Popkultur

Ich habe noch nie James Bond geschaut - das könnte sich bald ändern

Das hypermaskuline Agenten-Monster scheint in der Gegenwart anzukommen.
007-Darstellerin Lashana Lynch steht in Kostüm vor einer Säule
Foto: imago images | ZUMA Press

007 ist eine Schwarze Frau. Die britische Schauspielerin Lashana Lynch hat in einem Interview mit Harper’s Bazaar bestätigt, dass sie im kommenden James-Bond-Film No Time To Die zu sehen sein wird – und zwar als Agentin.

Eine Schwarze Frau – wie ich. Die Hälfte der Weltbevölkerung soll schon einmal einen James Bond-Film gesehen haben, schreibt der britische Professor Jeremy Black in The Politics of James Bond. Ich nicht.

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Zwei Mal habe ich es versucht. Beim ersten Mal hatte ein Kommilitone in der Whatsapp-Seminargruppe eine Liste geteilt: 50 Klassiker, die man gesehen haben muss. Als emsiges Arbeiterkind wollte ich bei den Hochkultur-Jokes auf der nächsten Party nicht außen vor sein. Also suchte ich eine pixelige Raubkopie von Man lebt nur zweimal auf Youtube. Ich kam bis zu diesem Dialog, etwa bei Minute fünf: 

James Bond: "Warum schmecken Chinesinnen eigentlich anders als unsere Frauen?"

Frau im Bademantel: "Du meinst hoffentlich bessel!"

Nein, Danke.

Zweiter Anlauf war Casino Royale, einzige DVD im Ferienhaus. Nach drei Minuten ertränkte James Bond ohne jeden Plot und Anlass jemanden so brutal im Waschbecken, dass sich mein 9-jähriges Kind vor lauter Schreck schluchzend zwischen den Sofakissen versteckte.

Seitdem bin ich überzeugt, dass James Bond ein widerliches, hypermaskulines Monster ist, dessen Autoren und Regisseure ihn seit Jahrzehnten ohne jedes Bewusstsein für Tiefe und Zeitgeist über die Leinwand peitschen.

Dass James-Bond-Filme den Sexismus und Rassismus ihrer Zeit spiegeln, ist natürlich weder neu noch überraschend. Bis vor wenigen Jahren waren weiße Männer diejenigen, die in Hollywood die Strippen zogen. Über Sexismus in James-Bond-Filmen gibt es Bücher und wissenschaftliche Studien aus jedem Jahrzehnt.

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Dazu kommen unterhaltsame Listen mit den härtesten sexistischsten Momenten und Zitaten (Tatiana Romanova: "Dankeschön, aber ich glaube, mein Mund ist zu groß." – James Bond: "Nein, er ist gerade richtig. Für mich wenigstens."). Bond-Frauen tragen auf gefühlt jedem Filmstill Bademantel, Schlafanzug oder einfach nur Schlüpfer. 

Selbst Bonds Chefin M nannte ihn im Film-Dialog mal einen "sexistischen,

misogynen Dinosaurier". Und der allgemeine Lieblings-Bond Sean Connery fand, dass man Frauen einfach manchmal schlagen muss wie eine Bitch. Überhaupt ist die ganze brutale, hypermaskuline, nymphomanische 007-Figur einfach so angelegt, dass man als woker Mensch danach nur wütend in sein Kissen beißen kann.

All das könnte sich im nächsten Film ändern, dessen Kino-Release am 31. März 2021 geplant ist. Als das letzte Mal Veränderung am Bond-Horizont auftauchte, zeigten sich Fans nicht eben von ihrer sympathischsten Seite. Die Aussicht, dass Idris Elba der erste Schwarze Bond werden könnte, löste Hass aus  – der auf der anderen Seite die Begeisterung dämpfte.

Aber es geht gar nicht darum, bei der Besetzung eines Films möglichst viele Minderheiten abzuhaken. Es gäbe gute Gründe, in einem Film ausschließlich weiße Männer zu besetzen (in einem Biopic über Horst Seehofer und sein Ministerium zum Beispiel). Und niemand mag diese Netflix-Serien, in denen ein schwuler oder Schwarzer Sidekick darüber hinwegtäuschen soll, um wen es eigentlich geht – aber nie genug Dialog bekommt. 

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Andererseits gibt es keinen Grund, mich durch einen Klassiker in Überlänge zu quälen, der so viele ignorante Stereotype bedient, dass mir vor lauter Ekel das Mikrowellen-Popcorn hochkommt. Und da bin ich nicht allein. 

Auch Bond-Produzenten mussten das schon lernen: Smirnoff Vodka hatte 40 Jahre lang seine Flaschen als Produktplatzierung in James Bond Filmen verkauft. "Geschüttelt, nicht gerührt" und so. 2002 stieg Smirnoff aus: man habe einfach kein Interesse mehr an der klassischen Bond-Zielgruppe, Männern zwischen Mitte 20 und Mitte 40. Stattdessen wirbt die Vodkamarke seit letztem Jahr mit saufenden Frauen und People of Color und queeren Sportlerinnen

In neueren Bond-Produktionen zeigt sich schon ein Umdenken – schreiben

zumindest andere. Es gäbe stärkere Frauenrollen (Madonna) und Frauen, die ihre eigenen Maschinengewehre trügen. Trotzdem hören Vorwürfe nicht auf, die Macher und Macherinnen würden unterkomplexe und hauptsächlich weiße Frauenfiguren auf die Leinwand bringen, auch bei den neueren Produktionen nicht auf. Bisher war ich also mit Black Panther oder sogar Vaiana besser dran. 

Aber dieses Jahr dürfte besser werden. Die ziemlich geniale, feministische britische Comedy-Autorin Phoebe Waller-Bridge hat einen Job im Writers Room von James Bond bekommen. Sie wurde engagiert, um das Drehbuch auf sexistischen Unsinn zu checken und ein paar neue Dialoge zu schreiben. (Daniel Craig fand das übrigens: "Fucking Great.")

Wenn vor und hinter der Kamera alles einigermaßen stimmt, sind das gute Voraussetzungen für einen entspannten Kinoabend, der nicht zum Anlass für einen Popkultur-Hass-Artikel mutiert.

Einzige Gefahr: Lashana Lynch wird ihre Dienstnummer nur vorübergehend tragen, weil James Bond (Daniel Craig) zu Beginn des Films noch im Ruhestand ist. Es könnte also sein, dass sie das Schicksal des unterkomplexen Schwarzen Sidekicks trifft. 

Wenn nicht, ist endgültig die Zeit angebrochen, in der diverse Figuren in Hollywood-Produktionen ohne jedes Social-Justice-Getue Raum bekommen. Außerdem geht Craigs Figur nach diesem Film wirklich in den Ruhestand – und macht Platz für einen wirklich neuen Bond. Wer die Rolle danach übernimmt, ist noch offen.

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