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Selbstversuch

Ich habe all das ausprobiert, was Millennials angeblich kaputt machen

Egal ob Golf, Papierservietten oder Eigenheime, wir zerstören angeblich alles, was für unsere Eltern noch selbstverständlich war. Zu Recht?
All photos by Jade Jackman

Wenn es nach älteren Generationen geht, dann sind alle Millennials Mörder. Junge Menschen sollen für den Tod vieler alteingesessener Institutionen verantwortlich sein – egal ob nun die Ehe, eine Supermarktkette, der Kapitalismus, Motorräder oder Trinkgeld. Eine ganze Generation derart über einen Kamm zu scheren, ist natürlich Quatsch. Wie sollen wir denn so viele Dinge zugrunde richten, wenn wir angeblich sogar zu faul sind, für unser Eigenheim zu sparen, oder zu viel Angst davor haben, rohe Lebensmittel anzufassen?

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Statt von meinem Schreibtisch aus einen Artikel über ein gesellschaftliches Phänomen zu schreiben, habe ich beschlossen, selbst etwas Feldforschung zu betreiben. Vielleicht gibt es ja wirklich gute Gründe dafür, warum bestimmte Industrien und Unternehmen vor dem Aus stehen? Vielleicht sind sie für meine Demographie einfach uninteressant? Zeit, die Dinge auszuprobieren, die Millennials wie ich angeblich dü immer zerstört haben.

Golf

Eine Stunde außerhalb von London befindet sich Topgolf – ein Unternehmen, das sich selbst als "erstklassiger Entertainment- und Event-Veranstaltungsort mit spaßigen Golfspielen" bezeichnet. Dabei ist das Ganze einfach nur ein normaler Golfplatz. Als Millennial finde ich aufgeblasenen Marketing-Sprech aber vollkommen OK. Wird mich Golflehrer Andy Agnoli davon überzeugen können, dass sein Sport nicht im Sterben liegt?

"Ein Wachstum ist definitiv nicht zu verzeichnen", sagt er. "Bei den Golfplätzen, auf denen ich in der Vergangenheit gearbeitet habe, liegt der Altersdurchschnitt bei 60 plus. Nachwuchs gibt es kaum. Und ich sage mal so, diese Ü-60-Mitglieder werden auch nicht ewig da sein."

Während Topgolf versucht, auch ein jüngeres Publikum anzusprechen, wirkt ein typischer Golfclub auf diese Zielgruppe eher abschreckend. "Dresscodes sind in Golfclubs immer noch gang und gäbe", sagt Agnoli. "Letztens habe ich in einem Clubhaus zu Mittag gegessen und musste dafür einen Anzug anziehen. Jeans sind verboten und oftmals darf man auf Golfplätzen auch sein Handy nicht benutzen." Die meisten Golfclubs seien nicht auf Millennials ausgerichtet, deswegen hätten die auch kein Interesse an dem Sport.

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Agnoli reicht mir einen Schläger und will, dass ich auf eines der hell erleuchteten Ziele im Abschlagsbereich ziele. Der Golfball wird elektronisch nachverfolgt und je nachdem, welches Ziel ich treffe, bekomme ich eine bestimmte Punktzahl gutgeschrieben. Außerdem kann ich mir Essen und Alkohol bringen lassen, und in regelmäßigen Abständen legen House-DJs auf. Cool.

Als ich es schaffe, das am weitesten entfernte Ziel zu treffen, bezeichnet Agnoli mich als Naturtalent: "Sehr guter Schwung, sehr schön ausbalancierte Haltung und tolle Ausführung – ein brillanter Schlag." Als selbstverliebter Millennial finde ich überschwängliches Lob natürlich super. Vielleicht ist Golf ja doch nicht so schlimm.

Diamanten

Laut BBC werden Millennials auch schuld am Tod von Diamanten sein. Die Diamantenindustrie ist schon so verzweifelt, dass sie junge Kundschaft jetzt auch in den sozialen Medien abholen will. Ein kurzer Blick auf das offizielle Instagram-Profil der Diamond Producers Association unterstreicht das: Egal ob berühmte Sportler wie Neymar, Hochzeiten unter gleichgeschlechtlichen Paaren oder Rihanna, alle Dinge, die junge Menschen angeblich cool finden, sind dort vertreten.

Als ich mich aufmache, um Diamanten zu kaufen, wird die Sache jedoch etwas schwieriger. Zwar befinden sich in Hatton Gardens, der Schmuckmeile Londons, über 90 Läden und Unternehmen, dennoch ist es menschenleer. "Wir haben keine Angestellten", erzählt mir ein Geschäftsinhaber. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das nicht nur eine Taktik ist, mit der der gemeine Pöbel ferngehalten werden soll. Durch mein Outfit ist nämlich schnell ersichtlich, dass ich mir wahrscheinlich nicht mal einen winzigen Diamantohrring leisten könnte.

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In einem anderen Laden wird mir direkt klar, warum Millennials keine Diamanten kaufen: Das Ganze ist verdammt kompliziert. "Suchen Sie nach einem normalen Stein mit Brillantschliff oder soll das Ganze anders eingefasst sein?", fragt mich die Verkäuferin, als ich einige gleich aussehende Ringe unter die Lupe nehme. Ich habe keine Ahnung, was sie damit meint, und merke, wie die beiden Mitarbeiterinnen immer skeptischer werden. Also verlasse ich gedemütigt den Laden. Falls ich irgendwann doch mal wie ein Diamant funkeln will, benutze ich eben diese App.

