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Wenn der eigene Vater wegen Heroinschmuggels verhaftet wird

1978 war ich noch ein Baby und mein Vater wurde wegen Drogenschmuggels in Thailand verhaftet. Ich sollte ihn jedoch noch zwei weitere Male verlieren.

Ich habe meinen Vater nicht nur einmal, sondern gleich dreimal verloren. Beim ersten Mal war ich erst zwei Jahre alt. Mein Vater Warren Fellows wurde damals in Bangkok verhaftet, weil er versucht hatte, 8,5 Kilogramm Heroin nach Australien zu schmuggeln.

Daraufhin drohte ihm die Todesstrafe, er machte auf der ganzen Welt Schlagzeilen und er zerstörte unseren Familienzusammenhalt. Für mich war jedoch am schlimmsten, dass mir mein Vater das Herz gebrochen hatte. Wenn man sich dazu entscheidet, als Drogendealer tätig zu werden, dann ist das so, als würde man einen Deal mit dem Teufel eingehen—und der Teufel gewinnt immer.

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Wie erklärt man einem Kind, dass dessen Papa ein schlechter Mensch ist und in einer thailändischen Gefängniszelle verrottet? Meine Mutter versuchte es zwar, aber in der Abwesenheit meines Vaters entwickelte sich in meinem Kopf trotzdem das Bild eines heroischen Leitwolfs. Als ich ihn dann schließlich irgendwann im Fernsehen sah und mich der Wahrheit stellen musste, konnte ich das Ganze nicht verarbeiten. Als mir meine Mutter dann noch erzählte, dass er nie wieder nach Hause kommen würde, erlitt ich einen Nervenzusammenbruch. Ich war damals erst neun Jahre alt.

So kam es auch, dass sich bei mir eine psychische Störung entwickelte: Ich war gefangen in einer grausamen Dauerschleife von schädlichen Zwangsgedanken. Eine Heilung schien unmöglich. Ich hatte also nicht nur meinen Vater verloren, sondern auch mich selbst.

Ich verlor meinen Vater zum zweiten Mal, als er vom thailändischen König begnadigt und aus dem berüchtigten Zentralgefängnis Bang Kwang—von Thailändern auch als Big Tiger bezeichnet, weil es einen bei lebendigem Leib verschlingt—entlassen wurde. Warren kehrte jedoch als gebrochener Mann nach Australien zurück. In einem ironischen Twist, den er später als „poetische Gerechtigkeit" bezeichnen sollte, hatte ihm die Droge, die er einst schmuggelte, die Seele geraubt: Während der 12 Jahre hinter Gitter entwickelte er eine schwere Heroinsucht.

Als ich meinem Vater dann schließlich in der treffend benannten Judgement Bar in Sydney von Angesicht zu Angesicht gegenübertrat, wusste ich zwar, dass er von der Sucht besiegt worden war, aber zugeben wollte ich es nicht. Zwischen uns standen 16 Jahre voller gesellschaftlicher, psychischer, physischer und familiärer Leiden. Eine normale Vater-Sohn-Beziehung war zu einem Ding der Unmöglichkeit verkommen.

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Als ich dann alt genug war, haute ich ab. Es dauerte auch nicht lange und ich befand mich auf ganz dünnem Eis, als ich mit allen möglichen Dingen herumexperimentierte und meine Grenzen austestete. Ich könnte das jetzt natürlich auf meinen jugendlichen Leichtsinn oder meine verkorkste Vergangenheit schieben, aber im Grunde wollte ich nur das nutzen, was mir die Welt vor die Nase stellte.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich meinen Vater aus meinem Leben entfernen musste. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich in London und arbeitete in der Medienbranche. Also entschloss ich mich dazu, ihn metaphorisch gesprochen auszuradieren. Er existierte für mich einfach nicht mehr. Das Problem war bloß, dass es sich bei diesem Schritt nur um eine weitere Form der Verdrängung handelte. Ich stopfte so gesehen nur noch mehr Ballast in einen bereits überfüllten Bereich meines Gefühlshaushalts.

