wenn wir den Instagram-Account unseres Ex-Partners täglich überprüfen. Es wäre vielmehr eine ganz natürliche Reaktion auf eine Trennung.

Earp erklärt, dass der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen maßgebliche ethische Fragen aufwirft. Fragen, die bestimmen könnten, wie wir in Zukunft mit Liebestränken auf Rezept oder Tabletten gegen Liebeskummer umgehen. Tatsächlich beschäftigt er sich im Rahmen seiner Forschungsarbeit sonst vor allem mit der Frage, wie die Medizin bestimmte Systemebenen unseres Gehirn beeinflussen könnte, die unseren romantischen Beziehungen zugrundeliegen.

Laut Earp könne man Antidepressiva beispielsweise auch Menschen verschreiben, die ihren Partner verlassen wolle.: "Serotonin-Wiederaufnahmehemmer haben manchmal den Nebeneffekt, dass sie die Libido hemmen. Sie können aber auch 'übergeordnete' Fähigkeiten wie Einfühlungsvermögen hemmen und bestimmte romantischen Emotionen mindern." Das sei zwar unter normalen Umständen nichts wünschenswertes, könnte im Falle einer Trennung aber durchaus hilfreich sein. Normalerweise wäre das etwas schlechtes, aber wenn man versucht, eine Beziehung zu beenden, dann könnten diese Nebenwirkungen durchaus hilfreich sein." Earp würde es Menschen nicht empfehlen, allein deshalb Antidepressiva zu nehmen. Sein Punkt ist vielmehr, dass es schon jetzt Medikamente gibt, die uns dabei helfen könnten, mit unglücklichen Beziehungen umzugehen.

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Doch unter welchen Umständen würde man Menschen Medikamente verschreiben, um ihre Verliebtheit zu regulieren? Und wenn wir davon ausgehen, dass Liebe eine Sucht ist – ab wann müssen wir dem Ganzen dann mit Medikamenten entgegenwirken?

Wenn man von der engen Betrachtungsweise ausgeht, schreiben die Forscher, ginge es um die medikamentöse Behandlung von Symptomen einer Störung, was durchaus vertretbar wäre. Geht man allerdings von der breiteren Betrachtungsweise aus, würde das bedeuten, dass man medikamentös behandelt wird, um bestimmte Emotionen nicht verarbeiten zu müssen.

"Es gibt momentan schon alle möglichen Methoden, um über eine Emotionen hinwegzukommen. Insbesondere wenn man merkt, dass einem ein Mensch oder eine Beziehung nicht gut tut. Wir sind der Meinung, dass diese 'traditionellen', nicht-pharmakologischen Methoden immer als allererstes zur Anwendung kommen sollten", erklärt mir Earp per Mail. Medikamente seien für ihn dann vertretbar, wenn die betroffene Person sich andernfalls ernsthaften Schaden zufügen würde.

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Ihm und seinen Kollegen ist es wichtig zu betonen, dass Liebeskummer und die damit einhergehenden negativen Emotionen zum Leben dazugehören. Der springende Punkt sei es, an diesen Erfahrungen zu wachsen und darauf aufbauend in Zukunft zu wissen, in welche Situationen man sich lieber nicht begeben sollte.

"Wir würden niemandem empfehlen, Tabletten zu nehmen, um Gefühle nach Belieben an- und auszuknipsen. Wir möchten die speziellen Situationen identifizieren, in denen das Leiden so groß ist, dass alle anderen Methoden unwirksam waren und sich der 'medizinische' Ansatz als hilfreich erweisen könnte."

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Titelfoto: imago | Rolf Kremming