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Ernährung

Tschüss, Tofu: Ex-Veganer erklären, warum sie wieder Tier essen

"Einige kündigten mir die Freundschaft – schließlich war ich damit eine Verräterin."
Foto: imago | Westend61

Fructarier, Makrobiotiker oder Rohköstler – die Liste der verschiedenen Ernährungstypen ist lang, doch kein Begriff hat in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit erregt, wie der Veganismus. Im Positiven wie im Negativen, schließlich dürften Veganer-Witze bei jüngeren Generationen schleichend die unermüdlichen Deine-Mutter-Jokes ablösen.

Auch in Deutschland scheint der Veganismus ein stets wachsendes Phänomen zu sein – und das nicht nur in Berlin: Mittlerweile ernähren sich 1,3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik frei von sämtlichen tierischen Produkten. Die Zahl der Menschen, die sich bewusst für eine vegane Ernährung entscheiden, soll seit 2010 jährlich um 15 Prozent steigen.

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So dogmatisch sich viele auch einem Leben ohne Tierleid verschrieben haben – manche beißen nach jahrelanger Abstinenz doch wieder ganz genüsslich in ein Mettbrötchen. Wir haben uns erklären lassen, warum.

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Hannah, 24

Ich bin hauptsächlich vegetarisch aufgewachsen. Meine Mutter war früher lange im Tierschutz aktiv, weshalb zu Hause auch ohnehin viel Wert auf die Herkunft unserer Nahrung gelegt wurde. Mit 15 Jahren sah ich den Film Earthlings und stellte meine Ernährung auf vegan um – was ich allerdings nur einen Monat lang durchhielt. Mit 21 trat ich der Facebook-Gruppe "What Fat Vegans Eat" bei, weil ich daran interessiert war, wieder mal ein paar vegane Rezepte auszuprobieren. Ich koche leidenschaftlich gern und die Vielfalt der Gerichte in dieser Gruppe überraschte mich tatsächlich. Wenige Wochen später dachte ich mir: "Hey, es gibt jetzt viel mehr coole vegane Produkte als damals und eigentlich weiß ich, dass Veganismus ethisch schlauer ist."

Also stellte ich meine Ernährung im Herbst 2014 auf vegan um. Dazu kam, dass mein damaliger Partner sich von meinem Lebenswandel inspirieren ließ, was mich letztendlich dazu verleitete, am Ball zu bleiben. Außerdem ist Gemüse unfassbar günstig! Oft kam ich bei meinen Wocheneinkäufen mit weit weniger als 20 Euro hin und habe das ganze fast zwei Jahre lang durchgezogen. Dann kam mir meine Periode in die Quere.

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Wegen meiner Kupferspirale habe ich mittlerweile sehr starke Regelblutungen, was dazu führte, dass meine Eisenspeicher irgendwann völlig leer waren. Ich verlor die Hälfte meiner Haare und konnte kaum mehr aufstehen. Als meine Mutter mich zum Arzt schleppte, diagnostizierte dieser eine akute Eisenmangelanämie. Neben Supplementen musste ich daraufhin möglichst viel Eisen aus tierischen Quellen zu mir nehmen, was eine weitaus höhere Bioverfügbarkeit als pflanzliche Eisenquellen hat.

Letztendlich war mir meine Gesundheit wichtiger als moralische Überlegenheit.

Natürlich kann man Eisenmangel auch rein pflanzlich bekämpfen. Da ich aber nebenbei noch mit einer alten Essstörung kämpfe, muss jede Ernährungsumstellung gut durchdacht sein. Eine Rückkehr zu einem omnivoren Lebensstil schien in dieser Hinsicht weitaus weniger riskant. Sollte es meine Gesundheit eines Tages zulassen, würde ich eine vegane Ernährung durchaus wieder in Erwägung ziehen, da ich Veganismus nach wie vor für die ethisch vertretbarste Lebensweise halte. Was allerdings nerven kann, ist die Überheblichkeit einiger Veganer gegenüber Omnivoren. Einige kündigten mir die Freundschaft – schließlich war ich damit eine Verräterin.

Judith, 34

Meine Eltern trennten sich, als ich 12 Jahre alt war. Kurze Zeit später lernte meine Mutter einen jungen Veganer kennen, der sich dann auch ziemlich schnell bei uns zu Hause einquartierte. Dank ihm fing auch meine Mutter plötzlich an, ihren Lebensstil umzustellen. Sie kochte nur noch vegan, kaufte nur noch vegane Kosmetikartikel und predigte ständig, wie schlecht es für meinen Energiefluss und mein Karma sei, dass ich nicht auf tierische Produkte verzichten will. Wenn du jahrelang so was hörst und für den Verzehr von nicht veganem Joghurt verachtende Blicke und Kopfschütteln erntest, fängst du irgendwann an, an dir zu zweifeln.

Drei Jahre später entschied ich mich dazu, ebenfalls vegan zu leben und wurde zu einem richtigen Monster. Wenn jemand aus der Klasse in meiner Anwesenheit ein Salamibrötchen aß oder einen Schoko-Drink trank, rastete ich völlig aus. Ich beschimpfte diese Person als Tierquäler und Mörder und konnte mich kaum noch beruhigen. Ich verfiel in einen richtigen Wahn und kam teilweise erst wieder da raus, wenn die betroffene Person ihr Brötchen weglegte.

