Sozialphobie statt großer Liebe: das schwierige Leben der echten "Sissi"
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Sozialphobie statt großer Liebe: das schwierige Leben der echten "Sissi"

Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn war jung und schön, als sie ihren Franz heiratete. Da hören die Gemeinsamkeiten zu den 'Sissi'-Filmen aber auch schon auf.

Verträumte Naturromantik, nachkolorierte Liebesszenen, prächtige Kleider und unschuldige Liebe – die Sissi-Filme sind auch nach 62 Jahren immer noch der Deutschen liebster Kitsch. Auch dieses Jahr laufen die Filme pünktlich zur Weihnachtszeit im Fernsehen, um uns zwischen Familienstress und Fresskoma ein angenehm heimeliges Gefühl zu vermitteln. Dabei ist die wahre Geschichte von Kaiserin Elisabeth alles andere als märchenhaft.

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Elisabeth von Österreich-Ungarn, geboren am 24. Dezember 1837 in München, war die Kaiserin von Österreich und Königin Ungarns. Sie wuchs in Bayern abseits von adligen Verpflichtungen auf, bis ihr Cousin, der österreichische Kaiser Franz Joseph, um ihre Hand anhielt. Elisabeth war eine gebildete Frau, die die ganze Welt bereiste. Das Bild, das wir von der sagenumwobenen Monarchin haben, wurde aber vor allem durch die Filmtrilogie geprägt, die in den späten 50er Jahren entstand: Sissi, Sissi – Die junge Kaiserin und Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin.

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Im ersten Teil trifft der österreichische Kaiser Franz Joseph (Karlheinz Böhm) auf einem Ausflug die gerade einmal 15-jährige Sissi (Romy Schneider). Diese war zuvor mit ihrer Schwester Néné nach Wien gekommen, weil Néné – Plottwist – den österreichischen Kaiser heiraten soll. Sissi und Franz verlieben sich auf der Stelle ineinander, und als Franz merkt, dass Sissi Nénés Schwester ist (und somit ebenfalls ein potenzielles Match!), kündigt er auf seinem Verlobungsball mit Néné kurzerhand an, dass er Sissi heiraten wird.

Das klingt im ersten Moment nach einer Liebe, die so groß ist, dass sie alle Hindernisse überwindet und mit Traditionen bricht. Tatsächlich hatte Sissi im Film seinen Antrag vorher aber bereits abgelehnt und die arme Néné wusste natürlich von nichts. Die Szene, in der Franz beide Schwestern und den gesamten Wiener Hof vor vollendete Tatsachen stellt, ist also der kitschgewordene Inbegriff von "sie will es doch eigentlich auch" – und trotzdem hauchen wir jedes Jahr aufs Neue vor den Fernsehern.

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Diese ersten Unstimmigkeiten spielen in den anderen beiden Filmen keine Rolle mehr. Dafür bekommt sie andere Probleme am Wiener Hof. Die Jugendliche ist ein "Wildfang" und kann sich nur schwer dem strengen Hofzeremoniell beugen. Sie darf anfangs ihre Tochter nicht sehen, hat zu wenig Zeit mit ihrem (zumindest im Film geliebten) geliebten Franz und die vielen Bälle sorgen für Langeweile. Das verursacht immer wieder Reibereien, vor allem mit ihrer Schwiegermutter, Erzherzogin Sophie (Vilma Degischer). Später gibt es dann noch ein kurzes Eifersuchtsdrama mit einem ungarischen Grafen und Angst um die Gesundheit der Kaiserin. Doch egal was passiert, Franz steht an ihrer Seite. Die beiden lieben und verehren sich.

Wie im Märchen eben. Bis auf die Tatsache, dass das nicht weiter von der Realität entfernt sein könnte.


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Denn Sisi – wie sich Kaiserin Elisabeth selbst schrieb – ging nach der Geburt ihrer ersten drei Kinder fast unmittelbar auf Distanz zu ihrem Ehemann. Das Leben am Wiener Hof ängstigte sie und engte sie ein. Kurz nach der Hochzeit fühlte sie sich in ihrem neuen Leben wie in einem "Kerker mit Fesseln". Die ständigen offiziellen Verpflichtungen und argwöhnischen Augen stressten die junge Frau, die unter Sozialphobie litt. Kamen ihr Menschen zu nahe, begann sie, am ganzen Körper zu zittern.

Also suchte sie ihr Heil in der Flucht und reiste viel. So viel, dass immer wieder Gerüchte über eine Trennung des Paars aufkamen. Damit die ständige Abwesenheit seiner Gattin Kaiser Franz Joseph nicht zu viel wurde, stellte Elisabeth ihm die Schauspielerin Katharina Schratt vor. Trotz entsprechenden Gerüchten war Schratt allerdings nie Franz’ Geliebte. Zwar hassten sich die Kaiserin und der Kaiser nicht, sondern entwickelten vor allem in den späteren Jahren ihrer Ehe eine Art intime Freundschaft. Die in den Filmen verklärte romantische Liebe zwischen Elisabeth und Franz gab es so allerdings nicht.

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Auch die Beziehung zu ihren vier Kindern war kompliziert. Während die Film-Sissi immer wieder als aufopferungsvolle Mutter gezeigt wird, ließ die echte Elisabeth ihre Kinder oft am Wiener Hof zurück, während sie reiste. Die Erziehung überließ sie der Schwiegermutter und ihrem Ehemann.

In einer Art feministischem Protest begann sie, ihre Taille immer enger schnüren zu lassen. Frauen ihrer Zeit sollten Kinder bekommen, möglichst jedes Jahr eins. Und die vielen Menschen, die Elisabeth ohnehin schon beobachteten, achteten stets auf Anzeichen einer Schwangerschaft. Durch die enge Taille zeigte sie jedoch der ganzen Welt, dass sie gerade kein Kind erwarte und auch demnächst nicht erwarten würde. Diese Form des Körperprotests war eine Provokation in Richtung Wiener Hof, Presse und Untertanen, auf die sie immer wieder zurückgriff.

