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Film

Warum Kabuls erstes Kino für Frauen eine echte Revolution ist

Johlende Männer und Belästigung: Wer als Frau in ein afghanisches Kino geht, muss um seine Sicherheit bangen. Das könnte sich nun ändern.
Photo by Ivan Flores

In einem schicken Einkaufszentrum in Kabul ist eine stille Revolution im Gange. Im Vergleich zu den anderen Kinos in Kabul sieht das Galaxy Family Miniplex nämlich nicht nur besonders ordentlich und modern aus, das wirklich Besondere sind seine Besucherinnen.

"Hier sieht man oft Frauen ohne Mahram [ein Verwandter, mit dem die Heirat nicht erlaubt ist und der die Frau begleitet]. Man kann sich ganz frei fühlen", erklärt die 29-jährige Rohina Haroon. Das Galaxy Family Miniplex ist Afghanistans erster Kino für Frauen. Haroon ist zum vierten Mal hier.

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In den vergangenen 15 Jahren waren die Kinos in Afghanistan überwiegend männliches Terrain. Frauen war der Zutritt verboten, weil man es für unangemessen hielt, dass sie ins Kino gehen. Beim Besuch im Pamir Cinema, einem von Kabuls ältesten Kinos, schlägt einem dicker Marihuanarauch entgegen, wenn man den Saal betritt. Jedes Mal, wenn eine Frau auf der Leinwand zu sehen ist, fangen die Jungen und Männer in ihren Sitzen an zu pfeifen und zu klatschen. "In Kabul ist es wirklich radikal, ein Kino für Frauen zu bauen", sagt der 34-jährige Abu Bakar Gharzai, der das Galaxy Family Miniplex im März vergangenen Jahres eröffnet hat.

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Gharzai wuchs als Flüchtling in Pakistan auf und hat später in Indien studiert. Als er 2008 zurück nach Afghanistan kam, bemerkte er schnell, dass es kaum Orte für Familien gab. Die Kinobesuche mit seiner Frau, die in Indien zu Gharzais Alltag gehörten, waren plötzlich nicht mehr möglich. Deswegen beschloss er kurze Zeit später, einfach selbst ein Kino zu eröffnen. Eines, in dem auch Frauen gerne gesehen waren.

Die Kinos in Afghanistan waren nicht immer so männerdominiert wie heute. Zur Zeit von König Mohammad Zahir Shah (zwischen 1933 und 1973) und während dem kommunistischen Regime (1978 bis 1989), sah es in Kabul noch ganz anders aus. Es war nicht unüblich, Frauen in kurzen Röcken und ohne Kopftuch zu sehen. Viele von ihnen gingen studieren oder arbeiten und auch Kinos waren eine ganz normale Form der Unterhaltung – sowohl für Männer als auch für Frauen. "Die Töchter meines Onkels haben damals sogar ihre Mittagspause im Kino verbracht. Das war zu der Zeit überhaupt kein Problem", sagt Haroon.

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Doch als der Bürgerkrieg ausbrach und die Mudschahedin (die islamischen Widerstandskämpfer) zu Beginn der 90er-Jahre die Macht übernahmen, begann man, die Kinos zu vernachlässigen. Sie durften zwar weiterhin betrieben werden, allerdings wurden sämtliche Lieder – die vor allem in indischen Filmen weit verbreitet waren – zensiert. Als die Taliban 1996 an die Macht kamen, wurde das Fernsehen und die meisten Musikrichtungen verboten. Das zwang schließlich auch die Kinos dazu, zu schließen.

Alle Fotos: Ivan Flores

Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 öffneten die Kinos nach langer Zeit wieder ihre Türen,och der Einfluss religiöser Fundamentalisten lässt nur langsam nach. In den Augen streng religiöser Gesellschaftsgruppen sind Filme nach wie vor eine verbotene Form der Unterhaltung. Manchen Männern ist es sogar peinlich zuzugeben, dass sie ins Kino gehen. Gharzai erzählt, dass er wegen seines Kinos schon Drohungen von religiösen Fundamentalisten bekommen hat. Es gibt zwar kein spezielles Gesetz mehr, dass es Frauen verbietet, ihre Nachmittage im Kino zu verbringen, doch die meisten Frauen bleiben dem Kino nach wie vor fern – aus Angst, belästigt zu werden oder weil es ihre Familien nicht erlauben.

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"Ich glaube [afghanische Frauen gehen nicht ins Kino], weil ihre Männer und Familien es nicht wollen", sagt Sevita Durrani, 28, die vor Kurzem zum ersten Mal im Galaxy Family Miniplex war. "Vielleicht glauben sie aber auch, dass dort zu viele Männer sein könnten und sie ihnen nicht erlauben würden reinzugehen. Womöglich könnten Frauen mit ihren Familien [in andere Kinos] gehen, aber nicht allein – die Männer würden versuchen, sie anzusprechen."

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Haroon war in Kabul auch noch nie in einem anderen Kino. Sie würde sich dort nicht wohlfühlen, weil zu viele alleinstehende Männer ins Kino gegen.

Ein Mann vor dem Pamir in Kabul.

Die meisten Kinos der Stadt ziehen vor allem Tagelöhner, Ladenbesitzer, Fleischer und Arbeitslose an, die auf der Suche nach ein paar Stunden Unterhaltung sind. Der Eintritt kostet im Pamir umgerechnet weniger als einen Euro. Die Männer werden zum Teil ziemlich laut, stehen von ihren Sitzen auf oder fangen mitten im Film an, zu singen oder zu tanzen.

"Wenn Frauen da wären, würden sie [von den Männern] mit Sicherheit belästigt werden", sagt Rohid, ein 24-jähriger Besucher im Pamir Cinema. "Man sieht ja auch, wie Frauen auf der Straße belästigt werden. Als die Männer erst einmal herausgefunden haben, dass auch Frauen hierher kommen, sind sie sofort ins Kino gerannt und haben angefangen, sie zu belästigen. Die Gesellschaft ist noch nicht so weit, dass auch Frauen hierher kommen können."

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Im Galaxy Family Miniplex kostet der Eintritt das Fünffache und auch Männer können die Vorstellungen besuchen – allerdings nur als Teil einer Familie oder wenn keine Frauen anwesend sind. In manchen Vorstellungen sitzen zwar noch immer mehr Männer als Frauen, aber das Familienkino ist schon jetzt für viele Frauen mehr als nur ein Kino: Es ist ein Ort, an dem sie sich zurücklehnen können. Helen, 16, geht regelmäßig ins Kino, aber "einfach nur um rumzuhängen und nicht unbedingt wegen der Filme." Während meines Besuchs saß sie gemeinsam mit einer Freundin vor der Kasse und aß Popkorn. Obwohl es im Einkaufszentrum auch unzählige Cafés und Restaurants gibt, setzen sich die beiden Mädchen lieber ins Kino. Letztendlich gibt es kaum Orte in Kabul, an denen sich Frauen in Ruhe treffen und unterhalten können.

"Es ist gut, dass es einen solchen Ort in Kabul gibt. Frauen brauchen Unterhaltung", sagt Durrani.

Gharzai stimmt dem zu. "Manchmal vergessen die Leute, dass Frauen auch nur Menschen sind."