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Nationalsozialismus

Sex-Zwangsarbeit: Das grausame System der KZ-Lagerbordelle

Die Konzentrationslager im Dritten Reich stehen für all das Schreckliche, was Menschen einander antun können. Relativ unbekannt ist, dass weibliche Häftlinge dort auch systematisch sexuell ausgebeutet wurden.
Foto: imago | Christian Ditsch

"Wir mussten jeden Abend die Männer über uns rübersteigen lassen, innerhalb von zwei Stunden", beschreibt es Margarete. Am laufenden Band seien Männer zu ihr geschickt worden. "Rein, rauf, runter, raus, wieder zurück" – niemand länger als eine Viertelstunde. Sie war eine der Frauen, die von den Nationalsozialisten als Sex-Zwangsarbeiterin missbraucht wurde. Weil die 25-Jährige eine Beziehung zu einem "halbjüdischen" Gastwirt aus dem Nachbarort begonnen hatte, kam sie in das Konzentrationslager Ravensbrück. Vergehen: Rassenschande.

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Mehr als 35.000 Frauen wurden während der Zeit des Nationalsozialismus in Bordelle verschleppt und als Sex-Zwangsarbeiterinnen missbraucht. Schätzungsweise 220 von ihnen dienten dabei aber nicht der Wehrmacht oder der SS, sondern mussten den eigenen Mithäftlingen zur Verfügung stehen. Die sexuelle Ausbeutung der Frauen sollte die Selbstausbeutung der männlichen Häftlinge vorantreiben.

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Ganz im Gegensatz zu der Geschichte der SS- und Wehrmachtsbordelle, ist wenig über die Bordelle in den Konzentrationslagern bekannt. Erst Anfang der 90er Jahre wurden einige, vor allem feministisch orientierte Wissenschaftler_innen darauf aufmerksam und versuchten das Thema zu beleuchten. So führte die deutsche Historikerin Christa Paul für ihr Buch Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus einige Interviews mit noch lebenden Zeitzeuginnen. Auch die ehemalige Sex-Zwangsarbeiterin Margarete erzählte darin nach über 50 Jahren ihre Geschichte.

Während der Zeit des Nationalsozialismus versuchte die SS die Errichtung der Bordelle vor der Öffentlichkeit geheim zuhalten. Die "Sonderbauten" wurden vor Besuchern oder in Schriftwechseln möglichst nicht erwähnt. Sex-Zwangsarbeit und Häftlingsbordelle passten schließlich nicht zum Image der Sittenwächter, das die Nationalsozialisten gerne von sich zeigten. Als "Schmach der Menschheit" angesehen, forderte Hitler in seiner ideologischen Programmschrift Mein Kampf sogar die Abschaffung der Prostitution, schließlich gefährdete sie den tüchtigen, deutschen "Volkskörper".

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"Von Sexualität kann keine Rede sein. Sexualität bedeutete in den Lagern Gewalt."

Sehr schnell kam jedoch die nationalsozialistische Regierung und insbesondere der Reichsführer der SS Heinrich Himmler auf die Idee, das horizontale Gewerbe nicht nur zu kontrollieren, sondern auch für die eigenen Zwecke zu nutzen. Im System der Konzentrationslager wurde der nackte, weibliche Körper zum strategischen Mittel.

Der Kulturwissenschaftler Robert Sommer forscht seit vielen Jahre zur Thematik der Bordelle in Konzentrationslagern. Ziel war es durch den Bordellbesuch, die Arbeitsleistung in den Lagern zu steigern, schreibt er in seiner Dissertation Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Statt den größtenteils schwachen und unterernährten Häftlingen eine bessere Versorgung oder menschenfreundliche Lebensbedingungen zu bieten, führte Himmler ein Prämiensystem für die besten Häftlinge ein. Bei guter Arbeitsleistungen konnten einige wenige eine Schachtel Zigaretten genießen – oder einen Besuch im Bordell.

"Letztendlich war es die Perfidie der Nazis, dass sie Frauen, die sie wegen Prostitutionsvergehen oder -vorwürfen inhaftiert hatten, wieder hergenommen haben, um in den Lagerbordellen zu arbeiten", sagt die Historikerin Dr. Christa Schikorra von der KZ-Gedenkstätte in Flossenbürg. "Das war denen aber egal, weil es nur um die Verwertung der Menschen ging."

