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Sex

Wenn die Spirale lebensbedrohlich wird

Die Spirale gilt als eine der sichersten und bequemsten Verhütungsmethoden. Über viele der möglichen Nebenwirkungen wird jedoch gar nicht gesprochen.
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Jede Frau kommt irgendwann in ihrem Leben an den Punkt, an dem sie sich von schlabberigen Kondomen verabschieden und die unbeschwerte Intimität genießen möchte, die einem andere Formen der Empfängnisverhütung ermöglichen. Seit den 60ern verlassen sich die meisten Frauen auf die Pille, die von fast einem Viertel der Frauen im gebärfähigen Alter genutzt wird. Doch auch Intrauterinpessare, den meisten als „Spirale" bekannt, wurden in den letzten zehn Jahren immer beliebter. In Deutschland verhüten rund 10 Prozent der Frauen mit der Spirale.

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Es gibt zwei Formen von Intrauterinpessare: nicht-hormonelle Kupferspiralen wie Nova-T und sowie Hormonspiralen wie Mirena oder Jaydess. Für Frauen, die die Hormone der Pille nicht vertragen, wird die Kupferspirale als fantastische Alternative angepriesen und selbst Hormonspiralen wie Mirena werden als lokale, gering dosierte Anwendung mit weniger Nebenwirkungen unter die Leute gebracht.

Aber einige Frauen—und führende Gynäkologen—sagen, dass sie schreckliche Erfahrungen mit der Spirale machen mussten.

Saskia Longaretti ist 27 Jahre alt und Musikerin. Vor drei Jahren hat sie sich eine Kupferspirale einsetzen lassen. Im Januar fand sie sich dann auf einem Operationstisch wieder, um sich einen geplatzten Eileiter sowie einen Fötus, der darin herangewachsen war, entfernen zu lassen. Die Ärzte mussten einen Viertelliter Blut aus ihrem Bauchraum absaugen, während Longaretti in Lebensgefahr schwebte.

Ursprünglich ist sie nur zu ihrer Hausärztin gegangen, weil sie seit fünf Wochen Bauchschmerzen hatte und einen großen, harten Knoten an ihrem Muttermund spüren konnte. Die Ärztin führte ihre Bauchschmerzen auf ein stressbedingtes Reizdarmsyndrom zurück und die Probleme mit ihrer Gebärmutter auf, nun ja, nichts. „Sie meinte, dass sich gelegentlich Knoten bilden könnten, die aber auch wieder verschwinden würden und dass niemand so genau wüsste, warum das so ist—es könnte auch eine Reaktion auf die Luftfeuchtigkeit sein." Das war kurz vor Weihnachten, sodass ihr die Hausärztin empfahl, für die Zeit nach den Feiertagen einen Ultraschalltermin zu machen.

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Doch irgendwann wurden die Schmerzen unerträglich und während sie auf der Toilette saß, fühlte sie plötzlich eine fleischige Masse aus sich herausfallen. „Es hat sich angefühlt wie ein Stück Hühnchenleber und war ungefähr zwei Finger groß." Aus Angst, ihr Körper hätte ein lebenswichtiges Organ abgestoßen, nahm sie es in einer Tupperbox mit in die Notaufnahme. Dort stellten die Ärzte fest, dass sie eine Fehlgeburt in Folge einer Eileiterschwangerschaft erlitten hatte. Das bedeutet, dass sich der Fötus außerhalb der Gebärmutter entwickelt hat.

Nach diesem Martyrium rief Longarettis Hausärztin an. „Sie sagte: ‚Es tut mir so leid. Ich kann nicht glauben, dass ich nicht bemerkt habe, dass Sie schwanger sind. Ich dachte, weil Sie die Spirale verwenden, wäre das gar nicht möglich." Glücklicherweise kam Longaretti noch rechtzeitig ins Krankenhaus: „Wenn ich getan hätte, was sie gesagt hat und eine Woche auf den Ultraschalltermin gewartet hätte, wäre ich vermutlich gestorben."