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Insgesamt nahm ich fast zehn Jahre lang keine tierischen Produkte zu mir und hielt mich auch strikt daran. Bestand auch nur der geringste Zweifel, dass in einem Essen etwas Tierisches drin sein könnte, aß ich es nicht. Als ich mit 20 so langsam aus der Pubertät kam, bekam ich Zweifel daran, ob vegan zu leben immer noch das war, was ich wollte. Gleichzeitig konnte ich aber auch nicht von heute auf morgen wieder Milch trinken oder Joghurt essen – in der Familie und im Freundeskreis war ich schließlich als Hardcore-Veganerin bekannt. Ich blieb also vorerst beim Veganismus.

Mit 25 lernte ich im Studium meinen jetzigen Mann kennen. Er war anfangs noch fasziniert von meiner Hartnäckigkeit, was das Umsetzen von meinen Prinzipien und Wertvorstellungen angeht, doch irgendwann störte er sich daran. Wir konnten nicht einfach spontan in ein Restaurant gehen, ohne dass ich vorher anrufen und nachfragen musste, ob es auch ein 100 Prozent veganes Menü gibt. Nach einem Jahr Beziehung stellte er mich dann vor die Wahl: entweder er oder dieser ganze Veganismus. Ich entschied mich für meinen Mann.

Meik, 28

Ich bin seit 10 Jahren Vegetarier und habe fast 4 Jahre lang vegan gelebt. Ausschlaggebend war der 18. Geburtstag meiner Cousine, an dem es Spanferkel gab. Klar, ich wusste immer, dass Fleisch von Tieren kommt, aber das in dieser Form noch mal gezeigt zu bekommen war für mich ein ganz krasser Aha-Moment. Seit diesem Tag hab ich nie wieder Fleisch angerührt und – da bin ich tatsächlich sehr sicher – werde es auch nie wieder. Der Weg zum Veganismus war aber ein etwas längerer. Ich hab mich in dieser Zeit viel mit Tierschutz beschäftigt, insbesondere mit PETA. Mit der Zeit kam die Erkenntnis: Nicht nur Fleisch ist Mord, Milch und Eier sind es genauso. Der Kühlschrank wurde noch leer gegessen, aber nichts Tierisches mehr nachgekauft.

Mit der Zeit hab ich mich immer stärker in das vegane Leben reingesteigert. Wenn man will, findet man in fast allem etwas Tierisches. Apfelsaft kann mit Gelatine geklärt worden sein, zum Beispiel. Lustigerweise kommt fast immer von Fleischessern: "Ist das überhaupt vegan, was du da isst?"

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Foto: Tookapic | Pexels | CC0

In Internetforen habe ich aber auch sehr stark mitbekommen, wie heftig sich Veganer untereinander dazu drillen, bloß keinem Tier den minimalsten Schaden zuzufügen. Keine Ameisen erschlagen, die in der Wohnung herumlaufen, keine Zoobesuche – theoretisch muss jeder Kosmetik- oder Lebensmittelhersteller persönlich angeschrieben werden, um zu fragen, was in den Produkten ist. Ein furchtbarer Aufwand!

Ich habe mich in meiner Zeit als Veganer auch oft über die Preise geärgert. Warum muss eine vegane Nuss-Nougat-Creme das Dreifache einer normalen kosten, nur weil kein Milchpulver drin ist? Veganer werden abgezockt, das ist leider so. Mich hat auch gestört, dass vegan sehr schwer umzusetzen ist, wenn man nicht immer jedes Essen für sich selbst zubereitet. Man ist total unflexibel und sehr eingeschränkt im Leben. Das ist so weit gegangen, dass ich, wenn ich mit Freunden unterwegs war, kaum noch etwas essen oder trinken konnte. Also habe ich irgendwann für mich entschieden, dass ich diesen Druck loswerden will.

Jessy, 21

Mit ungefähr 8 Jahren habe ich angefangen, vegetarisch zu leben. Ich weiss nicht mehr, was genau der Grund dafür war, mir wurde jedoch erzählt, dass ich es einfach abgelehnt habe, Fleisch zu essen. Käse war dann aber mein Ersatz für alles. Später habe ich in der BRAVO einen Artikel über Vegetarier, in dem auch ein veganer Promi erwähnt wurde, gelesen und fand das unglaublich toll. Also habe ich angefangen, mich immer mehr und ausführlicher über Veganismus zu informieren.

Ich war damals erst 15, deswegen war es natürlich sehr schwer, ernährungstechnisch alles so umzusetzen, wie ich es damals gerne gehabt hätte. Ich wurde jedoch sehr von meinen Eltern unterstützt und kann sagen, dass ich ungefähr vier Jahre lang zu 80 Prozent vegan lebte und komplett vegan dann drei Jahre lang.

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Durch die Beziehung zu meinem fleischessenden Freund wurde ich dann aber nach und nach wieder zum Allesesser. Mein Freund hat einen zweijährigen Sohn und wenn mal wieder "Papa-Wochenende" war und ich kochte, musste ich natürlich alles probieren. Mein Kompromiss mit mir selbst war allerdings, dass ich immer wissen will, wo meine Nahrung herkommt. Fleisch, Eier und Käse kommen vom Bauern aus der Region und es wird auch nur Saisongemüse aus Deutschland gekauft.

Ich finde nach wie vor, dass sich jeder mit dem auseinandersetzen sollte, was er vor sich auf dem Teller liegen hat. Ersatzprodukte sind in meinen Augen genauso fragwürdig wie Billigfleisch vom Discounter. Trotzdem habe ich nicht vor, in nächster Zeit wieder vegan zu leben. Meinem Körper geht es gut und mit meinem Gewissen bin ich auch im Reinen – und das finde ich am Wichtigsten.

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