Schwarzweißfoto aus einem Fotoautomat, auf dem sich zwei Frauen küssen, die Autorin hat lange gebraucht, um ihre sexuelle Orientierung zu akzeptieren.
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Menschen

Wie ich lernte zu akzeptieren, dass ich lesbisch bin

Selbst Therapeuten ließen mich glauben, ich sei keine echte Lesbe, sondern eine kaputte Heterofrau, die in einer Scheinrealität lebt.

Schon als Kind habe ich mich gefragt, wie es wohl wäre, auf Mädchen zu stehen. Sie faszinierten mich, ich schwärmte für sie, aber ich konnte nicht sagen, ob ich wie sie oder mit ihnen zusammen sein wollte.

Mit der Zeit ergab dann aber alles Sinn. Als ich mit 14 meine erste Freundin kennenlernte, wurde mir klar, dass ich lesbisch bin. Obwohl ich in einer konservativen Familie aufgewachsen war, fühlte sich alles vollkommen natürlich an. Es war einvernehmlich, ehrlich und wunderschön. Da wusste allerdings noch niemand anderes davon.

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Mit dieser Unbeschwertheit war es leider bald vorbei. Auf die Lesbenfeindlichkeit, die folgen sollte, war ich nicht vorbereitet: die abfälligen Bemerkungen oder die Art, wie meine Familie mich plötzlich anschaute. Leute sagten mir, dass ich doch dankbar sein sollte, überhaupt akzeptiert zu werden. Ich dachte damals häufig, dass alles viel leichter wäre, wenn ich heterosexuell wäre.


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Als ich mit 15 mit meiner Freundin Schluss machte, versuchte ich es zum ersten Mal auch mit Jungs. Ich war mir nicht sicher, ob ich das wirklich wollte, aber es wurde offensichtlich von mir erwartet. Eines Nachts entschied ich mich dazu, mit einem Typen zu schlafen. Ich fühlte nichts. Also wirklich gar nichts. Keine Anziehung, keine Lust, ich machte einfach die Bewegungen mit.

Als ich mit anderen darüber sprach, meinten sie, das sei normal. Das erste Mal sei ja oft schrecklich. Aber es war ja gar nicht mein erstes Mal. Ich hatte davor schon monatelang Sex mit meiner Freundin gehabt und der Sex war großartig. Aber von den anderen kamen nur Sachen wie: "Ach komm, das ist doch nicht dasselbe!" Ja, das war es wirklich nicht – aber nicht so, wie sie es meinten. Weil ich immer noch zweifelte, probierte ich es noch ein paar mal, aber immer mit demselben Resultat: Ich starrte währenddessen an die Decke und wartete darauf, dass es vorbei war, zog mich an und ging nach Hause.

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Mir zeigte dieser Vorfall, dass die Leute meine Hetero-Experimente nicht so schnell vergessen werden.

Ein paar Monate später lief ich meiner Ex bei einer Party über den Weg. Da lernte ich meine erste lesbische Tradition kennen: Es ist nicht vorbei, bevor ihr nicht mindestens einmal wieder zusammengekommen seid. Meine Experimente hatten bestätigt, was ich ja eigentlich schon längst wusste. Ich bin lesbisch. Aber sie hatten auch zwei unterschiedliche Reaktionen zur Folge: Hoffnung von jenen, die sich wünschten, dass ich hetero bin, und doppelten Hass von denen, die dachten, ich sei bi.

An manchen Tagen durfte ich mir anhören, ich würde die Mädchen in der Umkleide begaffen und versuchen, mit ihren Typen zu schlafen. Einmal attackierte mich ein Mädchen beim Verlassen einer Bar mit den Worten: "Du fette Lesbe, du hast meinen Freund gefickt. Du bist nur eine billige Schlampe." Abgesehen von den vielen Ebenen, auf denen diese Beleidigung problematisch ist, zeigte mir dieser Vorfall, dass die Leute meine Hetero-Experimente nicht so schnell vergessen werden.

Mit 18 bekam ich psychische Probleme. Das hatte definitiv nicht nur, aber auch mit den ständigen Anfeindungen zu tun. Ich fühlte mich komplett von der Welt entkoppelt. In meiner Beziehung gab es Probleme und ich hatte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Meine Familie hätte mich nur aus den falschen Gründen dazu gedrängt, mit meiner Freundin Schluss zu machen, und ich hatte das Gefühl, dass meine Freunde mich nicht verstehen würden. Meine Freundin war die einzige Person, die mich wirklich verstand. Sie war meine erste Liebe und sie war die einzige Lesbe, die ich kannte.

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Nachdem ich monatelang mit schweren Depressionen gekämpft hatte, entschied ich mich schließlich, zu einer Hypnotherapeutin zu gehen. Die Sitzung lief gut, bis wir auf meine Sexualität zu sprechen kamen. Die Therapeutin, die es nur gut mit mir zu meinen schien, erklärte mir, dass ich eine ganz normale Phase für eine junge Frau durchmache und meine Anziehung zu Mädchen bald vorübergehen würde. Mein Lesbischsein war auch davor schon häufig infrage gestellt worden, aber dieses Mal verstörte es mich wirklich.

