Balbina interessiert es nicht, ob ihr sie "zu kompliziert" findet
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Musik

Balbina interessiert es nicht, ob ihr sie "zu kompliziert" findet

Die Berlinerin singt, schneidert, produziert – und muss sich trotzdem jede Form von Anerkennung erkämpfen. Ein Gespräch über männerdominierte Meetingräume und die Macht von Rapmusik.

"Ich mache keine Lieder über Liebe" singt Balbina in "Die Regenwolke" und damit hat sie Recht. Das wäre nämlich zu einfach. Stattdessen hangelt sich die Berlinerin von den ganz großen zu den ganz kleinen Gefühlen und schlüpft aus jeder Schublade, die ihr die Öffentlichkeit bisher angeboten hat. Am ehesten könnte vielleicht das Label "deutsche Björk" passen, schließlich hat Balbina eine klare künstlerische Vision und inszeniert nicht nur ihre eigenen Videos, sondern schneidert auch ihre Bühnenoutfits selbst. "Ich ertrinke, wenn ich drüber singe" heißt es in der ersten Single zum neuen Album Fragen über Fragen wenig später – die 33-Jährige macht es aber trotzdem. Was raus muss, muss raus, was ist da schon so ein bisschen Wasser. Die künstlerische Furchtlosigkeit lernte sie übrigens bei ihren musikalischen Anfängen: im Royal Bunker, der Brutzelle für wegweisende Vertreter der Berliner Rapszene, von M.O.R. und der Sekte bis K.I.Z.

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Wer sich fragt, wie das zusammenpasst, die zierliche Frau mit einer Stimme, die mal rau, mal wie aus Glas klingt, und die sagenumwobene Härte der Rapszene, der muss nur ein bisschen genauer hinhören. Hinter all den visuellen Inszenierungen, Kostümen und vielschichtig-doppelbödigen Songtexten steckt nämlich eine Künstlerin, die ganz genau weiß, wo sie hinwill – und im Zweifelsfall geht sie den Weg eben allein.

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Broadly: Wenn man sich anguckt, was du jetzt so machst, würde man dich nicht unbedingt mit Royal Bunker in Verbindung bringen. Wie hat das damals für dich angefangen?
Balbina: Ich habe in einer Zeit angefangen zu texten und Musik zu machen, als es in der Popmusik einfach keine deutschsprachige Musik gab. Das war so um 2000 rum. Ich habe eine Affinität zu deutschsprachiger Rapmusik entwickelt, weil die eben Deutsch gesprochen haben. Also bin ich in den Bunker gegangen, habe die ganzen Leute kennengelernt und habe dann angefangen, da zu schreiben und mich zu involvieren. Das war ein Ort, an dem du kein ausgebildeter Musiker sein musstest. Wir haben die ersten Beats mit der Playstation gemacht!

Es war egal, ob man von der Herkunft oder Sozialisation her Musiker ist, man konnte trotzdem Texten und Lieder machen. Ich habe quasi meine Schreibe geschliffen und gelernt, die Sachen, die man gemacht hat, anderen zu zeigen. Am Anfang ist das ja immer total schwierig. Wenn man ein Mädchen und gerade aus der Pubertät raus ist, dann traut man sich meistens nicht. Wenn da so zehn, zwölf Typen sitzen, dann ist man eingeschüchtert.

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Was war deine größte Angst?
Dass die mich auslachen. Oder sagen, dass sie es scheiße finden. Ich war auch nie jemand, der sich in der Schule gemeldet hat oder angeboten hat, Referate zu halten. Ich hatte vor so was schon immer ein bisschen Panik. Deswegen finde ich es aber auch so schade, dass dieses Rap-Umfeld immer so einseitig beleuchtet wird. Klar, es gibt Ghetto-Rap und so weiter, aber man darf auch nicht vergessen, dass das eine andere Art von Sprache ist und eine Schmiede für verschiedene Musiker war, die Selbstverständlichkeit zu haben, dass man Musik machen kann. Dass das OK ist, dass man nicht unbedingt Geige spielen muss und dass man trotzdem Texten und Lieder machen kann, ohne Hintergrundwissen. Das macht auch die Rap-Szene aus: dass du alles findest und Phänomene groß werden können, die für andere Genres gar nicht möglich wären.

Die kann gut singen, aber ihre Texte sind uns zu verschachtelt, zu konstruiert, eine zu große Herausforderung. Sie sieht nicht zugänglich aus und hübsch ist sie auch nicht wirklich.