Als sie schließlich einen Sohn – und damit Thronfolger – auf die Welt bringt, scheint sich Elisabeth komplett von ihren Pflichten entbunden zu fühlen. Am Wiener Hof sieht man sie kaum noch, erst Jahre später kommt ihr viertes Kind zur Welt. Ihre Tochter Marie Valerie wurde in Ungarn gezeugt und geboren. Eine Art Geschenk Elisabeths an das Land, in dem sie sich Gerüchten zufolge immer wohler fühlte als in Österreich. Die Kaiserin vergötterte ihre spätgeborene Tochter, was Marie Valerie den Beinamen “Die Einzige” einbrachte. Die Provokationen in Körperform werden unnötig. Trotzdem: Was heute von Elisabeth bekannt ist, zeichnet das Bild einer zutiefst unglücklichen Frau, die sich mit aller Kraft an ihre jugendliche Schönheit klammerte.

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Ab ihrem 30. Lebensjahr durfte es keine Fotos und ab dem 40. Lebensjahr keine Porträts mehr von ihr geben, um das Bild der ewig schönen, jungen Kaiserin nicht zu gefährden. Sie richtete sich ein Fitnessstudio am kaiserlichen Wiener Hof ein, was zu einem Eklat führte. Eine Monarchin, die schwitzte? Doch Elisabeth setzte sich durch. Auch auf Reisen war Elisabeth beinahe fanatisch aktiv: Sie turnte, ritt und wanderte jeden Tag, teilweise bis zu acht Stunden. Immer wieder mussten ihre Hofdamen von hinterherfahrenden Kutschen eingesammelt werden, weil sie bei den langen Märschen der Kaiserin nicht mithalten konnten.

Für ihre Haare engagierte sie eine eigene Frisörin. Wenn sie Elisabeths Haare alle zwei bis drei Wochen mit Ei und Cognac behandelte und wusch, wurde gleich der ganze Tag geblockt. Nach jedem Styling musste die Assistentin der Kaiserin zeigen, wieviele Haare beim Bürsten ausgefallen waren. Waren es zu viele, gab es ordentlich Ärger – und zwar so schlimmen, dass die anderen Bediensteten anfingen, die ausgefallenen Haare im inneren Kleidersaum der Frisörin zu verstecken.

Klingt einerseits nicht nach gut gelaunter süßer Kaiserin, sondern eher nach kalter Herrscherin. Andererseits: Wer kann es ihr verübeln? Mit 15 Jahren die Verlobung mit ihrem Cousin, um dem Machtstreben der eigenen Mutter genüge zu tun. Im Anschluss ein Jahr härtester Drill für den Wiener Hof, den andere von Kind auf lernen. Eine schlimme Sozialphobie, Wanderlust, und die unerfüllbare Ansprüche der eigenen Familie machen das Leben in den Augen der Öffentlichkeit zum Gefängnis. Das Verhältnis zu Kindern und Mann bleibt jahrelang distanziert. Die erstgeborene Tochter stirbt zweijährig, der einzige Sohn begeht schließlich Selbstmord, nachdem er seine Geliebte ermordete. Hätte der Sissi-Trilogie so viel Realität gut getan?

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Wahrscheinlich nicht. Im Nachkriegsdeutschland und inmitten des Wirtschaftswunders wollten viele Deutsche einfach nur Heimatromantik zum Wohlfühlen. Ein bayrisches junges Mädchen, das erst das Herz des österreichischen Kaisers, dann des Wiener Hofs erobert – und nebenbei noch mehrere außenpolitische Konflikte in Ungarn und Italien kittet – war der personifizierte Gegenentwurf zur Nazizeit. Eine komplexe Frauenfigur wäre gar nicht denkbar gewesen, schon gar nicht in der Thematisierung ihrer mentalen Gesundheit. Doch der Kitsch hinterließ selbst bei der Frau seine Spuren, die die Kaiserin auf die Leinwände brauchte. Hauptdarstellerin Romy Schneider war die Rolle nach drei Filmen so zuwider, dass sie nach Frankreich auswanderte, um der deutschen Presse und dem Sissi-Image zu entkommen. 17 Jahre später gab sie die Kaiserin Elisabeth erneut – kälter, distanzierter, realistischer – und schloss so ein bisschen Frieden mit der historischen Figur.

Kaiserin Elisabeth litt ihr Leben lang unter dem sozialen Druck, als Frau in einer exponierten Position zu funktionieren, ständig beobachtet zu werden und bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen. Als sie 1898 in Genf von einem Anarchisten aus Protest gegen die Monarchie ermordet wird, ist sie 61 Jahre alt – und ihr Aussehen der Bevölkerung weitestgehend unbekannt. Ihre Bemühungen, in der öffentlichen Wahrnehmung für immer jung zu bleiben, waren anscheinend erfolgreich.

Ihre echte Geschichte mag für die Nachkriegszeit zu unromantisch, zu sperrig, zu wenig märchenhaft gewesen sein. Rund 60 Jahre später könnte sie mit all ihren Selbstzweifeln und den Einschränkungen, die man als echte Adlige ihrer Zeit erlebt hat, allerdings ein wichtiges Symbol für junge Mädchen werden. Vielleicht wäre es also genau jetzt an der Zeit, mit dem Sissi-Mythos zu brechen, und sich den Kontext ihres Lebens öfter in den Sinn zu rufen. Die Filme dürft ihr aber natürlich trotzdem gucken.

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