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Die Vorstellung von Freudenhäusern in Konzentrationslagern scheint absurd. Tatsächlich übten die Nazis mit der Errichtung der Bordelle aber eine besonders perfide Form der Gewalt aus: Sie erhofften sich, damit die Arbeitsfähigkeit ihrer Gefangenen zu steigern und deren Sexualität besser überwachen zu können. Der weibliche und auch der männliche Körper wurde als Objekt unterworfen und für nationalsozialistische Zwecke nutzbar gemacht. "Von Sexualität kann keine Rede sein", sagt auch Schikorra. "Sexualität bedeutete in den Lagern Gewalt."

Im Jahr 1942 wurde der erste von insgesamt zehn "Sonderbauten" in dem Hauptlager des KZ Mauthausen eröffnet. Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Auschwitz, Auschwitz-Monowitz, Dachau, Neuengammen, Mittelbau-Dora und Sachsenhausen folgten. "Der Häftlg. Nr.___ bittet gehorsamst, das Bordell besuchen zu dürfen", stand auf dem Antragsschein. Ein Besuch kostete zwei Reichsmark.

Zugang zum Bordell hatten aber nicht alle Häftlinge. "Deutsche, polnische, tschechische und französische Häftlinge aller Kategorien konnten sich bei ihrem Blockältesten für den Besuch des Bordells melden. Juden und Russen war der Besuch verboten", so die Aussage eines ehemaligen Blockführers des KZ Buchenwaldes, den Sommer zitiert.

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Meist handelte es sich bei den Bordellbesuchern um "reichsdeutsche" Häftlinge, die im System der Konzentrationslager bestimmte Funktionen oder Aufgaben übernahmen. Diese kleine privilegierte Minderheit erhielt Prämien und bessere Verpflegung, schließlich war die SS auf ihre "Funktionshäftlinge" angewiesen. Für die große Masse der Menschen hingegen bestimmten Hunger und Stress den Tag, an Sex dachten da die wenigsten.

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Auch für die weiblichen Häftlinge in den zentralen Frauenlagern in Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau bedeutete die Haft in den Arbeitskommandos oft den sicheren Tod. Die lebensfeindlichen Umstände in den Lagern erleichterten es der SS, Frauen für die Sexzwangsarbeit zu rekrutieren. Oft wurde ihnen versprochen sie nach wenigen Monaten aus den Lagerbordellen zu entlassen oder der wahre Charakter der neuen Arbeit ganz verschwiegen. Sich für das Lagerbordell zu melden, erschien vielen Frauen daher als letzte Möglichkeit, die Zeit in den Konzentrationslager zu überleben.

"Was, das Gerippe wollen sie auch haben?"

In die ersten Häftlingsbordelle wurden überwiegend die Frauen verschleppt, die in den Augen der SS bereits "verdorben" und "asozial" waren, stellte Robert Sommer fest. Oft waren das Frauen, die bereits vorher als Prostituierte gearbeitet und gegen die strengen Gesetze des horizontalen Gewerbes verstoßen hatten. Doch als weitere Bordelle errichtet wurden, zwang die SS auch Häftlinge zur Sexarbeit, die wegen anderer Verbrechen in die Konzentrationslager gebracht wurden.

Als Margarete für das Lagerbordell ausgewählt wurde, befand sie sich im Strafblock des KZ Ravensbrück. In die "Hölle von Ravensbrück" kamen die Häftlinge, die besonders schwer bestraft werden sollten. Die schwersten und widerlichsten Arbeiten, wie beispielsweise das Reinigen der Kloaken, mussten hier erledigt werden. An den Tag an dem sie für das Bordell selektiert wurde, erinnert sich Margarete gut.

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Weibliche Häftlinge des KZ Ravenbrücks bei der Zwangsarbeit. Foto: Bundesarchiv | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

"Im Sommer '43 hieß es eines Tages: 'Nummer sowieso, Nummer sowieso, nicht zum Arbeitsappell antreten, drinbleiben!' […] In einem Raum mußten wir uns alle ausziehen, nackend. Dann kam diese SS-Horde rein, da war auch Schiedlausky, der Lagerarzt dabei. Da haben sie uns gemustert. Da hörte ich, wie der Schiedlausky sagte: 'Was, das Gerippe wollen sie auch haben?' Damit war ich gemeint. Da sagte der fremde Kommandant, das war Koch, der Kommandant von Buchenwald: 'Die füttern wir uns schon wieder raus, die kriegt was auf die Knochen, die ist an und für sich gut gebaut.'"

