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Psychologie

Willkommen in der Liebeskummerpraxis

Was passiert mit unserem Körper und unserer Psyche, wenn wir einen geliebten Menschen verlieren? Und was hilft wirklich gegen Herzschmerz? Birgit Mauer betreibt eine Praxis, in der sie sich mit genau diesen Fragen auseinandersetzt.
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Liebeskummer kann ein ganz schönes Arschloch sein. Liebeskummer macht manche von uns fertig, stürzt uns in Selbstzweifel oder bringt wiederum andere dazu, vor ihren Problemen wegzulaufen. Egal, wie man konkret damit umgeht—Liebeskummer kann weh tun, existenzielle Krisen auslösen und unsere schlimmsten Seiten zum Vorschein bringen. Genau deswegen gibt es Birgit Maurer.

Die Psychologin betreibt seit 2008 im neunten Wiener Gemeindebezirk und in Graz die „Liebeskummerpraxis". Dort begleitet sie in entspannter Atmosphäre Menschen, die an Liebeskummer leiden: sich beispielsweise gerade in einem Trennungsprozess befinden, in destruktiven Beziehungen leben, mit den Herausforderungen in Patchwork-Familien zu kämpfen haben oder in Dreieckskonstellationen feststecken. Aber nicht nur Menschen, die mit einer Trennung „im klassischen Sinne" zu kämpfen haben, nehmen die Dienste von Birgit Maurer in Anspruch, sondern auch solche, die den Tod einer geliebten Person nicht verkraften, nicht wissen, wie sie ihrem Partner einen geheimen Fetisch mitteilen sollen oder zwischenmenschliche Probleme mit ihrer besten Freundin haben—sie zum Beispiel um ihre intakte Beziehung beneiden, während sie sich selbst von Affäre zu Affäre hangeln.

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Wie die Geschlechterverteilung unter ihren Patienten in ihrer Praxis in Wien aussieht, kann sie aus dem Stehgreif nicht so genau sagen: „Darüber habe ich keine genauen Statistiken. Ich kann Ihnen aber sagen, dass ich vier Tage in der Woche da bin, das können täglich zwischen acht und zehn Stunden sein." Sie betreut Menschen in verschiedensten emotionalen Ausnahmesituationen alleine, in Paaren oder auch in Gruppen. Viele fühlen sich verstanden und weniger allein, wenn sie erst einmal sehen, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme wie sie haben. Ihre älteste Patientin ist übrigens um die 80 Jahre alt—Liebeskummer is also keineswegs etwas, das nur junge Menschen betrifft.

Die Räumlichkeiten im obersten Geschoss des Hauses wirken gemütlich, unverkrampft. In den Gesprächsräumen gibt es verschiedene Sitzmöglichkeiten und Sitzkissen. Birgit Maurer arbeitet mit Methoden der Gestaltpsychologie, weshalb auch viele Stifte und Malutensilien zu sehen sind. Im Gespräch mit Birgit Maurer wird schnell klar, dass sie in ihrer Tätigkeit als Psychologin schon einiges erlebt hat: verzweifelte Männer, Frauen, Paare, die nicht wissen, wie sie eine Sache beenden und/oder eine andere beginnen können. Aber sie hat auch einiges gelernt und so manche Weisheiten auf Lager, die auf den ersten Blick sehr einfach wirken, aber zumindest mich nach genauerer Betrachtung zum Nachdenken gebracht haben

Flyer, Informationsbroschüren und inspirierende Sprüche in der Liebeskummerpraxis: Shit Happens, but Life Goes on

Denkt man an RomComs und die Liebeskummer-Klischees, die dort regelmäßig ausgeschlachtet und durchexerziert werden, sieht die geschlechterspezifische Schmerzbewältigung folgendermaßen aus: Frauen essen wahlweise gar nichts mehr oder in rauen Mengen, vergraben sich heulend zu Hause und/oder schmieden mit ihren Freundinnen Rachepläne. Im Gegensatz dazu helfen sich Männer über ihren Schmerz hinweg, indem sie ausgehen, ihre wahren Gefühle verdrängen und sich Trost bei ihren Kumpels und anderen Frauen suchen.

