Eine Schwarze Frau in Regenbogenoutfit und mit bunter Brille schaut über die Schulter in die Kamera, wir haben bei der Amsterdam Pride mit queeren Menschen übers Queersein gesprochen
Alle Fotos: Milou Deelen
Menschen

Queere Menschen erzählen, wann sie sich nicht queer genug fühlen

"Als ich anfing zu daten, habe ich mich wie eine Hochstaplerin gefühlt, weil ich noch keine sexuellen Erfahrungen mit Frauen hatte." – Molly

Vergangenes Jahr habe ich während der Pride Week auf Instagram geschrieben, wie sehr Queersein mein Leben bereichert hat. Kurz darauf bekam ich mehrere Nachrichten: "Wie kannst du so was sagen? Du hast doch einen heterosexuellen Freund?" Ich bin bisexuell, aber unweigerlich kam in mir eine alte Frage hoch: Bin ich nicht queer genug?

Aber nicht nur Bisexuelle fühlen sich in der LGBTQ+-Community manchmal nicht queer genug. Das queere Impostor-Syndrom, also die Befürchtung, in Wahrheit nicht richtig queer zu sein, ist weit verbreitet. 

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Um mit anderen LGBTQ+-Menschen darüber zu sprechen, bin ich vergangenes Jahr zur Canal Pride in Amsterdam gegangen, eine der größten Pride-Veranstaltungen in Europa. Dort habe ich die Leute gefragt, ob sie sich auch schon mal wie queere Hochstapler gefühlt haben – und was ihnen geholfen hat, darüber hinwegzukommen.

"Wenn Leute mir sagen, dass ich hetero aussehe, fühle ich mich schlecht." – Molly, 26

Eine Schwarze Frau in Regenbogenoutfit und mit bunter Brille schaut über die Schulter in die Kamera

Molly, 26

VICE: Hi Molly, du siehst glücklich aus!
Molly:
Das bin ich! Ich lebe in Texas und bin extra zur Pride hergekommen. Es ist so toll, gerade hier zu sein, in einer der queersten Städte der Welt. 

Hattest du je Probleme mit dem queeren Impostor-Syndrom?
Oh mein Gott, total. Vor allem, weil ich mein Leben lang Typen gedatet habe. Erst seit letztem Jahr date ich auch Frauen, obwohl ich das schon immer wollte. Am Anfang habe ich mich wie eine Hochstaplerin gefühlt, weil ich noch keine sexuellen Erfahrungen mit Frauen hatte. Seitdem ich Sex mit Frauen hatte, fühlt es sich echt an. Ich habe das Gefühl, mich jetzt rechtmäßig als queer bezeichnen zu können. 

Wann fühlst du dich denn am queersten?
Jetzt gerade, schau dir mein Outfit an! Und letzte Nacht, als ich mit einer anderen Frau rumgemacht habe. Das Gefühl wird mit jedem Tag stärker und ich liebe es. 

Und wann fühlst du dich weniger queer?
An einem normalen Wochentag, wenn ich mich klassisch feminin kleide. Wenn Menschen mir sagen, dass ich hetero aussehe, fühle ich mich schlecht. Ich habe mich vor Kurzem mit einer Lesbe angefreundet. Als ich ihr sagte, dass ich auf Frauen stehe, meinte sie: "Das sieht man dir gar nicht an!" Ich war überrascht und antwortete: "Tja, dir dann wohl auch nicht."

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"Sobald ich in der Community bin, ist das Motto: 'Sei, wie du bist und zeig deine wahren Farben.'" – Max, 29 (rechts)

Zwei weiße Männer mit kurzen braunen Haaren umarmen sich lächelnd, im Hintergrund Regenbogenflaggen

Max, 29, und Max, 29, sind seit einem Jahr ein Paar

VICE: Hi Max und Max, was bedeutet Pride für euch?
Max (rechts):
Für mich ist es ein großes Fest. Wir feiern, dass jeder er selbst sein kann, und ich persönlich feiere, dass ich mich vor elf Jahren geoutet habe. 

