Die öffentlich-rechtlichen Medien könne man "ruhigen Gewissens" als Regierungspropaganda bezeichnen, meint Tofalvy. Die Sache sei klar: Diese Medien sind verloren.Der zweite Punkt ist etwas feinfühliger und war auch hierzulande schon öfter Thema. Österreich-Herausgeber Wolfang Fellner wehrt sich gegen den Vorwurf, Parteien würden mit Inseraten freundliche Berichterstattung kaufen. Staatliche Inserate würden nur 7 Prozent des gesamten Werbevolumes ausmachen.In Ungarn sind die Dimensionen anders: Bei PestiSrácok.hu, einer regierungsfreundlichen Website, machen die staatlichen Inserate laut Auskunft des Chefredakteurs "70 bis 80 Prozent" aus. Man muss kein großartiger Betriebswirt sein, um zu erkennen: So ein Medium würde ohne Wohlwollen der Regierung umgehend eingestellt werden müssen.1. Totale Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien
2. Staatliche Inserate nur für Medien mit regierungsfreundlicher Berichterstattung
3. Scheinbar unabhängige Holdings werden Eigentümer von Medien
4. Aufkauf von kritischen und ausländischen Medien durch diese Holdings
Wenn man die ungarische Medienlandschaft kennt, wird einem schnell klar, welches politische Ausmaß das Internet hat.
"Im Internet", lautet die Antwort des Datenjournalisten Attila Bátorfy vom Investigativmedium atlatszo.hu auf die Frage, wo man unabhängige Berichterstattung über ungarische Politik finden könne. Bátorfy hat unter anderem die Geldströme der Regierung zu Medien recherchiert und visualisiert. Er hält die abhängige Medienlandschaft für den Auslöser sehr vieler Probleme: "Freie Medien tragen eine Demokratie. Und das ist der Grund, warum Ungarn abfuckt". Egal, wie groß der aufgedeckte Skandal ist, die Recherchen seines Mediums würden es so gut wie nie in staatsnahe Medien schaffen."Freie Medien tragen eine Demokratie. Und das ist der Grund, warum Ungarn abfuckt."
Die "Hipster-Patrioten" dieser 2017 gegründeten Bewegung, zu der vor allem junge Akademiker mit Auslandserfahrung gehören, wollen Ungarn zu einem modernen, digitalen Land innerhalb der EU machen. Ohne Viktor Orbán. Mit den traditionellen Massenmedien haben sie keine guten Erfahrungen gemacht, erklärt Hajnal: "Attacken gegen Oppositionsparteien sind Alltag. Schmutzkampagnen und gefälschte Berichte werden am Fließband produziert."Ádám Derda, der die Jugendorganisation ("Y-Gen") der sozial-liberalen Oppositionspartei Together leitet, sieht die Situation ähnlich pessimistisch. Trotz der enormen Reichweite erreiche er über traditionelle Medien kaum Leute, die für seine Botschaft empfänglich seien. Die großen Sprachrohre des Landes sind für ihn zweitrangig geworden. "Meine Generation schaut kein fucking Fernsehen", sagt er. "Unser politisches Leben passiert auf Facebook.""Meine Generation schaut kein fucking Fernsehen. Unser politisches Leben passiert auf Facebook."
An der Einschränkung des Internets scheitert sogar Orbán
Ganz verpufft ist die politische Energie aber nicht. Das meint zumindest Ádám Derda. Seine Organisation hätte rund 80 neue Mitglieder bekommen, was in Anbetracht der Parteienverdrossenheit der Ungarn nennenswert sei. Und: Viele Jugendlichen, die ihre Smartphones und Internet-Router gen Nachthimmel streckten, kamen erstmals in Berührung mit Politik. Sie fühlten sich vielleicht das erste Mal nicht ohnmächtig. "Die Internet-Proteste haben meine Generation politisiert", sagt Derda. "Triumph ist ein ungewöhnliches Gefühl für die ungarische Opposition", sagt Gulyás, "gewöhnlich macht die Regierung, was sie will."Auch Leute von Momentum waren bereits bei den Internet-Protesten dabei. Einer der Gründer spielte sogar eine entscheidende Rolle in der Organisation. Aber die Demos seien zu schnell zu erfolgreich gewesen, um schon damals eine politische Gruppierung zu formen, meint Momentum-Sprecher Miklos Hajnal.Ob Momentum eine relevante Gegenbewegung zu Orbán werden kann, halten viele Beobachter und Kommentatoren für fraglich. Auch unabhängige und oppositionelle Medien haben eine beschränkte Bedeutung, erklärt Tofalvy. Er sieht die Heroisierung des Internets im Zusammenhang mit Protesten eher skeptisch. Die Euphorie der 90er-Jahre, wonach das Netz die Presse- und Meinungsfreiheit egalisieren würde, sei verflogen. Auch im Internet gebe es inzwischen Eliten."Triumph ist ein ungewöhnliches Gefühl für die ungarische Opposition."
Einen Trumpf dürfte die junge, digitale und weltoffene Generation Ungarns aber noch haben. Orbán sei mit Stolz ein "digitaler Analphabet", meint Gulyás. "Früher hat er vielleicht drei Mal pro Jahr etwas auf Facebook gepostet". Der aktuelle Online-Auftritt sei vor allem von der Partei gepusht worden, ergänzt Derda. Selbst in Facebook-Videos mache er sich über Leute auf Facebook und über das Internet allgemein lustig.Es kursieren schwer überprüfbare Gerüchte und Witze, die die Ahnungslosigkeit Orbáns illustrieren. So soll er vor vielen Jahren einen Mitarbeiter gefragt haben, wie viele Kopien dieser von der Partei-Homepage anfertigen lassen hat. Was auch immer daran dran ist: Klar dürfte sein, dass Orbán zwar über ausreichend finanzielle Mitteln verfügt, online zu kommunizieren. Die Kultur des Internets und seine Mechanismen dürfte er dennoch noch nicht ganz verstanden haben. Das könnte das Internet als – zumindest theoretischen – Zufluchtsort der Freiheit noch eine Weile bewahren.Christoph auf Facebook und Twitter: @SchattleitnerDiese Recherche entstand im Rahmen eines Stipendiums von "eurotours 2017". Der österreichische Bundespressedienst im Bundeskanzleramt kam für Reise und Übernachtung auf.Vor vielen Jahren soll Orbán einen Mitarbeiter gefragt haben, wie viele Kopien er von der Partei-Homepage anfertigen lassen hat.