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Sex

Nachhaltiges Sexspielzeug: Wenn die Vagina vegan wird

Bewusster Konsum ist mittlerweile auch im Intimbereich angekommen. Doch was bedeutet das bei Dildos und Co. eigentlich?
Foto: Vibrator (imago | fotoimedia); Hintergrund (Unsplash | Pexels | CC0)

Sex ist in der westlichen Welt omnipräsent, gleichzeitig besinnt sich der Mensch seiner Sterblichkeit und dem Umstand, Mutter Erde schon lange den Todesstoß versetzt zu haben. Da schien es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Wunsch nach Nachhaltigkeit auch in der Erotikbranche niederschlägt. Mittlerweile gibt es mehrere explizit vegane Kondommarken. Sexshops wie Other Nature in Berlin setzen bewusst auf ökologisch vertretbar produziertes Sexspielzeug. Aber: Was bedeutet das bei Vibratoren, Peitschen und Co. eigentlich?

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Klar, dass Harnesse oder Bondage-Zubehör aus Leder nicht vegan sind, dürfte jedem klar sein. Bei Dildos, Vibratoren und anderem Zubehör, das primär aus Kunststoff besteht, zeigt sich allerdings, wie sehr das Attribut vegan mit gesundheitsverträglich und nachhaltig Hand in Hand gehen – gerade bei sehr günstigem Sexspielzeug oftmals ein Problem. Außerdem soll es sicherstellen, dass die Produkte nicht im Rahmen von Tierversuchen getestet wurden. (Beides lässt sich im Fall von Gleitgelen und Kondomen übrigens unter anderem auf der Website der Tierrechtsorganisation PETA herausfinden.)

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Die bewusste Auseinandersetzung mit Sexualität, Umwelt und/oder Körper mündet in dem Wunsch nach Sextoys, die bestimmte Kriterien erfüllen und dabei eines gemein haben: Sie schaden im besten Fall weder Mensch und Tier, noch Umwelt und versprechen darüber hinaus eine positive Auseinandersetzung mit unserer eigenen Sexualität.

Der gestiegenen Nachfrage nach eben solchen Produkten, möchte der Berliner Sexshop Other Nature bewusst nachkommen. Das Team um die Gründerinnen Sara und Anne Bonnie verfolgt bereits seit 2011 mehrere Ansätze, die mit der vermeintlichen Schmuddelästhetik der Branche wenig zu tun haben: feministisch, queer, sex-positiv, umweltfreundlich und vegan.

Zusammengearbeitet wird mit Herstellern nur, wenn die Firmenethik mit der eigenen vereinbar ist.

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"Unser Bestreben war es von Beginn an, den Fokus auf Frauen und die LGBTQ-Community zu legen und einen sicheren Raum zu schaffen, in dem eine Kommunikation über Sexualität stattfinden kann – fernab von sexistischen Stereotypen und vorgesetzten Meinungen, wie diese auszusehen hat", erklärt Tamara, die sich unter anderem um die Pressearbeit kümmert. So ergänzen unter anderem Workshops das klassische Produktangebot und bilden tragende Säulen des selbstgesteckten Auftrag zur Enttabuisierung von Sexualität in unserer Gesellschaft.

"Wir suchen unsere Produkte sehr sorgfältig aus. Dabei achten wir eben nicht nur auf körperfreundliche, ungiftige und vegane Materialien und Inhaltsstoffe, sondern schauen uns auch die Firmen genau an." Zusammengearbeitet wird mit Herstellern nur, wenn die Firmenethik mit der eigenen vereinbar ist.


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Bewusster konsumieren, auch wenn es um die eigene Lust geht: Eine Entscheidung, der auch immer mehr vegane Kondomhersteller nachkommen wollen. Die Schweizer Unternehmerin Gabrielle Lods beispielsweise verzichtet bei ihrer Firma Green Condom Club auf den vielfach eingesetzten Weichmacher Casein (ein von Milch abgeleitetes Protein), Gluten und Paraben. In die gleiche Kerbe schlägt auch das Berliner Start Up einhorn und versorgt die Kunden ähnlich wie Lods mit Informationen über Herkunft, Produktion und Transport ihrer Kondome. Obendrein lassen sich von der Firma unterstützte ökologische und soziale Projekte einsehen.

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Auch große Anbieter wie Amorelie führen mittlerweile vegane Produkte in ihren Onlineshops, darunter Kondome, Gleitgel oder Hand- und Fußfesseln. Die "Maze Kollektion" beispielsweise ist dabei nicht nur aus veganen, sondern auch receycelten Materialien und mit einem Label der Tierrechtsorganisation PETA ausgezeichnet. Eine eigene "Öko"-Kategorie gibt es im Shop allerdings nicht. Finden kann der interessierte Kunde die veganen Produkte nur, wenn er ganz bewusst danach sucht oder durch Zufall auf sie stößt.

