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Popkultur

Ich traf den Typen hinter der Anzeige "Hast du Lust, meine Freundin zu ficken?"

Und lernte eine sehr triste Welt kennen.

Das ist Wolfgang | Foto: Manuela Trimborn

In einem Schnitzelrestaurant an einer U-Bahnstation am Rand Hamburgs. "Kleine Morgenferkelei", "Luxus-Sau"—die Speisekarte liest sich wie Schmutzfilmchen aus einer 80er-Jahre-Videothek. Hier treffe ich Wolfgang. Ein paar Tage vorher habe ich auf seine Annoncen bei markt.de geantwortet, einem Portal, bei dem Menschen alles Mögliche anbieten, von Autos über Malteser-Welpen—bis zu ihren Frauen. "Hast du Lust meine Freundin zu ficken?" lautete die Überschrift seiner Anzeige.

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Ich bin schon öfters über solche Annoncen gestolpert. Man findet sie auf Sexseiten, Kontaktbörsen oder Verkaufsplattformen—überall, wo man nach Jobs oder potentiellen Partnern suchen kann.

Beispiel einer Anzeige, die man auf Verkaufsplattformen findet | Foto: Screenshot

Ich wollte wissen, was einen Mann dazu bewegt, seine Frau anzubieten, und wer hinter diesen Anzeigen steckt. An die genannte Adresse schreibe ich eine Mail. Mir antwortet: Wolfgang—sieben Stunden nach meiner Anfrage. Schnell wird klar: Er ist nicht mit der Dame zusammen, die er im Internet anbietet. Wir schreiben ein wenig hin und her, dann stimmt er einem Treffen zu.

Wolfgang trägt eine rostbraune Blousonjacke und Bluejeans, 80er Chic der unauffälligen Sorte. Er hat die beruhigende Stimme eines Hörbuchsprechers und steht kurz vor der Rente. "Ich weiß, was Mann will, und so versuche ich, die Frau natürlich auch zu präsentieren. Die Termine machen sie selbst. Ich biete nur Werbung, nichts anderes", sagt er, während er an seiner Fassbrause nippt. Mitte der 00er Jahre fing er an, Frauen auf Kontaktportalen zu bewerben, zum Beispiel auf modelle-hamburg.de. Zu der Zeit mietete er auch ein Haus an, stellte seinen Kundinnen Zimmer zur Verfügung. Das mache er heute nicht mehr, der Durchlauf sei zu hoch und das Ganze zu stressig.

Seit 20 Jahren verdient Wolfgang mittlerweile am Sexleben anderer. Eine Berufsbeschreibung für seine Tätigkeiten gibt es nicht. Er ist ein kleiner Fisch in einem Business, das jedes Jahr in Deutschland Milliarden Euro umsetzt. Alleine mit Prostitution werden jedes Jahr 14,6 Milliarden Euro umgesetzt, so Schätzungen des statistischen Bundesamts 2013. 1 bis 1,2 Millionen Freier gingen demnach in diesem Jahr zu Prostituierten—am Tag, nicht im Jahr. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 30 Millionen Männer ab 18. In Österreich werden Drogenhandel und Prostitution im Bruttoinlandsprodukt erfasst. Im Jahr 2012 betrug dieser Anteil 0,3 Prozent, also 890 Millionen Euro.

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Das statistische Bundesamt schätzt, dass etwa 40 Prozent der Erlöse aus Bordellen kommen, ungefähr genauso viel entfällt auf Straßenstriche und sogenannte "Hostessendienste". Letzteres ist ein schwammiges Wort für sexuelle Dienste, die man im Voraus bucht. Dazu gehören auch Anzeigen wie die von Wolfgang. Auch wenn manche Experten diese Zahlen für aufgebläht halten: Anzeigen wie "Hast Du Lust meine Freundin zu ficken" sind kein Einzelfall. Tausende Männer suchen täglich in Deutschland nach "Freundinnen" anderer, vermittelt von Tausenden Wolfgangs, Sex-Organisatoren aus der zweiten Reihe.

Wolfgangs Frauen würden immer mit irgendwelchen Typen auftauchen, sagt er. "Ob das der Bruder ist, der Vater, der Freund oder der Ehemann, das weiß ich nicht. Ich schau sie mir an, mache ein paar Fotos. Ich bin kein Fotograf, die Fotos sind also alle scheiße. Aber es reicht." Eine Sedcard brauche man in dem Business nicht, man müsse nur wissen, welche Oberweite die Frau hat und was sie macht. Dabei gäbe es im Prinzip nur drei Fragen: "Schluckst du? Machst du es anal? Machst du es ohne Gummi?"