Natürlich verwenden viele Frauen die Spirale auch vollkommen ohne Komplikationen und es ist eine ziemliche Errungenschaft, dass sich Frauen nicht mehr auf Kondome oder die Pille verlassen müssen, um Schwangerschaften vorzubeugen. Zudem hat die Spirale den Vorteil, dass ihre Wirkung zwischen drei und zehn Jahren anhält. Dr. Sarah Hardman von der Fakultät für Sexualität und reproduktive Gesundheit des Royal College of Obstetricians and Gynecologists sagt, dass die Spirale als eine der sichersten Formen der Schwangerschaftsverhütung gilt: „Orale Verhütungsmittel versagen bei normaler Anwendung (so wie Frauen sie tatsächlich verwenden) in 9 Prozent der Fälle. Im Gegensatz dazu liegt die Fehlerrate bei der Spirale bei unter einem Prozent."

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Trotz aller Vorteile ist die Spirale nicht für jeden geeignet und verursacht bei manchen Frauen enorme Schmerzen. Aufgrund der ganzen Horrorgeschichten über die Spirale haben viele Frauen Angst, dass sie oder ihre Ärzte die Schmerzen falsch deuten könnten oder die Schmerzen als Preis ansehen, den sie dafür zahlen müssen, dass sie nicht schwanger werden. Viele Frauen versuchen, die unschönen Nebenwirkungen einfach zu akzeptieren—oftmals mit tragischen Folgen.

Rosalind Stone, eine 25-jährige Schriftstellerin, litt wegen der Kupferspirale sechs Monate lang an extremen Schmerzen und einer extrem starken Regelblutung. Irgendwann ließ sie die Spirale entfernen. Von der Pille hatte sie Depressionen bekommen und war deswegen umso entschlossener, keine hormonelle Verhütung mehr zu verwenden. Bei der Erstberatung für die Spirale wurde ihr gesagt, dass sie in den ersten Monaten mit Schmerzen rechnen müsste. Deswegen brach sie die Behandlung lange Zeit nicht ab, sondern dachte sich: „Die körperlichen Schmerzen sind der Preis, den ich für mein Glück zahlen muss, also ist das OK."

Doch irgendwann sagte sich Stone, genug ist genug und ließ sich die Spirale in einer gynäkologischen Klinik entfernen. Dort stellte ein Arzt fest, dass die Spirale fehlte. Daher nahm er an, dass sie bereits von der Vagina abgestoßen wurde und nicht mehr entfernt werden musste—ihre anhaltenden Schmerzen wurden einfach abgetan.

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Der Arzt zögerte zunächst, doch schließlich konnte Stone ihn überzeugen, doch noch einen Termin für eine Ultraschalluntersuchung zu machen. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Spirale noch immer in ihrem Körper befand und drohte, ihren Uterus zu perforieren und innere Organe zu verletzen.

Die Ärztin, die die Spirale entfernte, reagierte schockiert. Sie meinte, dass Stone bei ihrem relativ kurzen Gebärmutterhals niemals eine so große Spirale hätte eingesetzt werden dürfen und dass ihr Gebärmutterhals vermutlich generell zu kurz für den Einsatz einer Spirale war. Das erklärte auch, warum das Einsetzen so schmerzhaft für Stone gewesen war und warum der Arzt immer wieder vergeblich versucht hatte, eine größere Spirale mit einer Wirkdauer von 10 Jahren in ihren Muttermund einzusetzen. (Am Ende setzte er eine kleinere 5-Jahres-Spirale ein.)

Röntgenaufnahme einer Frau, deren Uterus durch die Spirale perforiert wurde

Röntgenaufnahme einer Frau, deren Uterus durch die Spirale perforiert wurde. Foto: Mikael Häggström | Wikimedia Commons | CC0 1.