Man hat natürlich auch viel mehr Raum, Dinge zu sagen.
Absolut. Man kann Sachen auch mal krass formulieren, man kann Sachen zuspitzen. Ich habe dadurch auch ein gewisses Gemeinschaftsdenken gelernt. Ich weiß nicht, ob dir das schon aufgefallen ist, aber bei Rappern ist es ja oftmals so, dass die innerhalb ihrer sozialen Netzwerke viel miteinander arbeiten. Die nehmen sich mit auf Touren, pushen sich, posten gegenseitig die Videos, wenn sie in einer Crew sind … Das hast du in der Popmusik nicht so. Da gibt es viel Neid, da wird dann eher mal rübergeguckt, was eigentlich der andere so macht. In diesem Rap-Milieu habe ich alles gelernt, was ich heutzutage brauche – sei es, selbstbewusst zu sein oder auch mal die Ellenbogen einzusetzen.

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Ich weiß, dass das in der Mainstream-Presse oft negativ dargestellt wird, aber ich hatte viel Rückhalt in der Community, vor allem von Marcus Staiger. Wenn von Plattenfirmen gesagt wurde "Nee, die ist zu kompliziert, die macht keine sexy Bilder", meinte Marcus immer "Hört euch das doch mal bitte an!" – und den kenne ich auch nur aus dem Rap-Umfeld.

Wurde dir das oft vorgeworfen, dass du zu kompliziert bist?
Bis heute! Mir wird immer gesagt "Oh Gott, das ist schon wieder so aufwendig" oder "Jetzt will die das schon wieder anders machen" – das ist mein stetiges Problem. Am Ende bin ich sowieso diejenige, die den Hauptteil der Inszenierung tragen muss und sich das alles ausdenkt, weil das budgetär auch gar nicht anders möglich ist. Das eckt aber natürlich immer so ein bisschen an, wenn du bei jedem örtlichen Lichtmann eine Stunde daneben sitzt und ihm sagst, wann er welchen Knopf drücken soll. [lacht] Na, ja.

Ich habe mir vom Rap auf jeden Fall auch dieses "einfach selber machen" verinnerlicht. Deswegen gibt es ja auch so viele Indie-Hip-Hop-Labels, die den Majors zeigen, dass es diese vielen Entscheidungsebenen, diese ganzen Meetings überhaupt nicht braucht. Wenn du eine integre Künstlerseele hast, die einen Plan hat, eine Vision, dann brauchst du nur zwei, drei Leute. Das wars. Dann brauchst du keine Meetings mit 20 Leuten, wo jeder darüber diskutiert, was die nächste Single ist und ob irgendein Radiosender das spielt.

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Du brauchst aber dann eben auch einen Künstler, der das leistet. Gerade was Mainstream-Pop angeht, ist da ja sehr viel inszeniert: Wie soll das Image sein? Wie verkaufen wir diese Person jetzt?
Absolut. Und das geht oft auch auf Kosten der Charaktere, die daran beteiligt sind, weil du zum Beispiel einem bestimmten Frauenbild entsprechen musst. Ich habe nicht viele Plattenfirmen gehabt, die sich so für mich interessiert haben, wie ich als Künstlerpersönlichkeit bin. Die haben alle gesagt: "Die kann gut singen, aber ihre Texte sind uns zu verschachtelt, zu konstruiert, eine zu große Herausforderung." Dasselbe haben sie über die Kompositionen und meinen Look gesagt. "Sie sieht nicht zugänglich aus und hübsch ist sie auch nicht wirklich." Im Endeffekt war ich nie diejenige, die man unter Vertrag nehmen wollte. Es hieß immer nur: "Mit der können wir kein Geld verdienen, die macht nur arty Shit und ist nicht formbar." Wenn man eine klare Vision hat, ist man "nicht formbar" und das wird dann als negativ bewertet. Für mich war das eigentlich immer eher ein Kompliment. Ich meine, ist das nicht geil? Wenn ein Typ straight ist und weiß, was er will, dann finden das doch auch immer alle cool.

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Ich möchte das nicht immer auf sexistische Grundmotive runterbrechen, aber dadurch, dass in den Chefetagen in der Musikbranche eben primär Männer sitzen, glaube ich schon, dass der Gedanke dahinter ist: Wenn ich Musik von einem Typen höre, will ich, dass der cool ist, weil ich dann sein will wie er. Und Musik von einer Frau höre ich mir an, wenn ich sie heiß finde. Und diese persönliche Sichtweise wird dann auf den Markt übertragen.
Aber warum ist das so? In den USA hat eine Sia genau so eine Existenzberechtigung wie eine Katy Perry, weil sie tolle Songs schreibt und gute Videos macht. In Deutschland kann das irgendwie nicht koexistieren. Es gibt eine Art von Individuum Frau und die ist 1,50 Meter groß, schlank, blond, hat schicke Klamotten an, wirkt aber trotzdem leger und singt schlagereske deutsche Musik. Alles, was davon abweicht, ist schon wieder "kompliziert". Bei den Typen hat von einem Haftbefehl, über Andreas Bourani, über K.I.Z., bis hin zu Prinz Pi jeder seine Existenzberechtigung. Wenn ich so was anspreche, wird mir immer gesagt: "Das ist deine subjektive Wahrnehmung." Das stimmt nicht! Ich rede mit voll vielen Frauen da drüber – letztens zum Beispiel mit Mieze von MIA. Wir haben telefoniert und über den Song "Alles Neu" geredet, der mittlerweile glaube ich 15 Jahre alt ist, und wo so eine Aufbruchsstimmung geherrscht hat. Damals habe ich mich so gefreut, weil es endlich eine Frau gab, die anders, irgendwie rotzig ist. Trotzdem hat sich immer noch nichts verändert – in den Köpfen jedenfalls nicht.