Papierservietten

Wie MUNCHIES berichtet, sind Papierservietten auf dem absteigenden Ast, weil Millennials robustere Küchenrollen bevorzugen. Schuldig. Ich persönlich habe noch nie Papierservietten gekauft, Papierservietten sind mir ziemlich egal und Küchenrollen eignen sich perfekt dafür, um Essensflecken schnell wegzuwischen.

Ich bin jedoch offen für Neues und deswegen auch dazu bereit, mich auf Papierservietten einzulassen. Vielleicht bekomme ich ja Mitleid mit der armen Papierservietten-Industrie, wenn ich mich bewusst mit ihrem Produkt beschäftige. Schon im erstbesten Supermarkt habe ich Glück und finde Papierservietten – aber leider nur in einer vorgepackten Kombination mit Papptellern und -bechern. Sind Papierservietten wirklich so unbeliebt geworden, dass man sie nur noch in Verbindung mit Picknickutensilien losbekommt? Dann sehe ich, dass das ganze Paket fünf Pfund [knapp sechs Euro] kostet. Wow, kein Wunder, dass Millennials da nicht zuschlagen.

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Für mein Experiment greife ich aber gerne etwas tiefer in die Tasche und unterziehe meine Papierservietten mit einem fettigen Beef-Chili-Käse-Wrap direkt dem Extremtest. OK, zwar saugen die Teile das triefende Öl ganz gut auf, aber mit einem Stück Küchenrolle wäre das Ganze meiner Meinung nach einfacher – und sähe weniger albern aus.

Öl

Der Nachrichtenseite Business Insider zufolge weigern sich die umweltbewussten Millennials, für die Ölindustrie zu arbeiten. Bei mir kommt noch dazu, dass ich schon immer in Großstädten mit öffentliche Verkehrsmitteln gewohnt habe und deshalb nie gelernt habe, wie man Auto fährt. Außerdem könnte ich mir auch gar kein Auto leisten. So gesehen bin ich also doppelt schuldig: Ich bringe nicht nur Öl und Benzin an den Abgrund, sondern auch die Automobilindustrie.

Wegen meiner journalistischen Objektivität lasse ich mich aber nicht davon abbringen, mich auf eine Industrie einzulassen, die gefährliche Müll produziert und für einige der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten verantwortlich ist. So ziehe ich los, um etwas Öl zu kaufen.

Leider habe ich keine Ahnung, wie Öl genau aussieht, wie viel es kostet und in welcher Form es verkauft wird. Trotzdem frage ich in der nächstgelegenen Tankstelle ganz selbstbewusst nach der "Ölabteilung".

"Das Gelbe ist dickflüssiger und für Autos bestimmt, die älter als acht Jahre sind", erklärt mir der hilfsbereite Kassierer und deutet dabei auf die verschiedenen Plastikbehältnisse vor mir. "Das hier ist mehr wie Wasser und soll nicht brennen, wenn der Motor gestartet wird." Ich weiß nicht, was das bedeutet, aber die Vorstellung, dass irgendetwas in einem Fahrzeug zu brennen anfängt, macht mir Angst. Letztendlich kaufe ich ein "Premium Motoröl" und suche das Weite. Falls irgendjemand eine Flasche zähflüssigen Todessaft braucht, auf meinem Schreibtisch steht eine.

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Eigenheime

Letztes Jahr informierte uns der Millionär Tim Gurner darüber, dass egoistische Millennials ihr ganzes Geld nur für Avocado-Toasts und unnötig kompliziert gebrauten Kaffee ausgeben würden und sich deswegen nie ein Eigenheim leisten könnten.

Bei diesem Thema kann ich sehr gut nachforschen, denn im direkten Umfeld des Londoner VICE-Büros wird gefühlt jede Woche ein neues Immobilienunternehmen eröffnet, das mit Angeboten für unbezahlbare Reihenhäuser und Luxuswohnungen wirbt. Ich entscheide mich für den Immobilienmakler, der es augenscheinlich am meisten auf Millennials abgesehen hat (das offene Mauerwerk im Büro spricht Bände) und stelle mich vor.

"Sie wollen also eine Immobilie kaufen? An welche Gegend haben Sie da gedacht?", fragt mich der schick gekleidete Makler. "So … diese Gegend?", antworte ich hoffnungsvoll. "Je weiter östlich man geht, desto mehr bekommt man für sein Geld", sagt er. Ihm scheint schon aufgefallen zu sein, dass ich mir – obwohl ich hier jeden Tag mein Mittagessen kaufe – in dieser Gegend wahrscheinlich nicht mal ein einfaches Regal in einer geschmackvoll eingerichteten Wohnung leisten könnte.

Als ich dem Makler mitteile, wie viel Geld ich über die Jahre angespart habe, lächelt er zwar weiter freundlich, reicht mir aber auch direkt die Visitenkarte eines Finanzberaters und verspricht mir, dass wir am Telefon noch mal über meine Chancen auf eine Hypothek reden werden.

Auf diesen Anruf warte ich bis heute.

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