Sex

Wie es ist, als Typ nur Blümchensex zu mögen

In einer zunehmend kink-positiven Gesellschaft werden manche Männer bloßgestellt, weil sie keinen harten Fetischsex wollen.
Illustration von einem Paar im Bett, die Frau schläft, während der Mann am Computer abfällige Kommentare über Männer liest, die nicht auf Fetischsex stehen. Manche Männer fühlen sich von der Kink-Positivity des Mainstream eingeschüchtert
Illustration: Helen Frost

Endlich kann man sich wieder fast unbeschwert mit Fremden zu unverbindlichen Sexdates treffen, Impfung und Corona-Teststationen sei Dank. Einige Männer scheint allerdings eine neue Sorge ins Bett zu begleiten: Sie haben Angst, beim Sex zu vanilla zu sein, also zu normal – was auch immer das bedeuten mag.

Michael zum Beispiel sagt, dass er oft Frauen anziehe, die von ihm erwarten, dass er beim Sex dominant oder sogar aggressiv ist. Alle Männer in diesem Text verwenden nicht ihre echten Namen, um offener über ihre sexuellen Erfahrungen sprechen zu können.

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"Einmal hatte ich was mit der Freundin einer Freundin und später erfuhr ich, dass sie meinte, der Sex mit mir sei langweilig gewesen", sagt er. "Das fand ich ein bisschen gemein, um ehrlich zu sein. Sie war winzig und ich wollte ihr nicht wehtun, aber sie hatte wohl damit gerechnet, herumgeschleudert zu werden." 

Mit der steigenden Mainstream-Akzeptanz von Kink ist auch die Vorstellung aufgekommen, dass man langweilig im Bett ist, wenn man konventionelleren Sex lieber mag. Diese Einstellung kann sogar in Shaming ausufern und ist besonders offenkundig auf Social Media. 

In millionenfach angeschauten Videos machen sich TikTokerinnen und TikToker über junge Menschen lustig, die nicht auf harten Sex oder Kink stehen. Vor Kurzem tauchte die Autorin Lucy Robinson in die #FreakTok-Community ein, eine Subkultur, in der die Grenzen zwischen Kink-Positivity und Vanilla-Shaming oft verwischen. Einige der unter dem Hashtag geposteten Videos fand sie unangenehm.

"Eins mit einem Mädchen, das ihren zögerlichen Freund auffordert, sie zu würgen, hat 1,1 Millionen Views", heißt es in dem Artikel über ein Video, das inzwischen auf privat gestellt wurde. "Ein anderes, in dem ein User sich über Viewer lustig macht, weil sie 'vanilla' sind, hat fast 80.000 Likes."

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Auch in der Popkultur müssen wir nicht erst lange suchen, um Männer zu finden, die runtergemacht werden, weil sie nicht auf Kink stehen. Charlie in der HBO-Serie Girls ist so ein typisches Millennial-Beispiel: In der allerersten Folge sagt seine Freundin Marnie über ihn, er habe eine Vagina und würde sie berühren wie ein komischer Onkel an Thanksgiving. Was sie damit meint: Er ist zu zärtlich, im und außerhalb des Schlafzimmers. Später verlässt sie ihn für einen Künstler mit wesentlich ausgefalleneren Vorlieben.

In dieser neuen Kink-positiven Ära haben manche Männer Mühe sich zurechtzufinden – vor allem Männer, die selbst eher vanilla sind.

Ben, 25, ist aufgefallen, dass Frauen zunehmend mit bestimmten Kinks auf Dating Apps vorpreschen. Er hat den Eindruck, dass auf den Plattformen häufig von Männern erwartet wird, dass sie dominant sein sollen. 

"Es kann sich etwas komisch anfühlen, wenn sie Sachen schreiben wie 'Ich suche einen ECHTEN Mann, der mich kontrolliert'", sagt Ben. "Mir macht es nichts aus, dass Frauen auf Apps offen sind, weil ich auch gerne weiß, worauf sie stehen. Außerdem sind das nur Nachrichten. Ich finde nur nicht, dass man einen Kink haben oder aggressiv sein muss, um ein Mann zu sein."