In den USA sind die Bedenken gegen die Spirale noch größer. Das liegt unter anderem auch daran, dass in den 70ern Hunderttausende von Frauen durch die Spirale Dalkon Shield verletzt wurden. Achtzehn Frauen starben an einer Sepsis. Und auch zwischen 2000 und 2013 erhielt die amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel 70.000 Beschwerden wegen der Spirale Mirena. Seit November 2015 sieht der Hersteller Bayer in den USA mehr als 3.000 Strafverfahren entgegen, unter anderem auch wegen Fällen von spontaner Uterusperforation durch Mirena.

In Großbritannien wurden zwischen 2009 und 2014 finanzielle Anreize für Ärzte geschaffen, die die Zahl der Frauen, die langanhaltende, reversible Formen der Empfängnisverhütung wie die Spirale, das Stäbchen oder die Dreimonatsspritze nutzten, steigern sollten. Die Zahlungen erfolgten nach Leistungen, die an das Einkommen der Ärzte geknüpft waren und darauf abzielten, möglichst vielen Frauen Informationen zu den entsprechenden Verhütungsmitteln zukommen zu lassen.

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Die medizinische Leitlinien des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) betonen zudem die relative Kosteneffizienz von langanhaltenden Verhütungsformen (wie der Spirale) im Vergleich zur Pille und empfehlen, dass die Zahl der Anwender zunehmen sollte. Als Stone sich die Spirale einsetzen ließ, erwähnte ihr Arzt, dass er mit anderen Ärzten wetteiferte, wer es schaffen würde, in der Summe die meisten Verhütungsmittel zu verschreiben. Und obwohl sie sehr klein ist, hat er sie dazu ermutigt, die größere Spirale zu nehmen, deren Wirkung auch mehrere Jahre länger anhält.

Als wir NICE um einen Kommentar bitten, bekamen wir folgende Antwort: „Die Richtlinien enthalten Empfehlungen bezüglich der Spirale, jedoch geben wir keine Stellungnahme im Hinblick auf die Größe der Spirale ab, sondern stellen lediglich fest: ‚Die effektivsten Spiralen enthalten mindestens 380 mm2 Kupfer und sind an beiden Armen mit Kupfer umwickelt. Dies sollte, gemeinsam mit der lizensierten Nutzungsdauer, bei der Entscheidung, welche Spirale verwendet wird, berücksichtigt werden.'"

Ich persönlich würde die Spirale aufgrund der Infektionsgefahr niemals einer Frau einsetzen, die noch kein Kind bekommen hat.

Erst vor Kurzem wurde empfohlen, die Spirale nur bei Frauen einzusetzen, die bereits ein Kind bekommen haben. Nachdem der Gebärmutterhals nach der Geburt größer ist, ist auch das Einsetzen einfacher. Dr. Hardman empfiehlt die Spirale Frauen in jedem Alter: „Das Einsetzen der Spirale kann unangenehm und für eine geringe Zahl von Frauen auch schmerzhaft sein, es handelt sich dabei jedoch um einen kleinen, schnellen Eingriff, der sowohl für Frauen, die bereits Kinder bekommen haben, als auch für Frauen, die noch keine Kinder bekommen haben, gut verträglich ist." Gleichzeitig hat eine Studie jedoch gezeigt, dass über 70 Prozent der Frauen, die noch kein Kind bekommen haben, die Verwendung der Kupferspirale innerhalb eines Jahres abgebrochen haben—meist aufgrund von Blutungen oder Schmerzen.

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Dr. Ayman Ewies ist Gynäkologe und hat bereits mehrere Arbeiten über die Hormonspirale Mirena geschrieben, die von den meisten Frauen verwendet wird. „Ich persönlich", sagt er, „würde die Spirale aufgrund der Infektionsgefahr niemals einer Frau einsetzen, die noch kein Kind bekommen hat."

