Foto: David Prokop (Identitären-Demo 2015)
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Was davon ist Werbung, was davon sind Nachrichten? Bis zu welchem Punkt muss man als Medium Abstand halten, um nicht zum reinen PR-Sprachrohr zu werden? Ab welchem Punkt sollte man trotzdem darüber berichten, weil die Sache (im Guten wie im Schlechten) relevant genug ist und sich nicht mehr wegdiskutieren lässt? Und in welcher Form sollte diese Berichterstattung dann passieren?Darüber haben auch wir hier in der VICE-Redaktion viel diskutiert; und so viele unterschiedliche Positionen wie es Mitarbeiter gibt. Damit ihr unsere Berichterstattung besser nachvollziehen könnt, wollen wir euch dieses Mal einfach die Meinungen unserer Redaktion selbst lesen lassen.Paul Donnerbauer, Redakteur: "Die Identitären sind die erste ernstzunehmende, rechtsextrem organisierte Gruppe seit der VAPO und haben noch dazu gute Kontakte zu FPÖ und Burschenschaften, sowie zur militanten Neonazi-Szene. Wenn eine solche neofaschistische Gruppe versucht, in Österreich wieder öffentlichen Raum für sich zu besetzen, darf man nicht wegschauen. Das hat nichts mit hochschreiben zu tun. Etwas anderes ist es, einen Martin Sellner ins Studio einzuladen und durch die Kamera zu tausenden Menschen sprechen zu lassen—da verhilft man den Identitären dann zu einer sehr große Propagandabühne."
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Dazu gehört auch eine durchdachte Medienstrategie. Insofern ist es als einzelnes Medium sowieso nicht möglich, sie totzuschweigen, weil andere Medien sie covern werden. Außerdem hat die Strategie des Totschweigens noch nie wirklich funktioniert und wird durch die sozialen Medien noch weniger funktionieren. Schenken wir ihnen zu viel Aufmerksamkeit mit einem Live-Ticker? Nein. Schreiben wir sie hoch? Nein. Und was ist in der Berichterstattung vertretbar? Ich würde sagen, die Berichterstattung, die ihnen nicht in erster Linie hilft. Da ist die Form dem Inhalt nachgeordnet."
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Verena Bogner, Managing Editor Broadly: "Ich finde, dass man natürlich darüber berichten muss, wenn die Identitären marschieren. Leider kann man sie nicht totschweigen und sie dadurch irrelevant werden lassen, weil sie nun mal Teil der Realität sind. Und die sollten wir eben auch so abbilden, wie sie ist, und nicht, wie wir sie vielleicht gerne hätten. Darüber, wie die Berichterstattung dann aussieht, lässt sich streiten. Meiner Meinung nach gesteht man ihnen mit einem Live-Bericht zu viel Relevanz zu. Einen zusammenfassenden Bericht NACH der Demo, der die wichtigsten Ereignisse enthält—vielleicht in Kombination mit einem Video, falls es dort wirklich zu Zusammenstößen kommt—fände ich besser."Christoph Schattleitner, Redakteur: "Zuerst mal: Ich finde es richtig, dass wir diesen Diskussionsprozess öffentlich machen. Unsere Leser können unsere Berichterstattung wahrscheinlich besser einschätzen, wenn sie die Gedanken und Bedenken der Redaktion kennen. Ich finde, die Identitären sind gut im Verschleiern ihrer wahren Motive. Wir sollten ihre Inszenierung und Propaganda entschlüsseln, damit sie die Leser wirklich einordnen können. Das geht meiner Meinung nach am besten mit unaufgeregter Recherche. Das klingt allerdings leichter als es ist—auch aufgrund der Erwartungen des Publikums. Die Herausforderung wird also sein, inhaltlich und formell nicht der Emotionalisierung und Sensationalisierung zu verfallen."Markus Lust, Chefredakteur: "Bereits im vergangenen Jahr gab es heftige Diskussionen darüber, ob ein Ticker zur Identitären-Demo angemessen ist. Ich glaube, ein gut gemachter Live-Bericht—indem es nicht um den Wintereinbruch oder das Erdbeben in Wien geht—kann ein Ereignis nicht nur skandalisieren, sondern auch entmystifizieren. Das Wie ist hier sicher wichtiger als das Was. Wir werden beim Aufmarsch der Identitären deshalb mit viel Hintergrundinfos und auch mit Live-Videos arbeiten—wir wollen zeigen, was passiert, ohne es aufzubauschen. Natürlich ist das Phänomen der Identitären auch ein Ausdruck von ernstzunehmenden Ängsten, aber wie Extra 3 so schön gesagt hat: Auch in der Psychiatrie nimmt man die Sorgen der Patienten ernst—aber man lässt sie nicht die Anstaltsleitung übernehmen. Neben Ängsten geht es aber auch ganz klar um Machtanspruch. Die Identitären wollen nicht 'Europa' schützen, sondern ihr Europa in den Köpfen errichten. Dagegen helfen meiner Ansicht nach keine Artikel mit Disclaimer, die den Leuten sagen, was sie stattdessen zu denken haben. Dagegen hilft nur aufzeigen, hinschauen und selber denken. Deshalb werden wir nicht sensationalistisch live-tickern, aber genau hinschauen und alle Entgleisungen so gut es geht minutiös aufzeigen. Wie wichtig hinschauen sein kann, zeigt gerade die letzte Störaktion der Identitären: Die reine Meldung 'Identitäre stürmen Uni Klagenfurt, attackieren Rektor' gibt der Gruppe viel mehr Auftrieb, als das YouTube-Video, in dem man sieht, wie peinlich die Aktion in Wahrheit war."In psychiatrischen Anstalten werden die Ängste der Insassen auch ernst genommen—das heißt aber nicht, dass man ihnen die Anstaltsleitung überlassen sollte.