Pornos dürften einen erheblichen Anteil an diesem Trend haben. 2010 fand eine Studie heraus, dass 88 Prozent der 304 analysierten Szenen aus populären Pornovideos körperliche Aggressionen enthielten, vorwiegend von Männern gegen Frauen. Gleichzeitig erleben Frauen beim Sex häufig ungewolltes Verhalten. 2019 ergab eine Umfrage unter 2.002 Britinnen zwischen 18 und 39 Jahren, dass 38 Prozent von ihnen bei einvernehmlichem Sex Erfahrungen mit ungewollten körperlichen Aggressionen gemacht haben.

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Genau aus diesem Grund haben viele Männer Angst, beim Sex zu weit zu gehen – sie wollen aber auch nicht als langweilig gelten. Um die Balance zu finden, hält es Ben am Anfang lieber vanilla – vor allem bei neuen Partnerinnen. Zu Beginn, sagt er, brauche es manchmal ein bisschen, bis man weiß, was einem nicht nur in der Fantasie, sondern auch in der Realität gefällt.

"Einmal hat mich eine Partnerin  gebeten, sie beim Sex zu würgen. Ich war mir aber nicht sicher, wie stark sie das möchte – oder ob sie so sehr darauf steht, wie sie in den Nachrichten geschrieben hatte", sagt er. "Du kannst zu weit gehen – oder nicht weit genug. Du willst es nicht übertreiben und sie gleichzeitig nicht langweilen. Das kann einen verunsichern."

Der Kink-Druck kann Männer nervös machen. Vor allem, wenn sie das Gefühl haben, dass andere ihre Männlichkeit infrage stellen, falls sie im Bett nicht die Zügel in die Hand nehmen. Aber die Bloßstellung geschieht nicht nur im Schlafzimmer oder in Gruppenchats ihrer Sexualpartnerinnen mit Freunden, sondern ganz öffentlich auf Social Media. 

Brad, 26, hat das Gefühl, dass mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn auf Social Media über Sex mit Männern gesprochen wird. Das verunsichert ihn.

"Ich habe schon ein paarmal gesehen, dass sich über Typen lustig gemacht wurde. Sie seien im Bett zu normal und der Sex langweilig", sagt Brad. "Aber es braucht zwei, um Sex gut zu machen, und ich weiß nicht, ob ich es fair finde, die ganze Verantwortung auf eine Person zu schieben. Wenn Männer solchen Scheiß über Frauen sagen, wird das zurecht kritisiert!"

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Es sind nicht nur Heterotypen, die von dieser Entwicklung betroffen sind. Mitch, 27, beschreibt seine sexuellen Vorlieben als "offen", allerdings sei ihm eine Abneigung gegen schwule Männer aufgefallen, die eher auf Blümchensex stehen.

"Weil heute offener über Kink geredet wird – was auch gut ist –, gibt es diese Ansicht, dass du kinky sein musst, um Sex zu haben", sagt er. "Du siehst es ständig auf deiner Twitter-Timeline: 'Oh, du stehst nicht auf Spucke? Eklig.' Oder 'Du magst keine Füße und Achseln? Wozu dann Sex?'". Die Art, wie manche schwule Männer andere regelrecht dafür anprangern würden, nicht 'kinky' oder 'kinky genug' zu sein, "ist so weird", sagt er.

Ähnlich wie die jungen Menschen von #FreakTok gegen die "konventionellen" Alten rebellieren, ist Vanilla-Shaming unter schwulen Männern vielleicht auch eine Form von Ablehnung heterosexueller Normen. Homosexualität galt selbst mal als Kink und queere Fetisch-Communitys haben sich immer stark gegen die Unterdrückung von LGBTQ+-Menschen eingesetzt. 

Als iPhones auf den Markt kamen, gehörten schwule Männer zu den ersten, die im großen Stil Fetisch- und Dating-Apps benutzten. Es kann aber befremdlich für queere Männer sein, von ihrer Community wegen ihrer Vanilla-Vorlieben angeprangert zu werden, nachdem sie bereits wegen ihrer Sexualität Stigmatisierung und Marginalisierung erfahren haben.

"Wenn jemand nicht auf Kink steht, heißt das nicht, dass man keinen tollen Sex haben kann. Ich glaube, die Leute bringen diese beiden Sachen durcheinander", sagt Mitch. "Du musst nicht kinky sein, um gut im Bett zu sein."

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