Wollten die Nazis die Körper der Häftlinge eigentlich immer entmenschlichen, so sollten die Frauen für die Arbeit in den Bordellen doch wieder wie "richtige" Frauen aussehen. Mit Hygienebädern, Höhensonne und zusätzlichem Essen sollten die abgemagerten und geschwächten Körper unter Zwang weiblich gemacht werden. Im Kontrast zu den kahlrasierten und abgemagerten Häftlingen wirkten die Sexzwangsarbeiterinnen in den Konzentrationslagern wie Menschen aus einer anderen Welt.

Mit 16 weiteren Frauen kam Margarete im Juli 1943 in das KZ Buchenwald. 17 Monate lang sollte sie im "Sonderbau" leben und arbeiten. Die Baracke, in der sich das Bordell befand, hatte Schlafräume, einen Aufenthaltsraum, ein SS-Dienstzimmer, ein Ärztezimmer und die Zimmer für die fürchterlichen Stunden am Abend. Gardinen vor den Fenstern, Bilder an den Wänden und Blumen auf den Tischen schufen ein kleine heile Welt inmitten der Hölle. Auffällig in den "Sonderbauten" war auch oft ein langer Mittelgang, der den Arbeits- und Wohnbereich voneinander trennte. Kontaktzimmer, wie es sie oft für die erste Begegnung in herkömmlichen Bordellen gibt, suchte man in den "Sonderbauten" aber vergeblich. Gespräche oder ein Kennenlernen zwischen den weiblichen und männlichen Häftlingen wollte die SS auf keinen Fall zulassen. Vermeiden konnte sie es trotzdem nicht und so soll es auch Affären oder Freundschaften zwischen den Häftlingen gegeben haben.

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Sex war nur in Missionarsstellung erlaubt, die Schuhe mussten dabei ausgezogen werden.

Der Tag von Margarete und ihren Mitgefangenen begann jeden Tag um sieben Uhr. Nach dem Frühstück folgte der Morgensport. Auf den Sport folgte das Mittagessen. Am Nachmittag wurde genäht und Ball gespielt. Was nach einem englischen Mädcheninternat klingt, endete jeden Abend mit erzwungener Sexarbeit. Von den "verfluchten Stunden" spricht eine Sexzwangsarbeiterin, wenn sie an die Zeit des Wartens auf den Abend denkt. Um 17 Uhr mussten sich die Frauen baden und umziehen, dann warteten sie in ihren Zimmern. Jeden Abend erschienen zwischen sieben und acht Uhr die Männer.

Die Türen der Bordellzimmer waren mit Nummern gekennzeichnet. Margarete erhielt das Zimmer mit der Nummer "13". Nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung wurde den Häftlingen, die einen Bordellbesuch genehmigt bekommen hatten, eine Frau zugeteilt. Zwischen drei und vier Männer musste eine Frau in der Regel jeden Abend nehmen.

Waren die Häftlinge in den Zimmer der Zwangsarbeiterinnen, wurde auch hier das Verhalten bis ins Detail durch die SS kontrolliert. Sex war nur in Missionarsstellung erlaubt, die Schuhe mussten dabei ausgezogen werden. Deutsche Reinlichkeit im Bordellzimmer. Auch die Zeit war festgelegt. 15 Minuten hatte jeder Häftling.


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Um auch den intimsten Bereich der Häftlinge zu überwachen, waren an den Türen der Bordellzimmer Schaulöcher angebracht. Viele SS-Führungspersonen beobachteten das Geschehen in den Zimmern, belustigten sich darüber oder stießen mit den Stiefeln an die Türe, wenn es ihnen zu lange dauerte. Die Frauen mussten sich nach jedem Besucher mit einer chemischen, giftigen Kreosollösung waschen, um sich zu reinigen und Schwangerschaften vorzubeugen. Das Thema Verhütung war nebensächlich, die SS sah Schwangerschaften als Berufsrisiko. So kam es in einigen Fällen zu ungewollten Schwangerschaften und Abtreibungen, die spezielle Genehmigungen erforderten.
Die SS zerstörte die Frauen sowohl körperlich als auch seelisch. Sie fügten sich lethargisch ihrem Schicksal, verdrängten körperliche und seelische Schmerzen. Widerstand, Aufbegehren war nicht möglich. Der einzige Wille, der blieb, war irgendwie zu überleben.