"Wie fühlen Sie sich, wenn ein Mann wegen Ihnen einen Ständer bekommt?"

Mein Zustand wurde immer schlimmer. Statt "Vielleicht wäre alles leichter, wenn ich hetero wäre", dachte ich jetzt: "Vielleicht wäre alles leichter, wenn ich tot wäre." Ich begann eine Therapie und musste dann für eine Diagnose zu einem Psychiater. Er analysierte meine Symptome und fasste alle meine Gefühle in Worte. Ich hatte das Gefühl, dass er meine Gedanken lesen und ich ihm vertrauen könnte. Erst später wurde mir klar, dass er nicht wirklich einfühlsam gewesen war, sondern lediglich die Symptome meiner Krankheit aufgezählt hatte. Welche das ist, möchte ich an dieser Stelle nicht sagen.

Im Laufe der Sitzungen sprachen wir über meine Kindheit, meine Beziehung zu meinen Eltern und schließlich über meine Freundin. Ich erklärte meinem Psychiater, dass wir schon sehr jung zusammengekommen waren und seit sieben Jahren ein Paar waren. Und ich sagte ihm, dass wir uns trotz der Trennungen und der ganzen Schwierigkeiten noch sehr liebten.

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Anfangs schien er von meiner Beziehung überrascht zu sein und machte eine Reihe komischer Annahmen. "Sie ist viel älter als Sie, nicht wahr?", "Hat sie auch psychische Probleme?" Ich wusste nicht, worauf er hinaus wollte.

Als das Thema in einer Sitzung wieder aufkam, fragte er mich aus dem Blauen heraus: "Wie fühlen Sie sich, wenn ein Mann wegen Ihnen einen Ständer bekommt?" Ich schaute ihn komplett entgeistert an. Er nahm meinen Gesichtsausdruck offensichtlich als Antwort und sagte: "Was ich vermutet hattet: Sie sehen Penetration als einen Akt der Aggression. Deswegen können Sie nicht mit Männern zusammen sein." Ich weiß nicht mehr, was ich ihm darauf geantwortet habe, so schockiert war ich.

Ich weiß aber noch, dass ich mich nach der Sitzung zu Hause fragte, ob er vielleicht die Wahrheit gesagt hatte. Wenn dieser Psychiater bei allen anderen Sachen recht gehabt hatte, vielleicht auch hier.

Ich wurde den Gedanken nicht los. Ich hatte noch nie Gefühle für einen Typen gehabt, aber jetzt begann ich, mich dazu zu zwingen. Vielleicht könnten es mit diesem hier unter bestimmten Umständen funktionieren? Der Schauspieler hier ist ganz cool, kann ich mir mit ihm was vorstellen?

Endlich hörte ich, was man mir schon die ganze Zeit hätte sagen sollen: Ich kann ich selbst sein und meinen Gefühlen trauen.

Irgendwann sagte ich sogar meiner Freundin, dass ich wohl früher oder später in einer Heterobeziehung landen werde. Sie fiel darauf nicht rein. "Wenn du es eines Tages wieder mit einem Typen probieren willst, ist das deine Entscheidung", sagte sie, "aber warum glaubst du, dass das heute irgendwie anders laufen würde als früher?" Am Ende konnte ich mich nur in der Theorie dazu bringen, hetero zu sein, aber niemals in der Praxis.

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Trotz allem kriegte ich die Worte des Psychiaters nicht aus meinem Kopf. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass etwas mit mir nicht stimmte, dass ich eine falsche Lesbe bin, eine kaputte Heterofrau, die sich selbst etwas vormachte. Ich gab mir so viel Mühe, einer Sexualität zu entsprechen, die nicht meine war, dass ich nicht mehr wirklich wusste, wer ich eigentlich bin.

Zum Glück entschied der Psychiater nach ein paar Sitzungen, dass ich ihn nicht länger brauche, und ich konnte wieder mit meiner Behandlung bei der Therapeutin weitermachen.

Obwohl ich ihr nicht direkt von diesem Erlebnis erzählte, merkte sie schnell, dass ich Probleme hatte, mich selbst zu akzeptieren. Sie ließ mich immer wieder verstehen, dass es OK ist, lesbisch zu sein – und dass es auch OK ist, falls sich das eines Tages ändern sollte. Ich muss niemandem etwas beweisen. Endlich hörte ich, was man mir schon die ganze Zeit hätte sagen sollen: Ich kann ich selbst sein und meinen Gefühlen trauen. Mir wurde bewusst, dass die ganzen Zweifel nicht von mir selbst gekommen waren. Ich hatte auf die falschen Menschen gehört, als ich selbst besonders verletzlich war. Das war alles.

Die Arbeit mit meiner Psychologin und die Gespräche mit meiner Freundin halfen mir sehr, aber es dauerte Jahre, diese Gedanken komplett aus meinem Kopf zu verdrängen. Mein Liebesleben hatte harmonisch angefangen, aber erst nach Jahren großer Verwirrung konnte ich mich selbst finden und mir meiner lesbischen Identität sicher sein.

Heute weiß ich, dass ich schon immer Mädchen mochte – auch wenn die Gesellschaft versucht hat, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ich will mich nicht mehr verstecken oder verbiegen. Ich bin stolz darauf, wer ich bin.

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