Jahre später wurde ich dann aus heiterem Himmel von einer unbekannten Nummer angerufen. Normalerweise gehe ich bei solchen Anrufen niemals ran, aber aus irgendeinem Grund tat ich es dieses eine Mal doch. Am anderen Ende der Leitung war mein Vater. Ich hatte seine heisere Stimme schon seit mindestens fünf Jahren nicht mehr gehört und war wie vom Blitz getroffen.

So kam es, dass ich meinem Vater erneut von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Dieses Mal waren die Rollen jedoch umgekehrt: Es fühlte sich so an, als sei ich der Vater und er der Sohn. Er sah schrecklich aus, so als ob er schon mit einem Bein im Grab stehen würde. Mir war klar, dass wir die verlorene Zeit niemals aufholen konnten. Aufgrund seiner Vergangenheit war ich anfangs zwar noch zögerlich und skeptisch, aber ich konnte mich auch nicht einfach wieder umdrehen und ihn stehen lassen. Er brauchte meine Hilfe.

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Mein Vater schrieb schließlich sein Buch The Damage Done, das von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gelesen wurde. Ich hoffte, dass dieses Buch eine Möglichkeit sein würde, uns wieder zusammenzubringen—seine Bestseller-Geschichte in Verbindung mit meinen Filmemacher-Qualitäten zur Wiederherstellung des Familien-Qis.

Es gibt jedoch Dinge, die man nicht wiedergutmachen kann. Eine Drogensucht ist einfach zu mächtig und zu kräftezehrend. Mein Vater wurde rückfällig und rutschte immer weiter in Richtung Psychose ab. Die Tatsache, dass er jahrelang in diversen psychiatrischen Anstalten ein- und ausging, wurde für uns zu einer extremen psychischen Belastung und führte irgendwann zum erneuten Bruch. Unsere Verbindung konnte sich leider nie halten. Das Heroin machte jede Chance auf eine gesunde und langlebige Beziehung komplett zunichte. Ich musste die schwerste Entscheidung meines Lebens treffen, hatte jedoch eigentlich keine Wahl. Und so verlor ich meinen Vater zum dritten Mal. Alle Brücken hinter mir waren verbrannt.

Vor Kurzem habe ich dann mein eigenes Buch mit dem Titel Milk-Blood veröffentlicht. Darin geht es um das Dasein als Sohn eines verurteilten Drogenschmugglers. Ich musste dieses Buch einfach schreiben, um meine inneren Dämonen zu besiegen, um die Wahrheit zu erzählen und um mich der Realität zu stellen. Also brachte ich meine Gefühle und Erfahrungen aufs Papier.

Eine Sache habe ich durch all das gelernt: Traurigerweise ist die Sichtweise der Medien und der Gesellschaft auf das Thema der Drogenprobleme sehr beschränkt. Es geht immer nur um die Suchtkranken, die Dealer, die Kartelle und die Maßnahmen. Was ist jedoch mit den Müttern, Vätern, Geschwistern und sonstigen Angehörigen, die vor einem Trümmerhaufen stehen? Auch sie leiden immens—und das oft ein Leben lang. Ihnen wird jedoch keine Stimme gegeben.

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Ich habe mein ganzes Leben lang damit gerechnet, irgendwann als abgewrackter Junkie oder abgehärteter Krimineller zu enden—eben ganz wie mein Vater. Die Schamgefühle, die ich aufgrund seiner Taten verspürte, waren der stetige Motor meines Handelns. Irgendwann wollte ich meine Existenz jedoch nicht mehr von meiner genetischen Codierung bestimmen lassen. Obwohl ich von einer unnatürlichen Zielstrebigkeit angetrieben wurde, habe ich mich mehrere Male an den Rand meiner Existenz gebracht.

Im Grunde ist Heroin böse, unbezwingbar und absolut gnadenlos. Zwar habe ich schon viele philosophische Analogien gehört, aber eine ist mir dabei besonders stark im Gedächtnis hängengeblieben: Mein Vater, der Drogendealer, zielt mit einer Waffe auf die Drogensüchtigen, drückt jedoch nicht ab. Stattdessen machen sie das. Was wäre, wenn mein Vater die Drogen jedoch in der Toilette runtergespült hätte? Wer weiß das schon. Mit solchen Gedankenspielen habe ich schon vor langer Zeit aufgehört.

Mehr Informationen zu Adrian Simon sowie dessen Buch Milk-Blood findest du hier.