Menschen

Wie man nach fünf Jahren Knast zurück ins Leben findet

"Da fühlst du dich wie ein Tier: Tür geht auf, Futter kommt rein, Tür geht wieder zu." – Luka
Porträt eines tätowierten Mannes, der auf einer Heizung sitzt. Das Gesicht ist von einem Objekt verdeckt.
Foto: Hakki Topcu
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Dieser Artikel ist Teil von "The Final Issue", der letzten deutschen Printausgabe von VICE

Fünf Kilo Kokain, 30 Kilo Amphetamin. Mit der LKW-Lieferung hätte Luka, der eigentlich anders heißt, halb Kerpen einen ganzen Abend lang ziemlich high machen können – stattdessen ging er in den Knast. Das Urteil: sechs Jahre und acht Monate Haft. Weil er in Schweden festgenommen wurde, verbrachte er die ersten drei Jahre dort, 18 Monate davon in Einzelhaft. Danach ging es für den ehemaligen Kampfsport-Profi in die Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel.

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Seit sechs Wochen ist Luka wieder auf freiem Fuß – entlassen mit 2.000 Euro Bargeld, einem Termin beim Bewährungshelfer und einem Führungszeugnis, das einen Lottogewinn wahrscheinlicher macht als einen rechtschaffenen Job.

VICE: Du wurdest nach vier Jahren und neun Monaten vorzeitig entlassen. Wie ist es, wieder draußen zu sein?
Luka:
Ich habe das Glück, dass ich eine tolle Familie habe und eine Verlobte, die auf mich gewartet hat. Aber es ist nicht einfach, sofort wieder ein normales Leben zu führen. Ich bin ein Vorbestrafter mit Abitur und habe vier Semester BWL studiert, bevor ich verhaftet wurde. Ich werde in dem Bereich nie einen Job finden können. Ich könnte noch auf der Baustelle arbeiten oder in der Kneipe. Zum Glück habe ich mein ganzes Leben lang Kampfsport gemacht – auch professionell – und kann jetzt als Trainer arbeiten.

Wie groß ist deine Angst, wieder rückfällig zu werden?
Ich bin kein Unschuldslamm. Und keiner, der einen Schritt zurückweicht, wenn es Stress gibt. Aber ich versuche natürlich, über die Konsequenzen nachzudenken. Wenn mich jemand auf der Straße provoziert, denke ich zweimal darüber nach, ob ich ihm in die Fresse haue oder mich umdrehe. Was das Thema Drogen betrifft, habe ich mich von den meisten Leuten abgekapselt. 

Ist es wichtig, nach dem Knast mit seinem alten Umfeld zu brechen?
Man darf natürlich nicht vergessen, wer die letzten Jahre an deiner Seite stand. Ich habe viele Leute verletzt. Du bestrafst mit einem Gefängnisaufenthalt ja nicht nur dich, sondern auch dein komplettes Umfeld. Trotzdem habe ich diesen Freunden gesagt, dass ich raus bin. Zumindest, wenn sie abends unterwegs sind. Wenn wir uns tagsüber zum Kaffeetrinken treffen, ist das kein Problem – solange wir nur über persönliche Sachen reden. Das, was sie außerhalb machen, interessiert mich nicht. Ich habe keine Lust, noch einen Tag im Knast zu verbringen.

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Wie groß ist die Versuchung, wieder schnelles Geld zu machen?
Wenn du teure Autos hattest, teuren Schmuck und immer die besten Klamotten, ist die Versuchung natürlich sehr groß. Das wird alles relativ, wenn du im Knast sitzt, dort bodenständiger wirst und das Leben, das du draußen hast, mehr wertschätzt als Geld. Geld zu verdienen, ist wie eine Droge. Der eine hat Spaß daran und das Risiko ist ihm scheißegal, der andere entscheidet sich für weniger Geld – hat aber dafür Freiheit.

Was ist im Knast hilfreich, draußen aber nicht?
Eine gewisse Aggressivität. Im Knast musst du hart und abgewichst sein, sonst wirst du gefressen. Du musst gewillt sein, zuzuschlagen. Draußen geht das natürlich nicht.

Das, was dir im Knast am meisten geholfen hat, ist das Erste, was du draußen vergessen musst. Hast du sonst das Gefühl, dass du ordentlich resozialisiert bist?
Das ist ein Prozess. Ich darf mich einfach nicht aus falschem Stolz von irgendwelchen Idioten provozieren lassen. Ich war über 18 Monate in Einzelhaft. Da fühlst du dich wie ein Tier: Tür geht auf, Futter kommt rein, Tür geht wieder zu. Keinen interessiert, wie es dir geht. Von Monat zu Monat wurde es immer schlimmer mit mir. Zum Glück lernte ich damals einen Wärter kennen, der gesagt hat: "Wenn ich arbeite, will ich, dass du mir die Hand gibst. Damit du das Gefühl nicht verlierst, menschlich zu sein." Diese Wärme zu spüren, hat mir sehr geholfen.

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Wie schafft man es, mit Vorstrafen ein rechtschaffenes Leben zu führen?
Nicht jeder Gefangene ist gleich. Ich finde, man sollte auch jemanden, der schon im Knast gesessen hat, eine zweite Chance geben. Wir leben aber in einer Gesellschaft, in der das nicht der Fall ist. Egal, wo du dich bewirbst, du musst ein Führungszeugnis vorlegen. Wenn dadrin steht, dass du gerade aus dem Knast kommst, ist es egal, wie gebildet du bist. Du hörst definitiv ein Nein. Die meisten schaffen es aber nicht, woanders Fuß zu fassen. Die verfallen wieder in kriminelle Machenschaften. Der Knast kostet viel Kohle. Die meisten Menschen sind pleite, wenn sie rauskommen. Wenn du keinen Pflichtverteidiger willst, musst du einen Anwalt zahlen. 

Was hat das deutsche Justizsystem dafür getan, dass du dich wieder in die Gesellschaft integrieren kannst?
Der offene Vollzug ist ein wichtiger Schritt. Trotzdem wird dir im geschlossenen Vollzug erst mal alles kaputt gemacht. Das beißt sich ein bisschen. Du darfst nicht nach Hause telefonieren und nur einmal im Monat für eine Stunde Besuch kriegen. Viele Familien zerbrechen daran.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?
Ich möchte noch mal im Profisport Fuß fassen. Wenn alles gut läuft, werde ich in Zukunft mein eigenes Gym haben, in dem ich Kampfsport unterrichte. Ich hoffe, durch meine Arbeit Jugendliche davon abzuhalten, im Knast zu landen. Ich komme aus schweren sozialen Verhältnissen und weiß, wie es ist, wenn man nicht weiß, wer man ist, wie man im Leben klarkommen soll, und kein Geld hat. Seit ich im Knast war, sage ich immer: Jungs, passt auf, was ihr macht. Nichts ist wertvoller als Freiheit.

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