Wenn ein Typ auf eine Anzeige reagiert, teile Wolfgang ihm per Mail mit, was geht und was nicht. Bezahlt werde er pro Woche, erst das Geld, dann die Arbeit. Acht bis zehn Frauen, sagt er, habe er in seiner Kartei. Die Frauen findet er im Internet, auf ganz normalen Suche/Biete-Portalen wie eBay-Kleinanzeigen. "Wenn eine Frau schreibt 'Suche Job, mache alles', klingelt es da oben bei den meisten. Solche schreibe ich dann an." Manchmal finden sie auch ihn, wenn er weiterempfohlen wurde. Häufig vermittelt auch ein bulgarischer Bekannter die Kontakte zu seinen Kundinnen—fast alle aus Osteuropa. Wolfgangs Verdienst dabei: jeden Monat ein dreistelliger Betrag im unteren Bereich.

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Eine Kundin von Wolfgang | Foto: Wolfgang

Wolfgang schreibt ein paar Zeilen Text für die Annonce: die Aufforderung, Kontakt aufzunehmen, er bittet dafür um "Taschengeld". Der Sex mit der vermeintlich experimentierfreudigen Freundin kostet natürlich: Das "19 jährige Deutsche Dreiloch Teenie" nimmt auf sinnesfeuer.de 40 Euro für den Blowjob, 60 für die halbe, 80 die volle Stunde. Anal gibt's für 30 Euro extra. Anna aus Wandsbek macht's für 100 Euro. Diese Preise unterscheiden sich nicht viel von denen der gewöhnlichen Prostituierten auf dem Straßenstrich oder in Billig-Bordellen. Die Freundin oder Frau eines Anderen, das klingt gleich viel besser, als bei einer Prostituierten gewesen zu sein. Ausspannen kann man die, fremdgehen mit ihr, sie erobern, Gefühle aufbauen. Prostituierte erobert man nicht, Prostituierte bezahlt man.

Die Karriere im Sexgeschäft begann für Wolfgang schon Ende der 90er Jahre. Er, ausgebildeter Kaufmann, beginnt, einen Erotikversandhandel aufzuziehen. Kein gewöhnlicher, vielmehr verkauft er die Idee, sich mit einem solchen Versand selbstständig zu machen. Eine Handvoll Kataloge und Kontakte zu Vertrieben gibt es für 300 Mark, Produkte selbst besitzt er nicht. Als er das Geschäft mit 0190er-Sex-Hotlines startet, beginnt das Geld, richtig zu fließen: "Das war eine Zeit, in der die Arbeitslosenquote recht hoch war. Da meldeten sich schnell viele Frauen, nachdem ich per Anzeigen nach Mitarbeiterinnen gesucht habe. Die Sache wuchs und wuchs. Irgendwann hatte ich überall in Hamburg verteilt rund 40 Frauen sitzen, die den Anrufern den ganzen Tag was vorstöhnten."

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Ende der 90er, Anfang der 00er Jahre war die goldene Zeit des Telefonsex: 750 Millionen Euro schwer war der Gesamtmarkt um die Jahrtausendwende, der damalige Arcor-Sprecher Roland Bettenbuehl sprach davon, dass "rund 70 Prozent" der kostenpflichtigen Hotlines auf Telefonsex entfallen.

Der Tod der Sexhotlines kam schleichend, aber er kam. Wolfgang erklärt es so: Netzbetreiber distanzierten sich, denn die Nummern schädigten ihr Image. Kunden konnten oder wollten ihre Telefonrechnungen immer häufiger nicht bezahlen—bei vielen half auch kein Inkassobüro. Auch die Politik wurde aktiv, der Bundestag beschloss ein Verbraucherschutzgesetz zum Thema. Der Durchbruch des Internets tat sein Übriges, Telefonsex lohnte sich nicht mehr. "Ein Jahr lang habe ich es mit SMS versucht. Telefonsex kann ich ja noch irgendwo verstehen, aber wie sich jemand auf irgendwelche SMS einen runterholen kann, begreife ich nicht." Dann also doch Prostituierte vermarkten: ein Abstieg vom großen Chef von 40 Mitarbeiterinnen zu einem kleinen Sex-Mittelmann.

