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​Warum dürfen sich solche Typen über Feminismus profilieren?

Wenn sogar Christoph Blocher zum Feminist wird, läuft etwas mächtig schief.

Das junge Jahr kennt kaum ein anderes Thema als die Übergriffe von Köln in der Neujahrsnacht und die damit einhergehende Flüchtlingsthematik. Plötzlich redet die westliche Welt über Sexismus und man ist weitgehend gleicher Meinung: Die Taten gehören verurteilt und die Täter bestraft. Keine Frage, das ist auch meine Meinung.

Ich könnte mich darüber freuen, dass Sexismus als Thema endlich akzeptiert wird. Als Thema, über das man sich jetzt endlich Gedanken machen und zum Schluss kommen muss, dass der gegenwärtige Zustand nicht dem System entspricht, von dem wir bisher immer gesprochen haben. Einem humanistischen System, das Gleichberechtigung von Menschen mit XX- und Menschen mit XY-Chromosomenhintergrund inkludiert. Pustekuchen.

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Denn wenn man nämlich glaubt, dass wir Feminismus als logische Konsequenz eines Zustands der bestehenden Ungerechtigkeit begriffen haben, blenden wir aus, wie viele Dummschwätzer und Rosinenpicker sich Feminismus zu eigen machen. Und die unter Feminismus zusammengefassten Anliegen damit bewusst oder unbewusst torpedieren. Unter der Sorte Mensch, die es sich fürs Jahr 2016 auf die Fahne geschrieben hat, der eigenen Marke einen hippen Feminismus-Anstrich zu verpassen, gibt es ganz besondere Glanzlichter.

Typ 1: Christoph Blocher

Anscheinend war ihm das Extrablatt der SVP zu fahrlässig mit offensichtlichen Lügen gespickt, denn mit seiner Albisgüetli-Rede hat SVP-Urgestein Blocher noch mal eine grobe Unwahrheit oben drauf gesetzt. Er wirft der Stadtpolizei Zürich grobes Versagen vor und behauptet, dass Anzeigen wegen Sexualdelikten gar nicht mehr entgegen genommen würden. Jede Familie mit Töchtern im Alter zwischen 20 und 30 Jahren könne das bestätigen. Blocher wirft der Polizei vor, das wahre Ausmass der Kriminalität vertuschen zu wollen.

Einerseits ist das kompletter Schwachsinn. Das weiss ich unter anderem, weil ich selbst Anzeige erstattet habe. Die Stadtpolizei nahm meine Anzeige kompetent entgegen und ermittelte schliesslich den Täter. Über das Strafmass, das meiner Meinung nach zu gering ausfiel, kann man bekanntlich diskutieren. Aber im Rahmen der gegebenen Gesetze, hat die Polizei hier und in vielen weiteren Fällen ihren Job gemacht.

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Dass es Christoph Blocher aber kaum um den Kampf gegen den allgegenwärtigen Sexismus geht, wird spätestens dann klar, wenn man an die Abstimmung des Nationalrats im Jahr 2003 denkt, als darüber entschieden wurde, ob Vergewaltigungen in der Ehe und der Partnerschaft zum Offizialdelikt erklärt werden sollte. Blocher und seine Jünger stellten sich entschieden gegen diese längst fällige Anpassung des Gesetzes.

Der Tagesanzeiger bestätigte gestern die fadenscheinige Haltung der Partei aufs Neue: „Es braucht keine Politik für Frauen, sondern eine Politik für Menschen", sagte Vizepräsident Oskar Freysinger, da Frauen keine spezifischen Bedürfnisse hätten. Überdies sei gerade die Politik der SVP frauenfreundlicher als die der anderen Parteien, weil sie Ausländerkriminalität, die oft Frauen betreffe, als einzige konsequent bekämpfe.

Es wundert mich nicht, dass die SVP frauenfeindliche Politik macht. In dem Artikel „Was habt ihr nur? Die SVP war schon immer gegen Frauen" haben wir uns schon einmal näher mit der sexistischen Haltung der Partei beschäftigt. Wirklich gewundert habe ich mich aber dennoch, dass Christoph Blocher die Nerven hat, Sexismus zu beanstanden, um gegen die Feinde der Partei zu schiessen. Und die erklärten Feinde der SVP sind Ausländer, Secondos und Secondas und eben auch Polizeivorsteher Richard Wolff von der Alternativen Liste. Es bleibt der Eindruck, dass die SVP ihre Wähler schamlos für dumm verkauft, oder einfach selbst nicht fähig ist, die einfachsten gesellschaftlichen Geschehnisse vollständig zu durchleuchten.

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Typ 2: Fame-inisten

Fame-inisten schiessen gerade aus dem Boden wie Pilze nach Herbstregen. Es ist gerade einfach wieder chic, etwas gegen Sexismus zu haben. Dieser Typus vermeidet das Wort „Feministin" allerdings weiterhin gekonnt, denn es besteht ja nach wie vor die Gefahr, von Männern als aggressive Männerhasserin wahrgenommen zu werden. Das will man vermeiden. Es geht diesen Frauen vielmehr um Selbstdarstellung.