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"Das Thema 'ökologisch nachhaltig erzeugtes, veganes Liebesspielzeug' ist auf Herstellerseite noch nicht wirklich angekommen", sagt Anne Gröschel, Pressesprecherin von Amorelie. Trotzdem: "In den Bereichen Bondage und Lederprodukten, sowie Drogerieartikeln kommen immer mehr Produkte mit diesen Eigenschaften auf den Markt." Von einem Trend will sie noch nicht sprechen, schließlich sei veganes Sexzubehör nach wie vor eine Nische. Kundenfeedback lege allerdings nahe, dass sich "das Bewusstsein nach 'sauberen' Produkten" langsam herausschärfe und somit auch zunehmend bei den Herstellern ankommen könnte.

Foto: Unsplash.com | Pexels | CC0

"Sauber" bedeutet in dem Fall aber nicht nur vegan – wichtig ist auch die Gesundheitsverträglichkeit der Produkte. Deswegen stehen auf der Website von Other Nature den üblichen Rubriken ausführliche FAQs zu unter anderem den verwendeten Materialien, einschließlich möglicher Nebenwirkungen, und Informationen zu den vertriebenen Herstellern gegenüber. Auch die Webpräsenz des Onlineversandhändlers deeldio bietet eine umfangreiche Materialkunde. Unter "Good Toy, Bad Toy" sammeln die Macher_innen zahlreiche weiterführende Artikel und zeigen auf, wie sich die Schadstoffe auswirken – zum Beispiel auf die Abnahme der Spermienqualität oder das erhöhte Brustkrebsrisko.

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Dass damit nicht zu spaßen ist, zeigte die Zeitschrift ÖKO- TEST bereits 2012. Für die damalige Aprilausgabe nahm sich die Redaktion des Themas "Gesundheitsverträglichkeit von Sexspielzeug" an und unterzog eine Auswahl Vibratoren, Dildos und Liebeskugeln umfangreichen Tests. Die Ergebnisse waren ernüchternd: Fast die Hälfte der Gerätschaften waren derart mit Giftstoffen und ähnlichem belastet, dass man abraten müsse. Als rundum empfehlenswert wurden nur zwei der getesteten Produkte eingeschätzt.

Lust kann durchaus nachhaltig sein – ob man dabei nun der Umwelt oder sich selbst etwas Gutes tun möchte.

"Dibutylzinn beispielsweise wird bei der Silikonherstellung als Katalysator eingesetzt. In der EU war das aber schon 2012 verboten. Gefunden hatten wir den als fortpflanzungsgefährdend und fruchtschädigend eingestuften Stoff trotzdem in fünf Sexspielzeugen", erklärt ÖKO-TEST-Redakteur Stephan Kümmel. Dabei gab es längst unbedenkliche Alternativen: Wer trotz des Angebotes an Glas-, Holz- oder gar Stein-Toys nicht auf Silikon verzichten will, sollte zu medizinischem Silikon greifen.

Die von ÖKO-TEST gefundenen, meist krebsverdächtigen Stoffe und Stoffgruppen ließen sich vielfach auf die Produktionsprozesse zurückzuführen. Dabei zeigte sich auch, dass das Label vegan eben nicht immer gleich gesundheitlich unbedenklich bedeuten muss. Es kommt auf die Prozesse an. Sind nicht-vegane Produkte sauber verarbeitet, sind sie ebenso schadstofffrei.

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Und dieses Bewusstsein wiederum scheint bei den Konsumentinnen und Konsumenten durchaus angekommen zu sein."Es scheint, dass unsere Kund_innen mehr informiert sind und/oder sein wollen, was zum Beispiel die ethische Produktion von Toys, das Material oder den Umwelteinfluss durch die Produktion betrifft", sagt Tamara von Other Nature. Als gutes Beispiel für unbedenkliche Materialien nennt auch sie reines Silikon. "Hundertprozentiges Silikon ist nicht nur absolut körperfreundlich, sondern kann verschiedenste Funktionen und Formen annehmen."

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In Anbetracht der Größe des Marktes wird umweltverträglich produziertes oder gar veganes Sexspielzeug vielleicht nie seine Nische verlassen, das Bewusstsein für Umwelt und den eigenen Körper ist jedoch auch im Sextoys-Segment spürbar gewachsen. Qualitativ hochwertiges Spielzeug, das beispielsweise ohne Verwendung von giftigen oder zumindest fragwürdigen Materialien entstanden ist, ist auch in klassischen Sex-Shops zu finden. Toys aus Holz gibt es mittlerweile sogar auf Weihnachtsmärkten. Auf tierische Komponenten verzichten immer mehr Hersteller in den Bereichen, wo sie früher noch keine Alternativen anboten oder anbieten konnten.

Auch wenn Läden wie Other Nature nach wie vor eine Ausnahme bilden, finden sich im Internet mittlerweile viele Möglichkeiten, sich vor dem Kauf über Inhaltsstoffe, Unternehmen und Herstellungsbedingungen zu informieren. Lust kann also durchaus nachhaltig sein – ob man dabei nun der Umwelt oder sich selbst etwas Gutes tun möchte.

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