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Aber was passiert wirklich mit uns, unserem Körper und in unserem Kopf, wenn wir Liebeskummer haben? Und ich meine nicht den Liebeskummer, den man hat, wenn einem der One Night Stand von letzter Woche nicht auf eine Nachricht antwortet, sondern den Herzschmerz nach einer Scheidung, dem Ende einer langjährigen Beziehung oder auch dem Ende einer guten Freundschaft.

Liebeskummer kann sich sowohl auf das körperliche als auch das geistige Wohlbefinden auswirken, wie Birgit Maurer im Gespräch mit Broadly sagt: „Die Kernthemen bei Liebeskummer sind Vernachlässigung, Lustlosigkeit und häufig Aggression. Es kann zum Frustfressen oder Frustfasten führen, Alkohol-, Nikotin-, Tabletten- oder Drogenmissbrauch kann vorkommen. Beruf- und Alltagspflichten können ebenso schwer bewältigt bis vernachlässigt werden. Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten können auftreten, was zu Fehleranhäufungen führen kann. Psychosomatische Störungen sind oft Begleiter bei Liebeskummer, Magen- und Darmbeschwerden und chronische Schmerzen sind prominente Phänomene in solchen Situationen. Gedanken wie ,Das bricht mir das Herz' können bis zum Broken Heart Syndrom führen, das Symptome aufweist, die denen eines Herzinfarktes nahekommen."

Aber auch das soziale Leben kann laut der Expertin sehr unter der Schattenseite der Liebe leiden: „Soziale Kontakte werden häufig gemieden oder eingestellt. Betroffene Menschen beschreiben diese Schattenseite häufig als ,Zombie-Dasein', man schleppt sich einfach nur noch durchs Leben. Es kann jedoch auch zu einem übertriebenen Kontaktverhalten kommen, in Form von ständigem Ausgehen oder vielen One Night Stands, um der Einsamkeit und den immer wiederkehrenden Gedanken zu entkommen, oder um Bestätigung und Anerkennung zu erfahren. Dies kann mitunter ebenso zu Erschöpfung und Einsamkeit führen. Liebeskummer kann jedoch auch starke, extreme Gefühle wie Wut und Rache auslösen, bis hin zu einem Amoklauf, der die tiefe Traurigkeit und Verzweiflung des Betroffenen zum Ausdruck bringt. Ich habe auch Patientinnen, die Rachegedanken vom Aufstechen der Autoreifen des Ex bis hin zu Mordgedanken hegen."

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Diese extremen Auswirkungen von Liebeskummer unterscheiden sich in ihrer Ausprägung auch nach Geschlecht, wie Birgit Maurer in ihrer langjährigen Tätigkeit in der Liebeskummerpraxis feststellen konnte. Männer neigen laut ihrer Erfahrung eher dazu, impulsiv und aggressiv zu handeln, Frauen planen eher taktisch und langfristig: „Diesen konkreten Fall hatte ich zwar nicht in meiner Praxis, aber ich kenne ihn aus meinem früheren Job in einer Kanzlei. Da hat eine Frau ihren Ex wegen sexuellen Missbrauchs der gemeinsamen Tochter angezeigt—mit Fotos von zerrissenen Kleidern und allem. Bis sich dann herausgestellt hatte, dass sie das alles nur inszeniert hat, damit er seine Tochter nicht mehr sehen darf."

Grund für diese krassen Auswirkungen, die Liebeskummer nach sich ziehen kann, sind Vorgänge in unserem Gehirn. Die Anthropologin Helen Fisher, die sich intensiv mit Liebeskummer beschäftigt hat, hat beispielsweise festgestellt, dass sich Liebe wie eine Sucht und Liebeskummer folglich wie ein Drogenentzug anfühlt. In einem Experiment konnte festgestellt werden, dass bei Liebeskummer und Sucht die selben Hirnareale aktiv sind.