Max (links): Es ist eine tolle Zeit für Sichtbarkeit. Nicht nur, was die Sexualität angeht, sondern auch die Geschlechteridentitäten. Die Menschen halten die Niederlande gerne für ein Land, in dem in diesem Bereich nichts mehr gemacht werden muss. Aber das ist überhaupt nicht der Fall. Es ist gut, sich dessen bewusst zu sein. Besonders an einem Tag wie diesem.

Wann fühlt ihr euch am queersten?
Max (rechts):
Wenn ich in einer Gruppe gleichgesinnter Queerer bin. Es gibt mir dieses positive und glückliche Gefühl, dass ich weiß, dass ich einfach ich selbst sein kann. 

Max (links): Das geht mir auch so, aber ich fühle mich auch am queersten in unserer Beziehung, wenn wir nur zu zweit sind.

Fragt ihr euch manchmal, ob ihr queer genug seid?
Max (rechts):
Nein, ich frage mich nur manchmal, zum Beispiel heute, ob ich interessant genug aussehe. Ist mein Outfit vielleicht zu langweilig? Aber sobald ich in der Community bin, ist das Motto "Sei, wie du bist, und zeig deine wahren Farben". Was du trägst, ist komplett dir überlassen. 

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Max (links): Ich zweifle nicht unbedingt daran, aber manchmal denke ich mir: Unterstütze ich andere, vor allem jüngere queere Menschen genug? Ich bin an einem Punkt, an dem ich mich akzeptiert habe, und ich bin in einer wundervollen Beziehung, aber ich muss mir auch darüber bewusst sein, dass nicht alle in ihrem Prozess so weit sind.

Was ist das Queerste, was ihr jemals gemacht habt?
Max (rechts):
Als ich in New York war, bin ich ins House of Yes gegangen – ein Club in Brooklyn, der ein echtes LGBTQ+-Paradies ist. Ich wollte wissen, wie es ist, mich noch weiter von der Normalität zu entfernen, also habe ich ein enges Top und Mascara getragen. Es klingt vielleicht oberflächlich, weil es beim Queersein natürlich nicht nur um Looks geht, aber es hat sich toll angefühlt.

"Einige queere Menschen hören viel queere Musik. Ich mag diese Künstlerinnen und Künstler nicht unbedingt und frage mich manchmal, ob ich wirklich reinpasse." – Lotte, 33

Eine weiße Frau mit langärmligen purpurroten Hemd und einer luftigen hellblauen Mütze schaut lächelnd in die Kamera mit einer Dose in der in der Hand

Lotte, 33

VICE: Hi Lotte, wie sehen deine Pride-Pläne aus?
Lotte:
Ich werde mich mit ein paar Freunden treffen und am Kai stehen, um mir die Bootparade anzugucken. Meine Freundin, mit der ich seit sieben Jahren zusammen bin, ist in der zwanzigsten Woche schwanger. Sie ist auf einem der Boote und trägt ein T-Shirt, auf dem seht: "Dieses Baby hat zwei Mütter!"

Glückwunsch! Hast du jemals etwas getan, das du besonders queer fandest?
Mich als trans zu outen und meine Freunde und Eltern darum zu bitten, andere Artikel zu verwenden. Ich hatte echt Glück mit meinen Eltern. Die sind beide über 70 und aus einer komplett anderen Generation. Vor allem meine Mutter hatte anfangs Probleme damit, aber jetzt ist alles gut. 

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Fragst du dich jemals, ob du queer genug bist?
Einige queere Menschen hören viel queere Musik wie zum Beispiel Lady Gaga. Ich mag diese Künstlerinnen und Künstler nicht unbedingt und frage mich manchmal, ob ich wirklich reinpasse.

Wann fühlst du dich am queersten?
Wenn ich mit meiner Freundin händchenhaltend durch die Straßen laufe, fühlt sich das wie ein Statement an. In Amsterdam fühle ich mich relativ sicher, aber auch nicht immer.

Die Menschen schauen uns oft hinterher, wenn ich und meine Freundin vorbeigehen. Manchmal auf negative Weise, aber das macht mich dann auch irgendwie stolz. Dass ich trotz des sozialen Drucks so bin, wie ich bin, und dazu stehe. Ich habe mich während der Pandemie geoutet, das hier ist also die erste Pride, die ich voll genießen kann.