Für ihn ist Sex ein Produkt wie jedes andere. Er machte das, was er am besten kann: werben, verkaufen. Wie viel bekommt er vom Leben der Frauen mit? "Ich helfe ihnen schon mal bei Behördengängen, mehr nicht", sagt er. Kann er sich sicher sein, dass die Osteuropäerinnen, die er bewirbt, freiwillig hier sind? "Ich fahre nicht selber nach Bulgarien und kaufe Mädels ein, die dann von morgens bis abends die Beine breit machen müssen." Dass so etwas passiert, habe er allerdings schon gehört. "Aber ich mache nur die Werbung." Diesen Satz wiederholt er oft. Er wirkt, als wolle er mit dem ganzen Geschäft möglichst wenig zu tun haben.

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Kundin von Wolfgang | Foto: Wolfgang

Wenn Wolfgang von seinem Job erzählt, schwingt keine Reue mit, aber auch kein Stolz. Oft spricht er abschätzig über das Business. Sein Erzählstil: nüchtern, unsentimental. Es ist ihm nicht peinlich, darüber zu reden. Und doch wirkt er wie einer, der mehr weiß, als ihm lieb ist.

120.000 Frauen und Mädchen kämen jedes Jahr nach Westeuropa und würden zur Prostitution gezwungen, schätzte die Europäische Kommission 2015. Ganze 28 Milliarden Euro würde dieser Teil des Sexgeschäftes ausmachen, an dessen Beginn Menschenhandel steht. Auch wenn Wolfgang sagt, dass seine Kundinnen aus freien Stücken da sind, bleibt die Frage: Was genau heißt "aus freien Stücken"? Ein bisschen Deutsch würden die meisten seiner Frauen verstehen, sagt Wolfgang, an Sprechen sei aber nicht zu denken.

Das macht den Weg aus der Prostitution fast unmöglich—zumal die Frauen oftmals gar nicht wüssten, dass es überhaupt Wege gibt. "Viele osteuropäische Prostituierte kommen nicht im Entferntesten auf die Idee, sich an Beratungsstellen zu wenden", sagt Martin Löwe, Sozialarbeiter am LVR Klinikum Bonn. "Sie kennen es nicht, dass der Staat hilft, sondern empfinden alles, was sich nach offiziellem Rahmen anfühlt, als Bedrohung. Ein Mädchen, was allein in einem Zimmer am Telefon sitzt, hat eigentlich kaum Chancen, an solche Infos zu kommen." Hat Wolfgang schon einmal jemanden aus der Prostitution geholfen? "Ich mache nur Werbung", sagt er wieder.

Wie lange er den Job noch macht, weiß er nicht. Die Frauen über Kleinanzeigen anzubieten, werde immer schwieriger: "Heutzutage versuchen die Anbieter alles, um diese Art von Anzeigen zu unterbinden. Vieles wird herausgefiltert, zensiert oder die Anzeigen gar nicht erst freigegeben." "Verkehr ohne" anzubieten, ist sogar gesetzlich verboten. "Aber einige Frauen machen das dann hinterher doch unter der Hand mit den Männern ab, in der Hoffnung Stammkunden zu gewinnen", erzählt Wolfgang. Denn Männer würden "alle ohne Gummi ficken wollen". Wenn man sich ein bisschen auskenne, dann könne man auch zwischen den Zeilen lesen und fündig werden, sagt er. Der Konkurrenzdruck bei den Frauen sei groß. "Ich denke, dass es immer mehr semi-professionelle Anbieterinnen auf dem Markt geben wird", sagt Sozialarbeiter Martin Löwe. "Im Internet wird immer häufiger Girlfriendsex-Erfahrung angeboten."

Wolfgang bewirbt heute die Frauen nebenbei. Halbtags arbeitet er in einem Callcenter. Er macht Werbung und verkauft, und nach Dienstschluss macht er dasselbe mit Osteuropäerinnen, nur ohne Telefon. Es ist schwer, sich vorzustellen dass er nicht weiß, dass die Frauen, die auf Allerweltsportalen angeboten werden, noch weniger geschützt sind als professionelle Prostituierte. Wolfgang deutet an, dass er zwielichtige Typen kennt, die Frauen mit falschen Versprechen nach Deutschland locken. Prostituierte, die nicht viel mehr sehen als die Zimmer, in denen sie anschaffen, und die Männer, die sie auf Seiten für Kleinanzeigen bestellen wie Gebrauchtautos. "Ich mache nur Werbung", sagt Wolfgang.