In abgeschwächter Form stimmen die gängigen Liebeskummerklischees in Bezug auf die Geschlechter, wie Birgit Maurer festhält: „Nach einer Trennung gehen Frauen mehr in den Rückzug und Männer gehen mehr in die Aktivität—das ist zumindest meine Beobachtung. Frauen reden zum Beispiel mehr darüber und Männer gehen Fußball spielen, treffen sich mit Freunden. Frauen bilden mit ihren Freundinnen oft Leidensgruppen. Aber: Man sollte auch was anderes machen und auf keinen Fall im eigenen Leid verharren."

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Der Umgang mit Liebeskummer sei jedoch auch eine Sozialisationsfrage, da Männer, die Gefühle zeigen, oftmals sofort als Softies abgestempelt werden: „Stellen Sie sich einmal einen Stammtisch vor. Da redet kein Mann über seine Erektionsprobleme. Frauen reden da schon eher über intime Themen. Bei Männern gilt oft: Außen hui, innen pfui. Darum haben Männer zum Beispiel nach einer Trennung auch schneller neue Partnerinnen. Frauen wollen da über längere Zeit nicht angegriffen werden, wenn sie eine Trennung verarbeiten."

Eine andere Lektion in Sachen Liebeskummer, die uns die Popkultur mitgibt, ist der vermeintlich tröstende Spruch „Zeit heilt alle Wunden". Aus der Sicht von Birgit Maurer ist dieser Spruch mit großer Vorsicht zu genießen und nicht allzu wörtlich zu nehmen: „Zeit heilt keine Wunden—sie bringt den Schmerz maximal in Distanz und lässt ihn verblassen. Das kann einen immer wieder einholen. Liebeskummer ist genau so ein Schmerz wie ein Bruch, da kann man sich auch nicht einfach drauf verlassen, dass das schon wieder wird. Verlässt man sich doch darauf, läuft man Gefahr, dass man in einem Gefühl stecken bleibt—in der Verzweiflung, im Hass oder der Verbitterung."

Heilung führt immer über den Schmerz.

Und genau das ist das, was nach einer Trennung nicht passieren darf: Man darf keinesfalls in einem Gefühl verharren. Der Schlüssel zum Glück und das Gegengift gegen Liebeskummer sei laut der Psychologin die Selbstliebe, denn wenn man sich selbst liebt, ist man nicht so leicht zugänglich für destruktive Beziehungen, so die Expertin. Und je besser man mit sich selbst umgeht, umso wahrscheinlich lande man in den Armen eines ebenso liebevollen Gegenübers.

Außerdem sei es wichtig, dass man sich selbst tröstet und sich trösten lässt, um über einen Schmerz hinwegzukommen: „Oftmals ist man zu Freundinnen, die sich gerade getrennt haben, liebevoller als zu sich selbst, aber das ist ein großer Fehler. Man darf mit sich selbst nicht so streng sein, man muss sich Dinge gönnen und es sich gut gehen lassen. Ich bin der Meinung, dass die beste ,Rache' immer noch die ist, wenn der Ex sieht, wie gut es einem geht. Aber vor allem muss man auch Gefühle zulassen, denn Heilung führt immer über den Schmerz."

Ein Gutes hat die Sache jedoch: Birgit Maurer, die sich seit Jahren mit Liebeskummer beschäftigt, hat noch keinen Fall erlebt, in dem der Liebeskummer wirklich nicht mehr wegzubekommen war: „Ich habe schon auch Menschen in meiner Praxis gehabt, die beispielsweise 17 Jahre nach der Scheidung von ihrem Partner nichts verändert haben und in dieser Phase stecken geblieben sind. Aber auch das haben wir gut hinbekommen. Manchmal kann es schon lang dauern, aber wenn man den Antrieb hat, kann man aus allem rauskommen. Man muss das Ganze als Prüfungen an sich selbst sehen: Man lernt durch Liebeskummer, mit Schmerz und Verlust umzugehen, und geht dann gestärkt und achtsamer mit sich selbst um." Um es mit den Worten von Kelly Clarkson zu sagen: Was einen nicht umbringt, macht einen wohl wirklich stärker—zumindest in Sachen Liebeskummer.