In einer Untersuchung aus dem Jahr 2007 fand Dr. Erwies heraus, dass von 160 Frauen, die Mirena verwendeten, fast die Hälfte (rund 46 Prozent), die Behandlung innerhalb der ersten drei Jahren abbrachen. Vielen von ihnen gaben als Grund hormonelle Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Depressionen oder Verlust der Libido an. Trotzdem, meint Dr. Erwies, wird Ärzten in der Ausbildung gesagt, dass die Hormone von Mirena nur lokal in der Gebärmutter wirken. Abgesehen von der Information, dass fast 60 Prozent der Frauen die Hormonspirale frühzeitig wieder entfernen lassen—meist aufgrund von unzumutbaren Blutungen und Schmerzen—, geben die Richtlinien von NICE nur an, dass der Einsatz einer Spirale zu geringfügigen Veränderungen der Stimmung und der Libido führen kann.

Doch Dr. Erwies Erfahrung nach ist das nicht wahr: „Die Hormone gehen ganz sicher ins Blut über. Da gibt es keinen Unterschied zwischen dem Einsetzen von Mirena und der Einnahme einer progesteronhaltigen Pille. Beide haben dieselben Effekte auf den Körper, was vielen Frauen jedoch gar nicht bewusst ist." Wenn sich Frauen über die hormonellen Nebenwirkungen beklagen, werden diese von den Ärzten oft angezweifelt: „Ihnen wird gesagt, dass es nicht an Mirena liegen kann und dass die Spirale nicht für ihre Schmerzen verantwortlich ist, was dazu führt, dass die Frauen immer wieder zum Arzt rennen. Das ist wirklich frustrierend."

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Auf der Website von Mirena heißt es, dass die hormonelle Dosierung der Spirale „so niedrig [ist], dass es eigentlich nur lokal wirkt. Eine Auswirkung auf den ganzen Körper ist aufgrund der geringen Dosierung nicht zu erwarten." Außerdem warnt die Website auch davor, dass in seltenen Fällen zu Nebenwirkungen kommen kann. Eine Perforation wird indes als sehr selten eingeschätzt und „hängt stark mit der Erfahrung der Ärztin oder des Arztes zusammen, welche/r die ‚Hormon-Spirale' Mirena einlegt."

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Vor tausenden von Jahren haben die Frauen in Ägypten Krokodildung in ihre Vagina gestopft, um Schwangerschaften zu verhindern. Aristoteles empfahl eine Vaginalsalbe aus Blei und Olivenöl. Doch auch wenn es um moderne Verhütungsmethoden geht, scheinen die Optionen für Frauen nach wie vor sehr begrenzt zu sein.

Wenn medizinische Einrichtungen die realen—und manchmal auch schwächenden—Auswirkungen von Verhütungsmethoden klein reden, zweifeln sie dadurch gleichzeitig auch die körperliche Selbstwahrnehmung von Frauen an. Sich für eine Form der Empfängnisverhütung zu entscheiden, bedeutet also in den meisten Fällen, sich für Nebenwirkungen zu entscheiden, mit denen man am besten leben kann. Bauchschmerzen? Stimmungsschwankungen? Gewichtszunahme? Du hast die Wahl.

Als Longaretti endlich herausgefunden hat, dass ihre Schmerzen nicht durch die Luftfeuchtigkeit oder ein Reizdarmsyndrom, sondern durch eine Eileiterschwangerschaft bedingt waren, wurde sie wütend. Ihre Schmerzen waren kein unerklärbares Mysterium, für das es ihre Ärztin gehalten hatte, sondern wurden durch eine vermeidbare Verletzung verursacht, die zu allem Überfluss auch noch direkt mit ihrem Geschlecht in Verbindung gebracht werden konnte. „Das ist das Gleiche, was seit jeher mit Frauen auf der ganzen Welt gemacht wird", sagt sie mir. „Genau das meinen die Leute, wenn sie über primitive Formen der Empfängnisverhütung im alten Ägypten sprechen."

„Das ist, was die Leute meinen, wenn sie über die Ungerechtigkeit für Frauen sprechen."