Am wenigsten queer fühle ich mich bei der Arbeit in langweiligen Zoom-Meetings. Oder wenn ich in den Supermarkt gehe, um eine Packung Milch zu kaufen. Wenn ich an der Kasse stehe und bezahle, fühle ich mich nicht gerade superqueer.

Viel Spaß bei der Pride, Lotte!
Eine Sache würde ich gerne noch sagen, auch wenn es sehr klischeemäßig klingt: Finde heraus, wer du bist. Du lebst nur einmal. Mein Outing hat mich zu einem glücklicheren Menschen gemacht. Das ist auch anderen Leuten aufgefallen.

"Ich bin eine queere Frau und Schwarz. Das ist nicht immer leicht. Manchmal ist es auch einfach nur anstrengend." – Francesca, 27

Eine schwarze Frau mit Dreadlocks und Brille schaut in die Kamera

Francesca, 27

VICE: Hi Francesca, worum geht es für dich bei der Pride?
Francesca:
Liebe, Freiheit und sich wohlzufühlen. Wenn ich mich umschaue, sehe ich Menschen, die aussehen wie ich, und alle sehen so frei aus wie ich. Heute bin ich extra stolz auf meine queeren Freundinnen und Freunde. 

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Hast du dich jemals gefragt, ob du vielleicht nicht queer genug bist?
Nein, niemals. Ich liebe Frauen auf jede erdenkliche Art. Und das ist so, seit ich Kind war. 

Das ist toll.
Manchmal fühle ich es weniger, wenn ich bei der Arbeit bin oder an öffentlichen Orten. Aber das liegt daran, wie die Außenwelt mich betrachtet. Ich bin eine queere Frau und Schwarz. Das ist nicht immer leicht. Manchmal ist es auch einfach nur anstrengend. 

Ich weiß aus Erfahrung, dass es schwer sein kann, sich als queere Person zu akzeptieren. Lange Zeit war ich nicht stolz auf mich, weil ich mich selbst nicht akzeptierte. Jetzt, da ich meine Identität voll in mein Herz geschlossen habe, bin ich so glücklich wie nie zuvor. Endlich bin ich frei.

Was war bislang der queerste Augenblick deines Lebens?
Als ich gleichzeitig mit drei Frauen rumgemacht habe. Heute ist mir das noch nicht passiert, aber ich werde es versuchen.

"Mir gefällt es nicht immer, als 'anderer' wahrgenommen zu werden." – Leon, 33

Ein weißer blonder Mann mit Sonnenbrille lächelt in die Kamera

Leon, 33

VICE: Hey Leon, wie läuft die Pride für dich?
Leon:
Ich lebe in Berlin und sehe eindeutig den Unterschied zwischen dort und Amsterdam. Die Pride in Berlin ist mehr wie eine Demonstration, weniger Stadtspektakel. Ich finde beide Veranstaltungen sehr eindrucksvoll. Manchmal wünschte ich mir, Amsterdam wäre ein bisschen weniger kommerziell. Überall pinkwashingmäßig Regenbogenflaggen zu sehen, ist manchmal etwas ermüdend. 

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Wann fühlst du dich besonders queer?
Jeden Tag. Es ist Teil meiner Persönlichkeit und meiner Art zu leben. Ich blicke kritisch auf die Welt und bestimmte Machtstrukturen. Mir gefällt es nicht immer, als "anderer" wahrgenommen zu werden. Bei einem Weihnachtsessen mit einem Haufen hetero Leuten wurde ich mal gefragt, ob ich Top oder Bottom bin. Das war mir viel zu privat. Ich dachte mir da nur: "Sei ruhig, liebe Frau, ich frag dich auch nicht nach deinem hetero Sexleben." 

Fragst du dich jemals, ob du queer genug bist?
Nein. Wann ist jemand überhaupt queer genug? Ich fühle mich niemals nicht queer, manchmal muss ich es allerdings verstecken. 

Was ist das Queerste, was du jemals gemacht hast?
[Lacht] Da muss ich an eine extreme Sexstory denken, weil sie gegen alle heteronormativen Vorstellungen verstoßen hat, aber ich behalte die Details besser für mich.

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