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Von ,Anal-Dschihad‘ und der brutalen Verfolgung Homosexueller

Während die IS-Miliz bereits mindestens 30 Homosexuelle exekutiert hat, erlauben die Muslimbrüder ihren Aktivisten einen „Anal-Dschihad".
Illustration von Cei Willis | VICE Media

„Während der Hinrichtungen jubelten hunderte Bewohner, darunter auch Kinder, freudestrahlend wie auf einer Hochzeit. Wenn eines der Opfer nicht tot war, nachdem man ihn von einem Gebäude geworfen hat, steinigten die Bewohner ihn zu Tode. Das hätte auch mein Schicksal sein sollen", schilderte der aus Syrien geflüchtete Subhi Nahas dem britischen Parlament, wie mit Homosexuellen in von Dschihadisten besetzten Gebieten in Syrien und im Irak verfahren wird.

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Allein die Terrormiliz Islamischer Staat soll laut einem Bericht der UNO mindestens 30 Menschen wegen „Sodomie" und Homosexualität öffentlich hingerichtet haben.
Aber auch andere dschihadistische Gruppen wie die Al-Nusra-Front oder die Ahrar al-Scham verfolgen teilweise gezielt Homosexuelle.

Anfang des Jahres sorgte ein Bericht der syrischen Nachrichtenagentur ARA News über die grausame Ermordung eines 15-jährigen Syrers weltweit für Schlagzeilen. IS-Milizionäre warfen den Buben von einem Gebäude, nachdem er vom Sharia-Gericht der ostsyrischen Stadt Deir ez-Zor der Homosexualität bezichtigt und zum Tode verurteilt wurde. „Der entsetzliche Exekution wohnten viele Menschen vor dem Gebäude bei", berichtete ein lokaler Medienaktivist, der selbst Zeuge der Hinrichtung wurde.

— Onlinemagazin (@OnlineMagazin)30. Dezember 2015

Brisant an diesem Fall ist vor allem, dass der 15-Jährige im Haus des hochrangigen IS-Offiziers Abu Zaid al-Jazrawi verhaftet wurde, mit dem er eine sexuelle Beziehung geführt haben soll—einige Medien mutmaßen, dass der Teenager von Abu Zaid al-Jazrawi sexuell missbraucht und vergewaltigt wurde.

Fest steht, dass al-Jazrawi bei den Dschihadisten zwar in Ungnade gefallen ist, jedoch mit dem Leben davon kam. Er wurde ausgepeitscht und anschließend entschied die IS-Führung ihn an die irakische Front zu schicken. Ein weiterer Fall, in dem Zivilisten wesentlich härter bestraft werden als Angehörige der Terrormiliz selbst. Laut syrischen Aktivisten gibt es etliche Fälle, in denen IS-Milizionäre, die etwa mit Drogen oder Zigaretten erwischt wurden, „lediglich" ausgepeitscht oder degradiert wurden, während die Zivilbevölkerung oft schon kleine Vergehen gegen die Gesetze der Dschihadisten mit dem Tod bezahlt.

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Trotz strengster Strafen bei homosexuellen Handlungen scheint gleichgeschlechtlicher Sexualverkehr unter Dschihadisten aber keineswegs so ausgeschlossen zu sein, wie man vielleicht denken mag. Obwohl die Terroristen mittlerweile Homosexuelle auch mit Blind-Dates in die Falle locken, gibt es immer wieder Berichte über Homosexualität unter den Terroristen. So soll etwa der nach wie vor flüchtige Paris-Attentäter Salah Abdeslam eine Vorliebe für Schwulenbars gehabt haben.

Die Terrormiliz IS hat schon mehrmals schockierende Bilder von Exekutionen angeblich schwuler Männer veröffentlicht.

Die New York Times berichtete vor knapp einem Jahr über den 14-jährigen Usaid Barho, der sich—um der IS-Miliz zu entkommen—freiwillig als Selbstmordattentäter meldete und sich dann aber kurz vor seinem Anschlagsziel, einer schiitischen Moschee, den irakischen Sicherheitskräften ergab.

Beim Verhör durch den irakischen Geheimdienst gab Usaid an, dass die IS-Soldaten im Lager geraucht hätten und er auch Männer gesehen habe, die hinter den Zelten miteinander Sex gehabt hätten. Ob Usaids Angaben tatsächlich der Wahrheit entsprechen, oder nur ein Versuch sind, die Dschihadisten vor den Beamten des irakischen Geheimdiensts zu diskreditieren, ist schwer zu überprüfen.

In älteren dschihadistischen Gruppen scheint die sexuelle Ausbeutung von jungen Männern aber durchaus eine gewisse Tradition zu haben. So sollen etwa die Taliban trotz ihrer strikten Ablehnung und Verfolgung von Homosexuellen Buben und junge Männer entführt und als sogenannte bacha bazi missbraucht haben. Bacha bazi heißt übersetzt „mit Kindern spielen"—gemeint ist damit die sexuelle Versklavung von Kindern in Afghanistan. Die sexuelle Ausbeutung Jugendlicher durch die Taliban wurde 2013 auch in einem Bericht der Nationalen Sicherheitsdirektion Afghanistans thematisiert.

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Überraschend aufgeschlossen mit dem Thema Homosexualität gehen unterdessen die Muslimbrüder um—auf ihre eigene Art und Weise. Wie die International Business Times 2014 berichtete, hat die Bewegung militanten Islamisten einen sogenannten „Anal-Dschihad"—gemeint ist Geschlechtsverkehr mit anderen Männern—erlaubt, wenn sie auf Grund ihrer Aktivitäten längere Zeit von ihren Ehefrauen getrennt sind—eine Entscheidung, die auf massive Kritik stieß.

So soll der bekannte ägyptische Prediger Mazhar Shahin in einer im ägyptischen Fernsehen ausgestrahlten Reaktion gesagt haben: „Sie [die Muslimbrüder] sind ein Haufen hoffnungsloser und verzweifelter Hausierer, die den höchsten vorstellbaren Status an Unsinnigkeit, Dummheit, Dreckigkeit und so weiter erreicht haben. Diese Katastrophe—dieser ,Anal-Dschihad'—beweist das."

Der ,Anal-Dschihad' wird ähnlich wie der Konsum von Drogen damit gerechtfertigt, dass alles, was dem Dschihad dienlich ist, letzten Endes vor Allah begründet werden kann. Trotzdem sollte es grundsätzlich nicht überraschen, dass es—wie in allen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen—auch unter radikalen Islamisten Menschen mit (unterdrückten) homosexuellen Neigungen und Gefühlen gibt.

Das Thema spielt in der Auseinandersetzung mit dschihadistischen Gruppen zwar an sich, wenn überhaupt, nur eine sehr geringe Rolle. Aber anhand der Thematik lässt sich einmal mehr die heuchlerische Moral hinter der Ideologie der Extremisten aufzeigen. Denn die fanatische Auseinandersetzung der Dschihadisten mit der Rechtschaffenheit vor Gott trifft in ihrer grausamen Brutalität und Scheinheiligkeit vor allem die anderen.

Paul auf Twitter: @gewitterland