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Die beste Religion der Welt: Sikhismus?

Habt ihr euch auch schon immer gefragt, wie ein Sikh-Tempel von innen aussieht? Wir jedoch besuchten den unaussprechlichen „Gurdwara Sri Guru Singh Sabha Berlin e.V.".

Habt ihr euch auch schon immer gefragt, wie ein Sikh-Tempel von innen aussieht? Dass der von außen so aussieht, hättet ihr bestimmt auch nicht gedacht, oder? Anderswo ist das schon beindruckender. Wir jedoch besuchten den unaussprechlichen „Gurdwara Sri Guru Singh Sabha Berlin e.V.".

Die großen Weltreligionen lagen falsch, wir haben die einzig wahre Religion gefunden: Sikhismus. Die aus Indien stammende Gemeinschaft glaubt an die Einheit der Schöpfung und die Abkehr von Aberglauben und Dogmen. Ihre Existenz ist sozusagen ein kollektiver Stinkefinger an das in Indien verbreitete Kastendenken. Ein weiterer Beweis dafür, wie cool die Sikh sind: Als die europäischen Christen noch dabei waren, die letzten Hexen einzuäschern, gab es bei ihnen schon weibliche Gurus. OK, es war ein Fehler, 1984 Indira Ghandi zu ermorden, aber sie haben dafür auch teuer bezahlt. Die folgenden Massenmorde an den Sikh waren nicht die letzten in ihrer Geschichte. Zuletzt machten sie Schlagzeilen, als ein Neonazi-Ex-Fallschirmjäger bei einem Amoklauf im amerikanischen Oak Creek sechs Sikh ermordete. Er hatte sie vermutlich mit Taliban oder al-Qaida verwechselt. Nichts Ungewöhnliches, das tragische Schicksal der Sikh ist es nämlich, dass einige minderbemittelte Rassisten ihr Aussehen immer mal wieder für Grund genug halten, ihre bemitleidenswerten Aggressionen an ihnen auszulassen.

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Um genau das in Zukunft zu verhindern und da ein bisschen kulturell-religiöser Dialog noch niemandem geschadet hat, besuchten wir in Reinickendorf den Berliner Gurdwara.

Am Eingang muss ich die Schuhe aus- und ein Kopftuch anziehen. Dass das Kopftuch bei den Frauen aber eher dezent über den Kopf drapiert wird und kein großes Verschleierungsding ist, merke ich Unwissende erst später, als mir mein winziges Männerkopftuch, das ich mir in meiner Verunsicherung durch all das medial überzogene Gerede um symbolische Respektbekundungen unter großem Gewaltaufwand um den Kopf gewickelt habe, bereits die Blutzufuhr zum Gehirn abschneidet. Ein letzter Check, ob auch keine Zigaretten in den Hosentaschen sind (man darf im Tempel keine Drogen mit sich führen) und los geht's.

Dies hier ist ein Foto des Lagers, wo nach dem vierstündigen Gottesdienst gegessen wird. Ich muss während der Messe hier bleiben und ich frage mich, was die Sikh-Männer vor mir getan haben, dass auch sie im Wartebereich bleiben müssen. Vielleicht büßen sie so für ihre Sünden und berühren deshalb auch andauernd mit der Stirn den Boden. Es gibt mir das Gefühl, dass ich das Gleiche tun sollte. Immerhin hat ein wenig Buße noch nie geschadet. Sie sehen mich komisch an. Wahrscheinlich war das jetzt irgendwie falsch. Ich überspiele die unangenehme Situation, indem ich diese wundervollen Wandbilder mustere. Neben mir sitzt eine ältere weiße Frau, die mich schon länger anstarrt. Sie sagt, dass genau solche Leute wie ich Probleme machen und sie deshalb ihr Kind verloren hat. Die Deutschen seien Rassisten. Bevor ich sie etwas fragen kann, ist sie auch schon weg. Sie wirkte ein wenig verrückt und ich frage mich, ob das, was sie mir gesagt hat, stimmt.

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Nach der Messe füllt sich der Raum schlagartig mit bunt gekleideten Menschen und es gibt ein königliches Festmahl. Ich fühle mich wie am Set eines Bollywood-Films. Seitdem weiß ich: Nichts ist demütiger und verbindet mehr, als sein Essen gemeinsam, auf dem Boden sitzend, aus silbernen Tablettsystemen einzunehmen.

Diese Männer arbeiten in der Tempelküche. Man bemerke den Einkaufswagen hinter dem Fenster. Ein beruhigender Beweis für das fehlende Spießbürgertum der Sikh aus der Zeit vor elektrischen Einkaufswagendiebstahlsicherungen.

Ich beneide dieses Mädchen. Das wollte ich als Kind während des Gottesdienstes auch immer tun.

Unter diesem reich geschmückten Baldachin im Gurdwara, dem Ort, wo der Guru wohnt, wird das heilige Buch der Sikh verwahrt. Der letzte Guru sagte, dass es nach ihm keine weiteren menschlichen Gurus geben wird. Das Buch ist nun der lebende Guru, weshalb es auch wie ein Mensch behandelt wird. Das heißt, es wird nachts auch schlafen gelegt. Es enthält viele „gute Messages", so der Aufsichtsratsvorsitzende Hardhajan Singh.

Nur ein vom geizigen, europäischen Minimalismus verblendender Narr würde bei dem Plastikblumenreichtum der Sikh von Kitsch sprechen.

Einer ihrer Gurus gebot den Sikhs, ihre Haare nicht zu schneiden. Die Haare sind eines der magischen fünf Ks, die alle mit Geboten verbunden sind: Haare (Kesh), Armreif (Kara), lange Unterhose (Kachera), Dolch (Kirpan) und Kamm (Kangha). Fragt mich nicht, was es damit auf sich hat, das würde die Magie der Sache zerstören. Aber wie bei allen Regeln handelt es sich auch hier für die Sikh eher um Richtlinien, was sie ungefähr auf eine Coolness-Stufe mit Guybrush Threepwood setzt. Auf diesem großartigen Bild sind die Aufsichtsratsvorsitzenden der Sikhs Hardhajan Singh und Amarjeet Singh zu sehen, die mir netterweise ihre Visitenkarten gegeben haben. Sie ahnten sicher, dass ich sonst ihre Namen falsch schreibe. Und falls ihr euch wundert, warum beide Singh heißen: Alle Sikh-Männer haben diesen Namen, der Löwe bedeutet, vom letzten menschlichen Guru, Gobind Singh, erhalten. Die Frauen heißen Kaur, Prinzessin. Hardhajan begründet das auch einleuchtend: „Weil ohne Frauen wären die Männer nicht da und so." Die Frauen tragen Hosen, damit sie auch mal in den Krieg ziehen können, was sie sozusagen zur indischen Ausgabe von Prinzessin Fantaghiro macht.