Wenn man im Südafrika-Urlaub an einem Kinderheim vorbeikommt, dann werden fleissig Selfies mit Waisenkindern geschossen und die Bilder anschliessend mit einem pseudotiefgründigen Sprüchlein versehen. Denn man schätzt schliesslich seinen Wohlstand und hat Mitleid mit denen, die nicht so viel haben. Das hat Like-Potential!

Wenn Flüchtlinge nach Europa kommen, werden die wohlwollenden Online-Statements aber immer zögerlicher, je näher die Menschen dem Heimatland kommen. Denn man weiss genau, dass es immer mehr Facebook-User gibt, die wohlwollende Posts mit Angstpropaganda (die man vielleicht aus dem Extrablatt hat) kommentieren werden.

Fame-inisten verteidigen feministische Anliegen vornehmlich, solange es Likes einbringt. Es geht ihnen aber nicht wirklich um eine endgültige Gleichstellung zwischen Mann und Frau, sondern um reine Profilierung. Versteht mich nicht falsch: Fame-inisten sind immer noch näher bei Feministen als bei Frauenhassern und mit Fame-inismus Likes zu sammeln ist besser als gar nichts zu tun.

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Der grosse Witz dabei ist aber, dass sie sich grundsätzlich nur gegen das wehren, was auch durch die männliche Brille als daneben gilt. Sexuelle Übergriffe auf weisse, junge Frauen beispielsweise. Über die unerwünschte Hand am Hinterteil beim Feiern oder Anzüglichkeiten vom Vorgesetzten können sie aber kommentarlos hinwegsehen. Kurzum: Die Gleichstellung der Frau ist zu jedem Zeitpunkt in allen seinen Aspekten von extremer Bedeutung, ob es grad en vogue ist oder nicht, darf kein Kriterium sein. Wer sich nur ab und zu, wenn es gerade passt, als Advokatin für dieses bis zu seiner Umsetzung relevante Anliegen stilisiert und bei anderen Gelegenheiten wieder im Strom schwimmt, verwässert und relativiert automatisch die Wichtigkeit des Gegenstandes.

Typ 3: Starker, mutiger Macho

Screenshot vom YouTube-Video „Deutsche Frauen: IHR habt es in der Hand"

Vergangene Woche haben wir euch Hagen Grell vorgestellt, der sich in einem Youtube-Video an Frauen wendet und ihnen erklärt, dass „unsere Männer zu den grössten, stärksten und edelsten der Welt" gehören. Hagen referiert im Unterhemd über die Ursache der sexuellen Übergriffe in Köln. Seine logische Schlussfolgerung ist, dass Frauen eigentlich selber daran schuld sein sollen, denn wir haben unsere Männer zu braven Schosshündchen umerzogen, die uns nicht mehr verteidigen können.

Die einfache Lösung gegen Sexismus ist seiner Meinung nach also Sexismus. Wenn man nämlich den Mann wieder als Beschützer akzeptiert und auf die feminine Gleichstellung pfeift, dann könnten die „edlen Männer" den bösen Angreifern nämlich wieder mutig eins auf die Mütze geben.

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Typ 4: Männerhasserinnen vom Planeten Venus

Foto von Blaues Sofa | Flickr | CC BY 2.0

Dass der Begriff Feminismus so negativ konnotiert ist, kommt nicht von ungefähr. In den Köpfen vieler Menschen ist Feminismus ein Synonym für Männerhass. Eine solche Feministin scheint jegliche Weiblichkeit an den Nagel gehängt und gegen verbale, speziell auf Männer ausgerichtete Giftspritzen eingetauscht zu haben. Das ist Bullshit.

Der Kampf für Gleichberechtigung ist ein Kampf für alle Frauen. Es ist kein Kampf gegen alle Männer. Dieser Logik folgend kann ein Mann genauso Feminist sein. Aber durch die seit den Sechzigern kaum überdachte Pauschalverurteilung eines Geschlechts fühlen sich beispielsweise junge Männer, die durchaus für Gleichberechtigung einstehen, nicht mal zu Unrecht angegriffen.

Diese „Kampf-Feministen" (ich erlaube mir, diesen abgelutschten Begriff zu bemühen) hatten wohl zur Geburtsstunde ihres Aufstands einen Grund, all ihre Weiblichkeit eben diesem Konflikt zu opfern. Tragischerweise ist das heute nicht mehr nötig, sondern vielmehr kontraproduktiv: Die Angst als Kampf-Emanze abgestempelt zu werden schreckt junge Feministinnen eher ab. Es geht ihnen ja um Gleichberechtigung der Geschlechter, nicht um deren Auflösung.

Diese altbackene Form lässt die Anliegen des Feminismus erscheinen, als wären sie diejenigen einer kleinen, extremen Splittergruppe. In Wahrheit handelt es sich bei der Gleichberechtigung der Geschlechter um eine Selbstverständlichkeit, die wir alle (Frauen und Männer), die in demokratischen Gesellschaften leben, genau gleich fordern müssen.

Nadja ist auch auf Twitter keine Fame-inistin: @NadjaBrenn

VICE Schweiz auch nicht: @ViceSwitzerland


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