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Foto: Lisa Ziegler

Was ich international gesehen interessant finde, ist, wie mit Björk umgegangen wird, die ja eine offensichtliche musikalische und visuelle Vision hat und genau dafür gefeiert wird, aber eben auch immer so ein bisschen die "Verrückte" ist.
Das Lustige ist und das habe ich erst kürzlich auf Twitter entdeckt: Björk beschwert sich in einem Interview genau darüber. Sie sagt, dass in irgendwelchen Artikeln oder in der Industrie immer gesagt wird, dass hinter ihren Kompositionen ein Mann steckt. Selbst sie hat damit zu kämpfen und da hat sie sich mal so richtig ausgekotzt. Die meinte, dass sie nicht weiß, wie viel sie noch machen muss, damit die Leute endlich checken, dass sie das alles selbst macht. Wenn sie das sogar hat, was soll ich dann sagen? Entweder die Leute finden das zu kantig oder sie vermuten dahinter einen großen, männlichen Masterplan. Das ist mein subjektiver Eindruck und es kann sein, dass das keine andere Frau auf der Welt so erlebt, aber mir passiert es immer wieder.

Sollen doch alle denken, dass das irgendwelche Typen für mich gemacht haben.

Das ist natürlich eine schwierige Position. Gerade, weil du mir vorhin beim Aufräumen erzählt hast, dass du gar nicht so damit hausieren gehen willst, dass du das alles selbst machst.
Normalerweise ist es ja immer Teil der Marketing-Strategie, wenn Künstler ihre Songs selbst schreiben. Ich erzähle das halt nicht, weil das für mich selbstverständlich ist. Wenn ich eine Künstlerin bin, die textaffin ist und ihren Fokus darauf legt, ist es ja klar, dass ich das dann auch selbst schreibe. Für andere ist das aber anscheinend nicht so offensichtlich. Ich ko-produziere ja auch alle meine Songs und trotzdem wird am Schluss den Männern dafür auf die Schulter geklopft. Oder du liest im Pressetext des Produzenten "Und das alles hat Blablabla in sein Gewand gepackt" – und ich denke mir: Ja, aber schon das ist falsch. Das ist zusammen entstanden. Warum geht ihr davon aus, dass es keine Produzentinnen gibt, nur weil ihr neben Missy Elliott und Melbeatz keine kennt?

Frauen wird ja oft von so Selbsthilfe-Coaches oder so geraten, selbstbewusster zu sein und mehr damit anzugeben, was man so macht. Ich persönlich gehe aber auch immer eher davon aus, dass die Leute schon merken werden, was man leistet und will nicht auf Dinge hinweisen, die für mich selbstverständlich sind.
Ja, weil man sich dabei blöd vorkommt. Weil man diesen Balztanz in der Medienwelt nicht mitmachen möchte. Schau dir das Produkt an. Wenn du es geil findest, bin ich froh. Wenn nicht, dann ist es halt so. Aber es geht ja nicht nur um das Crediten. Es geht um die Ernsthaftigkeit in der Szene und in der Branche, für wie voll du genommen wirst, wie schnell du zu Lösungen kommst, wie schnell du selbst Entscheidungen treffen kannst, ohne immer über 50 Mauern steigen zu müssen. Sollen doch alle denken, dass das irgendwelche Typen für mich gemacht haben. Das eigentliche Problem ist ja, dass du fünf Mal sagen musst: Nein, das sind meine Pressebilder. Nein, ich möchte die Show genau so haben. Deswegen finde ich dieses eine Zitat von Beyoncé so schön, wo sie sagt: "I'm not bossy, I'm the boss." Genau das ist es nämlich.

Wenn ich ein Projekt für jemand anderen mache, dann ordne ich mich unter. Wenn ich ein Projekt mache, das für mich ist, dann bin ich der Boss. Und wer damit nicht klarkommt, kann eben nicht mit mir arbeiten.

Foto: Lisa Ziegler

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