„Hurenprotest“: Warum Sexarbeiterinnen das Prostituiertenschutzgesetz ablehnen
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„Hurenprotest“: Warum Sexarbeiterinnen das Prostituiertenschutzgesetz ablehnen

„Mein Körper, mein Bettlaken, mein Arbeitsplatz!": Am Donnerstag versammelten sich Vertreter und Vertreterinnen der Sexbranche vor dem Bundestag, um gegen den kontroversen Gesetzentwurf zu protestieren.

Seit 2011 finanziert Marleen* ihr Studium als Sexarbeiterin. Die 27-Jährige schafft im Schnitt zwei Mal die Woche an. Ihr steht kein BAföG mehr zu und Anspruch auf Hartz IV hat sie als Studentin ebenfalls nicht. Angefangen hat sie aus Neugier, hat bereits in verschiedenen Bordellen gearbeitet, als Escort Freier begleitet und bietet aktuell ihre Dienste als ‚Devote Dame' bei einer Domina an.

Ihre engsten Freunde und ihre in einem kleinen Ort in Süddeutschland lebende Familie wissen, was Marleen für ihren Unterhalt so macht. Vor Kommiliton_innen und Professor_innen möchte sie ihren Nebenberuf nicht offenbaren. Auch wenn die Arbeit als Prostituierte sie voraussichtlich einige Jahre begleiten wird, will Marleen noch ihren Master machen und sich anderweitig professionell verwirklichen—ohne Stigmatisierung. Nach dem kommenden Prostituiertenschutzgesetz wird auch sie um die eigene Privatsphäre bangen müssen, denn der Entwurf sieht unter anderem eine Registrierungspflicht von Personen, die im Sexgewerbe arbeiten, vor.

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Gestern—am Internationalen Hurentag, der in vielen Ländern seit 1975 an jedem 02. Juni gefeiert wird und an jahrelange Ausbeutung und Diskriminierung von Prostituierten erinnern soll—zog Marleen mit Kolleginnen und Kollegen vor den Bundestag, um zur 1. Lesung des Prostituiertenschutzgesetzes gegen ebendieses zu protestieren. Mit Bettlaken und roten Schirmen ausgestattet, bildeten Sexarbeiter_innen und Aktivist_innen eine Menschenkette und forderten mit demAppell „Mein Körper, mein Bettlaken, mein Arbeitsplatz!" Gehör ein.

Eigentlich will das 2017 in Kraft tretende Gesetz Prostituierte stärker schützen und Bordellbetreibern und Freiern durch Lizenzzwang und Kondompflicht mehr Verantwortung auferlegen. Doch Aktivistinnen wie Marleen prophezeien, dass das ProstSchG die Stigmatisierung des Berufs bloß verstärken und vor allem den Prostituierten durch potentielle Zwangs-Outings schaden wird: „Die Registrierungsdaten könnten ganz einfach gehackt werden."

Alle Fotos: Grey Hutton

Eine verpflichtende Gesundheitsberatung ist Teil des neuen Gesetzes und Voraussetzung für die Anmeldung ins Register. Sie soll für 18- bis 21-Jährige halbjährlich und für ältere Prostituierte jährlich stattfinden. Staatliche Vorsorge- und Beratungsangebote werden von den SexarbeiterInnen zwar befürwortet, doch dass sie Pflicht sind, halten viele für erniedrigend und in der geplanten Häufigkeit für unnötig aufwendig. Auch die im Gesetz enthaltene Kondompflicht, die in Bayern und Saarland bereits gilt, ist in den Augen der Protestierenden nicht zielführend. Laut Marleen seien Aufklärungskampagnen und anonyme und kostenlose Beratungs- und Untersuchungsangebote bei der HIV-Vorsorge deutlich hilfreicher.

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Der Gesetzgeber möchte durch die Anmeldepflicht und die regelmäßige Gesundheitsberatung unter anderem dem Menschenhandel die Grundlage entziehen, doch der Vorsatz würde laut Marleen ins Leere laufen: „Opfer werden häufig psychischem und körperlichem Druck ausgesetzt. Die werden sich die Registrierung einfach holen und sich sicher nicht den Beamten gegenüber öffnen, die sie einmal im Jahr kurz sehen." Sie verweist auf Erkenntnisse aus Österreich, wo die Anmeldepflicht bereits eingeführt ist und Zwangsprostitution trotz Registrierung weiterhin stattfindet.

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Marleen fordert von der Politik vor allen Dingen mehr Finanzierung von Peer-Arbeit, wie sie zum Beispiel vom Verein Hydra geleistet wird, bei dem sie Mitglied ist und der seit 1980 die Interessen von Prostituierten vertritt. So können sich Arbeiter_innen innerhalb der Branche vernetzen und gegenseitig austauschen. Ein weiteres vorbildliches Projekt lernte sie in Indien kennen, das durch die National Aids Control Organisation zur HIV-Prävention finanziert wird. Dabei fungieren Mentor_innen innerhalb der Branche als Multiplikatoren und stehen anderen Sexarbeiter_innen mit ihrem Fachwissen beratend zur Seite. „Was ich in Indien gelernt habe ist, wie nachhaltig Peer-Arbeit wirkt und welche Synergieeffekte daraus entstehen", sagt Marleen.

Nicht unter Zwang stellen, sondern mehr Möglichkeiten und Aufklärung anbieten, darum geht es den Sexarbeiter_innen in erster Linie. Den administrativen und finanziellen Aufwand für die Kommunen, der durch das ProstSchG entsteht, sehen sie in mehr Beratung, freiwillige Gesundheitsangebote und bessere Wohnmöglichkeiten für Prostituierte sehr viel sinnvoller investiert.

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Problematisch ist in jedem Fall, dass es die Große Koalition versäumt hat, die Menschen um Rat zu bitten, um deren Arbeitsbedingungen es im Gesetz geht. Ein runder Tisch aus NRW, der im Jahr 2014 abgehalten wurde, dient als vorbildlich, daran nahmen zwei Frauen aus der Sexbranche teil. Doch auf Bundesebene blieb die Vertretung von Prostituierten während der Entstehung des ProstSchG aus.

Für viele Sexarbeiter_innen ist bereits die Rhetorik kritisch. „Es gibt kein erklärtes Schutzbedürfnis von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, wenn sie das aus freien Stücken tun. Das sind viele, die in der Branche arbeiten", sagt Bondage-Künstlerin Kristina, die auch zur Demo vor den Bundestag kam. „Der Schutz wird immer vorgegeben, um Prostitution mehr oder weniger abzuschaffen." Fraglich bleibt an dieser Stelle, wie mit den Menschen innerhalb der Branche verfahren werden soll, bei denen die freiwillige Mitwirkung durch komplexe Machtstrukturen zumindest in Frage gestellt werden kann.

„Solche Gesetze haben sich immer zum Nachteil von Sexarbeiter_innen ausgewirkt, weil sie dann im Untergrund oder illegal weiterarbeiten müssen", erklärt Kristina. „Dieses Gesetz ist eigentlich ein Regelwerk, das versucht, die Prostitution zurückzudrängen." Viel Gehör fanden sie am Donnerstagvormittag inmitten des Trubels um die Armenien-Resolution nicht.

*Name geändert