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"Man versuchte möglichst nicht in die Aufmerksamkeit der SS zu fallen. Manche beschreiben es als Abstumpfen, einfach nur auf Stand-By zu sein", sagt Dr. Schikorra über die Berichte der Zeitzeuginnen. "Wenn die Frauen über ihre Arbeit sprechen, ist es so, als wäre es eine andere Person gewesen."

Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Häftlinge dürfte die Zahl der Bordellgänger verschwindend gering sein, schreibt der deutsche Kulturwissenschaftler Dr. Robert Sommer in seinem Buch Das KZ-Bordell. Aus seinen Recherchen geht hervor, dass beispielsweise in dem KZ Buchenwald weitaus weniger als ein Prozent aller Häftlinge das Bordell besuchten. Den Frauen dürfte das egal gewesen sein: 13.773 Besuche des Bordells wurden in Buchenwald von 1943 bis 1945 verzeichnet, stellt Sommer fest. Ungefähr 1.500 Männer sollen regelmäßig, sporadisch oder einmalig die Zwangsprostituierten aufgesucht haben.

Die Motive der Freier waren unterschiedlich. Für die wenigen, regelmäßigen Besucher könnte es eine Art soziales Prestige und eine Demonstration der eigenen (männlichen) Stärke gewesen sein, schreibt Sommer. Doch nicht immer spielte die reine sexuelle Befriedigung eine Rolle. Auch der Wunsch nach einer sozialen Beziehungen zu einer Frau und menschlicher Nähe brachte die Männer dazu, einen Bordellbesuch zu beantragen. Für manche junge Häftlinge waren es die ersten sexuellen Erfahrungen, die sie im Lagerbordell machten. Für einige aber auch der letzte weibliche Kontakt, den sie in ihrem Leben spürten. Ein kleiner Teil der männlichen Häftlinge wurde in den Sonderbauten zu Mittätern der SS. Dass sie weiterhin Opfer im System der Nationalsozialisten blieben, darf dennoch nicht vergessen werden.

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Erst in den späten 80er und 90er Jahren galten die Frauen als NS-Verfolgte.

Nur wenige Berichte gibt es von männlichen Häftlingen über die Lagerbordelle. Die meisten Freier schwiegen aus Angst und Scham über ihre Besuche. Auch wussten von den Sonderbauten nur die Häftlinge, die sich längere Zeit im Lager befanden und einen Einblick in die Strukturen des KZ-Systems bekamen. Der Alltag und das Leben der Frauen blieb für die meisten im Dunklen.

Margarete ist eine der wenigen Frauen, die ihre Erlebnisse öffentlich gemacht hat. Denn auch nach dem Krieg und der Befreiung der Lager schwiegen die Frauen über das Leben in den Lagerbordellen. Zu groß war die Angst, weiterhin öffentlich gedemütigt und angefeindet zu werden. Auch eine Entschädigung konnten die meisten nicht erwarten. Im Nachkriegsdeutschland wurden sie meist nicht einmal als Opfer des Regimes anerkannt.

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Schuld daran war das Kriterium der "Asozialität". Eine Kategorie, die sehr schwammig war und während des Nationalsozialismus leicht den Bedürfnissen des Regimes angepasst werden konnte. Eine genaue Definition gab es im Dritten Reich nämlich nicht. Vielmehr wurden all jene als "asozial" bezeichnet, die nicht in das nationalsozialistische Bild des Menschen passten. Obdachlose, Prostituierte, Bettler. All die Menschen, die am Rande der Gesellschaft lebten und den Behörden zur Last fielen.

Bis heute bekamen die Wenigsten eine Entschädigung des Staates, denn laut Bundesentschädigungsgesetz erhielten nur die Häftlinge finanziellen Ausgleich, die aus "politischen, rassischen und religiösen Gründen" (§1 BEG) verfolgt wurden. Die Verbrechen der Nationalsozialisten an Sinti und Roma, "Asozialen", Homosexuellen, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern wurden weder in der BRD, noch in der DDR anerkannt.

Erst in den späten 80er und 90er Jahren galten die Frauen als NS-Verfolgte, was es ihnen ermöglichte, eine Entschädigung zu beantragen. Nur wenige haben es überhaupt getan. Margarete war eine der wenigen, der 1988 eine einmalige Entschädigung ausgezahlt wurde. Eine laufende finanzielle Unterstützung aus dem Landeshärtefonds wurde allerdings abgelehnt. Schließlich sei sie wegen ihres "asozialen Verhalten" verhaftet worden.

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